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http://handke-drama.blogspot.com/2016/03/2nd-page-of-unschuldige-reviews.html
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PHOTO ALBUM OF PEYMANN'S PRODUCTION: http://tinyurl.com/h83s885/
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LINK TO A LOT OF REACTIONS AT THE PREMIERE, NOT EVERYTHING FITS ON THIS LONG PAGE
http://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=12193:die-unschuldigen-ich-und-die-unbekannte-am-rand-der-landstrasse-claus-peyman-inszeniert-das-neue-stueck-von-peter-handke-am-burgtheater-wien&catid=38:die-nachtkritik-k&Itemid=40
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So erzählt es der DramatikerPeter Turrini im Nachrichtenmagazin "Profil" anlässlich der neuen Großtat des Altmeisters, die in Österreich sehr gespannt erwartet wurde: Peymann, 78, ist nach Wien zurückgekehrt. Ans Burgtheater, wo er von 1986 bis 1999 immer wieder für Krawall und Furore gesorgt hatte. Peymanns Auftrag: das neue Stück von Peter Handke, 73, zu inszenieren.
Auch die anderen sind in Peymanns Inszenierung durch und durch künstliche, überdeutlich ausgestellte Figuren. Maria Happel ist als schrille Karikatur einer Spießergattin eher albern als komisch. Regina Fritsch ist als "die Unbekannte" in schwarzer Korsage und mit strengem Blick schon bei Handke eine Altmännerphantasie, die schwer mit Leben zu füllen ist: Sie ist die Idealfrau, die den Dichter intuitiv versteht, ihm "still an den Lippen hängt", sich widerstandslos treten lässt und doch zu ihm zurückkehrt. Die ihm den Weg durch das Gedankendickicht in seinem Kopf weist.
Nur Martin Schwab - mit grauen Indianer-Zopf als "Häuptling" der Unschuldigen - scheint wirklich in sich hineinzuhorchen, wenn er am versöhnungsseligen, von Peymann stark gekürzten Ende seine Kindheitserinnerungen hervorholt. Der Rest aber trägt seine Sätze vor, als gelte es vor allem, klar und deutlich zu sprechen.
"Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße": Nächste Vorstellungen am Wiener Burgtheater am 29. Februar sowie am 6., 19. und 20. März 2016; ab Mai 2016 am Berliner Ensemble.
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Am Burgtheater ist am Samstag die Uraufführung von Peter Handkes "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße - Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten" unter Jubel zu Ende gegangen. Nach seiner Comeback-Inszenierung an der Burg spricht Claus Peymann über die Kraft eines Textes, die Wiener Direktionszeit und den "Kuss der Theatergeschichte". http://oe1.orf.at/artikel/432721
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Burgtheater kann die Aufmerksamkeit gebrauchen
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Claus Peymann hat, seit der Publikumsbeschimpfung 1966 im Frankfurter Theater am Turm, bereits insgesamt zehn Stücke von Peter Handke uraufgeführt. Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße ist seine fünfte Handke-Uraufführung am Burgtheater.
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Der Ort ist Google unbekannt, und schon damit ein Ort der Freiheit. Die Rede ist von einer stillgelegten Landstraße im Nirgendwo. Ihre Besonderheit: Sie hat einen Wächter, der an ihrem Rand in einem Unterstand haust, der eine alte Bushaltestelle oder die Ruine einer Rinderbesamungsanstalt sein könnte. Im neuen Stück von Peter Handke "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße: Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten" verteidigt der Wächter seinen vom Gewese der Welt verschonten Schauplatz gegen das Eindringen der "Unschuldigen", die trotz ihres Namens gefährlich sind.
Das dreistündige Stück feierte jetzt eine viel beklatschte Uraufführung am Wiener Burgtheater. Der Erfolg ist dem Ensemble, beeindruckend Christopher Nell als "ich" (Wächter), genauso zu verdanken wie Regisseur und Handke-Spezialist Claus Peymann. Der 78-Jährige hat seit der legendären "Publikumsbeschimpfung" 1966 im Frankfurter Theater am Turm bereits zehn Stücke von Handke uraufgeführt.
Peymann fügte Handkes handlungsarmes Sinn- und Themen-Mosaik gekonnt und effektvoll zusammen. Ohne Perspektive und ohne rechte Orientierung sind viele Menschen überfordert und beten die Information an. "Auch Gott liebt die Neuigkeiten", sagt der Anführer der Unschuldigen. "Ihr Unschuldigen seid die Armee des Systems, ihr seid die letzte Weltmacht", ruft der Wächter, der so gerne nicht mehr einsam wäre, aber mit der Mehrheit nichts anfangen kann. Die dumpfen Unschuldigen stolpern - unentwegt in ihre Handys quatschend - die Landstraße entlang und grußlos an den ausgebreiteten Armen des Wächters vorbei.
Sie sind Experten, Profis, Spezialisten und damit dem Wächter zutiefst suspekt. Und überhaupt: "Es ist eine Zeit, in der man gar nichts mehr weiß vom anderen." Handkes hin und wieder auch augenzwinkerndes Loblied aufs Gestern gipfelt im Satz: "Ich sehne die Zeiten zurück, als man die Briefträgerin noch an ihren Schritten erkannte." Die stimmige Bühne (Karl-Ernst Herrmann) kippt leicht schräg in den Zuschauerraum. Die aufgemalte Straße bekommt Tiefe und Weite. Im Herbststurm wehen auch verbrannte Papierbögen auf die Bühne - weiteres Zeichen für die aktuell oft misslingende Kommunikation.
Im neuen Werk des 73-jährigen Kärntners, der immer wieder auch für den Literatur-Nobelpreis gehandelt wird, spielt wie so oft auch eine Sehnsuchtsfrau eine wichtige Rolle. Der Wächter will sie unter den Unschuldigen entdecken, aber die Unbekannte (Regina Fritsch) bleibt ein Traumbild. Für die besonders heiteren Momente sorgt die Frau des Anführers der Unschuldigen (Maria Happel) schon allein mit ihrem vom Autor verlangten Koloratur-Lachen. Beide Schauspielerinnen erhielten vom Publikum Sonderapplaus.
Wie delikat die Umsetzung von Handkes Stück sein kann, musste das Münchner Residenztheater erleben, wo die für März geplante Premiere wegen unüberbrückbarer künstlerischer Differenzen abgesagt wurde. In Wien geriet die poetische Abrechnung mit der Welt am Ende doch überraschend mild.
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Sehnsuchtsfrau bleibt ein Traumbild
Claus Peymann ist ans Wiener Burgtheater zurückgekehrt. Als Handke-Spezialist inszenierte er die Uraufführung des neuesten Stücks des Autors.
Der Ort ist Google unbekannt, und schon damit ein Ort der Freiheit. Die Rede ist von einer stillgelegten Landstraße im Nirgendwo. Ihre Besonderheit: Sie hat einen Wächter, der an ihrem Rand in einem Unterstand haust, der eine alte Bushaltestelle oder die Ruine einer Rinderbesamungsanstalt sein könnte. Im neuen Stück von Peter Handke "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße: Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten" verteidigt der Wächter seinen vom Gewese der Welt verschonten Schauplatz gegen das Eindringen der "Unschuldigen", die trotz ihres Namens gefährlich sind.
Das dreistündige Stück feierte jetzt eine viel beklatschte Uraufführung am Wiener Burgtheater. Der Erfolg ist dem Ensemble, beeindruckend Christopher Nell als "ich" (Wächter), genauso zu verdanken wie Regisseur und Handke-Spezialist Claus Peymann. Der 78-Jährige hat seit der legendären "Publikumsbeschimpfung" 1966 im Frankfurter Theater am Turm bereits zehn Stücke von Handke uraufgeführt.
Peymann fügte Handkes handlungsarmes Sinn- und Themen-Mosaik gekonnt und effektvoll zusammen. Ohne Perspektive und ohne rechte Orientierung sind viele Menschen überfordert und beten die Information an. "Auch Gott liebt die Neuigkeiten", sagt der Anführer der Unschuldigen. "Ihr Unschuldigen seid die Armee des Systems, ihr seid die letzte Weltmacht", ruft der Wächter, der so gerne nicht mehr einsam wäre, aber mit der Mehrheit nichts anfangen kann. Die dumpfen Unschuldigen stolpern - unentwegt in ihre Handys quatschend - die Landstraße entlang und grußlos an den ausgebreiteten Armen des Wächters vorbei.
Sie sind Experten, Profis, Spezialisten und damit dem Wächter zutiefst suspekt. Und überhaupt: "Es ist eine Zeit, in der man gar nichts mehr weiß vom anderen." Handkes hin und wieder auch augenzwinkerndes Loblied aufs Gestern gipfelt im Satz: "Ich sehne die Zeiten zurück, als man die Briefträgerin noch an ihren Schritten erkannte." Die stimmige Bühne (Karl-Ernst Herrmann) kippt leicht schräg in den Zuschauerraum. Die aufgemalte Straße bekommt Tiefe und Weite. Im Herbststurm wehen auch verbrannte Papierbögen auf die Bühne - weiteres Zeichen für die aktuell oft misslingende Kommunikation.
Im neuen Werk des 73-jährigen Kärntners, der immer wieder auch für den Literatur-Nobelpreis gehandelt wird, spielt wie so oft auch eine Sehnsuchtsfrau eine wichtige Rolle. Der Wächter will sie unter den Unschuldigen entdecken, aber die Unbekannte (Regina Fritsch) bleibt ein Traumbild. Für die besonders heiteren Momente sorgt die Frau des Anführers der Unschuldigen (Maria Happel) schon allein mit ihrem vom Autor verlangten Koloratur-Lachen. Beide Schauspielerinnen erhielten vom Publikum Sonderapplaus.
Wie delikat die Umsetzung von Handkes Stück sein kann, musste das Münchner Residenztheater erleben, wo die für März geplante Premiere wegen unüberbrückbarer künstlerischer Differenzen abgesagt wurde. In Wien geriet die poetische Abrechnung mit der Welt am Ende doch überraschend mild.
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Sehnsuchtsfrau bleibt ein Traumbild
Claus Peymann ist ans Wiener Burgtheater zurückgekehrt. Als Handke-Spezialist inszenierte er die Uraufführung des neuesten Stücks des Autors.
"Wir haben wieder ein Stück", rufe Claus Peymann jedes Mal, freudig erregt "wie ein beschenktes Kind", sobald er das eben fertiggestellte Werk eines Dichters in Händen halte.
Am Samstagabend war es so weit. Handkes Stück heißt "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße". Es ist, wenn sich niemand verzählt hat, die fünfte Handke-Uraufführung am Burgtheater, die elfte überhaupt, fast 50 Jahre nach der legendären "Publikumsbeschimpfung" in Frankfurt, die einst den Ruhm der beiden alten Männer begründete.
"Pack! Doppelpack! Tetrapack!"
Wie Peymann diesmal reagierte, als er Handkes neues Stück zum ersten Mal in Händen hielt, ist nicht überliefert. Klar ist: Er hat es für eine Uraufführung ziemlich radikal gekürzt. Von den bereits als Buch erschienenen 180 Seiten fällt etwa ein Drittel weg. Trotzdem fehlt einem nicht wirklich was - das Ganze dauert immer noch drei Stunden.
Handke zelebriert in "Die Unschuldigen" seinen Status als feinsinniger, schwieriger, menschenscheuer und zu wenig beachteter Dichter. Sein Alter Ego, das "Ich" des Stücks, wandert auf einer verlassenen Landstraße umher, die es als sein Territorium betrachtet.
Immer wieder kommen Fremde vorbei. Sie telefonieren und gucken herum, ohne die Schönheit der Natur wahrzunehmen. Der schlimmste Frevel: Sie übersehen den Mann am Straßenrand. Sie hören nicht auf ihn. Weil sie das nicht absichtlich tun, sondern aus Ignoranz, nennt die "Ich"-Figur sie "die Unschuldigen".
Das gespaltene Ich
Sein "Ich" hat Handke aufgespalten in einen besonnenen "Ich-Erzähler" und in "Ich, den Dramatischen", der sich gern aufregt und die Unschuldigen - zu denen in Publikumsbeschimpfungstradition auch die Zuschauer gehören - mit Ausdrücken wie "tätowierte Schwimmlehrer" oder "Pack! Doppelpack! Tetrapack!" bewirft.
Die Landstraße, die er gegen die profanen Menschen verteidigt, die da so unsensibel hindurchtrampeln und sich nur für Sonderangebote und Pauschalurlaube interessieren, ist natürlich das Land der Poesie. Sein Dichterreich. Er verteidigt es störrisch gegen die "Nutzbarmachung" - und leidet gleichzeitig, dass er nicht gebraucht wird.
Christopher Nell, 36, spielt dieses Ich. Er gehört dem Berliner Ensemblean, Peymanns neuer Wirkstätte seit 1999. Die Inszenierung ist eine Koproduktion und wird ab Mai auch in Berlin zu sehen sein.
Der Poet als Clown und Zauberkünstler
Nell erinnert an Charlie Chaplin in "Der Tramp". Er trägt eine zu weite Hose, abgelatschte Stiefel, ein Wams über dem Hemd und einen Lederrucksack; dazu einen staunenden Blick. Die Hände streckt er immer wieder gen Himmel, wenn er nicht weiter weiß: "Und ich? Wer bin ich?" Und wenn es um die Fantasie geht, lässt er seine Finger in der Luft zappeln wie einst bei Roncalli. Der Poet als Clown und Zauberkünstler, der sich seine Welt erträumt.
Kaum hat Nell mit der Hand seine Landstraße in die Luft gemalt, erscheint leuchtend ein elegant gekurvter Weg auf der nach hinten ansteigenden Bühne von Karl-Ernst Herrmann. Und, plopp, aus dem Boden erscheint ein rostiger Unterstand, der in seiner Ästhetik an eine Schrottplastik aus den Achtzigerjahren erinnert.
Als Erzähler stapft Nell mit ausholenden Schritten über seine Straße. Wenn er dramatisch wird, boxt er um sich und wütet wie Rumpelstilzchen. Er singt mit Kopfstimme, zuckt im Traum wie ein Epileptiker, gibt alles in den sehr langen Monologen - und schafft es doch nicht, dass der von ihm so überpointiert vorgetragene Sermon einen berührt.
Es bleibt ein merkwürdig naives und recht eindimensionales Bild, das Nell und Peymann vom Dichter entwerfen. Von der Melancholie, die in Handkes selbstkritischem wie eitlem Stück zu spüren ist, von der Zerrissenheit eines autistischen Künstlers, der sich nach der Welt sehnt und sie doch nicht aushält, sieht man auf der Bühne zu wenig.
Monika Rittershaus/ Burgtheater Wien
Schauspieler Nell in "Die Unschuldigen": der Dichter als Zauberkünstler
Alles ist ausgestellt an diesem Abend. Jede Geste, jeder Blick, jede Vogelfeder, die vom Bühnenhimmel fällt, schreit: Das hier ist Theater und will es auch unbedingt sein! Denn die Welt, wie sie uns auf der Bühne erscheint, ist ja eine vom Dichter erfundene. Bevölkert von Kopfgeburten, mit denen der Autor hadert, wenn sie ein Eigenleben entwickeln.
Nur: der Kontakt zur Welt da draußen, außerhalb der Theatermauern, ist ihr abhanden gekommen.
"Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße": Nächste Vorstellungen am Wiener Burgtheater am 29. Februar sowie am 6., 19. und 20. März 2016; ab Mai 2016 am Berliner Ensemble.
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Am Burgtheater ist am Samstag die Uraufführung von Peter Handkes "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße - Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten" unter Jubel zu Ende gegangen. Nach seiner Comeback-Inszenierung an der Burg spricht Claus Peymann über die Kraft eines Textes, die Wiener Direktionszeit und den "Kuss der Theatergeschichte". http://oe1.orf.at/artikel/432721
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Noch nie waren so viele Informationen und Scheininformation per Smartphone und Tablet-PC überall und zu jederzeit verfügbar. Ein Fortschritt? Der große Zweifler, Peter Handke, nährt in seinem neuen Stück „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ daran starke Zweifel. „Es ist eine Zeit, als wisse man, als wüsstet ihr alles vom anderen. Als sei lückenlos alles zu wissen. Und zugleich ist es eine Zeit, da man nichts mehr, gar nichts mehr weiß vom anderen, auch gar nichts mehr wissen will“, formuliert der im freiwilligen französischen Exil lebende Österreicher.
Claus Peymann –wer sonst – brachte das sprachgewaltige Werk des 73-jährigen Handke nun auf die Bühne – im Burgtheater, wo sonst? Handke, Peymann, Burgtheater, das ist ein Mythos. Es ist das mittlerweile fünfte Stück von Handke, das Peymann in Szene setzt. Er leitete 13 Jahre das Burgtheater und spalteteÖsterreich wie seitdem nicht mehr. Handke, der vor 50 Jahren mit seinem von Peymann inszenierten Provokationsstück „Publikumsbeschimpfung“ Theatergeschichte schrieb, blieb bei der Uraufführung unsichtbar.
Die hohen Erwartungen an das deutsch-österreichische Duo wurden dennoch nicht enttäuscht. In dem wunderbar abstrakten Bühnenraum, der eine imaginäre Straße nur andeutet, prasseln auf den Zuschauer gewaltige Wort-Wasserfälle herab. Eine poetische Abrechnung mit dem Hier und Jetzt. Das ist keine gefällige Gutmenschen-Show, sondern eine destruktive Hasstirade auf die Ignoranz.
Peymann zaubert viel Theater in den komplizierten, imposanten Text von Handke. Da zwitschern Vogelstimmen aus dem Off, da wirbeln Staub und Blätterwolken über die Bühne, da wird gesprungen, getanzt, gefochten. Die „Unschuldigen“ mit ihren beiden Wortführern (Martin Schwab/Maria Happel) telefonieren sich in einer Szene über die imaginäre Landstraße ins informatorische Nichts. Mit dem Handy in der Hand sind sie unfähig, mit dem „Ich“ (Christopher Nell) überhaupt zu kommunizieren. Kommunikation = Nichtkommunikation?
Burgtheater kann die Aufmerksamkeit gebrauchen
Der bald 80-jährige Peymann zaubert mit der Hilfe seines kongenialen Bühnenbildners Karl-Ernst Herrmann starke Bilder auf die Bühne. Der Demonstrationszug der „Unschuldigen“ auf der Landstraße hält Transparente wie „Freiheit, Gleichheit, Informiertheit“ dem Zuschauer entgegen. Das sind Bilder, die nur schwer aus dem Kopf zu kriegen sind, Regietheater im besten Sinne des Wortes. Schließlich ist Handkes imaginäre „Landstraße“ noch „der letzte freie Weg in die Welt, der letzte nicht verstaatlichte, nichtvergesellschaftete, nichtgeographierte, nichtgeologisierte, nichtbotanisierte, nichtgegooglte, nichtöffentliche und nicht private Weg auf Erden.“
Handke unter Peymann an der Burg ist noch immer ein Medienereignis – zumindest im kunstaffinen Alpenland. Deshalb trifft an einen solchen Abend Macht auf Geld auf Kultur – Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer, Voestalpine-Boss Wolfgang Eder und Regisseur Achim Freyer sind im Publikum.
Die Burg kann die mediale Aufmerksamkeit bei der Uraufführung gut gebrauchen. Denn schließlich musste die berühmteste aller deutschsprachigen Bühnen im vergangenen Jahr unter der Führung von Karin Bergmann einen harten Sparkurs fahren. Im vergangenen Jahr drückte die deutsche Burgtheater-Chefin, die seit zwei Jahren die Geschäfte führt, die Kosten in der Spielzeit um rund vier Millionen Euro. Am Ende stand ein Jahresüberschuss von 1,2 Millionen Euro. Zumindest die ökonomischen Folgen des Finanzskandals aus der Ära ihres Vorgängers Matthias Hartmann werden Stück für Stück abgearbeitet. Eine beachtliche Managerleistung.
Doch Theater lässt sich nicht in erster Linie an der wirtschaftlichen Leistung messen. Entscheidend ist die künstlerische. Und da spielt das Burgtheater wieder ganz vorne mit. Peter Handke und Claus Peymann sei Dank.
Immer montags schreibt Handelsblatt-Korrespondent und Buchautor Hans-Peter Siebenhaar seine Sicht auf die Kommunikationswelt auf.
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Ich und der Wortführer erkennen sich schließlich gegenseitig in ihren Kindheitserinnerungen, und die mittlerweile alten und kranken Unschuldigen lernen: Du lebst nur durch die anderen Menschen. Am Schluss seiner schönen, wenn auch manchmal zu langwierigen Inszenierung läßt Peymann mehrere Schlüsse durchspielen. Was war das alles nun eigentlich: Ein Drama oder eine Wahrheitssuche? Nun ja, es war nicht unbedingt das Stück, auf das die Theaterwelt gewartet hat. Handke blieb wieder ganz in seinem eigenen poetischen Kosmos. Manchmal entfaltete sich poetische Kraft, manchmal war es auch nur Poetisiererei. Das Publikum im Burgtheater jedenfalls spendete reichlich Beifall.
Claus Peymann inszenierte seine insgesamt zehnte Peter-Handke-Uraufführung, seine fünfte am Burgtheater: „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ ist eine Co-Produktion der Burg mit Peymanns Berliner Ensemble.
Die Handlung kann man, wie meistens bei Handke, entweder nur sehr lang oder nur sehr kurz erzählen. Versuchen wir es mit der Kurzfassung: Ein Mann sitzt an einer Landstraße und hat keine Ruhe, weil ihn ständig Passanten stören. Oder ist es umgekehrt? Haben die Passanten keine Ruhe, weil der Mann sie ständig stört?
Geborener Monolog
Handke hat eine Art Bekenntnistext geschrieben: Die Hauptfigur, das „Ich“, sehnt sich nach einem Ende der selbst gewählten Einsamkeit, empfindet das ihm gegenüber tretende Wir aber als beklemmend und bedrohlich. Motto: Alle anderen sind anders, nur ich bin es nicht.
Zumal das Ich ständig enorm poetisch den Vögeln nachlauscht und wie ein richtiger, lebensverwirrter Dichter häufig daran scheitert, sich die Kleidung richtig zuzuknöpfen – während die anderen geschäftig in ihre Handys bellen und als Sklaven der Informationsmeschinerie durch die Gegend taumeln.
Handke – wortverspielt und anspielungsverliebt wie immer – untersucht also das Verhältnis des Einzelnen – „du bist der geborene Monolog“, heißt es einmal – zur Masse, zu den „Unschuldigen“, die in aller Unschuld ziemlich aufdringlich sein können: „Du wirst unserer Liebe nicht entgehen“, lässt Handke sie, Ödön von Horváth zitierend, sagen. Und Handke untersucht anhand der Hauptfigur die Unordnung in der eigenen Seele: Da gibt es ein schöpferisches, die Einsamkeit suchendes „Ich, Erzähler“ und ein „Ich, der Dramatische“, das sich als ziemliche Rampensau erweist.
Das Stück, ein Traum
Im Prinzip ist Handkes neues Stück überhaupt kein Theaterstück, sondern ein großes, gespieltes Gedicht. Es ist eine große Hommage an das Erzählen, an das Spielen, ans Theater, an die Sprache, an die Poesie, das Zaubern und Verzaubertwerden. Eine Hommage an den Traum und ans Träumen. Es geht weniger um das, was passiert, sondern um das, was passieren könnte.
Handke zitiert Shakespeare und sich selbst, zählt manisch Vogelnamen auf und erfindet schöne, neue Beschimpfungen („Ihr Pack, Doppel-Pack, Tetra-Pack!“), übt erwartbare Kritik an der Informations- und Optimierungs-Gesellschaft („Ohne Netz kein Leben!“) und liefert ein paar wunderbare, typische Handke-Oneliner: „Hier, allein, bin ich unter uns.“
Wie immer ist sein Thema auch die Sprache: Manche Sequenzen erinnern an Ionescos „Die kahle Sängerin“ – die Sprache zerfällt unter ihrem eigenen Gewicht .
Wie immer ist sein Thema auch die Sprache: Manche Sequenzen erinnern an Ionescos „Die kahle Sängerin“ – die Sprache zerfällt unter ihrem eigenen Gewicht .
Claus Peymann hat diesen Text voller Ehrfurcht auf die Bühne gewuchtet und bemüht mit einigem Erfolg die große Theatermaschine zu dessen Beglaubigung. Karl-Ernst Herrmanns Bühne ist naturgemäß schräg, eine kahle Straßenkurve, ein großer, leerer Raum wie aus einem nie geschrieenen Beckett-Stück, bereit, Handkes Textfluten aufzunehmen.
Christopher Nell, den Peymann aus Berlin für die Hauptrolle als Handkes doppeltes Alter Ego mitbrachte, ist ein fantastischer Schauspieler, ein magischer Schalk, ein Puck in Handke-Verkleidung, der uns in Nachtgesichten unseres eignen Hirnes Dichten zeigt.
Martin Schwab, ein Zauberer, wie es nur wenige gibt, ist der Gegenspieler der Hauptfigur, er wirkt manchmal, als hätte ihm die Regie Gewichte an die Füße gebunden.
Maria Happel liefert verlässlich virtuosen, abgründigen Klamauk. Regina Fritsch spielt die „Unbekannte“, eine erotische Verheißung. Zu dieser Figur ist der Regie wenig eingefallen, dennoch füllt sie die Bühne mit Charisma.
Hoch das Unnütze!
Das Ensemble gibt eine herrliche, bedrohliche, unschuldige Raumverdrängerrotte (um ein früheres Handle-Stück zu zitieren). „Ihr glaubt, eine Mehrheit zu sein, ist kein Verbrechen?“, klagt das bedrängte Individuum sie einmal an. „Unsere tägliche Schuld gib uns heute“, beten sie.
„Es lebe das Unnütze!“, ruft das „Ich“ sein Credo in den Zuschauerraum. Und was ist unnützer und hat es gleichzeitig mehr verdient, zu leben, als die Poesie?
Gegen Ende heißt es: „Und jetzt? Herz, was nun?“ Beglückend oder fad? Wie immer im Theater: beides. Was wichtiger ist, muss jeder für sich entscheiden.
Nach mehreren, hinreißend verspielten falschen Schlüssen entschied sich das Premierenpublikum mehrheitlich für: beglückend.
Fazit: Selbsterkundung
Das Stück ist kein Stück, sondern eine poetische Selbsterkundung. Handke untersucht das Verhältnis des „Ich“ zur Gruppe – und das Verhältnis des poetischen, schöpferischen Teils seiner Persönlichkeit zur zerstörerischen Rampensau. Dazu kommen Kritik an der Informations- und Optimierungsgesellschaft und ein wahrer Wortspiel- und Zitate-Furor.
Inszenierung
Claus Peymann wirft die große Poesie-Maschine des Theaters an.
Spiel
Großartig.
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Mit lautem „Rrrrums“ fährt die alte, verlotterte Bushaltestelle mit dem kleinen, mit Wellblech überdeckten Dach durch den Boden auf die Bühne. So, als hätte sich soeben die Erde gespalten und das ausgespuckt, was sie nicht mehr brauchen kann. Dieser ‚deus ex machina-Effekt’ erschreckt kurz das Publikum, erfreut jedoch Peter Handkes „Ich“, herausragend dargestellt von Christopher Nell, den der Regisseur Claus Peymann von seinem Berliner Ensemble an die Burg mitgebracht hat. Der schlanke, junge Mann mit dem charakteristischen Profil und einer klaren Countertenorstimme, die er in dieser Inszenierung mehrfach einsetzen kann, ist der uneingeschränkte Star des Abends.
In seiner Rolle, die zwischen dem „Ich, Erzähler“ und „Ich, der Dramatische“ beständig wechselt, verweist er permanent auf die Autorenfigur, Peter Handke selbst. In dem Stück „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ mit dem Untertitel ‚Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten’, das nun am Burgtheater seine Uraufführung erlebte, stellt Handke seine Person selbst in den Mittelpunkt des Geschehens, das eigentlich gar kein Geschehen ist. Umso eindrucksvoller ist die Regieleistung von Claus Peymann, der aus den Gedankenkaskaden, gespickt mit Wortspielen und einer großen Anzahl von poetischen Bildern ein Bühnenereignis gestaltete, das in keiner Minute, der insgesamt drei Stunden dauernden Aufführung, Langeweile evoziert. Vielmehr sind es Bilder, wie das schon beschriebene, unerwartete Auftauchen des Unterstandes entlang der Landstraße, aber auch jene eindrucksvolle Szene, in welcher sich „die Unschuldigen“ in einer Trauerprozession inklusive zerfleddertem Baldachin und explodierender Monstranz auf die Bühne mehr schleppen als gehen, die eine unglaubliche, theatralische Magie ausstrahlen.
Peymann, der seine kurzfristige Rückkehr an die Burg während seiner Dankes-Verbeugungen am Ende des Stückes inmitten des Ensembles sichtlich genoss, nutzte den Text, um ihn zumindest zeitweise in eine Bildsprache zu übersetzen, die einer musikalischen Partitur gleicht. Wie er zu Beginn die frühlingshafte Einstiegszenerie mit Vogelstimmen und fallenden Blütenblättern illustriert, später dann die Wetterbeschreibung von Blitz und Donner mit dementsprechenden Geräuschen und Lichteinsätzen unterstreicht, erinnert an plakatives, barockes Theater genauso wie an die sogenannte Programmmusik, in welcher nicht nur die Stimmungen des Librettos, sondern auch einzelne Worte dementsprechend unterstrichen und ausgedrückt wurden. Es ist nicht nur Handke, den Peymann hier zelebriert, sondern das Theater selbst. An seiner Seite hat er dafür einen langjährigen Weggefährten, Karl-Ernst Herrmann, der geschickt zwischen Überraschungseffekten und minimal erscheinendem Bühnenbild- und Requisiteneinsatz balanciert.
Der Text von Handke wurde mit großzügigen Strichen versehen, andernfalls wäre eine mindestens doppelt bis dreifach so lange Aufführungsdauer zu veranschlagen gewesen. Zwar gehen dadurch viele brillante Satzkonstruktionen verloren, viele Gedankengänge, die sich bei Handke oft in kleinen Mäandern rund um ein Wort oder eine Idee entwickeln. Es fehlen vor allem jene Naturbeobachtungen, die der Autor wie kein Zweiter in der zeitgenössischen Literatur auf so einfühlsame und zugleich kenntnisreiche Art und Weise wiedergibt. Andererseits gelingt durch diese Straffung ein fokussierter Blick auf die Dramatik, die in diesem Werk steckt. Wie durch ein Brennglas wird das Aufeinanderprallen zweier grundverschiedener Weltanschauungen demonstriert. Jener, in der die Masse Mensch, Handke bezeichnet sie an einer Stelle als „Unschuldigenfalle“, der Mainstream, einem einzelnen Individuum gegenübergestellt wird. Dieses sucht sein Heil darin, sich, so gut es geht, von der mit Menschen bevölkerten Welt zurückzuziehen, nachzudenken, die Natur zu beobachten und – ein zentrales Thema in dem Werk – sich dennoch auf andere Menschen im direkten Kontakt auch einzulassen.
Handke stellt sein „Ich“ nicht als Eremit dar. Zwar kämpft Nell mit Vehemenz und viel Körpereinsatz dafür, sein Stückchen Landstraße zu verteidigen, diesen letzten „noch nicht gegoogelten Ort“. Zwar schleudert er in einem furiosen Monolog den Unschuldigen eine wahre Anklageflut entgegen und gerät dabei so außer Rage, dass er jene „Unbekannte“ (Regina Fritsch als elegante, lebendige und zugleich einzige, intellektuelle Gegenspielerin), auf die er sein ganzes Leben wartete und die ihm zum Sinnbild für seine Erlösung wurde, dabei noch kräftig körperlich malträtiert. Aber seine anfänglich unterwürfige Ehrerbietung dem „Häuptling, Wortführer oder Capo“ gegenüber und sein späterer Dialog mit ihm, in dem beide gemeinsame Erinnerungen aufleben lassen, machen klar, dass er im Grunde den Austausch mit Menschen und ihre Anerkennung sucht.
Martin Schwab verkörpert den auf den ersten Blick despotischen Anführer, der sich jedoch im entscheidenden Moment, in der verbalen Auseinandersetzung mit dem „dramatischen Ich“, von seiner geifernden Frau Fragen einflüstern lässt, die den träumenden und schwärmenden Menschen in die Enge treiben sollen. In grellem, roten Kleid und im zweiten Teil mit zu Berge stehenden Haaren, wunderbar komödiantisch, aber zugleich auch bemitleidenswert setzt Maria Happel diese Figur in Szene. Ihr „Koloraturlachen“, sonst ein ihr eigenes Lebenshilfemittel, verstummt nur während ihres Lamentos. Darin führt sie, wie ein Ritter von der traurigen Gestalt, all jene Verletzungen an, die ihr von Männern zugefügt wurden, denen sie sich immer bedingungslos hingab. Handke benötigt für die Konsumkritik, unverzichtbar in jeder zeitgeistigen Aufführung, in seiner Verteidigung nicht mehr als den Hinweis, dass ihm der Häuptling als Buben um ein lächerliches Geld einen Teller selbst gepflückter „Schwarzbeeren, Heidelbeeren, Blaubeeren“ abkaufte. Dieses kleine Beispiel einer unrechtmäßigen Entlohnung reicht, um das System anzuprangern, in welchem das Gros der Menschen heute gefangen ist.
Die Verteidigung seiner Landstraße gegenüber einer Horde sinnlos mit Handy Telefonierenden, von Landvermessern, die in ihrem Stechschrittgehabe nichts außer Maßeinheiten in ihrem Kopf haben, von Prozessionsbeteiligten, deren Singsang durch die Explosion der Monstranz unterbrochen wird, deren Gejammer jedoch unerhört bleibt, kann symbolisch auch für all jene gesehen werden, die als reflektierte Außenseiter ihr eigenes Leben permanent gegenüber anderen rechtfertigen müssen. Es ist keine Verteidigung von Land, das man liebgewonnen hat. Es ist die Demonstration einer Geisteshaltung, die zugleich die Natur und den Menschen in den Mittelpunkt des Denkens und Fühlens stellt. Dass Peymann einen Großteil des Geschehens in einer Traumwiedergabeszene abhandelt, ist von Handke in seinem Text angelegt. An jener Stelle, an der der Regisseur den „Ich-Erzähler“ auf seinem Wellblech-Unterschlupf einschlafen lässt, schreibt der Autor davon, sich selbst als Randfigur, einen Zuschauenden, vielleicht sogar Schlafenden zu sehen. Ein stilistisches Moment, das in vielen seiner Werke vorkommt und in einem sehr guten Überblick im höchst bibliophilen Programmheft gewürdigt wurde.
Der Vierfach-Schluss, von einem Herren in einer Loge mit „na geh, bitte, wir wissen eh, dass schon aus is`“, kommentiert, ist der einzige Wermutstropfen des Abends. „Und noch nie, kein einziges Mal im Leben, ist mir, im Phantasieren eines Dramas, ein Ende geglückt“, schreibt Handke dazu selbst in seinem Text, ungefähr 10 Seiten vor dem eigentlichen Ende. Auch das hat Peymann eins zu eins umgesetzt.
Ein Abend, randvoll, nicht nur mit Theaterzauber. Eine Vorstellung, die zu gleichen Teilen von seinem vielschichtigen und intelligenten Text, aber auch der schauspielerischen Leistung des gesamten Ensembles getragen wird. Ein Theatererlebnis, bei dem es gelingt, ganz in das Nicht-Geschehen einzutauchen, ohne dem Gefühl zu verfallen, nur unterhalten zu werden. Ein wunderbares Beispiel, wie sich die Quadratur des Theaterkreises schließen kann.
In weiteren Rollen: Krista Birkner, Franz J. Csencsits, Anatol Käbisch, Hans Dieter Knebel, Bededikt Paulun, Hermann Scheidleder, Felix Strobel, Fabian Stromberger
Die österreichischen Zeitungen bringen lustige Peymann-Retro-Anekdoten. Im Foyergedränge in der Wiener Burg treten sich Bühnen- und lokale Politprominenz auf die Füße. Und mancher raunt gar vom „Theaterereignis des Jahres“. Claus Peymann – einst dreizehn denkwürdige Jahre lang Burgtheaterdirektor – kehrt für eine Inszenierung nach Wien zurück. Erstmals seit 1999, seit seinem Weggang nach Berlin ans BE.
Die Wiener Aufgekratztheit ist nachvollziehbar. Der Regisseur und die Stadt – einander in herzlicher Hassliebe zugetan – hatten sich ja nichts geschenkt. Unvergessen, wie Peymann 1988 der „ Zeit“ munter in den Block diktierte: „Wenn Sie wüssten, was für eine Scheiße ich hier erlebe!“ Und wie Jörg Haider, damals relativ dienstjunger FPÖ-Chef, sich mit der Karl-Kraus-Paraphrase revanchierte: „Hinaus mit diesem Schuft aus Wien!“
Der Zankapfel seinerzeit: Peymanns mittlerweile legendäre Uraufführung von Thomas Bernhards „Heldenplatz“, dieses für Österreich wenig schmeichelhaften Textes, an dessen Skandalpotenzial Bühnenfans heute mit wehmutsfeuchten Augen zurückdenken. Wann schlägt der öffentliche Erregungspegel schon derart aus, dass an einem Premierenabend leidenschaftlich Pferdemisthaufen vor die Theatertüren gekippt werden?
Peymann spürte Erwartungsdruck wie ein Fußballer vorm Elfmeter
Kein Wunder also, dass Peymann seine Wiener Zeit jetzt rückblickend zur „Königsetappe“ adelte und sich angesichts des aktuellen „Erwartungsdrucks“ mit einem Fußballspieler „unmittelbar vor dem Elfmeter“ verglich. Dass er das Tor unbedingt machen wollte, sagen Insider, sei unter anderem daran zu erkennen gewesen, dass Peymann tatsächlich seit November an der Burg geprobt habe.
Der Mitspieler: ebenfalls ein guter Bekannter. Peter Handke, beziehungsweise dessen jüngster Theatertext „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“. Peymann’sche Handke-Uraufführungen – angefangen in den 1960er Jahren im Frankfurter Theater am Turm – hatten Regisseur wie Autor zu ihrem (berechtigten) Theaterruhm verholfen. Wofür Handke, der selbst nicht zur Premiere erschien, sich nun auf seine Art revanchierte: Er verkündete in aller Lässigkeit, davon zu träumen, dass „dieser oder jener junge Regisseur“ seine Stücke „in die Hand nimmt, in die Luft wirft und schaut, was für Figuren im Raum entstehen“. Als der 78-jährige Peymann am Samstagabend seinen Anlauf zum Elfmeter nahm, war das Spiel also längst im Gange und konnte im Grunde kaum noch unterhaltsamer werden.
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Wurde es dann auch nicht. „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ – ein stolzer 180-Seiter, der letztes Jahr bereits in Buchform erschienen war – konfrontiert uns mit einem „Ich“ das sich zunächst in ein „erzählendes“ und ein „dramatisches“ aufspaltet und uns dann unverzüglich wissen lässt, manchmal gern „Arschficker“ zu sagen, „allein des Klanges wegen“. Bevorzugte Empfänger dieser Grußadresse sind „tätowierte Schwimmlehrer, menschgewordene Fischgrätmuster, Sprechblasenkrebse, Rundinformierte, Freiheitsliebende, Gotteskrieger, Friedenssoldaten“. Kurzum: all jenes „Pack, Doppelpack, Tetrapack“, das sich Handke zufolge eben so herumtreibt auf dem Planeten in zeitgeistiger Gesichts- und Geschichtslosigkeit – und das er „die Unschuldigen“ nennt: diese „ewig Heutigen, Unberührbaren, Unbeleckten“.
Dass diejenigen, die selbst gern mal Fischgrätmuster tragen, diese ausgedehnte Ich-gegen-die-(post-)moderne-Welt-Tirade einfach achselzuckend als rührend gestrig abtun könnten, verkompliziert der Autor clever: Es lassen sich (Selbst-)Ironie-Implantate finden auf der langen Landstraße durch den Text. Denn auf einer solchen, der letzten „nichtgegoogelten auf Erden“ freilich, steht Handkes Doppel-Ich und wartet – ein bisschen so wie Wladimir und Estragon auf Godot – auf die rettende „Unbekannte“. (Wobei sich der Handkesche Anspielungskosmos eher aus Shakespeare- denn aus Beckett-Stücken speist).
Statt der schönen Frau im schwarzen Kleid (Regina Fritsch) kommen erst mal all die hässlichen Mobiltelefonierer, Sonnenbrillenblender und Lichtschutzklamottenträger, zu denen Peymann die „Unschuldigen“ verniedlicht hat, über Karl-Ernst Herrmanns schön schräg-geschwungene Bühnen-Landstraße. Und leider kommen sie auch weniger „geteufelt“, wie es bei Handke steht, als vielmehr offensiv getölpelt.
Handkes Ernsthaftigkeitsverzweiflung endet im übersichtlichen Freund-Feind-Schema
Kein Wunder, dass Christopher Nell in der „Ich“-Hauptrolle mit seinem Wanderrucksack über der Anzugswestenschulter ebenfalls eher Putzigkeit ausstrahlt als Handkes vitalen und in seiner Dringlichkeitsredundanz authentisch nervenden Weltekel (was definitiv eine Qualität bedeutet). Und Martin Schwab, der diesem „Ich“ als „Wortführer der Unschuldigen“ mit dürrem Pferdeschwanz dialektisch- dialogisch gegenübertritt, versprüht auch eher Märchenerzähler-Charme als Schärfe, während sich Maria Happel als weibliches Wortführer-Pendant im roten Kleid vor allem in komische Lach-Koloraturen empor schrauben muss. Wo Handkes „Ich“ – wie größenwahnsinnig auch immer – durchaus mit einer gewissen Ernsthaftigkeitsverzweiflung um ein Gegenüber ringt, ist Peymanns Regie von Anfang an auf der sicheren Seite im übersichtlichen Freund-Feind-Schema.
Es ist, kurzum, die Peymann-Symptomatik aus den jüngsten BE-Jahren: Kaum wird im Text ein Sturm angekündigt, wirbelt auf der Bühne die Windmaschine los; und sagt ein Schauspieler „Rabe“, macht er dazu garantiert „krah, krah“.
So gesehen hätte Peymann den Elfer in der Burg – und demnächst im koproduzierenden Berliner Ensemble, wo die Aufführung ab dem 30. April zu sehen ist – verschossen. Dann allerdings: ein Blick in die Seitenloge, erster Rang. Dort sitzt er, der Regisseur, und durchlacht und durchleidet und vollzieht quasi (still) jeden Ausfallschritt, der unten auf der Bühne getätigt wird, in einer derart entwaffnenden kindlichen Selbstvergessenheit mit, dass man selbst als „ewig Heutige, Unberührbare“ konstatieren muss: Für Peymann ist das Ding klar im Tor. Daran ändert auch der eher freundlich als triumphal zu nennende Schlussapplaus nichts. Und irgendwie hat das auch was Gutes.
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KULTUR
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Peymann inszeniert Handke an der Burg
„Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße. Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten.“ in Wien uraufgeführt
Inzwischen blickt Peter Handke mit einer gewissen Milde auf sein Leben zurück. Das sah man vor einigen Monaten bei der Verleihung des Else Lasker Schüler-Preises in Kaiserslautern. Den Eindruck, er sei ein gelassener Chronist, hatte man aber auch schon angesichts seines letzten Theatertextes „Immer noch Sturm“, mit dem er vor vier Jahren einen großen Erfolg feierte. Inszeniert wurde Handkes lyrisches Eintauchen in die eigene Familiengeschichte vom inzwischen verstorbenen Dimiter Gottscheff. Jetzt trafen zwei alte Bekannte aufeinander. Die aktuelle Uraufführung besorgte Claus Peymann und zwar dort, wo er als Intendant viele Handke-Texte inszenierte: am Wiener Burgtheater.
Peymann hätte das also zumindest routiniert über die Bühne bringen können. Doch er hatte mit „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße. Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten“ einen Text vor sich, der unübersichtlich ist und gelegentlich auch hohl tönt. Handke bringt viele Stimmen seiner selbst ins Spiel. Zu Wort kommt ein „Ich“, das sich in einen „Ich-Erzähler“ und in „Ich, der Dramatische“ spaltet. Dazu gesellen sich „Die Unschuldigen“, ein „Häuptling“, eine „Häuptlingsfrau“ und die „Unbekannte von der Landstraße“. Anders als in „Immer noch Sturm“, als Handke über seine eigene Familiengeschichte Weltgeschichte aufscheinen ließ, geht es ihm dieses Mal nur um sich selbst und eine Frau, die in seinem Leben eine Rolle gespielt haben mag.
Der typische Handke-Ton
Handkes Protagonist will sie auf der Landstraße wieder finden, die in sein Geburtsdorf führt. So was dauert gemeinhin länger, also hat der Ich-Dichter genügend Zeit, über sich und die Welt nachzudenken. Handke bemüht wieder einmal einen lyrischen Ton. Dann wieder hat man den Eindruck, der Text kreise auf ausufernden hundertachtzig Textseiten um ein leeres Zentrum. Und gelegentlich kalauert es derart, dass man meint, ein Pennäler wolle seine Mitschüler beeindrucken. „Nofretete: Heißt das nicht, übersetzt: Die Schönheit ist erschienen!? Mein Tag, er ist geschaukelt. Schaukle mit mir in den Abend, schaukle mit mir nach Hawaii.“
Es ist verständlich, dass Peymann für die dreistündige Wiener Fassung einiges an Text streichen ließ. Übrig geblieben sind wohl etwas mehr als hundert Seiten. Leider entwickelte er aber auch eine Vorliebe gerade für kalauernde Passagen und Handkes hohen Ton. Das hat zur Folge, dass die Schauspieler auf der von Karl-Ernst Herrmann weitgehend leeren und wie ein großes Erdenrund nach vorne geneigten Bühne vor allem eine Botschaft vermitteln: „Hört bitte genau hin, denn was wir hier sprechen, ist große Kunst.“ Es fehlen Brechungen und Ironisierungen, die in Handkes Text durchaus zu finden sind. Peymann inszeniert ein weitgehend belangloses Erinnerungsspiel, das sich kaum um die auch selbstkritischen und dunklen Seiten der Rückschau kümmert.
Besonders deutlich wird das im Fall von Christopher Nell, der als multifunktionales Ich lange Textpassagen zu schultern hat, aber nur zwei Gemütszustände kennt. Nell ist entweder ein euphorisch die Bedeutung einzelner Worte vor sich hertragenden Jüngling, ein zum ersten Mal von Glückshormonen durchfluteter Gymnasiast auf der Suche nach einer schönen Unbekannten. Dann wieder spielt er ein an den Krankheiten der Moderne leidendes Rumpelstilzchen, einen philosophierenden Terminator, der zwischen all diese hirnlosen Zeitgeist-Menschen und Handy-Nutzer fahren möchte.
Dabei gibt es zu Beginn durchaus Anlass zur Hoffnung. Peymanns langjähriger Weggenosse Herrmann lässt einen Theaterraum entstehen, als skizziere ein Comic-Zeichner ein Provinzmärchen. Aus dem Boden bricht eine verwitterte Sitzbank, von rechts rauscht ein windschiefes Haltestellen-Schild heran. Das ist so ein Ort, an dem Dorfjugendliche am liebsten in den nächsten Bus einsteigen und für immer verschwinden möchten. Zunehmend wird aus der verwunschenen Idylle aber ein Aussichtsposten für Christopher Nell, der die Lust und das Leiden des reifen Heimkehrers zu spielen versucht.
Eine flatterhafte Erscheinung
Peymann hat sich während der opulenten dreimonatigen Probezeit wohl vorwiegend mit dem Hauptdarsteller beschäftigt. Ansonsten ist er ein Arrangeur von Auf- und Abtritten. Handkes Chor der Unschuldigen etwa ist ein Schattenriss-Kabinett, angeführt vom Häuptling (Martin Schwab als hoch tönender und gelegentlich rülpsender Grandseigneur) und der Häuptlingsfrau (Maria Happel, die wie Mozarts Königin der Nacht lacht). Und die schöne Unbekannte? Regina Fritsch darf nicht mehr sein als eine gelegentliche Erscheinung. Flattert sie auf die Bühne, sieht man eine liebevolle Mutter und weniger eine unerreichbare Geliebte. Irgendwie schlüssig ist das schon, steckt Handkes Heimkehrer in Wien doch noch in den Kinderschuhen.
Die Koproduktion mit dem Berliner Ensemble hat am 30. April Premiere in Berlin.
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Wien (APA) - Er ist wieder da. Am Ende der gestrigen Uraufführung von „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ im Burgtheater schwelgte Ex-Burgchef Claus Peymann mit seinem Publikum in alten Zeiten. Mit immer neuen Verbeugungs-Tableaus holte er ein Maximum aus dem Schlussapplaus, winkte Richtung Balkon und scherzte mit Hauptdarsteller Christopher Nell. Autor Handke zeigte sich nicht.
Diesen Abend, der für ein so dichtes Prominenten-Aufkommen sorgte wie schon lange keine Burgtheater-Premiere mehr, muss man zwar nicht unbedingt historisch nennen, sollte ihn aber historisch einordnen: Ganze 50 Jahre ist es her, dass Claus Peymann die „Publikumsbeschimpfung“ des damals 23-jährigen österreichischen Dichters im Frankfurter Theater am Turm zur Uraufführung brachte. Einige Kapitel Theatergeschichte haben die beiden seither gemeinsam geschrieben. „Die Unschuldigen“ waren Peymanns zehnte Handke-Uraufführung, die fünfte an jenem Haus, das der heute 78-jährige Direktor des Berliner Ensembles 1986 bis 1999 leitete.
Peymanns Stärke war stets seine unbedingte Verehrung für jene, die aus dem Nichts mittels Sprache jenen Stoff formen können, aus dem die Bühnenträume sind. Seine genaue Lesart, sein Beharren, Bilder für die dichterische Fantasie zu finden und kein eigenes Material hinzuzufügen, wurde charakteristisch, in einer Welt der Disparatheit, des Stück- und Flickwerks, der permanenten medialen Ablenkung zunehmend anachronistisch. Auch diesmal hat der Regisseur von dem 170 Buchseiten umfassenden Stück zwar manches gestrichen, aber alles Wesentliche getreulich umgesetzt - ganz so, wie es zu erwarten war. „Überrascht mich!“, hatte sich Peter Handke im Vorfeld gewünscht. Überraschung bot die Inszenierung keine.
Karl-Ernst Herrmann hat auf einer nackten, weiten, schrägen Spielfläche, durch einen zunächst und am Ende wieder geschlossenen zarten Brecht-Vorhang verdeckt und so als Bühne verdeutlicht, eine weite Kurve markiert, die uns und das wartende „Ich“ die daherziehenden Landstraßen-Passanten lange ins Auge fassen lässt, ehe sie nach vorne kommen. Mit „Kommen lassen. Anfliegen lassen. Träumen lassen“ beginnt Nell, Ensemblemitglied am koproduzierenden Berliner Ensemble, wo die Inszenierung ab 30. April gezeigt wird, den dreistündigen Abend (eine Pause), der in Verehrung für Handkes welthaltige Poetik als Hochamt zelebriert und in gleichzeitiger Brechung augenzwinkernd als kunstvolles Bühnenmärchen umgesetzt wird.
Peymann gebietet über delikate Lichtstimmungen und kleine Klangkunstspiele, er herrscht über Blitz und Donner und lässt die Vögel zwitschern. Vor allem liebt er Zaubertricks wie das plötzlich aus der Unterbühne Hervorbrechen jenes aus allerlei Versatzstücken wie einer schiefen, verrosteten Haltestellen-Stange zusammengesetzten Gestells, das dem „Ich“ Ausguck und Basislager, Warteposition und Hauptquartier bietet. Gegen Ende wird es verschwinden und durch ein rot-weiß-rotes Windrad ersetzt werden. Immer noch Sturm.
Christopher Nell, am Ende zu Recht stürmisch umjubelt, entwickelt seine in ein episches und ein dramatisches Ich gespaltene Figur (die zudem mit Felix Strobel noch einen Doppelgänger unter den daherziehenden „Unschuldigen“ erhält) ganz aus der Ambivalenz des Grundkonzeptes zwischen Weihespiel und ironisierender Distanz. Er nimmt sich ernst - aber nicht zu sehr. Er wirkt zufrieden in seiner splendid isolation und erwartet doch ungeduldig Gesellschaft.
Wie das Solo der ersten halben Stunde, die an eine monologische „Warten auf Godot“-Variation erinnert, in der Begegnung mit den ignoranten Passanten, die der Wartende zunehmend als Okkupanten empfindet, in Unverständnis und Verärgerung umschlägt, das hat Peymann deutlich herausgearbeitet. Horden von stupiden Dauer-Telefonierern, die ihn zuerst ignorieren, dann verspotten („Ecce poeta!“), gehen dem Landstraßen-Wächter bald auf den Geist. Er erklärt den Un-Hiesigen, die sich als Un-Schuldige gebärden, den Krieg - und bekommt von ihrem Anführer zu hören: „Wer schreit, hat Un-Recht!“
Die über die Landstraße Ziehenden mit der neuen Völkerwanderung von heute in Verbindung zu bringen, diesen Versuch unternimmt Peymann gar nicht erst. Er widmet sich nicht einer möglichen oder scheinbaren Aktualität, sondern dem „präzisen Tiefentraum vom Menschsein“, wie Handke sein Stück selbst charakterisiert hatte. Dieses Menschsein findet sich seit jeher im Theater abgebildet, lautete stets Peymanns Hypothese, und daher sind neben dem zentralen „Ich“ auch alle übrigen Gestalten reine Bühnenfiguren, von Margit Koppendorfer bunt und lustig eingekleidet.
Die Auseinandersetzung mit der großteils stummen Gruppe der „Unschuldigen“, dem „Pack, Doppelpack, Tetrapack“, das dem Einzelnen das Leben zunehmend verleidet, mit Martin Schwab (ein von Wind und Wetter gegerbter künstlerischer Desperado mit Haar-Schwänzchen) und Maria Happel (eine knallrot gewandete, virtuose Lach-Arien und erotisches Selbstbewusstsein verbreitende Diva) als ihren Wortführern, sind ebenso reine Theaterszenen wie die Begegnung mit der geheimnisvollen „Unbekannten von der Landstraße“, die in Gestalt von Regina Fritsch in schwarzem Kleid an eine griechische Hohepriesterin erinnert.
Der raue Wind der Wirklichkeit verirrt sich in Gestalt einer seltsamen, rasch gesprengten Demonstration, die u.a. „Freiheit, Gleichheit, Informiertheit“ fordert, nur kurz hierher. Mit deutlich größerem Vergnügen zelebriert Peymann die übersteigerte Selbstkritik des dramatischen Ichs („Und noch nie, kein einziges Mal im Leben, ist mir, im Phantasieren eines Dramas, ein Ende geglückt.“) mit einer Reihe „falscher“ Schlüsse, auf die das immer wieder erneut zum vermeintlichen Schlussapplaus einsetzende Publikum stets aufs Neue hereinfällt.
Am Ende stand ein „Ach, ja!“, viel Jubel - vor allem für Nell und Happel - und ein sich zunehmend entspannender Claus Peymann, der sich bei der Rückkehr an die Stätte einstiger Triumphe durchaus willkommen geheißen fühlte. Seine Position als erster Handke-Exeget ist jedenfalls weiter unangefochten. Das Bayerische Staatsschauspiel hat vor wenigen Tagen die Deutsche Erstaufführung des Stückes abgesagt. „Die künstlerischen Differenzen über Wege und Ziele waren zuletzt unüberbrückbar geworden“, hieß es. Peymann geht dagegen seinen eigenen Handke-Weg seit 50 Jahren. Keineswegs unschuldig, doch unbeirrbar.
(S E R V I C E - „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ von Peter Handke, Uraufführung am Burgtheater, Regie: Claus Peymann, Bühne: Karl-Ernst Herrmann, Kostüme: Margit Koppendorfer, Musik: Moritz Eggert; Mit Christopher Nell, Krista Birkner, Franz J. Csencsits, Anatol Käbisch, Hans Dieter Knebel, Benedikt Paulun, Hermann Scheidleder, Felix Strobel, Fabian Stromberger, Martin Schwab, Maria Happel; Koproduktion mit dem Berliner Ensemble, Nächste Aufführungen in Wien: 29.2., 6.3., Karten: 01 / 513 1 513,www.burgtheater.at)
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Burgtheater Wien: Peter Handke und Claus Peymann
Als der Wutbürger noch Rappelkopf hiess
Handkes neues Stück hat einen unendlich langen Titel: «Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstrasse». Doch wovon handelt es eigentlich?
Ja, die Zeiten sind wild, die Umbrüche heftig. Kriege treiben Flüchtlingsströme nach Europa; hier, wo sie Frieden zu finden hoffen, werden sie angeödet: «African asshole», das müsse er sich ständig anhören, klagt ein Schwarzer am Fuss des Belvedere, «dabei bin ich Kenyaner». Eine dunkelhäutige Menschengruppe auf dem Schwarzenbergplatz besteht laut den hochgehaltenen Transparenten aus Aleviten. Sie demonstrieren «gegen die Zwangsislamisierung» und für die «Anerkennung des Alevitentums als eigenständige Religion». Ausserdem stellen sie aufgrund der anberaumten Ringstrassen-Sperre ein Verkehrshindernis dar und dürften darum bei den Wienern auf wenig Verständnis stossen. Auch wer ins Burgtheater will, muss zu Fuss gehen, was aber ohnehin angemessen scheint: Das «Schauspiel in vier Jahreszeiten» mit dem Titel «Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstrasse» stammt von Peter Handke, einem passionierten Fussgänger. Er benützt sein ebenfalls wanderndes Bühnen-Alter-Ego als Sprachrohr für Zivilisationskritik. Davon später.
Wien bleibt Wien
Wilde Zeiten, heftige Umbrüche, nur im Kaffeehaus bleibt alles beim Alten. Hier braucht man sich höchstens zwischen Kardinalschnitte und Esterhazytorte zu entscheiden, keine schwerwiegende Glaubensfrage, auch wenn ihr der Herr Ober – Ehrensache! – beträchtliches Gewicht zumisst. Wien bleibt Wien. Zumindest tut man so. Tatsächlich aber hat sich einiges geändert: Die vergangenheitsseligen Kaffeehäuser zum Beispiel bieten selbstverständlich freien Netzzugang an, wo würden sonst die Touristen bleiben. Sie kriegen beides: Tradition und Internet. Deshalb können sie, während sie ihren Einspänner schlürfen, gratis surfen. Der Kenyaner kann das natürlich nicht, er hat im Café Landtmann auch nichts verloren.
Und schon gar nicht nebenan, im Burgtheater. Dorthin ziehen nun, kurz vor sieben Uhr abends, die aufbrechenden «Landtmann»-Gäste. Auch im Burgtheater ist wieder alles beim Alten. Zumindest gibt man sich Mühe, es danach aussehen zu lassen. War da was . . .? Vor zwei Jahren herrschte Krise. Ein Intendant wurde – erstmals in der Geschichte des weltberühmten Hauses – geschasst. Der Bankrott drohte; nicht nur, weil eine langjährige Mitarbeiterin die Kasse als ihre Privatbank benutzt hatte. Ein hoher Funktionär, immerhin Chef der österreichischen Bundestheater, geriet in Verdacht, von dem Schlamassel gewusst zu haben, und entschwand vorzeitig in den Ruhestand. Glück gehabt, die beiden andern kamen vor Gericht. Aber jetzt sind die Prozesse laut der offiziellen Formulierung «ruhend». Inoffiziell weiss ein Journalistenkollege, der Ex-Intendant habe seine Anwälte verloren.
Alles beim Alten? Nein, aber unter Kontrolle. Noch gibt es ein gewaltiges Loch in den Finanzen, doch der strenge Sparkurs, den das Burgtheater seither fährt, führte bald zur Beruhigung der erregten Gemüter drinnen und draussen. Die Arbeit an der Kunst nahm ihren Lauf, der Reputationsschaden blieb begrenzt, man schaut zuversichtlich in die Zukunft. Zu verdanken ist das Karin Bergmann, die damals als Interimschefin einsprang und unterdessen als erste künstlerische Direktorin des Burgtheaters fest im amtlichen Sessel sitzt.
Ihr verdankt es sich deshalb auch, dass jetzt Claus Peymann inszeniert. Mit ihm, dessen Ära zur Legende geworden ist, war sie einst als Pressesprecherin an die Burg gekommen; nun hat sie ihn eingeladen, das neue Handke-Stück uraufzuführen. «Claus #Peymann ist wieder da und #Krone schweigt? Hat es ihr die Sprache verschlagen?», twittert ein lokaler Scherzkeks. Die «Kronen-Zeitung», deren Lieblingshassobjekt der «Piefke» war, als den sich Peymann in Wien gern bezeichnete, setzt ihre Prioritäten zwar weiterhin bei Ausländern, aber momentan bei anderen. Über Peymann regt sich kein Mensch mehr auf.
Es ist schon fast enttäuschend: Dort, wo in jener märchenhaften Vergangenheit, als Peter Handke, Elfriede Jelinek und Thomas Bernhard noch zum Skandal taugten, Zuschauer ihre Empörung per Mistkarren deponierten, nämlich vor dem Burgtheater, trifft man sich heute Abend in ungetrübt freudiger Erwartung: Das Theaterereignis des Jahres steht an. Womit wir endlich zur Sache kämen. Ein Seitenblick noch auf die Blitzlichter, welche Franz Vranitzky, Klaus Maria Brandauer, Franz Welser-Möst gelten, und: Bühne frei für Handke/Peymann. Oder doch eher für Karl-Ernst Herrmann? Der Bühnenbildner hat für seine zigste Zusammenarbeit mit dem Regisseur ein wunderschönes Himmelszelt aufgezogen, unter dessen changierenden Farben sich das Poem entfaltet, in bedächtigem Rhythmus, drei Stunden lang. Lang genug, dass man sich gründlich daran sattsehen kann.
Handkes Stück ist ein Langgedicht in Prosa auf locker bedruckten 175 Seiten, ein Sechstel davon in Kursivschrift – keine eigentlichen Regieanweisungen, sondern die Stimme des Dichters aus dem Off. Er hätte das «Ich» im Titel – siehe oben – besser gleich an den Anfang gesetzt. Denn die Hauptrolle spielt eine Figur namens «Ich», wobei sie sogar wechselt zwischen «Ich, Erzähler» und «Ich, der Dramatische». Insofern sind jene Monologe, die Christopher Nell als Dichter-Alter-Ego hält (der bravouröse Schauspieler kommt von Peymanns koproduzierendem Berliner Ensemble), Dialoge des Ichs mit dem Ich. Spezialisten erkennen in diesen Streitgesprächen sofort Handkes Poetologie. Alle anderen warten auf die Handlung.
«Arschlöcher!»
Doch die gibt es nicht. Klar, die Unschuldigen tauchen auf, und zwar, damit auch bei Peymann-Herrmann alles beim Alten bleibt, aus der Versenkung hinten, um dann der Landstrasse entlang über die angeschrägte Bühne nach vorne zu trippeln, bunt und exzentrisch kostümiert, als wandelndes Raritätenkabinett mit pantomimischer Begabung. Ihre Aufgabe: dem Geschimpfe des Protagonisten standzuhalten, der sie, unter anderem, mit «Arschlöcher» tituliert. Das ist ihnen egal, weil sie ihre Ohren nicht ihm, sondern ihren Handys leihen. Einer beklagt sich, seine Batterie sei leer; ein anderer über das fehlende Netz.
Diese Unschuldigen, wird uns nahegelegt, bis es jedermann verstanden hat, sind Unkritisch-Naive. Das Ich hingegen ist ein rechthaberischer Besserwisser, der Vogelnamen kennt, Redensarten aufsagt, grosse Vorbilder zitiert – Shakespeare, Schiller – und selber als misanthropischer Rappelkopf wie ein Raimund-Zitat in der Landschaft herumfuchtelt. Aber reicht das für einen ganzen Theaterabend (dem Martin Schwab und Maria Happel immerhin schauspielerische Glanzlichter aufsetzen)? Handkes eigenbrötlerischer Wut- und Weltbürger wirkt vor allem weltfremd.
Die Zweitaufführung des Stücks am Residenztheater München wurde übrigens abgesagt; Grund: Die Produktion sei gescheitert. In Wien gab's für die Uraufführung jubelnden Applaus. Das muss nicht bedeuten, sie sei gelungen.
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Zwischen dramatischen Wellen und Wasserfolter
Uraufführung von Peter Handkes "Die Unschuldigen..." in der Regie von Claus Peymann im Wiener Burgtheater.
Christopher Nell (im Arm von Regina Fritsch) ist ein begeisternder Herzschrittmacher für Peter Handkes jüngstes Theaterwerk.
Peter Handkes neues Stück "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" benötigte bei seiner Uraufführung am Samstag im Wiener Burgtheater dringend einen wie Claus Peymann. Das war 1966 noch umgekehrt, als Peymann von Handkes radikaler Schrift "Publikumsbeschimpfung" wie von einem Trampolin in den Theaterhimmel katapultiert wurde. 50 Jahre später sind die Wellen, auf denen Handke einst das Publikum durch eindringliche Abende gesegelt hat, Tropfen geworden, die bei weniger kindlicher Spielfreude als vom 78-jährigen Burgtheater-Rückkehrer zur chinesischen Wasserfolter werden könnten.
Es ist kein Stück, das Handke hier abliefert, sondern ein poetisches – mitunter auch geschwätziges – Lamentieren, eine prosaische Erinnerung und anspielungsverliebte Bewahrung der Freiheit am Beispiel einer Landstraße. Eingewoben sind Selbstvergewisserungen des Bildungsbürgertums: Horvath, Vergil, Shakespeare, Evangelisten, Schlagertexte – Handke zitiert alles, jeden und sogar sich selbst. Es sind vor allem Klischees, denen jeder von Rasanz und Digitalisierung Geschüttelte gerne zustimmt. Daraus zimmert er ein wackeliges Gebäude – großräumig verstreut stehen Säulen großer Dichtkunst herum. Und Peymann, zwischen 1986 und 1999 erst in der Nachbetrachtung einer der wichtigsten Burgtheater-Chefs aller Zeiten, plagt sich mit einem kunterbunten Bühnenereignis, Handke gut davonkommen zu lassen.
Nell, der kraftvolle Motor
Christopher Nell, den Peymann vom Berliner Ensemble mitgebracht hat, wohin die Produktion im Mai übersiedeln wird, ist der kraftvolle Motor dieses schwerfälligen Landstraßenkreuzers. Nell ist grandios als leidenschaftlich klagende, tanzende, singende, unglücklich verliebte und doch Erlösung erträumende Hauptfigur, die sich aus zweien speist: "Ich, Erzähler" und "Ich, der Dramatische". Es ist Handkes gespaltenes Ich, das im Laufe des Abends auch noch einen nicht zu vertreibenden Doppelgänger bekommt.
Den "Ichs" gegenüber steht die Masse der "Unschuldigen" mit Martin Schwab als besonnenem "Wortführer" und Maria Happel als draller, aufgeregter Slapstick-Sirene ("Wortführerin"). Vor dieser neunköpfigen, in einem fort telefonierenden und in Prozessionen marschierenden Bande will "Ich" sein Territorium beschützen. Da werden alte Geschichten wider die gesellschaftliche Kälte aufgewärmt. Die gute alte Zeit bekommt hübsche Mascherl ins Haar gebunden.
Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann hat die Landstraße wie eine Steilkurve auf schiefer Ebene gestaltet. Dass man darauf ausrutschen kann, ist Teil von Peymanns Plan. Gleich zu Beginn bricht eine abgetakelte Haltestelle aus dem Bühnenboden heraus. Ihre Gestänge und Bretter sind Musikinstrumente, Wellblech-Bett, Hochsitz und Fechtwaffe gegen die "Unschuldigen". Es donnert, es blitzt, metaphorisch erhöhte Vögel zwitschern und krähen, Wind bläst Notizen und Zettel mit Liebesbekenntnissen auf die Landstraße.
Das Auftauchen von Regina Fritsch als "Unbekannte" nimmt Tempo aus dem Bilderbogen, der den Jahreszeiten folgt. Sie ist die die Erhoffte, die das dramatische "Ich" auf seinem letzten Weg begleiten könnte.
Ja, könnte, weil Peymann nicht genau weiß, wohin mit dieser "Frau in Schwarz". Und könnte, weil der Schluss zur nervigen Applaus-Provokation wird: Dreimal darf das Publikum in die Irre klatschen, bis zum versöhnlichen Ende das erzählende und das dramatische "Ich" unisono fragen: "Ja, geht denn das, dass in einem Traum der Träumer nicht nur das erste, sondern auch das letzte Wort hat? – In einem Wachtraum: Ja! – Ach, ja. Ach, ja!"
Finaler Jubel des Publikums, mit dem Unterton von retrospektiver Wertschätzung.
Schauspiel: "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" von Peter Handke, Regie: Claus Peymann, Uraufführung: 27. Februar, Burgtheater. Termine: 6., 19., 20. März, 1., 2. April. Karten/Info: 01/51444-4145, www.burgtheater.at.
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ühne stammt von Karl-Ernst Herrmann. Sie ist blendend weiß und mächtig weit und besitzt das wunderbare Flair der 1990er-Jahre. Damals wurden Handke-Uraufführungen noch zu Staatsaffären hochstilisiert. Und siehe da, so wie damals inSchleudertraining für den Vagabunden RONALD POHL 28. Februar 2016, 09:39 9 POSTINGS Burgtheater-Uraufführung: Claus Peymann inszeniert Peter Handkes "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte..." in kunstgewerblicher Pracht Wien – Peter Handkes neues Stück trägt den vielleicht poetischsten, gewiss aber den unhandlichsten Titel der laufenden Spielzeit. Es heißt "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" und nennt sich obendrein "ein Schauspiel in vier Jahreszeiten". In ihm leistet ein poetischer Widergänger Handkes ganze Arbeit, obwohl man ihn nicht fleißig nennen wollen wird. Er tut nichts Außergewöhnliches. Er lässt sich am Rand einer Landstraße provisorisch nieder. Vorbeikommende – acht an der Zahl, die ominösen "Unschuldigen" – müssen vor seinen Augen passieren und die nicht erlahmende Schmählust des fidel schwätzenden Sonderlings über sich ergehen lassen. Blendend weiße Märchenbühne Wir befinden uns im Wiener Burgtheater. Die nach vorne wegkippende Märchenbszeniert Claus Peymann. Der noch amtierende Leiter des Berliner Ensembles nimmt sich, trotz einiger weniger Striche, eines jeden Wortes, eines jeden Beistrichs mit treu sorgender Ehrfurcht an. Handkes "Drama" ist das gewiss unerzählbarste, dabei im vollkommen Vagen und Unerklärlichen angesiedelte Gegenwartsstück der Stunde. In ihm gibt sich ein sympathischer junger Märchenerzähler (Christopher Nell) gleich als mehrfacher Wiedergänger seiner selbst zu erkennen. Vor einem Vorhang aus blauer Ballonseide winkt er die verwegensten Trauminhalte zu sich heran. Er ist zunächst "ICH", ein epischer Erzähler in Großbuchstaben. Er ist darüberhinaus sein eigenes Double, das sich bei Bedarf als "ICH, der Dramatische", zu erkennen gibt. Als multiple Persönlichkeit ist unser Straßenvagabund grundsätzlich gut zu leiden. Er nächtigt bevorzugt auf einem Hochsitz aus Wellblech. Er ähnelt mit seinem patent wippenden Haupthaar, dem Rucksack und der schmucken Weste dem jungen Hölderlin oder irgend einem anderen Dichter der Geniezeit und trägt noch eine andere Persona mit sich herum. Bei ihr handelt es natürlich um niemand Geringeren als Handke selbst, den cholerischen Pilzesammler von Chaville (Paris). Herr "ICH" ist im Grunde ein Landfriedensbrecher. Indem er die Benutzung des Verkehrsweges ganz seinem eigenen Gutdünken anheimstellt, gerät er mit den sogenannten "Unschuldigen", ganz gewöhnlichen Verkehrsteilnehmern, in einen – freilich glimpflich ablaufenden – Konflikt. Gesetz der Ding-Poesie Seine Auffassungen und Meinungen presst er durch das Nadelöhr der Handke-Sprache. In dieser, die manch eine Ähnlichkeit mit dem normalen Verkehrsdeutsch aufweist, herrscht das sanfte Gesetz der Ding-Poesie. Der Tautropfen zählt darin soviel wie die kurioseste Verwünschung. Man kennt mindestens 120 Vogelarten beim Namen. Die Landstraße reizt zur Verzückung, weil man auf ihr alle diejenigen, die einem auf ihr nun einmal entgegenkommen, so herzlich grüßen kann. Und während unser Herr Landrat sich ganz naiv an der Burgtheater-Maschinerie erfreut, am Blitz und am Donner sowie am eigenen Falsettgesang, wird einem schlagartig deutlich: Peter Handke hat sich des Theaterapparats nicht ohne Nachdruck bemächtigt und sich mit ihm ganz weit hinein in die Büsche geschlagen. Man lauscht verzückt dem von Nell vorgetragenen Poetologenlatein, dem Wort vom "Epos ohne Krieg", von der geheimnisvollen "anderen Zeit", als Fuchs und Hase einander offenbar noch in Augenhöhe begegneten, der "Landstraßenvogelmist" Blinde sehend machte, die Menschen nicht schnöde miteinander "kommunizierten", sondern einander voll heißer, inbrünstiger Poesie die Meinung geigten ... Man blickt gerührt in die ferne Leere des Bühnenhorizonts. Man würde Handke furchtbar gerne in allem zustimmen. Prosaisch und seinsvergessen ist die Welt der Autobahnauffahrten, der planierten Zugangswege. Unser Dasein hat zweifellos an Würzigkeit eingebüßt, an Geschmack und Gehalt. Man entdeckt nur weit und breit kein Stück, keinen geschürzten Handlungsknoten. Da ist nichts außer dem diffusen Willen, Handkes wortgewaltige Referate in all ihrer mutwilligen Pracht aufzuhübschen und zu exekutieren. Das ist, zieht man das Vermögen aller Beteiligten in Betracht, schon ein mittleres Desaster. Es ist schon relativ Hochmittag auf der Landstraße, als unser junger Märchenerzähler endlich Besuch erhält. Als "Wortführer" der "Unschuldigen" kommt Martin Schwab des gewundenen Wegs. Den Pöbler ignoriert er komplett, angestauter Luft entledigt er sich rülpsend, das heißt hingebungsvoll. Es wittert ein schöner, archaischer Ernst um Schwab. Leider zurrt ihn die Regie sicherheitshalber gleich fest auf ein paar Klischees. "Die Wortführerin" (Maria Happel) trippelt und gluckst und kirrt, dass es nur so eine Art hat. Der Chor der "Unschuldigen" unterhält sich mit den Smartphonemodellen der Oldtimer-Generation ganz prächtig. Peymann hat überhaupt eine Unmenge hübscher Details zusammengetragen. Da unser Stück ohne Handlung praktischerweise dem Gang der Jahreszeiten folgt, findet sich ausgiebig Gelegenheit, die Schar der Landstraßen-Lästlinge vor einem Papierhorizont lieblich aufzureihen. Nichts ist notwendig in dieser Kunstgewerbeübung auf technisch hohem Niveau. Niemals geht das eine zwingend aus dem anderen hervor. Immerzu wird die Handke'sche Poesie auf vermeintliche Bildwirkungen hin abgeklopft. Vollends zur wunderbaren Regina Fritsch als der großen "Unbekannten von der Landstraße", einem erotischen Fabelwesen, einer archetypischen "Dame in Schwarz", die dem "ICH" auf geheimnisvolle Weise verbunden scheint, ist Peymann herzlich wenig eingefallen. Versöhnliches Ende Das Stück, das keines ist, und darum heißt wie noch kein anderes vor ihm, endet versöhnlich. Dieser an sich erfreuliche Umstand erklärt sich vornehmlich dadurch, dass so etwas wie ein Stück, ein "Drama", gar nicht erst in Gang gekommen ist. Der Jubel, der an alle Beteiligten reichlich ausgespendet wurde, mag durch den nostalgischen Blick zurück begünstigt worden sein. Früher wurden in Handkes Namen Einbäume zu Wasser gelassen und selige Stunden verbracht, da man nichts voneinander wusste. Jetzt wurde man an der Landstraße sitzengelassen. Kein schönes Erlebnis. (Ronald Pohl, 28.2.2016) foto: apa/roland schlager Christopher Nell als 'Ich' (Mitte), Regina Fritsch (rechts) als 'Die Unbekannte' sowie 'Die Unschuldigen' (Hintergrund). Berechnen Sie Ihr Brutto- oder Netto-Gehalt mit dem Brutto-Netto-Rechner von derStandard.at/Karriere Feedback Artikel drucken Share if you care.derStandard.at auf FacebookKultur Newsletter abonnieren BURGTHEATER Schleudertraining für den Vagabunden [9] Burgtheater-Uraufführung: Claus Peymann inszeniert Peter Handkes "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte..." in kunstgewerblicher Pracht AKADEMIETHEATER Elisabeth Orth: Lyrisches Plädoyer wider die Süßholzraspelei [7] "Neunundsiebzig plus eins": An ihrem Geburtstag trug die Burgtheater-Doyenne Gedichte vor BURGTHEATER-KASINO "Party Time": Die neuen Despoten und ihre hysterische Heiterkeit Regisseur Milos Lolić inszeniert Harold Pinters Stück im Burgtheater-Kasino als eine famose Klimax von der Dekadenz in den Niedergang AKADEMIETHEATER "Diese Geschichte von Ihnen": Ein Mörder namens Johnny spielt auf [9] Mit ihrer Inszenierung tut Regisseurin Andrea Breth das einzig Richtige: Sie inszeniert die Nachtfahrt einer geschundenen Polizistenseele als nüchternen Totentanz. 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Claus Peymann inszeniert Handkes "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße".
Es ist wie in den guten alten Zeiten, als das Wiener Burgtheater - ideell wie finanziell - noch eine Theaterinsel der Seligen war. Claus Peymann, der einst hassgeliebte Piefke-Intendant, ist als Regisseur zurückgekehrt, um ein neues Stück des großen österreichischen Dichters Peter Handke zur Uraufführung zu bringen, zum zehnten Mal in seinem nunmehr 78-jährigen Leben, zum fünften Mal am Burgtheater. Dass die neue Intendantin Karin Bergmann ihren Ex-Chef, der seit 1999 am Berliner Ensemble waltet, als Handke-Regisseur an die Burg zurückgeholt hat, gilt in Wien als Coup. Überhaupt wurde diese Premiere als großes Ereignis gehandelt und am Ende auch als ein solches gefeiert. Der Applaus galt natürlich auch dem Publikum selber und dem Burgtheater als solchem und überhaupt: den guten alten Zeiten.
Handke selbst ist zu dem Ereignis gar nicht angereist, weshalb Peymann ihn am Ende nicht nach vorne an die Rampe schubsen konnte, wie er das so gerne tut. Stattdessen geriet diesmal der vom BE mitgebrachte Hauptdarsteller Christopher Nell - die Inszenierung ist eine Koproduktion - in Peymanns Begeisterungswürgegriff.
So ähnlich erging es auch dem Text. Robust angepackt und um entscheidende Feinheiten gekürzt, dient Handkes "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" Peymann als Grundlage für ein ziemlich aufgeblasenes, ziemlich obsoletes Theaterdonnerwetter. Statt ihn in seiner seltsamen Querständigkeit oszillieren und flirren zu lassen, geht Peymann den Text, der zugegebenermaßen als Drama kaum bestehen kann, mit dem Schutzhelm und dem Werkzeugkasten des vierschrötigen Theaterhaudegens an. Dabei hat er Shakespeares Zaubermeister Prospero vor Augen, auf den sich Handke vage bezieht: Als Herrscher seines einsamen Inselreiches zieht er machtvoll die Fäden, lässt Sturm und Donner aufziehen und fragt nach den elementaren Dingen der Welt. Ja, Peymann wäre gerne ein Prospero, der Handkes Stück vor dem Schiffbruch errettet und uns hineinzaubert in ein Theaterglück: reinstes, kindlichstes Spiel. Nur ist nicht alles gleich Magie, was die Theatereffektmaschinerie hergibt.
"Kommen lassen. Anfliegen lassen. Träumen lassen . . . " - Christopher Nell, Handkes Ich-Erzähler, wirkt selber wie ein Prospero, wenn er anfangs im Halbdunkel dasteht, die Arme ausgebreitet zum Schöpfungsakt: Seine Welt, sein Theater möge erstehen! Dann öffnet sich die halbhohe Gardine aus blauer Ballonseide und gibt den Blick frei auf jene Landstraße, die es in Handkes Stück gegen die anderen, die vielen, die "Landstraßenokkupanten" zu verteidigen gilt. Auf Karl-Ernst Herrmanns schräg abfallender Bühne wird sie nur mit Licht angedeutet: eine steile, breite Kurve. Für den Protagonisten, Handkes "Ich", bedeutet diese Straße das letzte Fleckchen Freiheit auf der Welt: "der letzte nichtverstaatlichte, nichtvergesellschaftete, nichtgeographierte, nichtgeologisierte, nichtbotanisierte, nichtgegoogelte, nichtöffentliche und nichtprivate Weg auf Erden". Es ist "seine" Straße, er kennt sie aus seiner Kindheit, er maßt sie sich an. Wie ein Wächter, aber auch wie ein Wegelagerer und Wartender nimmt er am Rand der Straße Platz, um selbstbezüglich poetisch vor sich hinzuschwadronieren. Dabei verwandelt sich "Ich, der Erzähler" in "Ich, der Dramatische". Soll heißen: Da führt sich jetzt einer auf. Und wie! Prospero Peymann lässt dazu aufs Stichwort die Blitze zucken.
Ist er anfangs noch grußbereit und willens, die Welt zu umarmen, wird der Landstraßeninbesitznehmer, sobald wirklich Menschen vorbeikommen, zunehmend unleidlich. Die Passanten sind für ihn Störenfriede, Invasoren, die leidige Mehrheit. Er nennt sie "die Unschuldigen", denn sie wollen ja nichts Böses, sie sind einfach nur angepasst, sind "die Getreuen des Systems", sie funktionieren und telefonieren, feiern Information und Kommunikation als ihre "Kommunion". Sie wissen über alles Bescheid, nur nichts von der Zartheit des "Sommerhimmelblaus", nichts von dem "Nachtigallengeschluchz" oder den "Maikäfervölkerschaften", wie der naturbeseelte Alleinige sie wahrnimmt. Die "Unschuldigen" - also wir alle - sind für das zartbesaitete Handke-Ich die Pest: "Auf jeder Rolltreppe bleibt ihr sofort stehen und blockiert sie, jede Toilette lasst ihr hinter euch offen . . ." Als "Pack" bezichtigt er sie, mehr noch: "Doppelpack! Tetrapack!"
Wieder mal eine Publikumsbeschimpfung also, eine Handkesche Gesellschafts-, Zivilisations- und Kapitalismuskritik, ähnlich wie im "Untertagblues" (2003) - eine Wut-Suada auf die Zumutungen der heutigen Zeit, herabschalmeit aus dem dichterischen Elfenbeinturm. Das könnte schwer erträglich sein, wäre Handke dabei nicht auch selbstironisch. Den hohen, weihevollen Ton durchbricht er, bevor es zu nervig zu werden droht, mit Wortspieler-Schalk, und er lässt sein überhebliches, zum Totalitarismus neigendes "Ich" immer wieder auflaufen. Die "Unschuldigen" führen ihn durchaus auch vor, fahren ihm über den Mund, korrigieren seine ewigen Bildungsbürgerzitate und machen sich lustig über ihn: "Du bist der geborene Monolog."
Handke ist also schon auch witzig. Nur leider: Der abgestandene Theaterzauber- und Märchenonkelhumor, mit dem Peymann die Sache angeht und plakativ ausstellt, tut ihr nicht gut. Schadet auch dem Text, der auf der Bühne plötzlich sehr viel verquaster erscheint als bei der Lektüre. Vielleicht entfaltet dieses schwebende 177-Seiten-Werk doch eher nur als Lesedrama seine Wirkung - am Münchner Residenztheater sind sie daran gescheitert (die für übernächste Woche vorgesehene Premiere wurde abgesagt), und Peymann ist es auf seine robuste Art auch.
Ganz schlimm an diesem Abend: die Frauen
Allein, wie die "Unschuldigen" hier kostümiert sind und albern in ihre Handys plappern, sind sie schon der Lächerlichkeit preisgegeben und als Echtzeitmenschen verraten. Ganz schlimm: die Frauen. Während Maria Happel als Ober-"Unschuldige" das Koloraturmonster geben und mit dick aufgetragener Schreckschrauben-Exzentrik die Ehefrau als Schabracke hinchargieren muss, bleibt Regina Fritsch als die "Unbekannte von der Landstraße" extrablass. Gekleidet in ein schwarzes Klischee-, pardon: Plisseekleid ist sie die zunächst nicht erkannte, jedoch "ewig ersehnte" Traumfrau des Erzählers, holde Komplizin und Stichwortgeberin - eine fast schon peinliche Altmännerfantasie. Den Anführer der "Unschuldigen" gibt Martin Schwab als soignierten Großstadtindianer mit Grauhaarpferdeschwanz. Die Anmaßungen der Ich-Figur pariert er mit altväterlicher Burgtheater-Großschauspieler-Gravität. Was den fidelen Springinsfeld Christopher Nell noch mehr als Leichtgewicht erscheinen lässt. Zwar schmeißt er sich als Erzähler unglaublich ins Zeug, gewappnet mit weiten Hosen und einem Rucksack wie ein Wanderbursch, erst naiv und frohgemut, dann zunehmend wütend, tobend, manchmal singend, Liedzeilen anstimmend - ein Handke-Kaspar, ein Hans im Unglück, ein Poesie-Clochard. Doch so virtuos er auch den Text beherrscht, mit ihm jongliert und im Traum zum Caliban-Monster mutiert, es ist doch nur ein Veitstanzrollenspiel. Die tieferen Facetten des Handke-Ichs, die Wehmut, die Trauer, auch das Grundgefährliche und -gefährdete dieser Figur, bleiben Nell und Peymann schuldig. Handkes Landstraße führt in Wien direkt Richtung Kunstgewerbe.
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Uraufführung: Handkes Wachtraum zwischen den Dörfern
Bild: (c) APA/ROLAND SCHLAGER
Am Burgtheater wirbelt Claus Peymann das Drama "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" kunstvoll auf. Christopher Nell ist als Protagonist souverän, kongenial dazu Schwab, Happel und Fritsch.
Die Presse) (
Peter Handke hat vor der Uraufführung seines neuen Stückes, „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“, verraten, dass er beim Verfassen an den Weg zwischen seinem Kärntner Heimatort Griffen und dem Nachbardorf Ruden gedacht habe. So also sah sie aus, diese Landstraße, am Samstag im Wiener Burgtheater in der Inszenierung von Claus Peymann: Bei offenem Vorhang öffnet sich in der Mitte der riesigen Bühne ein zweiter, luftiger Stoff, auf der von Karl-Ernst Herrmann gestalteten schiefen Ebene ist ein helles, manchmal beleuchtetes Band zu sehen, als bloße Kurve in abstrakter Landschaft, die zu einem Endspiel von Samuel Beckett passen würde: Warten auf die Unbekannte.
Dort auf der Straße ist das Ich unterwegs, Christopher Nell spielt es souverän, als fesche Variation des Dichters in jungen Jahren, mit Accessoires des Wanderers Handke aus späterer Zeit. Er gerät unter die Unschuldigen mit ihrem Wortführer (Martin Schwab) und ihrer Wortführerin (Maria Happel). Später begegnet er der geheimnisvollen Unbekannten (Regina Fritsch). Nell versteht es vom ersten Monolog an, dem dichten, dunklen, auffällig mit Sätzen aus der Weltliteratur spielenden Text Luftigkeit, zuweilen Witz, verlässlich Tiefe zu geben – mit heller Stimme, singend, tänzelnd, denkend. Schwab und Happel als seine „unschuldigen“ Widerparts sind besonders in der Komik stark. Da wird getrippelt, gekämpft und gestaunt. Eine zauberhafte, seltene Erscheinung ist Fritsch – prägnant und unheimlich präsent.
„ . . . ein jeder geht anders . . . “
Peymann garniert den Erzählstrom mit bewährten Effekten – Vogelgezwitscher, Donner, Blitz und Schnee, ja sogar mit einem veritablen Sturm. Da saust und braust es, da wirbeln die Blätter, auch schwarz verkohlte. Fast wie im Film. Gleich am Anfang taucht aus dem Boden eine desolate Bushaltestelle auf, Schild, Bank und Unterstand, eine alte Erinnerung und zugleich das Lager für den Erzähler, auf dem er geschickt herumturnt.
Was will das magische und auch wahnsinnige Ich auf diesem „letzten freien Weg in die Welt“? Es gilt, diese Passage zu verteidigen, gegen die ignoranten Unschuldigen mit ihrem Fimmel für mobile Telekommunikation und Konsum, gegen allerlei Schnurren dieser gewöhnlichen Leute, die so viel übersehen, was das Ich im Blick hat. Sie sind für den gereizten Erzähler Landstraßenokkupanten. Ganz anders sieht er die mysteriöse Frau in Schwarz. Sie ist „die Erhoffte, seit jeher Ersehnte“ auf diesem letzten Weg. Sie wird ihm später sagen: „Die einen gehen so, die anderen gehen so, ein jeder geht anders“ – eine befremdende Feststellung. Das längst Entwöhnte passt zur Grundstimmung hier, in einem Motto ist sie im Buch angedeutet – „Go sleep and hear us“ aus William Shakespeares „The Tempest“. Alles nicht wahr! Handkes gespaltenes Ich, das zudem auch noch einen lästigen Doppelgänger hat, denkt an „Hellträumen. Umfassend träumen. Verbindlich! Freiträumen.“
Die Poesie am Rand der Wörter
Im ersten, rund hundert Minuten langen Teil bietet die Regie allerlei Tricks auf, mechanische wie choreografische, um den Monolog des Icherzählers bei seinen Begegnungen mit der Außenwelt bildkräftig zu unterstützen. Da ist viel Rennen und Gedränge, man spürt die Aggression des Erzähler-Ichs, das sich an Geringfügigem erregt wie an Wesentlichem, das sich daran philosophisch am Rand der Wörter abarbeitet. Findet er Zettel, etwa Prospekte oder private Notizen, macht er aus zufälligen Sätzen gefundene Gedichte. Passiert er Passanten, wird er oft rabiat.
Nach der Pause, für knapp eine Stunde, fokussiert diese Inszenierung noch stärker auf das dominante Quartett, während die Übrigen sich zum Leichenzug formieren, als ob sie apokalyptischen Bildern von Hieronymus Bosch oder Pieter Bruegel entsprungen wären. Einem kurzen Gefecht mit Stecken folgt fast versöhnliche Nachbarschaft. Das sind großartige Szenen von Nell und Schwab. Happel liefert ein Meisterstück an Lust und Spiel, das zur Todesfuge wird. Fritsch stößt als nunmehr erkannte Unbekannte das Ich buchstäblich vor den Kopf, fesselt es, weist es auf das Vergangene und das Vergängliche hin. Eros trifft Thanatos.
Das Ende wird in feinen Abstimmungen zelebriert. Jetzt fügt sich alles traumhaft zu großen Illusionen. Am Schluss, nach 171 Seiten Text (für die Aufführung wurde er merklich gekürzt), fragt sich das komplexe Ich, ob es denn gehe, dass in einem Traum der Träumer nicht nur das erste, sondern auch das letzte Wort habe – „ . . . in einem Wachtraum: Ja! – Ach, ja. Ach, ja!“ Lang anhaltender Applaus nach gut drei Stunden. Handke (*1942) und Peymann (*1937) haben ihn sich so wie alle Beteiligten redlich verdient.
Mysteriöses Rockkonzert alter Meister
Es verbindet die beiden alten Meister eine unglaubliche Geschichte. Vor einem halben Jahrhundert haben sie sich gefunden: Durch „Publikumsbeschimpfung“, 1966 in Frankfurt am Main uraufgeführt, wurden sie als kecke Twens auf einen Schlag berühmt. Ein „verbales Rockkonzert“ nannte der Dramatiker diese damalige Insultation. Seither rocken Handke und Peymann in unregelmäßigen Abständen. Ihre jüngste Arbeit ist die zehnte gemeinsame Uraufführung. Allein fünf gab es am Burgtheater, wo Peymann von 1986 bis 1999 ein in mehrfachem Sinne aufregender Direktor war. Dazu trugen auch die gedankenvollen, epischen Stücke von Handke erheblich bei, die dessen Leib- und Leben-Regisseur für gewöhnlich sehr opulent in Szene setzte. Dieses späte Drama gehört zu den geheimnisvollsten bisher.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.02.2016)
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Von Petra Paterno
- Gediegenes Welttheater zweier Altmeister: Claus Peymann inszeniert Peter Handkes jüngstes Stück.
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Wiener BurgtheaterEine unaufgeregte, schwungvolle Umsetzung
Eigentlich ist Peter Handkes Text "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" eher eine Art räsonierender Lebenssinn-Monolog. Regisseur Claus Peymann hat ihn aber mit einer unaufgeregten Lockerheit schwungvoll auf die Bühne des Wiener Burgtheater gebracht. Bei der Uraufführung gab es viel Beifall.
HÖREN
Ein Mann steht allein auf der Bühne, mit dem Rücken zum Publikum, und ruft sich seine Welt herbei mit den Worten: "Kommen lassen. Anfliegen lassen. Träumen lassen. Hellträumen. Um- fassend träumen. Verbindlich! Frei-träumen. Wen? Mich? Uns?"
Peter Handke nennt diese Figur "Ich", je nach ihrem Verhalten wechselnd zwischen "Ich, der Erzähler" und "Ich, der Dramatische". In weitem Schwung führt eine Straße über die leere Bühne. Sie wird nicht mehr befahren, und während "Ich, der Erzähler" sie beschreibt, fährt krachend eine Art demolierter Haltestelle aus dem Boden. Kein Unterstand, aber doch ein Platz, auf dem er sich niederlassen und wie ein Wächter auf die Menschen warten kann. Die anders sind oder denken als er und von Handke als die "Unschuldigen" bezeichnet werden. Während "Ich" wartet, denkt er über sich und die Welt, über den Sinn des Lebens, über Alter und Tod nach und durchlebt dabei die vier Jahreszeiten.
Peymann setzt Text schwungvoll um
Handkes neues Stück ist über weite Strecken eine Art räsonierender Lebenssinn-Monolog. Bei der Lektüre dieses 180 Seiten umfassenden Textes, der mit viel Redundanz und manchmal angestrengt poetischer Befindlichkeitsprosa dahinfließt, fällt es schwer, darin ein Theaterstück zu entdecken. Doch Regisseur Claus Peymann gelingt es sofort wunderbar, der Schwere und Bedeutsamkeit des Textes mit einer unaufgeregten Lockerheit zu schwungvollem Theaterleben zu verhelfen.
In Christopher Nell, in dessen Rolle des "Ich" naturgemäß viel von Handke selbst steckt, besitzt er einen großartigen Hauptdarsteller. Mit beweglicher Körpersprache und komödiantischem Ernst bedient er Handkes Bedeutungstexte und lockert sie zugleich auf. Anfangs noch etwas monoton mit ausgebreiteten Armen und gen Himmel gewandtem Kopf wie ein Verkünder. Doch schnell entwickelt sich der auch gesanglich überzeugende Nell immer mehr zu einem Figurendarsteller und Figurenbefrager:
"Doch noch einmal der Frühling auf Erden. Einen Augenblick später zeige ich mich von Neuem als der Umdüsterte. Dabei recke und strecke ich mich wie bereits vor einer Konfrontation. Doch die Gegenspieler oder wer oder die feindlichen Mächte oder was, sie bleiben aus oder lassen auf sich warten."
Wenn endlich die anderen einzeln oder in Gruppen kommen, ignorieren oder beschimpfen sie ihn, besonders heftig die komödiantisch konzentriert überdrehte Maria Happel als Wortführerin der "Unschuldigen". Der Einzelne, der kritisch gegenüber den anderen ist, weil die ihm zu sehr auf Wirtschaftlichkeit und ein klares Lebenssystem bauen, dieser Einzelne wirkt für die "Unschuldigen" als Sonderling, ja als Idiot. Die "Unbekannte", von der "Ich" dachte, sie habe ihn immer im Auge gehabt, erweist sich in der Darstellung der ganz in Schwarz gekleideten Regina Fritsch eher als eine Art Todesengel. Vor allem aber setzt sich "Ich" mit dem Wortführer der "Unschuldigen" auseinander. Die "Unschuldigen" lassen einen Wirbel von Zetteln mit Hinweisen und Wünschen zurück, denn sie sind nicht böse, sondern wissen nur nicht, was sie tun sollen. "Ich" klaubt etliche Zettel auf und trägt deren Texte vor. Während Martin Schwab, als "Wortführer" der "Unschuldigen" ein Kraftquell der Inszenierung, seine Vorstellung von einem richtigen Leben immer wieder heraus posaunt:
Auf die gute Nachbarschaft dagegen ist Verlass. Die gute Nachbarschaft, sie wird unsere Rettung sein. Unser Heil. Und hört jetzt auch meinen Traum vom guten Nachbarn, dem neuen Menschen.
"Doch noch einmal der Frühling auf Erden. Einen Augenblick später zeige ich mich von Neuem als der Umdüsterte. Dabei recke und strecke ich mich wie bereits vor einer Konfrontation. Doch die Gegenspieler oder wer oder die feindlichen Mächte oder was, sie bleiben aus oder lassen auf sich warten."
Wenn endlich die anderen einzeln oder in Gruppen kommen, ignorieren oder beschimpfen sie ihn, besonders heftig die komödiantisch konzentriert überdrehte Maria Happel als Wortführerin der "Unschuldigen". Der Einzelne, der kritisch gegenüber den anderen ist, weil die ihm zu sehr auf Wirtschaftlichkeit und ein klares Lebenssystem bauen, dieser Einzelne wirkt für die "Unschuldigen" als Sonderling, ja als Idiot. Die "Unbekannte", von der "Ich" dachte, sie habe ihn immer im Auge gehabt, erweist sich in der Darstellung der ganz in Schwarz gekleideten Regina Fritsch eher als eine Art Todesengel. Vor allem aber setzt sich "Ich" mit dem Wortführer der "Unschuldigen" auseinander. Die "Unschuldigen" lassen einen Wirbel von Zetteln mit Hinweisen und Wünschen zurück, denn sie sind nicht böse, sondern wissen nur nicht, was sie tun sollen. "Ich" klaubt etliche Zettel auf und trägt deren Texte vor. Während Martin Schwab, als "Wortführer" der "Unschuldigen" ein Kraftquell der Inszenierung, seine Vorstellung von einem richtigen Leben immer wieder heraus posaunt:
Auf die gute Nachbarschaft dagegen ist Verlass. Die gute Nachbarschaft, sie wird unsere Rettung sein. Unser Heil. Und hört jetzt auch meinen Traum vom guten Nachbarn, dem neuen Menschen.
Publikum spendet viel Applaus
"Ich" und der "Wortführer" erkennen sich schließlich gegenseitig in ihren Kindheitserinnerungen, und die mittlerweile alten und kranken "Unschuldigen" lernen: Du lebst nur durch die anderen Menschen. Am Schluss seiner schönen, wenn auch manchmal zu langwierigen Inszenierung lässt Peymann mehrere Schlüsse durchspielen. Was war das alles nun eigentlich: ein Drama oder eine Wahrheitssuche? Handke blieb wieder ganz in seinem eigenen poetischen Kosmos. Manchmal entfaltete sich poetische Kraft, manchmal war es aber auch nur Poetisiererei. Das Publikum im Burgtheater jedenfalls spendete reichlich Beifall.
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Das Klagelied des Handke-Ichs
Uraufführung: „Die Unschuldigen ...“ von Peter Handke am Wiener Burgtheater
Von Renate Wagner
Wieder einmal eine (die bereits zehnte) „Handke-Peymann“-Uraufführung, die fünfte am Burgtheater, das ist angesichts einer 50-jährigen Zusammenarbeit der beiden auf jeden Fall Theatergeschichte. Entsprechend groß war der Beifall, natürlich bei Abwesenheit des scheuen Kärntner Autors, der sich solchen Ereignissen nicht stellt. Vielleicht wäre der Jubel auch nicht so laut gewesen, hätte man das Stück selbst und nicht das Ereignis gefeiert. Aber dass Handke dem „Theater“ nie das Übliche liefert, ist ja bekannt.
Die Landstraße als Ort der Begegnung
So ist auch „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ (wie meist bei Handke ein komplizierter und nicht eben aussagekräftiger Titel) eine seltsame Mischung aus vager Poesie und vagem Lehrstück, wobei die Landstraße die Welt als Ort der Begegnung darstellt, die „Unschuldigen“ gar nicht die Guten sind, sondern die von Handke stark kritisierten Durchschnittsmenschen, die alles falsch machen, die „Unbekannte“ eine Art von Raimund-Fee (dieser Dichter wird auch mit szenischen Kunststücken wie aus dem Zaubermärchen zitiert) — und das Handke'sche „Ich“ schwankt als „Mitspieler“ und Reflektierer unsicher im Geschehen, das im Grunde keines ist, und klagt nach allen Regeln der Kunst um die Welt, wie sie war, und gegen die Welt, wie sie ist.
Der Text hat leider so viele Löcher, Längen und Durchhänger, bringt so viel Wortgeklingel, das sich als Poesie oder Tiefsinn ausgibt, aber das Publikum nicht erreicht, dass Handke in diesem Stück schwer gegen das Billy Wilder-Gesetz „Du sollst nicht langweilen“ verstößt, das ja nicht nur für Filmemacher gilt, sondern auch für Theaterleute. Dagegen kann Peymann als Regisseur nicht wirklich etwas tun, dreieinviertel Stunden kriechen ermüdend die von Karl-Ernst Herrmann beeindruckend gestaltete Landstraße auf und ab, die sich in den „Jahreszeiten“ immer mehr zumüllt.
Da diese Uraufführung gemeinsam mit dem Berliner Ensemble entstand, hat Peymann seinen dortigen Star Christopher Nell mitgebracht, der mit allen Theaterkünsten, die ein souveräner Schauspieler aufbringen kann, das Geschehen oft clownesk am Laufen hält. Nur noch drei Hauptfiguren, Maria Happel darf schrill die meiste Aufmerksamkeit auf sich ziehen, Regina Fritsch leidet unter der Unausgegorenheit ihrer Figur, Martin Schwab bleibt am Rande.
Handke ist ein Stück österreichischer Literaturgeschichte, und vermutlich wurde ihm als solchem in absentia gehuldigt.
Dass er unter die wirklich großen Dramatiker Österreichs eingereiht wird, hat er mit diesem Stück nicht geschafft.
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Vorstellungen:
29. Februar; 6., 19., 20. März; 1., 2. April (unterschiedliche Beginnzeiten).
Karten:
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Handke-Hochamt und Peymann-Märchenstunde am Burgtheater
Diesen Abend, der für ein so dichtes Prominenten-Aufkommen sorgte wie schon lange keine Burgtheater-Premiere mehr, muss man zwar nicht unbedingt historisch nennen, sollte ihn aber historisch einordnen: Ganze 50 Jahre ist es her, dass Claus Peymann die "Publikumsbeschimpfung" des damals 23-jährigen österreichischen Dichters im Frankfurter Theater am Turm zur Uraufführung brachte. Einige Kapitel Theatergeschichte haben die beiden seither gemeinsam geschrieben. "Die Unschuldigen" waren Peymanns zehnte Handke-Uraufführung, die fünfte an jenem Haus, das der heute 78-jährige Direktor des Berliner Ensembles 1986 bis 1999 leitete.
Peymanns Stärke war stets seine unbedingte Verehrung für jene, die aus dem Nichts mittels Sprache jenen Stoff formen können, aus dem die Bühnenträume sind. Seine genaue Lesart, sein Beharren, Bilder für die dichterische Fantasie zu finden und kein eigenes Material hinzuzufügen, wurde charakteristisch, in einer Welt der Disparatheit, des Stück- und Flickwerks, der permanenten medialen Ablenkung zunehmend anachronistisch. Auch diesmal hat der Regisseur von dem 170 Buchseiten umfassenden Stück zwar manches gestrichen, aber alles Wesentliche getreulich umgesetzt - ganz so, wie es zu erwarten war. "Überrascht mich!", hatte sich Peter Handke im Vorfeld gewünscht. Überraschung bot die Inszenierung keine.
Karl-Ernst Herrmann hat auf einer nackten, weiten, schrägen Spielfläche, durch einen zunächst und am Ende wieder geschlossenen zarten Brecht-Vorhang verdeckt und so als Bühne verdeutlicht, eine weite Kurve markiert, die uns und das wartende "Ich" die daherziehenden Landstraßen-Passanten lange ins Auge fassen lässt, ehe sie nach vorne kommen. Mit "Kommen lassen. Anfliegen lassen. Träumen lassen" beginnt Nell, Ensemblemitglied am koproduzierenden Berliner Ensemble, wo die Inszenierung ab 30. April gezeigt wird, den dreistündigen Abend (eine Pause), der in Verehrung für Handkes welthaltige Poetik als Hochamt zelebriert und in gleichzeitiger Brechung augenzwinkernd als kunstvolles Bühnenmärchen umgesetzt wird.
Peymann gebietet über delikate Lichtstimmungen und kleine Klangkunstspiele, er herrscht über Blitz und Donner und lässt die Vögel zwitschern. Vor allem liebt er Zaubertricks wie das plötzlich aus der Unterbühne Hervorbrechen jenes aus allerlei Versatzstücken wie einer schiefen, verrosteten Haltestellen-Stange zusammengesetzten Gestells, das dem "Ich" Ausguck und Basislager, Warteposition und Hauptquartier bietet. Gegen Ende wird es verschwinden und durch ein rot-weiß-rotes Windrad ersetzt werden. Immer noch Sturm.
Christopher Nell, am Ende zu Recht stürmisch umjubelt, entwickelt seine in ein episches und ein dramatisches Ich gespaltene Figur (die zudem mit Felix Strobel noch einen Doppelgänger unter den daherziehenden "Unschuldigen" erhält) ganz aus der Ambivalenz des Grundkonzeptes zwischen Weihespiel und ironisierender Distanz. Er nimmt sich ernst - aber nicht zu sehr. Er wirkt zufrieden in seiner splendid isolation und erwartet doch ungeduldig Gesellschaft.
Wie das Solo der ersten halben Stunde, die an eine monologische "Warten auf Godot"-Variation erinnert, in der Begegnung mit den ignoranten Passanten, die der Wartende zunehmend als Okkupanten empfindet, in Unverständnis und Verärgerung umschlägt, das hat Peymann deutlich herausgearbeitet. Horden von stupiden Dauer-Telefonierern, die ihn zuerst ignorieren, dann verspotten ("Ecce poeta!"), gehen dem Landstraßen-Wächter bald auf den Geist. Er erklärt den Un-Hiesigen, die sich als Un-Schuldige gebärden, den Krieg - und bekommt von ihrem Anführer zu hören: "Wer schreit, hat Un-Recht!"
Die über die Landstraße Ziehenden mit der neuen Völkerwanderung von heute in Verbindung zu bringen, diesen Versuch unternimmt Peymann gar nicht erst. Er widmet sich nicht einer möglichen oder scheinbaren Aktualität, sondern dem "präzisen Tiefentraum vom Menschsein", wie Handke sein Stück selbst charakterisiert hatte. Dieses Menschsein findet sich seit jeher im Theater abgebildet, lautete stets Peymanns Hypothese, und daher sind neben dem zentralen "Ich" auch alle übrigen Gestalten reine Bühnenfiguren, von Margit Koppendorfer bunt und lustig eingekleidet.
Die Auseinandersetzung mit der großteils stummen Gruppe der "Unschuldigen", dem "Pack, Doppelpack, Tetrapack", das dem Einzelnen das Leben zunehmend verleidet, mit Martin Schwab (ein von Wind und Wetter gegerbter künstlerischer Desperado mit Haar-Schwänzchen) und Maria Happel (eine knallrot gewandete, virtuose Lach-Arien und erotisches Selbstbewusstsein verbreitende Diva) als ihren Wortführern, sind ebenso reine Theaterszenen wie die Begegnung mit der geheimnisvollen "Unbekannten von der Landstraße", die in Gestalt von Regina Fritsch in schwarzem Kleid an eine griechische Hohepriesterin erinnert.
Der raue Wind der Wirklichkeit verirrt sich in Gestalt einer seltsamen, rasch gesprengten Demonstration, die u.a. "Freiheit, Gleichheit, Informiertheit" fordert, nur kurz hierher. Mit deutlich größerem Vergnügen zelebriert Peymann die übersteigerte Selbstkritik des dramatischen Ichs ("Und noch nie, kein einziges Mal im Leben, ist mir, im Phantasieren eines Dramas, ein Ende geglückt.") mit einer Reihe "falscher" Schlüsse, auf die das immer wieder erneut zum vermeintlichen Schlussapplaus einsetzende Publikum stets aufs Neue hereinfällt.
Am Ende stand ein "Ach, ja!", viel Jubel - vor allem für Nell und Happel - und ein sich zunehmend entspannender Claus Peymann, der sich bei der Rückkehr an die Stätte einstiger Triumphe durchaus willkommen geheißen fühlte. Seine Position als erster Handke-Exeget ist jedenfalls weiter unangefochten. Das Bayerische Staatsschauspiel hat vor wenigen Tagen die Deutsche Erstaufführung des Stückes abgesagt. "Die künstlerischen Differenzen über Wege und Ziele waren zuletzt unüberbrückbar geworden", hieß es. Peymann geht dagegen seinen eigenen Handke-Weg seit 50 Jahren. Keineswegs unschuldig, doch unbeirrbar.
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Peter Handke als 3D-Dolby-Multiplex-Gesamtsuperevent
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Der Autor Peter Handke ist als scharfer Kritiker von gesellschaftlichen Entwicklungen bekannt. Sein neues Stück "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" ist nun im Wiener Burgtheater zu sehen. Stefan Keim hat schon einmal reingelesen.
In diesem Stück ist nicht klar, wer Ich ist. Es gibt mindestens zwei, einen Ich-Erzähler und Ich, der Dramatische. In Sprache und Verhalten sind sie sehr unterschiedlich, manchmal verschmelzen sie. Dieses Ich lebt auf einer Landstraße, weitab von aller Betriebsamkeit. Sein Zuhause ist eine Ruine, die vielleicht mal eine Bushaltestelle oder auch eine Rinderbesamungsanlage war. Das Ich sehnt sich nach der Unbekannten von der Landstraße, einer Traumfrau, die seine Gefühle und Gedanken versteht. Es naht eine riesige Menschengruppe, Leute, die in Telefone sprechen, aus denen ihre eigenen Stimmen zurück schallen. Sie wollen nichts Böses und bemerken das Ich gar nicht, als es zwischen ihnen herum läuft und sie nachäfft. Das sind die "Unschuldigen", die – wie das Ich sie nennt – "Armee des Systems", die "einzige und letzte Weltmacht". Das Ich erklärt den Unschuldigen den Krieg, weiß aber nicht, wie es sie angreifen soll.
Peter Handkes Stück hat nur die Andeutung einer Handlung. In seinem Verlauf wechseln die Jahreszeiten. Im Frühling wird die Landstraße von den Unschuldigen eingenommen. Im Sommer kommt es zum Konflikt, und das Ich beschimpft die Eindringlinge als "Hundsfotte, Kassendiebe, Hirnschrott" und "tätowierte Schwimmlehrer". In Handkes Text wechseln Wut und Wehmut, melancholische Bilder und grimmiger Humor. Der Herbst schließlich bringt einen Dialog zwischen dem Ich und dem Häuptling der Unschuldigen. Die beiden schwelgen in Kindheitserinnerungen und kommen sich näher. Bevor sich im Winter die Landstraße auflöst und die Welt verblasst.
Eine Sprache voller literarischer Anspielungen
Peter Handkes Sprache steckt voller literarischer Anspielungen. Die Reden des Ich sind durchsetzt mit zum Teil parodierten Zitaten von Schiller, Goethe, Shakespeare und vielen anderen. Von "Freude, holder Niemandsfunken" bis "Frühling meines Missvergnügens." Auch die Unschuldigen schleppen einen enormen Bildungsschatz mit sich herum. Aber – so der Vorwurf des Ichs – sie entwickeln daraus "Argumente statt Ahnung". Die Begriffe und Denkweise des Ichs, das – zwar mehrfach gebrochen, aber doch erkennbar – Peter Handke repräsentiert, erinnern an die Romantik. Der Traum ist sein Ideal, das endgültige Weltvergessen. "Ihr redet und redet und seht nicht, wovon ihr redet", sagt das Ich. Eine typische Handke-Formulierung.
Als Hörspiel kann man sich diesen Text sofort vorstellen, für das Theater ist er eine Herausforderung. Die Regie muss entscheiden, ob sie die langen, wunderbar zu lesenden Beschreibungen – Regieanweisungen wäre das falsche Wort dafür – sprechen lassen soll. Dann verbietet es sich, die Bilder zu verdoppeln, gegen Handkes Sprache kämen sie kaum an. Ohne sie fehlen dem Text entscheidende Bestandteile. Handkes poetische Fundamentalopposition gegen eine auf Wirtschaftlichkeit aufgebaute Welt ist eine notwendige Provokation. Auf diesem sprachlichen Niveau ist sie in der zeitgenössischen Dramatik sonst nicht zu finden. "Ach, wie mehrheitenmüde ich bin!", seufzt das Ich
http://www.deutschlandradiokultur.de/peter-handke-eine-notwendige-provokation.2159.de.html?dram:article_id=346871
Martin Schwab: "Menschen, lasst euch verzaubern!"
Burg-Star Martin Schwab über die Peter-Handke-Uraufführung am 27. Februar in Wien.
Nächstes Jahr ist Martin Schwab seit 30 Jahren fix am Burgtheater – und wird 80 Jahre alt. Im Interview ist er oft ganz Theater-Weiser – und Sekunden später feuerköpfiger Schalk, der Thomas Bernhard vorspielt, einen Monolog aus "Nathan der Weise" und ein Rilke-Gedicht, der hinreißend Peymann und andere parodiert.
Zwischendurch erzählt er von einer Skandinavien-Reise und spricht das Wort "Hurtigruten" so vollendet musikalisch aus, dass es klingt wie von Schiller.
KURIER: Claus Peymann inszeniert wieder eine Handke-Uraufführung in Wien: "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße". Die Aufregung ist enorm.
Martin Schwab: Und denken die Wiener auch daran, wie die früheren Handke-Stücke damals aufgenommen wurden? Heute werden die ja alle glorifiziert. In seinem neuen Stück, das sich übrigens in vielem von anderen Handke-Stücken unterscheidet, geht es um den Kampf des Individuums gegen die Masse. Dabei wird die Masse nicht als schlecht dargestellt. Der einzelne in der Masse weiß ja nicht, was er tut. Es ist ein optimistisches Stück. Handke sagt, er will nicht traurig enden. Er gibt die Hoffnung weiter – es kann nur etwas Neues kommen und davor muss man nicht Angst haben. Sagt er als "Mystiker". Handke ist ja ein Mystiker!
Peymann sagt, das Publikum brauche für dieses Stück Neugier auf Zauber.
Ja, deshalb sind da auch Spurenelemente von Shakespeares "Der Sturm" drin, vom wilden Wesen Caliban, vom Kulturmenschen und Zauberer Prospero ... Das ist auch eine Botschaft des Dichters an uns: Menschen, lasst euch doch verzaubern!
Glauben Sie, ist die Neugier des Publikums da?
Wenn sie nicht da ist, muss man sie wecken. Aber ich glaube, das Publikum ist viel offener, als man ihm unterstellt. Die größte Offenbarung ist die Stille! Action gibt es ohnehin genug. Darin liegt eine Verantwortung für uns – den Text ernst zu nehmen. Und Claus Peymann nimmt den Text sehr ernst.
Sie arbeiten schon so lange zusammen ...
Seit Beginn der Zeitrechnung, sage ich immer!
... was macht die Zusammenarbeit so besonders?
Claus Peymann ist ja nicht mein Freund, sondern er ist mein Regisseur, der mit mir ins Streiten gerät und ich mit ihm. Da muss man sich die Wahl der Waffen wohl überlegen. Ich bin ja keiner, der blind zieht, aber Peymann legt sofort los mit allem Drum und Dran. Es ist ja bekannt: Gott weiß alles, Peymann weiß es besser! Aber ich kann damit umgehen.
Würden Sie sagen, es ist leicht mit Ihnen zu arbeiten?
Ich versuche, offen für alles zu sein. Aber ich lege Wert auf meine Spielregeln, was Form und Verehrung für das Theater und dem Haus gegenüber betrifft.
Was meinen Sie damit?
In diesem Haus soll man nicht herumgehen, als wäre das eine Massenkantine. Und man pfeift zum Beispiel nicht, das macht man einfach nicht (Pfeifen im Theater ist laut ungeschriebenem Gesetz verpönt; Anm.). Und wenn man im Zuschauerraum war und wieder die Bühne betritt, dann klopft man drauf! Also zumindest ich mache es so. Und zwar nicht, weil ich abergläubisch wäre, sondern als Ehrerbietung denen gegenüber, die das vor mir gemacht haben. Es geht um Ehrfurcht vor der Bühne! Wenn ich nur einen Satz zu sagen habe – dann muss ich wissen: In diesem Moment hören mir alle zu.
Handke sagte, das Geheimnis der großen Schauspieler sei "Ernst und Spiel in einem". Das beschreibt genau Sie.
Oh ...! Ich kenne ja Peter Handke seit 1982, da haben wir mit Wim Wenders in Salzburg "Über die Dörfer" gemacht. Und da hatten wir die Gelegenheit, in Griffen in einer Berghütte acht Tage zu verbringen. Dann kam Peter Handke und sagte: Wie? Da gibt’s keinen Fernseher? Es war gerade Fußball-Weltmeisterschaft. Und ich sagte: Herr Handke, ich wohne unten bei einem Bauern, da gibt’s einen. Und so kamen wir uns näher.
Sie arbeiten gerne mit den Dichtern zusammen?
In Salzburg waren wir einmal nach einer Probe zum "Theatermacher" mit Thomas Bernhard essen. Auf einmal sagt der Bernhard: Da fehlt noch etwas, ich muss noch auf den Weinskandal Bezug nehmen! Und beginnt auf irgendeinen Speisezettel etwas zu schreiben. Er wusste genau, wenn der Wirt kommt und zu Bruscon sagt: Ein Wein gefällig, der Herr? Dann sagt Bruscon: Wein? Um Gottes Willen! Wein? Nein! In Österreich keinen Wein! Das hat er im Gasthaus gedichtet.
In einem KURIER-Interview haben Sie gesagt, Sie suchen im Theater das Wagnis. Sind Sie immer noch waghalsig?
Auf alle Fälle. Wobei Wagnis nicht bedeutet, barfuß auf einen Sechstausender zu gehen. Sondern mit anderen Menschen etwas Mutiges zu machen. Gerade wir mit den festen Verträgen können doch mutig sein – wir müssen beispielgebend wirken!
Dem Theater geht es heute weniger gut als vor 20 Jahren – und es muss sich heute für seine Kosten rechtfertigen.
Daran sind auch die Theaterleute schuld. Weil die oft dumm waren! Und immer nur sich gemeint haben und ihre Befindlichkeiten! Die mich übrigens einen Dreck interessieren, mich interessieren die Befindlichkeiten, von denen der Dichter schreibt. Die haben immer die Ich-Show gemacht – Regisseure, die sich über jedes Problem lustig machen, aber wenn derjenige dieses Problem privat hat ... (spielt schluchzenden Regisseur vor) ist sein Herz gebrochen.
Wie stehen Sie zur Diskussion um die beim "Jedermann" angespielte "Internationale"?
Ich komme aus dem Theater der 68er-Ära. Wenn da aus dem Zuschauerraum etwas kam, dann konnte man darauf auch eingehen. Ich mag es nicht, wenn die auf der Bühne sich zu wichtig nehmen und ex cathedra etwas verkünden. Aber mit den Mitteln und dem Witz des Theaters für einen Moment auf etwas zu reagieren, das muss möglich sein! Ich würde nicht an die Rampe gehen und singen: VÖLKER HÖRT DIE SIGNALE! Aber ich würde zum Beispiel in der Rolle die Melodie pfeifen. Dann ist es spielerisch, und wer es merken soll, der merkt es.
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Sonntagskind und Ekel-Peter
Nicht nur nett: Peter Handke und Claus Peymann verbindet eine streitlustige Arbeitsbeziehung. Premiere des jüngsten Kindes ist am Samstag an der Burg.
http://www.tt.com/kultur/11143331-91/sonntagskind-und-ekel-peter.csp
Von Bernadette Lietzow
Wien – Der Eine, Besitzer des sonnigeren Gemütes, geht munter-streitbaren Schrittes auf die 80 zu und steht vor seiner letzten Saison als Theaterdirektor, der Andere, der Dichter, bevorzugt die Kontemplation in seinem Anwesen bei Paris. Die Rede ist von Claus Peymann und Peter Handke, deren diesem Beitrag den Titel gebende ironische Selbstbezeichnungen zwei Gesprächen entnommen sind, die der 2011 verstorbene große Publizist André Müller Ende der 1980er-Jahre mit den Künstlern geführt hat. Seit der 1966 nicht nur im damaligen Wirtschaftswunder-Frankfurt als skandalös empfundenen Uraufführung von Handkes erstem Theaterstück „Publikumsbeschimpfung“ in der Regie Peymanns kreuzten sich immer wieder beider künstlerische Wege und Irrwege, gelegentlich auch die befremdlichen Abwege.
Über die langen Jahre hat der ehemalige und an der Traditionsbühne für eine Zeitenwende sorgende Burgtheater-Direktor und nunmehr bald abdankende Leiter des Berliner Ensembles zehn Werke Handkes, der für ihn „immer noch der größte Avantgardist unter den schreibenden Dramatikern“ ist, aus der Taufe gehoben. Zu den fünf mit unterschiedlichem Erfolg aufgenommenen Wiener Uraufführungen gesellt sich am kommenden Samstag mit verstimmungsbedingter Verspätung eine Sechste. In der Vorbereitung für die Anfang 2011 geplante Inszenierung von „Immer noch Sturm“ gerieten sich Dichter und Theatermann dermaßen in die Haare, dass es „vor Schloss Versailles beinahe einen Faustkampf zwischen uns gegeben hätte“, wie Peymann kürzlich der Zeit gegenüber launig eingestand.
Handkes 2015 bei Suhrkamp erschienener Theatertext „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ verheißt nun eine poetisch-mystische Reise, als deren Organisator oder auch Transistor der Gedanken- und Sprachbilder des Dichters Regisseur Peymann wirkt. Als „überlegen ordnender Reisemarschall“ dürfte dieser zudem, laut Aussage eines beteiligten Journalisten, auf der gemeinsamen Fahrt zu einer serbischen Enklave im Kosovo fungiert haben, deren Anlass der Wunsch Handkes war, das Geld des alternativen Heine-Preises einem kriegs- und abwanderungsbedingt notleidenden Dorf zu spenden. Der „echte“ Heine-Preis wurde ihm 2006 wegen seines umstrittenen Auftrittes am Begräbnis des vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag angeklagten serbischen Ex-Präsidenten Slobodan Miloševic in einer nicht minder umstrittenen Aktion wieder entzogen.
Kleine, auch medial ausgerichtete Garstigkeiten prägen das Verhältnis der so unterschiedlichen Persönlichkeiten, einig scheinen sich Handke und Peymann in ihrem Theaterverständnis, das unbedingt der Sprache den Vorzug vor anderen Ausdrucksmitteln einräumt. Insofern hängen beide keiner konservativen, eher einer höchst individuellen Form klassischen Theaters an. 1968 meinte Handke, das Theater könne nicht als „Mittel zur (…) Änderung von Zuständen“ dienen, sondern „als Spielraum zur Schaffung bisher unentdeckter innerer Spielräume“.
Daran, diese „Spielräume“ erneut in Bilder umzusetzen, arbeitet nun Claus Peymann an der Burg, am Samstag ist Premiere.
Das Residenztheater München sagte übrigens die für 10. März geplante Premiere des neuen Handke-Stücks wegen „künstlerischer Differenzen“ bezüglich der Herangehensweise des Regisseurs Phillipp Preuss (sein „Romeo und Julia“ ist derzeit am Wiener Volkstheater zu sehen) ab. Dem erfahrenen Handke-Interpreten Peymann leuchtet die Sonne heller
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http://www.fr-online.de/ theater/peter-handke-und- claus-peymann-mein-theater-- meine-welt-,1473346,33853960. html
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http://www.fr-online.de/
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Wird die Handke-Uraufführung Aufregung auslösen, wie Handke-Premieren früher?
Nein, die Aufführung ist nicht zum Aufregen, sondern zum Nachdenken, zum Wach-Denken, zum Über-Legen! Aber es muss leicht bleiben und Humor haben.
(kurier) Erstellt am
Peter Handke: „Ich habe nie Aktuelles behandeln können“
Von apa• Januar 25, 2016
Das neue Stück von Peter Handke, „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße – Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten“, wird am 27. Februar am Burgtheater zur Uraufführung gebracht. Im APA-Interview spricht der österreichische Dichter über sein Stück, Regisseur Claus Peymann, den Zustand der Welt, des Theaters und des österreichischen Kunstsenats.http://www.unsertirol24.com/ 2016/01/25/peter-handke-ich- habe-nie-aktuelles-behandeln- knnen/
" Die Unschuldigen, Ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße ist ein großartiges Stück, vielleicht sogar Handkes dramatisches Opus magnum."
Lothar Struck, Glanz & Elend Magazin 29.03.2015
Besprechung von 16.07.2015
Der Himmel und ich, wir zwei schwofen!
Dramatischer Traumtanz: Peter Handke bringt wieder die Pferdestärken seiner Phantasie auf die Straße. Handlung gibt es wenig in seinem surrealen Prosa-Schauspiel, dafür ulkige Schimpftiraden.
Wer den Namen Peter Handke hört, denkt vielleicht nicht zuerst an Humor und Leichtigkeit. Das mag auch an zu vielen Dokumentarfilmen und Homestorys liegen, die diesen Schriftsteller als grüblerischen Pilzesammler darstellen oder beim Betrachten schrumpliger Äpfel in seinem Pariser Garten. Bei Handke denkt man an Spracharbeit, Schwerstarbeit, Ringen mit Worten, und natürlich an seine legendäre Drohung, auf Begriffe zu schießen, sobald sie am Horizont auftauchen.
Wie anders, wie spielerisch leicht wirkt dagegen sein neuestes Werk: "Der Himmel und ich, wir zwei schwofen!", ruft darin jemand. Es ist ein Sprachtanz unter ziemlich heiterem Himmel, den Handke hier aufführt: "Schauspiel in vier Jahreszeiten" nennt sich das im Untertitel, aber ob das wirklich Drama oder doch Epos ist, lässt sich gar nicht so leicht sagen. Denn das Ich, das dort spricht, kann sich selbst nicht entscheiden, es spaltet sich in "Ich, der Dramatische" und "Ich, der Epische" und gerät darüber mit sich selbst in Streit.
Das klingt nun schon wieder kompliziert, aber wissen muss man ja eigentlich nur, dass bei Handke wie eh und je die Wirklichkeit erst im Sprechen entsteht: Man hört live dabei zu, man beobachtet den Dichter im Moment seiner
»Ein Sprachmusikstück ist es geworden, im Wechsel von knirschendem Wortsand und hallenden Pflasterköpfen, ein Versuch, zumindest einige Zeit in einem halbwegs intakten Refugium zu verweilen, das, ganz nach Handkes Gabe, doch in einen poetischen Kosmos führt.«
Werner Krause, Kleine Zeitung 24.03.2015»Scharfe Erkenntnis und ein zartes Gleiten der verletzten Empfindungen bilden ein faszinierendes Gefüge.«
Hans-Dieter Schütt, Neues Deutschland Online 08.07.2015»So heiter-melancholisch wie hier war der Meister selten.«
" Die Unschuldigen, Ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße ist ein großartiges Stück, vielleicht sogar Handkes dramatisches Opus magnum."
Lothar Struck, Glanz & Elend Magazin 29.03.2015
Lothar Struck, Glanz & Elend Magazin 29.03.2015
Besprechung von 16.07.2015
Der Himmel und ich, wir zwei schwofen!
Dramatischer Traumtanz: Peter Handke bringt wieder die Pferdestärken seiner Phantasie auf die Straße. Handlung gibt es wenig in seinem surrealen Prosa-Schauspiel, dafür ulkige Schimpftiraden.
Wer den Namen Peter Handke hört, denkt vielleicht nicht zuerst an Humor und Leichtigkeit. Das mag auch an zu vielen Dokumentarfilmen und Homestorys liegen, die diesen Schriftsteller als grüblerischen Pilzesammler darstellen oder beim Betrachten schrumpliger Äpfel in seinem Pariser Garten. Bei Handke denkt man an Spracharbeit, Schwerstarbeit, Ringen mit Worten, und natürlich an seine legendäre Drohung, auf Begriffe zu schießen, sobald sie am Horizont auftauchen.
Wie anders, wie spielerisch leicht wirkt dagegen sein neuestes Werk: "Der Himmel und ich, wir zwei schwofen!", ruft darin jemand. Es ist ein Sprachtanz unter ziemlich heiterem Himmel, den Handke hier aufführt: "Schauspiel in vier Jahreszeiten" nennt sich das im Untertitel, aber ob das wirklich Drama oder doch Epos ist, lässt sich gar nicht so leicht sagen. Denn das Ich, das dort spricht, kann sich selbst nicht entscheiden, es spaltet sich in "Ich, der Dramatische" und "Ich, der Epische" und gerät darüber mit sich selbst in Streit.
Das klingt nun schon wieder kompliziert, aber wissen muss man ja eigentlich nur, dass bei Handke wie eh und je die Wirklichkeit erst im Sprechen entsteht: Man hört live dabei zu, man beobachtet den Dichter im Moment seiner
Dramatischer Traumtanz: Peter Handke bringt wieder die Pferdestärken seiner Phantasie auf die Straße. Handlung gibt es wenig in seinem surrealen Prosa-Schauspiel, dafür ulkige Schimpftiraden.
Wer den Namen Peter Handke hört, denkt vielleicht nicht zuerst an Humor und Leichtigkeit. Das mag auch an zu vielen Dokumentarfilmen und Homestorys liegen, die diesen Schriftsteller als grüblerischen Pilzesammler darstellen oder beim Betrachten schrumpliger Äpfel in seinem Pariser Garten. Bei Handke denkt man an Spracharbeit, Schwerstarbeit, Ringen mit Worten, und natürlich an seine legendäre Drohung, auf Begriffe zu schießen, sobald sie am Horizont auftauchen.
Wie anders, wie spielerisch leicht wirkt dagegen sein neuestes Werk: "Der Himmel und ich, wir zwei schwofen!", ruft darin jemand. Es ist ein Sprachtanz unter ziemlich heiterem Himmel, den Handke hier aufführt: "Schauspiel in vier Jahreszeiten" nennt sich das im Untertitel, aber ob das wirklich Drama oder doch Epos ist, lässt sich gar nicht so leicht sagen. Denn das Ich, das dort spricht, kann sich selbst nicht entscheiden, es spaltet sich in "Ich, der Dramatische" und "Ich, der Epische" und gerät darüber mit sich selbst in Streit.
Das klingt nun schon wieder kompliziert, aber wissen muss man ja eigentlich nur, dass bei Handke wie eh und je die Wirklichkeit erst im Sprechen entsteht: Man hört live dabei zu, man beobachtet den Dichter im Moment seiner
»Ein Sprachmusikstück ist es geworden, im Wechsel von knirschendem Wortsand und hallenden Pflasterköpfen, ein Versuch, zumindest einige Zeit in einem halbwegs intakten Refugium zu verweilen, das, ganz nach Handkes Gabe, doch in einen poetischen Kosmos führt.«
Werner Krause, Kleine Zeitung 24.03.2015»Scharfe Erkenntnis und ein zartes Gleiten der verletzten Empfindungen bilden ein faszinierendes Gefüge.«
Hans-Dieter Schütt, Neues Deutschland Online 08.07.2015»So heiter-melancholisch wie hier war der Meister selten.«
Werner Krause, Kleine Zeitung 24.03.2015»Scharfe Erkenntnis und ein zartes Gleiten der verletzten Empfindungen bilden ein faszinierendes Gefüge.«
Hans-Dieter Schütt, Neues Deutschland Online 08.07.2015»So heiter-melancholisch wie hier war der Meister selten.«
Burgtheater: Datum für Premiere des neuen Handke-Stücks fixiert
O nein, es genügt längst nicht mehr, nur das Publikum zu beschimpfen. Peter Handke beschimpft, verurteilt und vernichtet in seinem neuen Stück die Menschheit und die ganze Welt. Das Stück heißt "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße", die Uraufführung ist erst für nächstes Jahr geplant, aber als Buch ist es schon jetzt erschienen. Ein Ich spaziert darin durch eine verachtete, eine total vermessene Welt. Der letzte Ort der Zuflucht ist eine unscheinbare Landstraße. Hier findet jenes Ich noch eine Art unvermessenes Glück. Doch seine Wut wächst. Seine Gegner: die Armee der Unschuldigen, die die Welt bevölkern. Ich wütet: "Ihr Arschlöcher!" "Pack! Doppelpack! Tetrapack!" Und manchmal muss es einfach "Arschficker!" sagen, "allein um des Klangs willen". Die Utopie des Stücks: das Verschwinden der Menschheit, der Austausch der jetzigen Menschheit durch "eine von Grund auf andere". Nur jenes Ich darf bleiben. Und auf seiner Landstraße umhergehen und "Arschficker" rufen. Ein Handke-Traum. Ein Angriff. Das Ich im Stück sehnt sich nach echten Feinden. Das könnte klappen.
Suhrkamp Verlag, Berlin; 180 Seiten; 20 Euro.
Handkes "Die Unschuldigen" soll laut einem Medienbericht für Februar 2016 geplant sein.
Von Hans-Dieter Schütt
http://www.neues-deutschland.de/artikel/977089.der-weg-das-ziel-bloedsinn.html
Der Weg das Ziel? Blödsinn
»Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße« - ein neues Stück von Peter Handke
Hatte Eduard Bernstein Unrecht? Ist der Weg gar nicht das Ziel? Das Ziel ist die Weglosigkeit meint Peter Handke in seinem neuen Stück »Die Unschuldigen, Ich und die Unbekannte am Straßenrand«.
Sich hinter einem Komma in Nebensätze verlieren wie in einen Wald: »Herrliche Weglosigkeit, endlich.«
Foto: photocase/ foto-fine-art
Überzeugten Menschen zuzuhören, mag interessant sein, aber wirkliche Gespräche kann man einzig nur mit Skeptikern führen - der Preis der Freiheit besteht in einer fortwährenden Abtrünnigkeit. Freiheit ist also Schwerstarbeit. Idiotenarbeit. Theatergestalten Peter Handkes sind von solcher Idiotie. Sind freiwillig Verstörte, die den Mut haben, sich der anmaßenden Dürftigkeit des Schwarms zu entziehen. Lebenskunst sozusagen als eine Art Selbsteinkrümmung, bei der man zu sich selber kommt; eine Alternative zu jener zweifelsfreien Selbstbevorzugung, bei der man, von außen gesteuert, nur immer weiter außer sich gerät.
Widerspruch, Einspruch ist heutzutage also weit härter gegen die Existenz-Schlauen zu richten als gegen die Leistungs-Dummen. Was die Schöpfung ins Verborgene gesetzt hat, ins Natürliche, ins Ungezwungene - das hütet der Idiot und schützt es vor den Übergriffen zentraldemokratischen Heilsformeln wie etwa Transparenz, Öffentlichkeit, Aufklärung. Schützt es vor den Übergriffen jener Modernen, jener Mehrheitsbeschaffer und Mehrheitsbeschaffenen, die bei Handke deftigst beleumundet werden: »Hundsfotte … Tätowierte Schwimmlehrer … Menschgewordene Fischgrätmuster ... Rundinformierte … Freiheitsliebende ... Horizonträuber! ... Gotteskrieger … Friedenssoldaten!... Existenzuntergraber … Ihr ... ewig Heutigen! ... Ihr … halblustigen Unernsten … Ihr … Unberührbaren … Ihr … Unbesiegbaren … Ihr … Unbeleckten … Ihr … Unablenkbaren … Ihr … Unguten!«
So zu lesen im neuen Stück von Handke: »Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße«. Der Untertitel: »Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten«. Es spielt sich ab auf einer verlassenen Landstraße im verkehrstoten Irgendwo. Jenes Ich, das sich in eine weich, bedachtsam erzählende sowie in eine dramatisch schimpfende, aufbrausende Seele gespalten weiß und die Scharen der »Unschuldigen« vorüberziehen sieht - dieses Ich bilanziert: »Es ist eine Zeit, als wisse man, als wüsstet ihr alles vom anderen. Als sei lückenlos alles zu wissen. Und zugleich ist es eine Zeit, da man nichts mehr, gar nichts mehr weiß vom anderen, auch gar nichts mehr wissen will.«
Ein Blick auf die Landstraße: ein Blick auf tote Seelen zwischen Arbeits- und anderen Unorten. Wir. Und wir zeigen meist bloß noch unser vernichtetes, müdes, mit lauter Vollbeschäftigung, also mit Leere verklumptes Gesicht - wir sind auf unserer Soll-Strecke und haben zugleich einen Stempel in Leib und Seele, als seien wir lediglich zur Strecke Gebrachte. Einsam gemeinsam.
Es ist wie in Handkes Stück »Untertagblues«, da war es nicht die Straße, da war es die U-Bahn: eine Invasion der Unsympathen, der geistlos polternden Frohnaturen und der trüben »Aktenschlepper und Füllfederhinhalter«, der Feintuer, der »Zwischenraumersticker und Perspektivenverdränger«, der Döner-Fresser, der Brüllkinder, der Lümmler und Gitarrenklimperer, der vielen »verdammten Unvermeidlichen« also, mit ihrer »aufgeplusterten Leibhafigkeit«. Gegen solche vermeintlichen Unschuldsengel, also »Unschuldsteufel«, gegen diesen Nah-Verkehr der »Jetzthorden« kann nur ein poetischer Protest aufgeboten werden. Wie ja überhaupt gegen alles Übermächtige nur immer hilft, der eigenen Ohnmacht wenigstens einen schönen, holzwegschwingenden Ausdruck zu geben. Der diese Ohnmacht nicht ändert, aber sie lügend aushaltbar macht. Bis wir die Schwäche und das Ausgeliefert-Sein als Kraft empfinden, so, als seien sie eine (idiotische!) Möglichkeit, ja, seien gar: Emanzipation. Nicht aus Stärke gehen wir ins Kino oder ins Theater, sondern wegen des Defizits zwischen uns und der Welt. »Ich sah jemanden mit äußerstem Einsatz spielen, und dachte: Ja, so muss man sein«, hat Peter Handke einmal geschrieben, und so auch spielt sein Ich im neuen Stück, spielt die Freiheit des Blitzeschleuderns inmitten schierer Wetterlosigkeit.
Ein Road Movie des wütenden wie weiten Herzens. Das Ich: der traurige Clown - der an der Welt verzweifelt, weil er sich nach ihr sehnt. Im lauten Zorn bebt die ganz, ganz stille Erinnerung an eine (nie gewesene?) Zeit, in der Menschen noch Energie hatten, sich zu beruhigen. Dieser frenetische Angreifer, dieses Ich, ist ein erstickter Flehender, so wie jeder Hassende in seiner brennenden Anmaßung ein abgewiesener Liebender ist. Scharfe Erkenntnis und ein zartes Gleiten der verletzten Empfindungen bilden ein faszinierendes Gefüge.
Handkes Spiel mit der Konsequenz: Was wäre denn, wenn die Welt leer liegen würde? Spiele ohne Spielverderber? Träumer ohne Traumverächter? Also Widerspruchsamputation? Die Hölle! Freiheit von Sätzen ohne Gegensätze? Schlimmste aller Diktaturen. Handke, der Einsamkeitspoet, bleibt Weltumarmer, dem sich schließlich sogar »ein Fenster im Asphalt« auftut. Er singt letztlich ein hohes Lied auf die untilgbare Zwiesprache zwischen all den krass Auseinanderstrebenden dieser Welt. Nichts lässt sich unters Diktat reiner Schönheit zwingen. Der Dichter als Märchenerzähler, als beharrend Sehnender. Der nicht Wirklichkeiten gegeneinander zwingt, sondern sie wünschend, aus- und weitermalend, überschreitet. Der in Zeitrissen Heimat versucht.
Die Straße: ein Weg ins Gemeinsame fernab des politischen Getöse- und Einmischfiebers; der Traum: die Menschen nicht mehr meinungsbefeuert, geschichtsgeladen, eingriffsinfiziert, zungenfertig ohn’ Unterlass. Theater als schönes Bedrängtsein durch eine Seh-Weise, in der seit eh und je Zeit und Schwelle und Gehen und Sphäre und Verwandlung und Niemandsland, ja: was?
Herrschen? Nein. Es gibt Worte, die können nicht herrschen, so, wie die Feststellung falsch ist, dass Frieden herrsche. Poesie gegen die Nachbarschaftskrieger, die Lichtungsbesetzer, die sehnigen oder klapprig-trotzigen Lebensdurchmarschierer, die Zeit- und Raumdurchblicker, die Gesetzeskenner und Antwortabonnenten, die unter Weltverstehen nur immer eines meinen: Leben auf der klügeren Seite eines Widerspruchs, dort, wo man sich durch Wahrnehmungen nicht aus der Ruhe einer einzigen Wahrheit bringen lässt. Handke preist das schöne Ereignis, irgendwie unverwendbar (unverwundbar) zu werden fürs Nützliche.
Die deutschsprachige Dramatik ist das Feld der unverwandten Geheimtipps und älter und älter werdenden jungen Autoren. Botho Strauß, Volker Braun, Hans Magnus Enzensberger - wen von den alten Versiegten und Versiegenden könnte man überhaupt noch benennen, mit dem Seufzer: Ach ja, Dramatiker einst, begehrend aufgeführt und weiter und weiter aufgeführt. Und wer überhaupt liest heute noch Bühnenstücke? Dies hier ist kein Stück. Es ist ... ja, was?
Bereits angekündigte Aufführungen (Wien, München) werden das Theater - Handkes bevorzugtes Programm seit jeher - an Grenzen zwingen. Sprache ist hier kein Finden von Worten - nein, Schreiben ist bei Handke: von Wörtern überrascht werden; dem Überraschungswort im nächsten Satz ins Wort fallen; sich hinter einem Komma in Nebensätze verlieren wie in einen Wald; den Seitensträngen eines Gedankens nachgeben; freudig oder verzweifelnd verästelt bleiben; einen Gedankenstrich zu Hilfe holen, ein Semikolon dazwischen gehen sehen und sich wundern, woher plötzlich die Fragezeichen kommen; dann einen Punkt machen - um daraufhin einen Doppelpunkt alles wieder für offen erklären zu lassen. Bewahrungsgefühl. Wanderempfinden.
IM ND-SHOP
Peter Handke: Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße. Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten. Suhrkamp Verlag Berlin. 178 S., br., 20 €.
Kürzlich wollte das
Burgtheater weder bestätigen noch dementieren, ob Peter Handkes neues
Stück in der nächsten Saison in Wien uraufgeführt wird. Nun steht laut
dem deutschen Nachrichtenmagazin Focus auch Datum und Regisseur
für "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße"
fest. Demnach kommt es im Februar 2016 zu einem Comeback von Claus
Peymann.
Der ehemalige Burgtheater-Direktor hat seit der
"Publikumsbeschimpfung" 1966 zahlreiche Handke-Inszenierungen gemacht.
Zuletzt hatte Peymann, der 2017 nach dann 18-jähriger Intendanz die
Leitung des Berliner Ensembles an Oliver Reese abgeben wird, mit
heftigen Attacken gegen die Berliner Kulturpolitik und den neuen
Berliner Kulturstaatssekretär und früheren Musikmanager Tim Renner (SPD)
für Aufsehen gesorgt.
Das bereits in Buchform erschienene neue Theaterstück von Peter
Handke spielt auf einer Landstraße. Auf einer Art Hochsitz hat ein
selbst ernannter Wächter Posten bezogen. Von dort wettert er gegen
"Landstraßenpassanten" und "Landstraßenokkupanten", die ihrer Wege gehen
und damit zornige Wutreden auf sich ziehen. Burgtheater-Direktorin
Karin Bergmann will am 27. April bei einer Pressekonferenz im
Akademietheater ihren Spielplan bekannt geben.
TIPP: Peter Handke: "Die Unschuldigen, ich und
die Unbekannte am Rand der Landstraße - Ein Schauspiel in vier
Jahreszeiten", Suhrkamp Verlag, 20,60 Euro, 178 Seiten
Kürzlich wollte das
Burgtheater weder bestätigen noch dementieren, ob Peter Handkes neues
Stück in der nächsten Saison in Wien uraufgeführt wird. Nun steht laut
dem deutschen Nachrichtenmagazin Focus auch Datum und Regisseur
für "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße"
fest. Demnach kommt es im Februar 2016 zu einem Comeback von Claus
Peymann.
Der ehemalige Burgtheater-Direktor hat seit der "Publikumsbeschimpfung" 1966 zahlreiche Handke-Inszenierungen gemacht. Zuletzt hatte Peymann, der 2017 nach dann 18-jähriger Intendanz die Leitung des Berliner Ensembles an Oliver Reese abgeben wird, mit heftigen Attacken gegen die Berliner Kulturpolitik und den neuen Berliner Kulturstaatssekretär und früheren Musikmanager Tim Renner (SPD) für Aufsehen gesorgt.
Das bereits in Buchform erschienene neue Theaterstück von Peter
Handke spielt auf einer Landstraße. Auf einer Art Hochsitz hat ein
selbst ernannter Wächter Posten bezogen. Von dort wettert er gegen
"Landstraßenpassanten" und "Landstraßenokkupanten", die ihrer Wege gehen
und damit zornige Wutreden auf sich ziehen. Burgtheater-Direktorin
Karin Bergmann will am 27. April bei einer Pressekonferenz im
Akademietheater ihren Spielplan bekannt geben.
TIPP: Peter Handke: "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße - Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten", Suhrkamp Verlag, 20,60 Euro, 178 Seiten
Der ehemalige Burgtheater-Direktor hat seit der "Publikumsbeschimpfung" 1966 zahlreiche Handke-Inszenierungen gemacht. Zuletzt hatte Peymann, der 2017 nach dann 18-jähriger Intendanz die Leitung des Berliner Ensembles an Oliver Reese abgeben wird, mit heftigen Attacken gegen die Berliner Kulturpolitik und den neuen Berliner Kulturstaatssekretär und früheren Musikmanager Tim Renner (SPD) für Aufsehen gesorgt.
TIPP: Peter Handke: "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße - Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten", Suhrkamp Verlag, 20,60 Euro, 178 Seiten
Die Landstraße als letztes Refugium
Ein neuer, vielschichtiger Theatertext von Peter Handke, dem Welterwanderer. Eine Landstraße ist es diesmal, die ihn in einen poetischen Kosmos führt. Von Werner Krause.
"Weiter und weiter mit uns": Peter Handke Foto © APA
Eine Position hat Peter Handke, der, speziell im Theater, längst alle Gattungsgrenzen überschritten hat, in seinem Text klar abgesteckt. Eine „Allerweltslandstraße“ ist der Schauplatz seines neuen Bühnenwerks. Für seinen Stück-Erzähler ist diese Straße anfangs menschenleer, bald aber erfüllt von allegorischen Menschengestalten, „der letzte freie Weg in der Welt, der letzte nichtverstaatlichte, nichtvergesellschaftete, nichtbotanisierte, nichtgegoogelte und nichtprivate Weg auf Erde
Ein neuer, vielschichtiger Theatertext von Peter Handke, dem Welterwanderer. Eine Landstraße ist es diesmal, die ihn in einen poetischen Kosmos führt. Von Werner Krause.
"Weiter und weiter mit uns": Peter Handke Foto © APA
Eine Position hat Peter Handke, der, speziell im Theater, längst alle Gattungsgrenzen überschritten hat, in seinem Text klar abgesteckt. Eine „Allerweltslandstraße“ ist der Schauplatz seines neuen Bühnenwerks. Für seinen Stück-Erzähler ist diese Straße anfangs menschenleer, bald aber erfüllt von allegorischen Menschengestalten, „der letzte freie Weg in der Welt, der letzte nichtverstaatlichte, nichtvergesellschaftete, nichtbotanisierte, nichtgegoogelte und nichtprivate Weg auf Erde
Schutzzone
Diese letzte Schutzzone gilt es zu verteidigen gegen die „Landstraßenokkupanten“, die „Unschuldigen“, die nichts als bodenlos und entwurzelt sind.
Wer mit Handkes Werken vertraut ist, findet darin immer wieder klare Motive des Gehens, des Innehaltens, des Staunens, des Fortbewegens vom Nächsten, des fernen, oft wehmütigen Blicks auf das Naheliegende. Eine Ortlosigkeit, ein Inbild des Verlorengehens, geschildert in vieldeutiger Intensität, die er diesfalls am ehesten mit Samuel Beckett teilt.
Diese letzte Schutzzone gilt es zu verteidigen gegen die „Landstraßenokkupanten“, die „Unschuldigen“, die nichts als bodenlos und entwurzelt sind.
Wer mit Handkes Werken vertraut ist, findet darin immer wieder klare Motive des Gehens, des Innehaltens, des Staunens, des Fortbewegens vom Nächsten, des fernen, oft wehmütigen Blicks auf das Naheliegende. Eine Ortlosigkeit, ein Inbild des Verlorengehens, geschildert in vieldeutiger Intensität, die er diesfalls am ehesten mit Samuel Beckett teilt.
Wer mit Handkes Werken vertraut ist, findet darin immer wieder klare Motive des Gehens, des Innehaltens, des Staunens, des Fortbewegens vom Nächsten, des fernen, oft wehmütigen Blicks auf das Naheliegende. Eine Ortlosigkeit, ein Inbild des Verlorengehens, geschildert in vieldeutiger Intensität, die er diesfalls am ehesten mit Samuel Beckett teilt.
Wortsand und Pflasterköpfe
Aber bei Handke gibt es stets auch den magischen Augenblick, der dem Visionären vorangeht; die Leere, in der alles möglich und weiß der Himmel wie lange schon (und noch) vorhanden ist, Leere, die aufgelesen werden will, die sich, in großer poetischer Strahlkraft, mit Wörtern, Bildern, sich überstürzenden Assoziationen füllt. Ein Traumtanz, ein epischer Schritt, ebenso traumhaft schön im Stück in einem Satz ausgedrückt: „Und ein Fenster tut sich auf im Asphalt.“
Handke wechselt in „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ ständig die Erzählperspektiven. Er pendelt nahtlos vom „Ich, dem Erzähler“, zum „Ich, der Dramatische“, umringt von „Wortführern der Unschuldigen“, auch Häuptling oder gar Capo genannt; er führt in seinem Schauspiel, das zugleich ein sarkastisches, feinsinniges und selbstironisches Spiel des Schauens ist, durch die vier Jahreszeiten und lässt „immer noch Sturm“ walten.
Das Buch
Peter Handke: "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rande der Landstraße". Suhrkamp. 178 Seiten, 20,60 Euro
Ein Sprachmusikstück ist es geworden, im Wechsel von knirschendem Wortsand und hallenden Pflasterköpfen, ein Versuch, zumindest einige Zeit in einem halbwegs intakten Refugium zu verweilen, das, ganz nach Handkes Gabe, doch in einen poetischen Kosmos führt.
Es ist, auch, ein Stück über die Unwegsamkeit der heutigen Zeit, das mit einem Abgesang endet: „Weiter und weiter jetzt mit uns, da, wo es finster ist und die Nacht kalt“. Termin und Ort der Uraufführung sind noch nicht fixiert. Eine Landstraße wäre der schlechteste Schauplatz nicht.
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LOTHAR STRUCK/ KEUSCHNIG'S TAKE AT GLANZ AND ELEND
http://www.glanzundelend.de/Red15/h15/peter-handke-die-unschuldigen-ich-und-die-unbekannte.htm
Am Ende seines »Königsdramas« Zurüstungen für die Unsterblichkeit lässt Peter Handke eine »Raumverdrängerrotte« auftreten, die sich anlässt, die Enklave des Königs Pablo zu usurpieren. Es sind Figuren, die »drachengroß, mit Flügeln« daherkommen, inszeniert von Claus Peymann am Burgtheater in Wien wie Außerirdische. Handke hatte das Stück 1995 unter dem Eindruck des zerfallenden Jugoslawien, seines Arkadiens, geschrieben. Die Enklave – metaphorisch das Land, das Handke das »Neunte Land« nannte, von dem er 1991 bereits Abschied nahm - war hierbei ein Synonym für eine politische Utopie, einer Möglichkeit eines gerechten und friedlichen Zusammenlebens jenseits der »Allerwelt«, die man ein bisschen polemisch, aber nicht ganz falsch mit »globaler Welt« gleichsetzen könnte.
Fast zwanzig Jahre und einige Dramen später ist aus der Enklave nur noch eine Landstraße geworden. Eine Figur, die Ich genannt wird, allerdings in Versalien, um sie nicht doch allzu schnell mit dem Autor zu verwechseln, hat hier ihre letzte Zuflucht gefunden, nachdem alle anderen Refugien verloren sind. Es gibt auch keine Raumverdränger mehr. Stattdessen wird die Straße von »Unschuldigen« bevölkert. Sie machen dem ICH den Raum nicht mehr direkt streitig, aber sie streiten sich mit ihm, oder, genauer: mit den zwei ICHs, dem Dramatiker und dem Erzähler. Zwei Seelen in dieser Brust; sie reden nach-, mit- und teilweise gegeneinander. Zusätzlich gibt es noch einen Doppelgänger vom ICH, der sich in die Unschuldigen eingereiht hat.,,,,,
http://www.glanzundelend.de/Red15/h15/peter-handke-die-unschuldigen-ich-und-die-unbekannte.htm
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Aber bei Handke gibt es stets auch den magischen Augenblick, der dem Visionären vorangeht; die Leere, in der alles möglich und weiß der Himmel wie lange schon (und noch) vorhanden ist, Leere, die aufgelesen werden will, die sich, in großer poetischer Strahlkraft, mit Wörtern, Bildern, sich überstürzenden Assoziationen füllt. Ein Traumtanz, ein epischer Schritt, ebenso traumhaft schön im Stück in einem Satz ausgedrückt: „Und ein Fenster tut sich auf im Asphalt.“
Handke wechselt in „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ ständig die Erzählperspektiven. Er pendelt nahtlos vom „Ich, dem Erzähler“, zum „Ich, der Dramatische“, umringt von „Wortführern der Unschuldigen“, auch Häuptling oder gar Capo genannt; er führt in seinem Schauspiel, das zugleich ein sarkastisches, feinsinniges und selbstironisches Spiel des Schauens ist, durch die vier Jahreszeiten und lässt „immer noch Sturm“ walten.
Handke wechselt in „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ ständig die Erzählperspektiven. Er pendelt nahtlos vom „Ich, dem Erzähler“, zum „Ich, der Dramatische“, umringt von „Wortführern der Unschuldigen“, auch Häuptling oder gar Capo genannt; er führt in seinem Schauspiel, das zugleich ein sarkastisches, feinsinniges und selbstironisches Spiel des Schauens ist, durch die vier Jahreszeiten und lässt „immer noch Sturm“ walten.
Das Buch
Peter Handke: "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rande der Landstraße". Suhrkamp. 178 Seiten, 20,60 Euro
Ein Sprachmusikstück ist es geworden, im Wechsel von knirschendem Wortsand und hallenden Pflasterköpfen, ein Versuch, zumindest einige Zeit in einem halbwegs intakten Refugium zu verweilen, das, ganz nach Handkes Gabe, doch in einen poetischen Kosmos führt.
Es ist, auch, ein Stück über die Unwegsamkeit der heutigen Zeit, das mit einem Abgesang endet: „Weiter und weiter jetzt mit uns, da, wo es finster ist und die Nacht kalt“. Termin und Ort der Uraufführung sind noch nicht fixiert. Eine Landstraße wäre der schlechteste Schauplatz nicht.
Es ist, auch, ein Stück über die Unwegsamkeit der heutigen Zeit, das mit einem Abgesang endet: „Weiter und weiter jetzt mit uns, da, wo es finster ist und die Nacht kalt“. Termin und Ort der Uraufführung sind noch nicht fixiert. Eine Landstraße wäre der schlechteste Schauplatz nicht.
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LOTHAR STRUCK/ KEUSCHNIG'S TAKE AT GLANZ AND ELEND
http://www.glanzundelend.de/Red15/h15/peter-handke-die-unschuldigen-ich-und-die-unbekannte.htm
Am Ende seines »Königsdramas« Zurüstungen für die Unsterblichkeit lässt Peter Handke eine »Raumverdrängerrotte« auftreten, die sich anlässt, die Enklave des Königs Pablo zu usurpieren. Es sind Figuren, die »drachengroß, mit Flügeln« daherkommen, inszeniert von Claus Peymann am Burgtheater in Wien wie Außerirdische. Handke hatte das Stück 1995 unter dem Eindruck des zerfallenden Jugoslawien, seines Arkadiens, geschrieben. Die Enklave – metaphorisch das Land, das Handke das »Neunte Land« nannte, von dem er 1991 bereits Abschied nahm - war hierbei ein Synonym für eine politische Utopie, einer Möglichkeit eines gerechten und friedlichen Zusammenlebens jenseits der »Allerwelt«, die man ein bisschen polemisch, aber nicht ganz falsch mit »globaler Welt« gleichsetzen könnte.
Fast zwanzig Jahre und einige Dramen später ist aus der Enklave nur noch eine Landstraße geworden. Eine Figur, die Ich genannt wird, allerdings in Versalien, um sie nicht doch allzu schnell mit dem Autor zu verwechseln, hat hier ihre letzte Zuflucht gefunden, nachdem alle anderen Refugien verloren sind. Es gibt auch keine Raumverdränger mehr. Stattdessen wird die Straße von »Unschuldigen« bevölkert. Sie machen dem ICH den Raum nicht mehr direkt streitig, aber sie streiten sich mit ihm, oder, genauer: mit den zwei ICHs, dem Dramatiker und dem Erzähler. Zwei Seelen in dieser Brust; sie reden nach-, mit- und teilweise gegeneinander. Zusätzlich gibt es noch einen Doppelgänger vom ICH, der sich in die Unschuldigen eingereiht hat.,,,,,
http://www.glanzundelend.de/Red15/h15/peter-handke-die-unschuldigen-ich-und-die-unbekannte.htm
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Das Schreiben wird ihm erneut Zuflucht
In „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ gibt sich Peter Handke nihilistischer denn je
Schon als junger Mann hat sich Peter Handke entschlossen,
nicht mit all den anderen zu gehen, sondern einen eigenen Weg
einzuschlagen. „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms“ verkündete er
selbstbewusst 1972. Vor den Toren von Paris hat er einen Ort fernab des
Alltäglichen gefunden und schreibt seine Bücher. Eines nach dem anderen.
Ein Einzelgänger, der unbeirrt an seinem Werk festhält. So hatte es den
Anschein. Und jetzt veröffentlicht er im Alter von 72 ein Schauspiel,
das auf einmal alles infrage zu stellen scheint.
Es heißt „Die
Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ und handelt
eben davon: Als „Irrläufer“ haust ein „Ich“ in einem Verschlag an einer
Landstraße. „Die ist der letzte freie Weg in der Welt, der letzte
nichtverstaatlichte, nichtvergesellschaftete, nichtgeografierte,
nichtgeologisierte, nichtbotanisierte, nichtgegoogelte, nichtöffentliche
und nichtprivate Weg auf Erden. Der letzte freie Weg?
Schlicht-und-einfach der letzte Weg.“ Ganz klar, hier ist vom
Schriftstellerdasein die Rede. Spricht das „Ich“ doch mal als
„Ich-Erzähler“, mal als „Ich-Der-Dramatische“. Von jeder „Gläubigkeit“
hat es sich befreit, Freundschaften vertraut es nicht, allenfalls
Nachbarschaft lässt es zu, sehnt sich doch jeder mal nach anderen
Menschen. Ein Eremitendasein führt dieses „Ich“. Allein das Wort
„Mehrzahl“ ist ihm schon ein „Reizwort“. „Und wie erst Mehrheit!“
Nicht
lebens-, aber mehrheitsmüde ist es. Trotzdem sucht es Kontakt zu
anderen, den „Unschuldigen“, wie Handke sie nennt, die auf der Straße
unterwegs sind und das System am Laufen halten. Wenn das „Ich“ mit ihnen
redet jedoch, reden sie aneinander vorbei, oder Nonsens. Zeitlebens hat
das „Ich“ sich auch nach einer „Unbekannten“ gesehnt. Als sie aber vor
ihm steht, erkennt es sie nicht. Enttäuscht sieht dieser „Rabauke der
Stille“ keine Perspektive mehr, verzweifelt an sich und der Welt. „Mein
einziger Feind, nein, nicht Feind: Widersacher, das bin ich selbst,
zeitweise, traumweise.“ Am Ende muss das „Dramatische Ich“ erkennen,
dass sein Weg, ein Irrweg war, es keinen Ausweg gibt aus dieser Welt,
während das „Erzähler Ich“ ein Hoch auf die „Weglosigkeit“ singt.
Handke
hat mit seinen Stücken oft die Grenzen des Spielbaren überschritten.
Mit dem neuen tut er es einmal mehr. Die Regieanweisungen gehen in
Innere Monologe über und werden nur schwer auf die Bühne zu bringen
sein. Gab Handke sich zuletzt in „Die schönen Tage von Aranjuez“ (2012)
und „Bis dass der Tag euch scheidet“ (2009) fast noch als Romantiker und
feierte die Liebe, so ist das neue Schauspiel durch und durch
nihilistisch. Ein „Epos ohne Krieg“, ein „Drama ohne Intrige“, wie es
einmal heißt. Handlung in dem Sinn existiert nicht.
Nun kennt man
das von Handke, der daraus immer wieder sein Thema gesogen hat. Doch er
hat es schon eindrucksvoller getan. Mit griffigeren Sätzen und
treffenderen Gesten. Der Einzelgänger sehnt sich nach Nähe und sucht das
Weite. Das Schreiben wird ihm Zuflucht, zum letzten Weg. Der aber löst
sich im neuen Stück auf, die Desillusionierung ist perfekt. „Weiter und
weiter jetzt mit uns, da, wo es finster ist und die Nacht kalt“, singen
am Ende „Ich-Der-Dramatiker“ und „Ich-Erzähler“ das hohe Lied der
Ausweglosigkeit gemeinsam im Chor und verstummen dann – unisono.
Peter Handke: „Die Unschuldigen, ich u
http://www.suedkurier.de/nachrichten/kultur/themensk/Das-Schreiben-wird-ihm-erneut-Zuflucht;art410935,7741851
In „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ gibt sich Peter Handke nihilistischer denn je
Schon als junger Mann hat sich Peter Handke entschlossen,
nicht mit all den anderen zu gehen, sondern einen eigenen Weg
einzuschlagen. „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms“ verkündete er
selbstbewusst 1972. Vor den Toren von Paris hat er einen Ort fernab des
Alltäglichen gefunden und schreibt seine Bücher. Eines nach dem anderen.
Ein Einzelgänger, der unbeirrt an seinem Werk festhält. So hatte es den
Anschein. Und jetzt veröffentlicht er im Alter von 72 ein Schauspiel,
das auf einmal alles infrage zu stellen scheint.
Es heißt „Die
Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ und handelt
eben davon: Als „Irrläufer“ haust ein „Ich“ in einem Verschlag an einer
Landstraße. „Die ist der letzte freie Weg in der Welt, der letzte
nichtverstaatlichte, nichtvergesellschaftete, nichtgeografierte,
nichtgeologisierte, nichtbotanisierte, nichtgegoogelte, nichtöffentliche
und nichtprivate Weg auf Erden. Der letzte freie Weg?
Schlicht-und-einfach der letzte Weg.“ Ganz klar, hier ist vom
Schriftstellerdasein die Rede. Spricht das „Ich“ doch mal als
„Ich-Erzähler“, mal als „Ich-Der-Dramatische“. Von jeder „Gläubigkeit“
hat es sich befreit, Freundschaften vertraut es nicht, allenfalls
Nachbarschaft lässt es zu, sehnt sich doch jeder mal nach anderen
Menschen. Ein Eremitendasein führt dieses „Ich“. Allein das Wort
„Mehrzahl“ ist ihm schon ein „Reizwort“. „Und wie erst Mehrheit!“
Nicht
lebens-, aber mehrheitsmüde ist es. Trotzdem sucht es Kontakt zu
anderen, den „Unschuldigen“, wie Handke sie nennt, die auf der Straße
unterwegs sind und das System am Laufen halten. Wenn das „Ich“ mit ihnen
redet jedoch, reden sie aneinander vorbei, oder Nonsens. Zeitlebens hat
das „Ich“ sich auch nach einer „Unbekannten“ gesehnt. Als sie aber vor
ihm steht, erkennt es sie nicht. Enttäuscht sieht dieser „Rabauke der
Stille“ keine Perspektive mehr, verzweifelt an sich und der Welt. „Mein
einziger Feind, nein, nicht Feind: Widersacher, das bin ich selbst,
zeitweise, traumweise.“ Am Ende muss das „Dramatische Ich“ erkennen,
dass sein Weg, ein Irrweg war, es keinen Ausweg gibt aus dieser Welt,
während das „Erzähler Ich“ ein Hoch auf die „Weglosigkeit“ singt.
Handke
hat mit seinen Stücken oft die Grenzen des Spielbaren überschritten.
Mit dem neuen tut er es einmal mehr. Die Regieanweisungen gehen in
Innere Monologe über und werden nur schwer auf die Bühne zu bringen
sein. Gab Handke sich zuletzt in „Die schönen Tage von Aranjuez“ (2012)
und „Bis dass der Tag euch scheidet“ (2009) fast noch als Romantiker und
feierte die Liebe, so ist das neue Schauspiel durch und durch
nihilistisch. Ein „Epos ohne Krieg“, ein „Drama ohne Intrige“, wie es
einmal heißt. Handlung in dem Sinn existiert nicht.
Nun kennt man
das von Handke, der daraus immer wieder sein Thema gesogen hat. Doch er
hat es schon eindrucksvoller getan. Mit griffigeren Sätzen und
treffenderen Gesten. Der Einzelgänger sehnt sich nach Nähe und sucht das
Weite. Das Schreiben wird ihm Zuflucht, zum letzten Weg. Der aber löst
sich im neuen Stück auf, die Desillusionierung ist perfekt. „Weiter und
weiter jetzt mit uns, da, wo es finster ist und die Nacht kalt“, singen
am Ende „Ich-Der-Dramatiker“ und „Ich-Erzähler“ das hohe Lied der
Ausweglosigkeit gemeinsam im Chor und verstummen dann – unisono.
Peter Handke: „Die Unschuldigen, ich u
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Kampf gegen die „Landstraßenokkupanten“: Neues Stück von Peter Handke
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Anders als in „Warten auf Godot“, in dem der Erwartete nie auftaucht, bekommt es hier der selbst ernannte Wächter mit jeder Menge Personenverkehr zu tun. Nahezu der gesamte Rest der Menschheit scheint in den „Unschuldigen“ verkörpert, die als „Landstraßenpassanten“ und „Landstraßenokkupanten“ ihrer Wege gehen und damit ins Visier des „Ich“ geraten, der nicht nur zur zorniger Wutrede, sondern gegenüber Frauen, die „bildschön“ oder mit „Koloraturlachen“ ausgestattet sein können, auch zu brutalen Tätlichkeiten imstande ist.
Das daherkommende „Pack! Doppelpack! Tetrapack!“ missfällt dem Wächter, den Handke als „eine Mittelgestalt zwischen Caliban und Prospero, ein Monstrum, ein Irrer, ein Tier und zugleich ein Zauberer“ sieht. Er versucht die übrigen Menschen zu verscheuchen: „Beim Himmel: Geht woanders. Woanders als hier auf meiner alten Landstraße. Die ist der letzte freie Weg in der Welt, der letzte nichtverstaatlichte, nichtvergesellschaftete, nichtgeologisierte, nichtbotanisierte, nichtgegoogelte, nichtöffentliche und nichtprivate Weg auf Erden.“
„Du bist der geborene Monolog“, bekommt er dagegen vom „Wortführer“ der „Unschuldigen“ entgegnet. Das Stück mündet in einen längeren Dialog mit einem „Häuptling“, der sich als alter Nachbar des „Ich“ entpuppt. Die immer wieder aufs Neue geführte Auseinandersetzung zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft ist auch diesmal unter anderem ein Kommunikationsproblem. „Du suchst Bedeutung um Bedeutung. Sinn um Sinn, hier auf der weltverlassenen Straße“, meint der Häuptling. „Im Gegenteil. Die letzte Bedeutungslosigkeit. Die ultimative Sinnfreiheit“, entgegnet ihm das „Ich“.
Und dann? „Ende offen, alles offen.“ Und: „Leb wohl und Verzeihung, liebe Landstraße.“ Damit das Ganze nicht einfach sang- und klanglos aufhört, schlägt der „Ich-Erzähler“ einen Schlusseffekt vor: „Habe ich uns, haben wir uns am Ende, als Ende, nicht ein Donnerwetter verdient? Blitz um Blitz an allen Horizonten. Oder gar ein Nordlicht. Oder einen Blizzard. Oder wenigstens einen Schnee-Regen-Bogen?“ Fest steht: Nicht nur das Ende wird eine Herausforderung für den Regisseur bzw. die Regisseurin der Uraufführung. Nach APA-Informationen dürfte diese am Burgtheater stattfinden.
(S E R V I C E - Peter Handke: „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße - Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten“, Suhrkamp Verlag, 20,60 Euro, Klappenbroschur, 178 S., ISBN: 978-3-518-42472-8)
Wien (APA) - Das neue Theaterstück von Peter Handke ist
eben in Buchform erschienen - und nicht nur der Titel ist ein wenig
kompliziert: „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der
Landstraße - Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten“. Im Mittelpunkt steht
ein doppeltes „Ich“, im Wechsel zwischen „Ich, Erzähler“ und „Ich, der
Dramatische“. Es geht - literarisch anspielungsreich - um alles oder
nichts.
Nach dem Platz in dem 1992 uraufgeführten Stück „Die Stunde da
wir nichts voneinander wußten“, in dem sich das Kommen und Gehen von
Menschen zu einem Welttheater fügte, ist nun eine Landstraße der Ort des
sich zwischen dem „Frühling meines Mißvergnügens“ und dem „Winter
meines Erzvergnügens“ entfaltenden Geschehens. Am Rande der Straße,
installiert auf einer Art Hochsitz, der ein Überrest einer Busstation
ebenso sein könnte wie die Ruine einer öffentlichen Bedürfnisanstalt,
hat der Wegelagerer seinen Posten bezogen, „heimgekehrt hier an die alte
Straße, in die andere Zeit. Das Epos ohne Krieg. Das Drama ohne
Intrige.“Anders als in „Warten auf Godot“, in dem der Erwartete nie auftaucht, bekommt es hier der selbst ernannte Wächter mit jeder Menge Personenverkehr zu tun. Nahezu der gesamte Rest der Menschheit scheint in den „Unschuldigen“ verkörpert, die als „Landstraßenpassanten“ und „Landstraßenokkupanten“ ihrer Wege gehen und damit ins Visier des „Ich“ geraten, der nicht nur zur zorniger Wutrede, sondern gegenüber Frauen, die „bildschön“ oder mit „Koloraturlachen“ ausgestattet sein können, auch zu brutalen Tätlichkeiten imstande ist.
Das daherkommende „Pack! Doppelpack! Tetrapack!“ missfällt dem Wächter, den Handke als „eine Mittelgestalt zwischen Caliban und Prospero, ein Monstrum, ein Irrer, ein Tier und zugleich ein Zauberer“ sieht. Er versucht die übrigen Menschen zu verscheuchen: „Beim Himmel: Geht woanders. Woanders als hier auf meiner alten Landstraße. Die ist der letzte freie Weg in der Welt, der letzte nichtverstaatlichte, nichtvergesellschaftete, nichtgeologisierte, nichtbotanisierte, nichtgegoogelte, nichtöffentliche und nichtprivate Weg auf Erden.“
„Du bist der geborene Monolog“, bekommt er dagegen vom „Wortführer“ der „Unschuldigen“ entgegnet. Das Stück mündet in einen längeren Dialog mit einem „Häuptling“, der sich als alter Nachbar des „Ich“ entpuppt. Die immer wieder aufs Neue geführte Auseinandersetzung zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft ist auch diesmal unter anderem ein Kommunikationsproblem. „Du suchst Bedeutung um Bedeutung. Sinn um Sinn, hier auf der weltverlassenen Straße“, meint der Häuptling. „Im Gegenteil. Die letzte Bedeutungslosigkeit. Die ultimative Sinnfreiheit“, entgegnet ihm das „Ich“.
Und dann? „Ende offen, alles offen.“ Und: „Leb wohl und Verzeihung, liebe Landstraße.“ Damit das Ganze nicht einfach sang- und klanglos aufhört, schlägt der „Ich-Erzähler“ einen Schlusseffekt vor: „Habe ich uns, haben wir uns am Ende, als Ende, nicht ein Donnerwetter verdient? Blitz um Blitz an allen Horizonten. Oder gar ein Nordlicht. Oder einen Blizzard. Oder wenigstens einen Schnee-Regen-Bogen?“ Fest steht: Nicht nur das Ende wird eine Herausforderung für den Regisseur bzw. die Regisseurin der Uraufführung. Nach APA-Informationen dürfte diese am Burgtheater stattfinden.
(S E R V I C E - Peter Handke: „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße - Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten“, Suhrkamp Verlag, 20,60 Euro, Klappenbroschur, 178 S., ISBN: 978-3-518-42472-8)
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Inhalt
Ein neues dramatisch-erzählendes Theaterstück – nach Immer noch Sturm
»Bei dem Ort habe ich an Griffen gedacht, wo ich herkomme, an die Straße, die nach Süden, in ein Dorf namens Ruden, führt. … Im Stück ist die Straße außer Betrieb, ein Wächter sitzt dort, es ist sein Reich, keiner darf dort hinein. Die Unschuldigen kommen daher, sind unschuldig, machen jedoch einen Haufen Scheiß. Es sind nicht die alten Bösewichte, die alles absichtlich machen, sondern sie wissen nicht, was sie tun, wie Jesus sagt: Herr, verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun! Ich bin eher der Meinung: Herr, verzeih ihnen nicht! Es gibt jedenfalls Konfrontationen der Figuren, ganz lustige, scharfe und traumhafte, wie es meine Art ist. Dann geht es ordentlich los, aber dann höre ich wieder auf, weil ich finde, es nicht interessant, nur draufzuschlagen. …
Der Held heißt ›Ich‹, er ist eine Mittelgestalt zwischen Caliban und Prospero, ein Monstrum, ein Irrer, ein Tier und zugleich ein Zauberer. Es gibt auch zwei Frauen in dem Stück, die ›Unbekannte‹ und die ›Andere‹, diese ist ein bisschen wie Lady Macbeth. Sie ist die Frau des Anführers der Unschuldigen, letzten Endes schreit sie vorlauter Jammer, aber sie geht nicht zugrunde, sie geht nur weg.«
http://www.suhrkamp.de/buecher/die_unschuldigen_ich_und_die_unbekannte_am_rand_der_landstrasse-peter_handke_42472.html
»Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße«.
Im November bekommt Handke die Fahnen für sein neues Stück »Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße«. Dann wird noch ein bisschen gefeilt und im Frühjahr kommt es dann heraus. »Und dann ans Epische?«, will ich wissen. Vielleicht, sagt er, aber das Herz. »Mit 70 kommt das Alter«, dann merke man es. http://www.glanzundelend.de/ Artikel/abc/h/peter-handke- begebnung-lothar-struck.htm
Peter Handke hat ein neues Theaterstück in den "Rohzustand" gebracht, so, "dass ich sagen kann, es ist nicht nichts". Das gibt der österreichische Weltliterat in einem Gespräch für die morgen erscheinende NEWS-Ausgabe bekannt. Zeit und Ort der Uraufführung stehen noch nicht fest. Handke: "Es geht um einen Menschen, der an der Landstraße sitzt – am letzten Ort, der auf der Welt noch frei ist. Wo man noch etwas erleben kann, was nicht von Bedeutung, Symbol, Zwang und System erfüllt ist. Es heißt ,Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße.’ Ein Drama in vier Jahreszeiten. ,Ich’ ist die böseste Version meines schizoiden Ichs."
http://www.news.at/a/peter- handke-neues-stueck-theater
Auf die Nachricht von der Entlassung der Burgtheater-Vizedirektorin Silvia Stantejsky reagiert Handke erschrocken mit einem vermutlich präzise diagnostischen Satz: „Sie war immer so zugänglich. Als ob sie zaubern konnte, hatte ich manchmal den Eindruck.“
Anlass des Gesprächs ist die bevorstehende Premiere der dramatisierten Erzählung "Wunschloses Unglück" im Burgtheater-Kasino. Handke überrascht mit einer sachten Distanzierung vom berühmten Text über den Selbstmord seiner Mutter: „Es ist manchmal arg zugespitzt. Manche Formulierungen sind arg plakativ. Dass ein Frauenleben in dieser Gegend von vornherein verurteilt gewesen wäre, wenn man als Frau einen größeren Traum hatte: Das kann ich nicht aufrecht erhalten. Aber der Untergrund, wie ich vom Bedenken ins Erzählen komme, ist, glaube ich, wahrhaftig. Es war ja zwei Monate nach dem Tod meiner Mutter und ist immer von Schmerz begleitet. Deshalb ist das Plakative auch nicht unstatthaft.“
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Sie sind die Strafe und ihr Grund
Claus Peymann inszeniert am Burgtheater das neue Stück von Peter Handke. Ist das wirklich das Theaterereignis des Jahres? Es herrscht jedenfalls herzhafte Endzeitstimmung. gekündigt war das Theaterereignis des Jahres: Claus Peymann, 78, inszeniert das neue Stück von Peter Handke, 73, am Burgtheater, 239 Jahre alt. „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ ist Peymanns fünfte Handke-Uraufführung an der Burg und seine zehnte Handke-Inszenierung, seitdem er in Frankfurt die „Publikumsbeschimpfung“ uraufgeführt hat. Das war 1966. Damals war die Welt noch jung.
Heute erscheint sie Handke alt, verbraucht, vermüllt, verschlissen. Der Dichter ist in Endzeitstimmung, fühlt sich aber nicht mehr recht wohl dabei. Denn das geht nun lang schon so. Apokalypsenmüdigkeit macht sich breit. Ein letzter Rückzugsort ist seiner poetischen Sehnsucht geblieben. Das ist der Schauplatz seines neuen Stücks: die vergessene, entlegene, unbefahrbar gewordene Landstraße, die alte, die „liebe“ Landstraße, die nirgendwo herkommt und nirgendwo hinführt. Sie ist das ewige Versprechen auf Aufbruch wie Ankunft, ein öder Ort des Durchgangs, der nur darauf wartet, bespielt zu werden, der leere poetische Ort an sich, der nichts ist, aber zu allem werden kann: Lears Heide, Prosperos Insel, Calibans Höhle, Godots möblierte Einzimmerwohnung.
Der Dichter will „in die andere Zeit“
Hier will es sich einer gemütlich machen, will einfach nur „Menschenkind“ sein und heimkehren „in die andere Zeit“, ein Zivilisationsflüchtling, der ungemütlicherweise gespalten ist: in „Ich, der Erzähler“ und „Ich, der Dramatische“. Als Handkes Stück vor einem Jahr als Buch veröffentlicht wurde, sah man einen grantelnd alt gewordenen Prospero vor sich. Jetzt steht der junge, noch nicht vierzigjährige Christopher Nell auf der Vorderbühne des Burgtheaters und fordert vor zunächst noch zugezogenen schwarzen Vorhängen zum Träumen auf: „Verbindlich!“ Wenigstens in seinen Träumen will er Gesellschaft haben, und wie in „Immer noch Sturm“, Handkes ungleich stärkerem Familien- und Geschichtsdrama von 2010, braucht auch dieser gespaltene Erzähler Gegner ebenso wie Mitspieler, Mitträumer: „Ohne euch kein Spiel. Wer spielt mit mir? Kommt wieder“, hieß es damals. Jetzt sehnt er sich die „Unschuldigen“ herbei. Sie sollen ihn unterhalten, erlösen, begehren und bewundern, sollen Spielkameraden sein, Gefährten, Gegner und Kanonenfutter für seine Missmutssalven.
© REUTERSNun sag, wie hast du’s mit dem Dichter? Christopher Nell (links) und Martin Schwab in Peymanns Aufführung.
Die Unschuldigen sind die Strafe und ihr Grund: Sie bilden die Mehrheit, die das Land überfällt wie eine „Pandemie“, und mit ihrem Mehrheitsgeschmack und ihrer Mehrheitsvernunft sind sie an allen Übeln schuld außer an einem: dass sie in der Mehrheit sind. Aber auch dies kann ihnen nicht vergeben werden: „Es ist schrecklich schmerzlich, lebendig und zugleich mit den Falschen zu sein, umzingelt von Falschen. Ein einziger von euch genügt, und er umzingelt mich.“
Rumpelstilz in Schlabberhosen
So spricht Handkes Erzähler, ein Kinds- und Rappelkopf, der schmollt, schmilzt und wütet. Christopher Nell spielt ihn als schizoid gestörten Jungeremiten mit Allmachtsphantasien und Herrscherallüren, ein rumpelstilzendes Übermenschlein in Schlabberhosen, halb gutmütiger Tippelbruder, halb Amokläufer in Wartestellung, eine Mischung aus Eichendorffschem Taugenichts und Scorseses Travis Bickle. Am Berliner Ensemble war Nell Robert Wilsons Mephistopheles und Leander Haußmanns Hamlet. Jetzt ist er Peymanns Wiener Taxi Driver der Landstraße.
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Seine Behausung hat ihm der große Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann gebaut: einen vergammelten Unterstand, die Überreste einer Bushaltestelle oder einer Viehtränke. Zu Beginn des Abends stößt das Gerümpelhüttlein von unten durch den Bühnenboden. Das ist der Auftakt für Peymanns Springteufel-Regiekonzept: Erst passiert lange Zeit gar nichts, und wenn dann was passiert, sollen alle fröhlich „hoppla!“ rufen. Rufen sie aber nicht. Die Windmaschine, die ungefähr genauso häufig zum Einsatz kommt wie die Vogelstimmen vom Band, bläst nicht nur Blätter, Asche und Müllfetzen, sondern auch das nicht mehr ganz frische Aroma der neunziger Jahre auf die Bühne. Margit Koppendorfers Kostüme sind von ausgesuchter Einfallslosigkeit, und selbst Karl-Ernst Herrmanns Bühnenbild, das leicht gekippt Richtung Zuschauerraum fällt, ist nicht viel mehr als funktional. „Hexhex“, ruft Nell, der über eine glockenhelle Singstimme verfügt, als ein prächtiger Magiermantel vom Schnürboden für ihn herabfährt, aber viel mehr Zauber ist nicht.
Die Wut entlädt sich an den Frauen
Das Reizvolle an Handkes neuem Stück ist die spielerische Ironie, mit der alles Gesagte sofort relativiert, zurückgenommen oder gebrochen wird. Das Unbehagliche an diesem Text ist die untergründig pulsierende Aggression gegen die Eindringlinge, die „Unhiesigen“, die fremd sind im Reich der poetischen Weltbetrachtung und darum am besten sofort davongejagt werden sollten. Die Wut entlädt sich vor allem an den Frauenfiguren, zumal an der „Unbekannten“, einer weiteren Lohnsklavin in den Bergwerken der Handkeschen Erlösungsphantasien. Nell wirft Regina Fritsch zu Boden, tritt ihr in die Magengrube, setzt ihr in Großwildjägerpose den Fuß auf den Leib. Dann schwebt sie davon, lächelnd, winkend und lässt ein schuldbewusstes Rumpelstilzchen des Selbsthasses zurück.
© DPAHarmonie sieht anders aus: Maria Happel, Martin Schwab und Christopher Nell (rechts) in „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“.
Aus anderem Holz ist die Wortführerin der Unschuldigen geschnitzt. Maria Happel gibt sie als Lady Macbeth der Landstraße, die sich mit höhnischem Koloraturlachen über den Erzähler lustig macht. In einer der stärksten Szenen des Abends mischt sich unter ihr virtuoses Gelächter ein böses Husten: krampf-, schnapp- und sticklachend fällt Maria Happel tot um, streckt alle viere von sich, in die dann doch noch einmal ein Gift-, Galle- und Geiferstromstoß fährt, und lebt weiter. Die Unschuldigen sind auch die Unsterblichen.
Zu einer Annäherung zwischen dem Einzelnen und dem Kollektiv kann es nur über den „Häuptling“ kommen. Martin Schwab spielt ihn mit Pferdeschwanz und knöchellangem Staubmantel als klugen Macher. In der rührseligsten Szene des Stücks sitzen die beiden einander gegenüber, graben gemeinsame Kindheitserinnerungen aus und werden darüber versöhnlicher, als sich ertragen lässt, bis Maria Happel sie zurechtrüttelt und an ihren Mänteln aneinanderknöpft, als wären sie aneinandergeschmiedet wie Tasso und Antonio. Und tatsächlich gleicht Handkes gespaltene Erzählerfigur einem Tasso, der im prächtigen Lustschloss Belriguardo eingeschlafen ist, um in einem lausigen Einkaufszentrum in den Pariser Banlieues wieder aufzuwachen. Was ihn dort erwartet und zur existentiellen wie poetologischen Qual wird, ist ein nicht ganz neues Problem. Es betrifft Handke und seinen Erzähler, aber auch manch anderen, etwa Linus von den „Peanuts“, der es in schlichten, geradezu unschuldigen Worten zu sagen wusste: Er liebe die Menschheit, aber Leute könne er einfach nicht ausstehen.
29.02.2016, von HUBERT SPIEGEL, WIEN
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\Einer gegen den Rest der Welt
„Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ heißt das neue Stück Peter Handkes. In Claus Peymanns umjubelter Inszenierung am Wiener Burgtheater ist es eine drei Stunden währende Hommage an Poesie und Fantasie.
Wien - Da kommt einer und entwirft eine Welt. Wie von grober Zauberhand werden Versatzstücke einer gammeligen Bushaltestelle in den Raum geschubst, Stangen, verbeulte Mülleimer; der Boden tut sich auf und speit Krimskrams aus, eine Tonne, Bretter. Mit schwungvoller Geste zeichnet ein Mann eine weiße Linie auf den Boden, voilà, die Landstraße. Das Ich ist also schon mal da und die Landstraße. Die Unschuldigen und die Unbekannte, die fehlen noch, bis Peter Handkes jüngste Fantasie komplett in Bühnenrealität (Karl-Ernst Herrmann) umgesetzt ist.
Mit einem Simsalabim, einem leichthändigen Theaterkommentar beginnt Claus Peymanns Uraufführung von „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ am Samstag im Wiener Burgtheater. Es ist Peymanns elfte Handke-Uraufführung seit der „Publikumsbeschimpfung“ 1966 in Frankfurt, die zugleich die erste Aufführung eines Handke-Stücks überhaupt war. Und 17 Jahre sind vergangen, seit der jetzige Chef des Berliner Ensembles an seiner früheren Wirkungsstätte ein Stück des österreichischen Autors auf die Bühne gebracht hat. Nicht immer wurde er für diese Inszenierungen geliebt. Nun nach drei Stunden: Nicht enden wollender Applaus für den texttreu inszenierenden Regisseur, für den Hauptdarsteller Christopher Nell. Und für den Autor, der immer auch auf die Kunst im Kunstwerk verweist, dem Zweifel, dem Unsagbaren nachlauscht.
Keine Rückkehr in Zorn für Claus Peymann
Damals war’s ein Wagnis, Handke aufzuführen, heute ist es keines mehr. Das Nichtwahrgenommen-Werden, das Missachtet-Werden von der Menge, das der Ich-Figur im aktuellen Stück zunächst widerfährt, ist etwas, das beide Künstler hinter sich haben.
Keine Rückkehr im Zorn also. Aber: Immer noch Sturm? Eher Verwirbelungen, auch Windstille. Nicht, weil es ein „Drama ohne Intrige“ ist, wie es im Text heißt. Peymann geht es einfach nicht um konkrete Seitenhiebe, Sticheleien. Er mildert, streicht konkrete Verweise auf Zorn von heute und gestern. Der Grundton variiert wenig, ist von klarem Dur bestimmt.
Die Unschuldigen, denen das Ich auf der Landstraße begegnet und die natürlich alles sind außer unschuldig, bleiben trotz knallfarbiger Kostümierung blass. Claus Peymann besänftigt aber vor allem die Ichfigur. Christopher Nell spielt den Clown. Ein Tramp in Pluderhosen, ein bisschen Chaplin, ein bisschen Buster Keaton, ein bisschen Dostojewskis „Idiot“, ein romantischer Taugenichts, gesellschaftliche Randfigur. Reine, Körper gewordene Literatur – großartig. Doch eben auch ein bisschen harmlos: Ein künstliches, sympathisches Wesen, ständig Schultern zuckend, mit den Armen rudernd, sich wundernd über alles und jeden. „Du liebe Zeit. Liebe Zeit? Ach, Leute. Leute? Liebe? Ach. Der Wind weht, wo er will? Schön wär’s. Schon war’s. ’s war einmal.“
Keine Bitterkeit, kein Hass. Selbst wenn er andere schmäht. „Ich möchte ja teilen, aber nicht mit euch Unschuldigen, euch Ahnungslosen, euch Unumgänglichen. Nicht mit euch, bei denen ständig was los ist, nicht mit euch, die ihr, kaum dass ihr auf zwei Beinen steht und die ersten Schritte tut, schon diabolisch zielbewusst seid.“ Er redet sich nicht in Rage, wirkt drollig wie ein altkluges Kind.
Noch einmal wird die gute alte Postmoderne gefeiert
Bei aller Leichtigkeit stellt sich allmählich Erdenschwere ein, wenn die Haltung des Ich zur Welt problematisch wird. Noch ist die Figur allein auf ihrer Landstraße, sehnt sich nach den anderen. Allerdings nicht nach denen, die da kommen. Die dauernd lachen, telefonieren, lärmen. Die freundliche Rolle, die das Ich sich selbst zuschreibt, kann es nicht erfüllen, weil die anderen ein Eigenleben entwickeln. Und seine Wortliebe nicht teilen, Erzählungen abschätzig kommentieren: „Kennen wir schon.“
Einer immerhin, Martin Schwab, Anführer der Unschuldigen, der mit zwei angesteckten Federn zum Häuptling wird, taugt zum Verbündeten. Bis eine Frau (Maria Happel) dazwischen geht: „Ein Rappelkopf! Einer, der alle und alles umarmen möchte – aber nur, wenn niemand da ist!“ Und auch die Unbekannte (Regina Fritsch), die er ersehnt und verfehlt, versetzt ihm, wie in der Regieanweisung gewünscht, „eine Art Stirnstoß, ihre Stirn gegen meine, so stark, dass es durch die ganze Landstraßengegend schallt“. Martin Schwab, Stimme des Pragmatismus, unterstellt dem immer müder und planlos ins Nichts blickenden Ich: „Du suchst Bedeutung um Bedeutung. Sinn um Sinn, hier auf der weltverlassenen Straße.“ Doch der stellt klar: „Im Gegenteil. Die letzte Bedeutungslosigkeit. Die ultimative Sinnfreiheit.“ Verfahrene Situation auf der Landstraße, der Kunst. „Nichts da. Kein Ende.“ Kein Ausweg, kein Weg. „Aporie, die Ausweglosigkeit.“ Das dramatische Ich kann nicht enden, muss aber doch. Handke bietet mehrere Schlüsse an. Freundliches Lebewohl, Theaterdonner, singender Gruß zum Abschied – „Ach ja. Ach, ja“. Lauter falsche Schlüsse. „Aber warum dieses Drama nicht enden mit der Öffnung hin zum Erzählen? Es handelt sich doch um keine Tragödie, nach der zuletzt alle verstummen. Ende offen, alles offen. Es ist freilich wahr: ich bin kein Mensch des Dramas.“
So wird noch einmal die gute alte postmoderne Philosophie gefeiert. Kein Ende, weil es nichts zu beenden gibt, kein konkretes Thema. Das Umkreisen einer Möglichkeit einer Geschichte, einer Liebe, eines Lebens ist prinzipiell unabschließbar. Und das macht ja einen Reiz aus des Stücks, dass man sich fragt, welche Geschichte sich da auftun könnte, und dass sich einer erlaubt, in Flüchtigkeit zu schwelgen und natürlich auch davon zu erzählen, dass die Unschuldigen, die Mehrheit wohl doch nicht immer wirklich unschuldig sind. Ein Stück frei von Theatermoden und Wünschen der Kommunalpolitik an dasTheater.
Ein Gedicht über Figuren, die nicht wissen, was sie auf der Welt zu suchen haben. Ein Abend, der nicht fliegt, aber sanft über der Erde schwebt und die Sinnlosigkeit in Worte zu fassen versucht. Gerade so als wollte man einen Leuchtkäfer fangen in der Hoffnung, er möge in der Hand weiterleuchten. Peymann, an diesem Abend milde lächelnd, zeigt: das Ich, der Künstler, gilt den Unschuldigen als Idiot, weiß aber, die Welt ist noch idiotischer.
Weitere Aufführungen am 29. Februar, 6., 19. und 20. März, 1. und 2. April; Tickets unter: www.burgtheater.at.
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