http://handke-drama.blogspot.com/2014/10/die-unschuldigen-ich-und-die-unbekannte.html
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https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=15349:die-unschuldigen-ich-und-die-unbekannte-am-rande-der-landstrasse-philipp-preuss-geht-mit-peter-handke-im-staatstheater-braunschweig-spazieren&catid=38&Itemid=40
Braunschweig, 4. Mai 2018. Man muss, bevor man arglos in das dreieinhalbstündige Textbrett geht, das "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rande der Landstraße" im Staatstheater Braunschweig ist, ein wenig Handke-Trivia in den Rucksack packen. Erstens, dass Peter Handke ein Spielkind ist, das Worte wie Legoklötzchen zu in den Himmel ragenden Turmbauten stapelt. Zweitens, dass Peter Handke ein großer Spaziergänger ist, kein Stadtflaneur, sondern einer, der regelmäßig die spanische Sierra de Gredos durchstreift, den Kosovo oder auch nur die Wälder in der Nähe seiner Wohngegend bei Chaville und während des Gehens die meisten seiner Texte – wie auch immer das funktionieren mag – schreibt. Und drittens, dass jeder Text von Peter Handke ein Ausflug in das Ego von Peter Handke ist.
In "Die Unschuldigen..." erscheint also zunächst – aus dem Dunkel heraus – ein Erzähler-Ich, das durch sein Sprechen, wie der Adam der Bibel, der den Tieren einen Namen gab, erst einmal das Bühnenbild erschaffen muss: Die Landstraße, die in Braunschweig ein leicht angeschmauchter White Cube aus Stoff ist, die paar Äste, die dazwischen herumliegen, ein verrosteter Golf, der sich im Laufe der Inszenierung drehen und vermittels der Spiegelchen an den Kotflügeln in eine Discokugel verwandeln wird.
Rollkoffer und Rucola
Und dann beginnt er, der Ich-Monolog, der im Grunde kaum eine
Handlung hat und keine Struktur, außer dass er in Frühling, Sommer,
Herbst und Winter eingeteilt ist. Ein episches Ich und ein dramatisches
Ich, gespielt von insgesamt zwei Schauspielerinnen und drei
Schauspielern, liegen zunächst im Widerstreit. Zu dem fröhlichen Reigen
gesellt sich ein Souffleur, der als Pilz verkleidet auf der Bühne steht.
Man einigt sich, dass die unbefahrene Landstraße etwas besonderes ist -
"An diesem Platz bin ich zuhause, mehr als irgendwo sonst". Alsbald
kommen – es ist mittlerweile Sommer – die Unschuldigen vorbei, die
"Unschuldsteufel" mit ihren Rollkoffern und ihrem Rucola und ihrem
ständigen – aus den Lautsprechern eingespieltem – Handygebimmel, von
denen eines der Ichs sagt: "Niemand von euch sinnt auf Böses, ihr seid
einfach nur da, da und wieder da" – die Bedrohung von außen, die
versucht, die Landstraße ihrem Wächter, dem Ich, zu entreißen.Der Herbst dann ist die Nostalgie, die Blätter verwehen, Erinnerungen und Streitgespräche steigen auf: Soll die Landstraße erschlossen werden? Oder nicht? Was ist ihr Wert? Doch auch das: Die Ideologie der Unschuldigen: "Mit euch und durch euch ist der Teufel los", heißt es, und: "Es lebe das Unnütze." Im Winter schließlich bedeckt der Schnee alles, die Ichs übergießen sich mit schwarzer Flüssigkeit und werden zu Schatten ihrer selbst, die Unbekannte – ein mythisches Überwesen, eine erlösende Frau, welche die Ichs in die Lage versetzen soll, die Welt gesunden zu lassen –, verschwindet in ihrer eigenen Unmöglichkeit, und die Schauspieler und Schauspielerinnen gehen ab – während ihre Schatten hinten am White Cube weiter agieren, bis das Licht ausgeht.
Schnee, der auf Discokugelautos fällt
Selbstverständlich lässt sich "Die Unschuldigen..." so einfach nicht
nacherzählen. Da ist einmal Handkes sperrige Sprache, oft ein Spiel mit
Zitaten und Wendungen, die manchmal geradezu brachial bürgerlich als
solche enttarnt werden. Da sind hunderterlei Ansätze zu
Gesellschaftskritiken und endlose Meta-Schleifen: Text, der den Text
kommentiert, Text, der die Bühne und die Ichs erst einmal entstehen
lässt, die aber wiederum den Text sprechen, der wieder etwas anderes
entstehen lässt. Sprechen als performativer Akt, aber immer auch als
Schöpfungsakt, der sich seiner selbst als solcher bewusst ist – sonst
könnte es ja kein Schöpfungsakt sein. Und dann ist da selbstverständlich
noch das Bühnengeschehen von Philipp Preuss'
Inszenierung, die Blätter und der Nebel, die durch den Herbst wallen,
der Schnee, der auf das Discokugelauto fällt, der Text, der im Auto
gesprochen wird, während es sich um die eigene Achse dreht und Muster
auf den White Cube wirft, das Geschehen im Auto, das wiederum gefilmt
und riesig groß auf die hintere der Stoffbahnen geworfen wird. Das alles
wiederum einerseits gekleidet in den großen Witz, der sich durch
Handkes Wortspielereien und die lustvollen Überspielereien des Ensembles
ergibt (allen voran Felix Römer, der bei Jack Nicholson in die Schule
des wahnsinnig Grinsens gegangen zu sein scheint). Durch alles das spaziert das Spielkind Handke fröhlich hindurch und landet bei – wie er selbst das mal in einem Interview formuliert hat – seinem bewährten Rezept beziehungsweise seinem Ego: "Ich sammele ganz stumpfsinnig Einzelheiten, von denen ich glauben muss, dass sie nicht meine Einzelheiten, sondern allgemeine Einzelheiten sind, und die fingiere ich dann zu einer Art Geschichte." Die in "Die Unschuldigen..." zumindest dramaturgisch ausweglos ist, aber mit einem lapidaren "Damit finden wir auch kein Ende für dieses Theater" dann doch, kurz bevor alle sich in Schatten auflösen, mehr oder weniger beendet wird.
Raum für die Sprache
Die Uraufführung des Textes am Wiener Burgtheater
stieß 2016 auf eher gemischte Kritik. Einige Kritiker bemängelten die
Donnerigkeit der Inszenierung, ihre vielen und störenden Effekte, andere
die fehlende Struktur des Textes. Preuss lässt in Braunschweig in
seinem White Cube jedenfalls der Sprache viel Platz, und beschränkt sich
auf einige wenige, aber dafür bald altvertraute Effekte, wie die
Projektion, das sich drehende Auto oder die schwarze Flüssigkeit, mit
der sich die Figuren übergießen. Und das lohnt sich: Auch, wenn die
dreieinhalb Stunden durchaus eine anstrengende Marathonsitzung sind, die
man sich zum vollen Verständnis sicherlich mehrmals antun müsste, macht
es Spaß, den Darstellerinnen und Darstellern beim Monologisieren mit
und über und von Handke über Handke zuzuschauen.
Die Unschuldigen, ich und Unbekannte am Rande der Landstraße
Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten
von Peter Handke
Regie: Philipp Preuss, Bühne: Ramallah Aubrecht, Kostüme: Eva Karobath, Video: Konny Keller, Musik: Kornelius Heidebrecht, Dramaturgie: Claudia Lowin, Vermittlung: Theresa Meidinger.
Mit: Vanessa Czapla, Saskia Petzold, Konstantin Bühler, Robert Prinzler, Felix Römer.
Dauer. 3 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.staatstheater-braunschweig.de
Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten
von Peter Handke
Regie: Philipp Preuss, Bühne: Ramallah Aubrecht, Kostüme: Eva Karobath, Video: Konny Keller, Musik: Kornelius Heidebrecht, Dramaturgie: Claudia Lowin, Vermittlung: Theresa Meidinger.
Mit: Vanessa Czapla, Saskia Petzold, Konstantin Bühler, Robert Prinzler, Felix Römer.
Dauer. 3 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.staatstheater-braunschweig.de
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Handkes jüngstes Stück „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ krönten das Sprechtheater bei den Maifestspielen Wiesbaden. http://www.fnp.de/nachrichten/kultur/Es-raunt-und-rumort-aus-dunklen-Tiefen;art679,2028741
Maifestspiele WiesbadenEs raunt und rumort aus dunklen Tiefen
VON MARCUS HLADEKHandkes jüngstes Stück „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ krönten das Sprechtheater bei den Maifestspielen Wiesbaden.
Claus Peymann, Regisseur der Koproduktion von Wiener Burgtheater und Berliner Ensemble, hat an beiden Häusern Szepter und Zauberstab geschwungen. Peymann war Bernhard- und Handke-Uraufführer. Wie er die Burg gen Preußen manövrierte, dann das Brecht-Haus in Berlin mit Wiener Schlampigkeit und Musikalität impfte, spiegelt sich auch an Lebensläufen von Schauspielern wie Martin Schwab und Maria Happel, die nun Handkes „Wortführer“ und „Wortführerin“ spielen. Ganz Berliner Ensemble ist Christopher Nell als Handkes fulminanter „Ich“- und Hauptdarsteller in dem „Schauspiel in vier Jahreszeiten“. Seine Darstellung des gespaltenen Handke-Ichs als leichttragender Wanderer und Suchender mit Doppelgänger lässt sich nicht genug rühmen.
„Kaum jemand glaubt an mich, und so überrasche ich viele“, lässt Peter Handke ihn sagen. Stimmt. Man kann sich Handke mit Reserve nähern und wittert an dieser Regie doch die Überzeugungskraft.
Am Anfang ist die in der Schräge überschaute Landstraße, die sich wie ein Ziffernblatt im Bogen nach oben zieht. Aufs Zauber-Stichwort ploppt eine rostige Bushaltestelle aus dem Boden, die erst Stunden später einem Windrädchen mit Peter-Lustig-Appeal Platz macht: „Ich“-Prosperos Insel gekreuzt mit Godots Landstraße und „Löwenzahn“. Nell deutet auch mal den buckligen Richard III. an, wo der Text es will, so wie es Stockgefechte und Schlusscouplets gibt. Schön, wie er sich vor Abscheu gegen die Welt der Masse an seiner Kurve in der Landschaft festsaugt und zum trampelnden Rumpelstilz wird, sobald das Ich bedroht ist.
Als wäre der Selbstvergleich mit Shakespeare zu bescheiden, zapft Nell später, um mit Martin Schwab zu fraternisieren, wie der Gott Dionysos Wein aus einem Stock. Von Traum und Welt wird geraunt, was an Strindbergs „Traumspiel“ erinnert, mit dem Handke-„Ich“ als Wiedergänger der zu uns herabgestiegenen Indra-Tochter („Es ist schade um die Menschen“). Handke als New-Age-Christus.
Handkes Thema mit Sternchen ist der Eine, der Dichter unter den Vielen, der Geistes-Aristokrat gegen die Massendemokratie. Seine „Unschuldigen“ in bunten Kostümen von Radfahrern mit Trilby-Hut und Neon-Visor sind an allem schuld, was schiefläuft. Also verweigert das feudale Ich das Wegerecht: „Geht woanders!“ Stets treten sie als Horde, gar mit Handy, auf und brauchen „Wortführer“, kurz: „Führer“.
„Ich erkläre euch den Krieg, ihr Unschuldigen“, pöbelt „Ich“, und: „Ihr seid die Armee des Systems! Ihr Unhiesigen!“ Fast fragt man sich, wo ein Autor, dem das Unhiesige als böse gilt, zum Diktator Hitler steht, den sich das „Ich“ zurückwünscht: mit Stalin, auf dass es was zum Bekämpfen gäbe.
Christen mag das Stück auch nicht, denn wo Martin Schwab das „Nachbarliche“ rühmt, steht der Nächste („Neighbour“) in Verachtung. Der Winterauftritt der „Unschuldigen“ vollzieht sich als Prozession mit Baldachin und Monstranz, die rasch zur De-Monstranz mit Schildern herunterkommt.
Hat hier der größtmögliche Unterhalter den größtmöglichen Langweiler inszeniert? Manchmal scheint es so. Zusammen stimmt die Rechnung aber.
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Knall ohne Fall
Von JUDITH VON STERNBURG
Christopher Nell ist "Ich" im neuen Stück von Peter Handke. Foto: Monika Rittershaus
Die Wiesbadener Maifestspiele boten jetzt Gelegenheit, das nagelneue Stück von Peter Handke, eben erst vom Burgtheater in Wien ans kooperierende Berliner Ensemble transportiert, auch hier in der Region einmal in Augenschein zu nehmen. „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ zeigte sich dabei heiter und gewissermaßen elegant wie der Landstraßenschlenker, den Karl-Ernst Herrmann mit Licht auf die Bühne malen lässt. Diese ist in Wiesbaden über den Orchestergraben gebaut, eine große, schräg zum Publikum geneigte Fläche, aus der nach und nach ein bisschen Theaterzinnober sich herausdrängelt oder pyrotechnisch in die Luft geht: Eine arg heruntergekommene Apparatur, die jetzt nurmehr Sitz- und Schlafgelegenheit ist. Ein Feuerwerkchen (irgendwie ironisch, dafür aber auch wieder verdammt laut).
Claus Peymanns Inszenierung ist von einer erst geschmackvollen, dann ganz unverbindlichen, an vielen Situationen des Regisseurslebens einzusetzenden Ästhetik. Sie konzentriert sich auf die privatisierende Seite von Handkes ausuferndem (und hier auf drei Stunden heruntergekürzten) Text. Die Frage, ob sich hinter dem maßlosen Technik-Hass von „Ich“ ebenso wie hinter seinem unverschämten Besitzergreifen jener Landstraße nicht ein zutiefst ungutes, geradezu faschistoides Potenzial verbirgt, bleibt völlig außen vor. Stattdessen ist „Ich“ hier einfach einer, der Handys nicht leiden mag. Der sich Passanten (den „Unschuldigen“, die natürlich aus seiner Sicht nicht unschuldig sind, sondern blöd) entgegenstellt. Der sie zeremoniell (wohlerzogen, altertümlich) begrüßen, am liebsten umarmen möchte.
„Der geborene Monolog“
Aber sie bekommen vor lauter Telefoniererei gar nichts mit von ihm. Wenn dann doch, werfen sie ihm vor, „der geborene Monolog“ zu sein. Das stimmt, aber es trifft nicht auf die knallharte Haltung eines zwar verträumten, aber entschlossen in die Dinge eingreifenden Egomanen (nämlich jenes „Ich“). Vielmehr ist der Schauspieler Christopher Nell ein lustiges HB-Männchen in seiner Wut, und auch wenn er nicht tobt, bleibt er mehr ein Kerlchen. Die Selbstkritik am schmächtigen Denker, Landstraßenbesetzer, Leuteverscheucher („Blockwart“, rief man früher dazu auf Grünflächen) wird nachsichtig behandelt. Auch von Handke selbst.
Und auch in den anderen Figuren begibt sich Peymann eher auf die Suche nach dem humoristischen Potenzial. Da es im Text unterdessen tatsächlich zu Kalauern von „Sternschnuppe“ zu „schnuppe“ kommt, ist das zwar ein wenig schwierig. Aber Maria Happel als resoluter „Wortführerin der Unschuldigen“ stehen nachher zur allgemeinen Freude die Haare zu Berge, Martin Schwab ist ein recht gemütlicher „Wortführer“, und Regina Fritsch als „Die Unbekannte von der Landstraße“ ist von frappierender Geheimnislosigkeit, dafür aber ganz nett.
Groß und wohlwollend der Beifall in Wiesbaden, auch blieben die meisten Zuschauer bis zum Schluss, obwohl die Pause dem langen Abend nicht bekam, der am Ende weniger Wendungen enthielt als die Landstraße. Auch Peymann selbst war da und schob neckisch die frohen Darsteller zum ausführlichen Verbeugen nach vorne, die ja harte Arbeit hinter sich hatten.
http://www.fr-online.de/theater/--die-unschuldigen------in-wiesbaden-knall-ohne-fall,1473346,34287706.html
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Theater27.05.2016
Peter Handkes „Die Unschuldigen ...“ bei den Maifestspielen in Wiesbaden
WIESBADEN - Die Aufführung findet kein Ende. Nicht, dass sie mit ihren drei Stunden zu lang wäre – nein, Claus Peymann hat Peter Handkes Stück „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“, den Maifest-Gastspielbeitrag vom Berliner Ensemble, sehr kurzweilig inszeniert. Dass dreimal ein Ende angedeutet wird und dann doch nicht stattfindet, ist ein dramaturgisches Mittel, um aus dem Wachtraum aufzuwecken und mit dem Handke-Spreizschritt vom dramatischen Ich des Stücks wieder zum erzählenden zu wechseln.
Spielerischer Kraftakt
- WORUM GEHT‘S?
Christopher Nell ist dieses Ich, in spielerischem Kraftakt und wunderbarer Singstimme. Es ist natürlich ein Selbstporträt des Autors, der seinen Traum von der Landstraße als Metapher für Begegnung, Abenteuer, Leben erzählt und in ihm auftritt – aber, bitte nicht zu nah zu den anderen will, die hier „die Unschuldigen“ heißen. Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann zeichnet delikat schlicht einen von oben abfallenden Weg mit Biegung auf den hellen Bühnenboden des Großen Hauses. Ein Schrotthaufen mit Wimpel dient als Unterstand. Farbwechsel folgen den vier Jahreszeiten aus dem Untertitel. Schattenrisse machen schöne Bilder.
Vögelein zwitschern
Claus Peymann hat für seinen (nach Thomas Bernhard) zweiten Lieblingsautor seine gesamte Theatermaschinerie und -fantasie ausgefahren: Es zwitschern die Vögelein, es gewittert, es tönt mit Hall und aus dem Off, der rostige Unterstand rumpelt aus dem Bühnenboden, verbrannte Blätter fliegen, Schneeflöckchen tanzen. Das Ich verlangt nach Begegnung mit seiner Umgebung und landet doch immer nur in der Konfrontation mit dem Häuptling der Unschuldigen. Martin Schwab gibt ihm feste Kontur; die Partnerin Häuptlingsfrau wird von Maria Happel unwiderstehlich überdreht im schnellen Wechsel zwischen Sprech- und Singstimme bis zum jubelnden Jodler gespielt. Wie überhaupt diese Inszenierung von enormer Musikalität getragen ist.
Smartphoneträger
Das Handke-Ich träumt selbstverständlich auch von einer Frau. Regina Fritsch ist – elegant beweglich – diese Unbekannte am Rand der Landstraße. Bevölkert wird sie von Smartphoneträgern – völlig desinteressiert am einsamen Poeten. Sein Alter Ego im Pulk sucht Anschluss, muss dafür freilich den Monolog zur Selbstbehauptung des Poeten aufgeben. Da zieht sich der Poet doch lieber in seine Bretterbude zurück und rümpft über die Herzprothesen der Masse seine Nase.
Handkes Sprachspiele (nicht immer auf höchstem Niveau) und Peymanns Regiewitz konterkarieren das Pathos beider Seiten, das des Ich und das der Vielen um es herum. Beispiel: Wenn der Autor den schönen nostalgischen Strichpunkt nicht mehr benutzen darf, dann kann sich ein Semikolon auch mit Semiramis paaren. Naja. Da wirkt ein buntes Windrädchen für den einsamen Dichter auf der Bühne schon belebender.
Wenn des Dichters Ich denn schließlich („Herz, was nun?“) die Bühnen-Landstraße zu Ende gegangen ist, kehrt es als Figur in ein Spiel zurück, das in Wiesbaden sehr gefeiert wird. Claus Peymann und sein Team applaudieren zurück.
http://www.allgemeine-zeitung.de/lokales/kultur/theater/peter-handkes-die-unschuldigen--bei-den-maifestspielen-in-wiesbaden_16934275.htm
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DIESSEITS, JENSEITS UND JENSEITS DES JENSEITSEIN SCHAUSPIELERFEST: PETER HANDKES NEUES STÜCK „DIE UNSCHULDIGEN, ICH UND DIE UNBEKANNTE AM RAND DER LANDSTRASSE“ IN DER REGIE VON CLAUS PEYMANN AM BERLINER ENSEMBL
Bevor die Leute einschlafen, lässt der vermeintlich schlaue Theatermacher im vierten oder fünften Akt mit lautem Knall und Mordstrara irgendetwas auf der Bühne abfackeln, abschießen oder explodieren. Im Fall des neuen Stücks von Peter Handke – mit dem schönen langen Titel „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ – explodiert das hässliche Leuchtbild einer Prozession, überflüssigerweise unmäßig laut und ästhetisch schlichtweg katastrophal, nichts für Schreckhafte oder Sensible: eine späte Rache an offenbar unverarbeitetem Kindheitsärger über die Katholiken. Ansonsten aber ist hier im Berliner Ensemble im Schiffbauerdamm (BE) wie schon bei der kürzlichen Uraufführung in Wien – als Koproduktion mit dem Burgtheater – alles beim Alten: Handke schrieb einen gediegenen Text, der größtenteils wie das Alter Ego des Dichters spricht, und Claus Peymann inszenierte mit kühner Hand noch einmal diesen seinen langjährigen Spezi Handke. Es darf viel geschmunzelt, gelacht, nachgedacht werden in diesen drei Theaterstunden – und den furiosen, ausflippenden, wispernden und alles gebenden Schauspielern wie Christopher Nell und Meret Becker innerlich permanent zugenickt.
„Kommen lassen! Anfliegen lassen! Träumen lassen!“ Christopher Nell steht mit gefasster Miene als „Ich“ – laut Programmheft „im Wechsel zwischen ‚Ich, Erzähler’ und ‚Ich, der Dramatische’“ – auf der Bühne. Er ist allein, und er erzählt von seinem Tagesgeschäft, dem Träumen. Um ihn herum befindet sich angeblich (statt der zu sehenden metallenen Schiefebene von Karl-Ernst Herrmann) eine Landstraße, für die er – und nur er allein – die Verantwortung haben will.
Ein aus den Untiefen der Bühnentechnik hoch fahrender schäbiger Schrottverhau – mit Metallstangen und einem Sitzbankfragment in luftiger Höhe sowie einer rostigen Bushaltestelle-Stange mit dem berühmten „H“-Schild (wie „Haltestelle“) – dient dem Protagonisten als ruinöser Wohnsitz. Aber es geht ihm nicht schlecht, diesem eigenbrötlerischen jungen Mann, nur das Thema Obdachlosigkeit, das zunächst nahe liegt, hat hier ebenso wenig einen Platz in Handkes Wortkaskaden wie andere plakativ soziale oder aktuelle Themen. Flüchtlinge, Geldsorgen oder übersteigertes Konkurrenzdenken, die Sorgen der Berufstätigen oder die Krankheiten der Schwachen, Umweltschäden oder Weltraumdesaster kommen inhaltlich eher gar nicht vor.
Stattdessen triumphieren die gehobene Satire aufs lyrische Ich und die poetisch gedrechselte Überzeichnung: Ich ist hier niemals ein anderer, sondern immer jener gut alte genialische Meckerpott, den wir schon aus Handke-Stücken wie dem „Untertags-Blues“ kennen, den Peymann 1994 am BE zur Uraufführung brachte. Handke ist ein radikal subjektiver Autor, der seinen Narzissmus bis zur höchsten Stufe kultiviert. Herzerfrischend also.
So sind vor allem die ersten 80 Minuten ein eloquenter Gedankenstrom, von Bühnengewittern und Wetterleuchten untermalt, von reichen Kontrasten im Vokabular dekoriert. Christopher Nell ist in die Rolle des gedanklichen Schwerenöters, der sich über seine Zeitgenossen und ihre Zivilisationsauswüchse aufregt, so eng hinein geschlüpft wie in eine maßgeschneiderte Ganzkörperhülle. Oder Ganzseelenhülle. Jedenfalls lebt und trällert und schimpft und flüstert Nell die Rolle, als hätte Handke sie nur für ihn und sein Falsett-fähiges erfunden.
Das intellektuelle Schattenboxen mit sich selbst, das der Monologisierende vornimmt, erhält so seinen individuellen Schmelz und ist an keiner Stelle langweilig.
Aber sind es wirklich Monologe, die Nell ins Publikum schmettert?
Für den Dichter Peter Handke haben lange Reden noch einen ganz anderen Charakter. Schon 1987 stellte er, so ist im BE-Programmheft nachzulesen, anlässlich eines anderen Stücks von ihm fest: „Was man mir vorgehalten hat, das seien alles nur Monologe, stimmt überhaupt nicht; dieses Stück besteht aus langen Wechselreden, wo der eine sehr wohl auf den anderen eingeht.“
Und so erhält auch Nell als „Ich“ eine Antwort. Erst vom Tonband, mit der Stimme eines Piepmatzes, der so lieblich tiriliert, als sei er aus einer „Ring“-Operninszenierung ausgeliehen worden. Dann aber kommt auch Feedback von Mitspielern, die unter der Sammelbezeichnung „Die Unschuldigen“ zwar nicht in die Annalen, aber immerhin doch in diesen Theaterabend eingehen.
Allen voran ein Paar, das so typisch und doch untypisch zugleich für viele Paare ist: Maria Happel und Martin Schwab als hysterisch-joviale, stets besserwisserische „Wortführer“. Sie mit großer, witzig daneben gehender Bemühung um Eleganz in Rot, er mit hemdsärmeliger, anglerjackenmäßiger Rotwein-Rentner-Seligkeit. Man muss einfach grinsen, wenn diese beiden ihre Anfälle kriegen: sie mit opernhafter Lache, an der Happel mal fast zu ersticken scheint, und er mit einem Rülpsen, das eines „Asterix“-Comics würdig wäre, wollte man von einem formidablen Wildschweinessen wissen.
Die größte Überraschung ist: Meret Becker als „Die Unbekannte“, die aussieht wie Mitte oder Ende Zwanzig, die sich auch fast so anmutig bewegt – und die zwar, wenn es um Vergeistigung und Verzückung geht, stimmlich ein wenig die junge Sunny Melles imitiert, ansonsten aber mit viel ausbalancierter Verve und poetischer Authentizität einen ganz eigenen Ton sowie eine tänzelnde Gestik für diese Rolle trifft.
Becker war drei Tage vor der Premiere für die erkrankte Regina Fritsch eingesprungen, und im zweiten Teil des Abends wird ihr darum auch ein Buch gegönnt, aus dem sie abliest, während sie sich an der Rampe bewegt, als gehöre das Buch sowieso dazu. Eine geschickte Lösung – besser als ausgestelltes Vorlesen und viel besser als etwa holprige Szenen. Becker spielt dabei so fantastisch-leicht und mädchenhaft-verrätselt, dass man zudem auch das Ablesen als amüsantes Spiel empfindet.
http://ballett-journal.de/berliner-ensemble-die-unschuldigen/
Ihre Figur ist die Traumfrau des Träumers „Ich“, der allerdings zu spät bemerkt, dass diese Frau vielleicht doch diejenige hätte sein können, auf die er vorgeblich schon immer gewartet hat.
Die Meute der Unschuldigen, auch sie personell ganz auf Handkes lyrisches Allerweltsniveau getrimmt, brüllt und pusht derweil ihr Ego vor allem ins Handy: Das Aneinandervorbeirasen und sich Anrempeln, während alle telefonieren, ist schon fast Tanztheater.
Die vorüberziehenden Jahreszeiten deuten denn auch auf massiven Symbolgehalt der Szenen hin – wie in Puzzleteilchen soll sich hier ein Panoramablick auf unsere heutige Gesellschaft entfalten.
Die Highlights aber liegen in den komischen Wutausbrüchen von Christopher Nell, die menschlich so vieles entschuldigen, das sie zu gleich in fast harten Worten anzuprangern suchen. Das gereicht bis zum kleinen Lernschritt, den er vollzieht, wenn er seinen eigenen Textbeginn vom Anfliegen-Lassen zitiert, aber als zu verstiegen ablehnt.
Ob man sich nun komplett in einer Art Jenseits befindet, in dem Zeit keine Rolle mehr spielt, oder ob zwischen verschiedenen Abstufungen des Seins oder Nichtseins hin- und hergeswitcht wird, darf wohl jeder selbst entscheiden.
Hinweise gibt es zuhauf, für die eine wie für die andere Interpretation.
Deutlich ist aber auch, dass mit dem immer wieder anklingenden fröhlichen oder auch tragischen Vergessen schon ein aktuelles Thema mit eingeflochten ist: Morbus Alzheimer bewegt ja nun mal jeden, der wachen Kopfes altert, und Peter Handke wäre wohl der Letzte, der das zu ignorieren gewillt wäre.
Es bleibt, wenn der Altersstarrsinn oder die Verwirrung darüber mal wieder überhand nahmen, immerhin tröstlich ein Gedanke: „das Gesicht des anderen“.
Die letzte halbe Stunde besteht denn auch aus Reprisen, die ein wenig seicht wirken im Vergleich zu den temperamentvollen früheren Passagen des Stücks. Aber dass Christopher Nell am Ende den Vorhang noch eigenhändig schließen und auch wieder aufreißen darf, erfüllt Theaterfreunden nahezu einen Kinderwunsch.
Gisela Sonnenburg
Gisela Sonnenburg
Wieder am 4. und 5. Mai 2016
http://www.tagesspiegel.de/kultur/handke-premiere-im-berliner-ensemble-bedonnert-und-beblitzt/13533016.html
Jetzt ist sie also ins Berliner Ensemble eingemündet, die Landstraße, auf der das distinktionsbewusste „Ich“ aus Peter Handkes jüngstem Stück die vorübertrudelnden Passanten als „Pack, Doppelpack, Tetrapack“ abkanzelt. Und sie wirkt wirklich ziemlich klein.
Am vergleichsweise gigantischen Wiener Burgtheater, wo Claus Peymann diese Handke-Uraufführung mit dem epischen Titel „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ bereits vor zwei Monaten gestemmt – beziehungsweise, wie nicht wenige Augenzeugen (siehe Tagesspiegel vom 29. Februar) befanden – ziemlich in den Sand gesetzt hatte, erweckte immerhin Karl-Ernst Herrmanns Bühnenbild den Anschein von Weite: Ein adrett geschwungener Wanderweg mit einem allen Ernstes Rucksack tragenden „Ich“ (Christopher Nell), führend ins bühnentiefe Irgendwo und in wechselnden Farben ausgeleuchtet sowie plakativ bedonnert und beblitzt, was die Bühnenmaschinerie hergibt.
Groß war dieses Projekt, eine Wiener Koproduktion mit dem BE, ja tatsächlich kalkuliert gewesen: Peymanns erste Inszenierung an der Burg seit seinem Intendanzwechsel nach Berlin anno 1999! Und zwar mit dem Sparringspartner Peter Handke, mit dem er – angefangen in den 1960er Jahren im Frankfurter Theater am Turm – einst Theatergeschichte geschrieben hatte. Die österreichische Presse war im Februar entsprechend aus dem Häuschen gewesen, und Peymann selbst hatte sich zu einem waghalsigen Vergleich verstiegen: Er fühle sich angesichts des „Erwartungsdrucks“ wie ein Fußballspieler „unmittelbar vor dem Elfmeter“.
Der Ball kullert meterweit am Kasten vorbei
Logisch, dass der Ball nun auch bei der Berliner Premiere – mit deutlich weniger voluminösem Psycho-Rucksack – meterweit am Kasten vorbeikullerte. Beinahe hätte man tatsächlich schreiben müssen, dass alles haargenau so ist wie in Wien, nur eben auch räumlich kleiner: Handkes Text, in dem das in ein „episches“ und ein „dramatisches“ gesplittete „Ich“ wortreich, bildungsbürgersattelfest und literarisch entsprechend anspielungsreich gegen die banausischen Gegenwartsniederungen zu Felde zieht und dabei gelegentlich durchaus Selbstironiesignale aussendet, heruntergebrochen auf jenen putzigen Märchenonkel-Theaterton, den Peymann halt seit geraumer Zeit so pflegt.
Das Feindbild des (Autoren-)Ichs, all diese geschichts- und gesichtslosen „tätowierten Schwimmlehrer, menschgewordenen Fischgrätmuster, Gotteskrieger und Friedenssoldaten“, die Handke „die Unschuldigen“ oder auch „ewig Heutigen, Unberührbaren, Unbeleckten“ nennt – tölpeln mit ihren Handys am Ohr in Berlin keinen Deut differenzierter die „Landstraße“ entlang als in Wien. „Geteufelt“, wie der Autor sich das vorgestellt hatte, kommen sie jedenfalls hier so wenig wie dort.
Sprich: Keine Auseinandersetzung, nirgends mit dem Text, der sich in seiner elaborierten und bisweilen durchaus produktiv nervenden Weltempfindlichkeit selbst hinterfragt. Sondern: Eine seltsam oberflächenversiegelte Theaterhandwerksdarbietung, bei der man nie auf den Gedanken käme, sie könnte irgendetwas mit dem Leben außerhalb jenes praktizierenden Bühnenmuseums zu tun haben, in dem sie stattfindet.
Meret Becker trainierte sich den Part innerhalb von drei Tagen an
So weit, so Wien also. Einen entscheidenden Unterschied gibt es aber letztlich – ungeplant – doch. Regina Fritsch, die Wiener Darstellerin der „Unbekannten“, einer (und bei Peymann häufig tuchwedelnden) Art Sehnsuchtsadressatin des „Ich“ im semitransparenten schwarzen Kleid, erkrankte kurzfristig und musste umbesetzt werden. Das BE verschob die Berliner Premiere um einen Tag, Meret Becker sprang ein, trainierte sich den Part innerhalb von drei Tagen an – und bringt, vielleicht auch deshalb, tatsächlich etwas überraschend Gegenwärtiges in den Abend. Während Fritsch die Rolle eher entrückungsenergetisch angelegt hatte, bürstet Becker mit einer höchst sehenswerten, irgendwie beiläufigen und unangestrengt emanzipierten Art Urenergie dagegen, die für BE-Verhältnisse momentweise fast einer kleinen Volksbühnen-Anwehung gleichkommt.
Und der Schlussapplaus? Im Februar in Wien: eher freundlich. Jetzt in Berlin: erstaunlich frenetisch, gemessen jedenfalls an der Energiebilanz im Zuschauerraum während der drei Stunden bis dahin. Zumal sich die Reihen nach der Pause sichtlich gelichtet hatten. Aber vielleicht gehört ja das finale „Bravo“ genauso unverbrüchlich zum Theatermuseum wie die Gewissheit, dass ein Schauspieler, der auf der Peymann-Bühne „Nachdenken“ spielt, den Kopf schräg, die Stirn in Falten und dazu weiträumig die Hand an den Vorderkopf legt.
Nächste Aufführungen am 4. und 5. Mai sowie 12. und 13. Juni
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Meret Becker triumphiert in Peymanns Handke-Inszenierung von „Die Unschuldigen, Ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße"
Am Anfang war das Ich. Das stolziert über die Bühne, erzählt, erträumt, erzaubert sich eine Welt, eine Straße.
Auf der die anderen paradieren, die Unschuldigen, die das „Erzähler-Ich“ zur Weißglut treiben. Denn sie nehmen seine Welt nicht wahr, sie verzetteln sich, vergoogeln sich, vertwittern sich, verdaddeln sich.
Christopher Nell spielt dieses Ich, das Alter Ego des Dramatikers Peter Handke, der „Die Unschuldigen, Ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ schrieb. Und wieder seinem Freund Claus Peymann zur Uraufführung gab, zur elften seit der „Publikumsbeschimpfung“ 1966.
Das Aufeinandertreffen des Dichters und der Alltags-Menschen gerät zur Konfrontation, man reibt sich, schreit sich an. Immer wieder, immer wieder von vorn. Die schöne Idee, die Handke umtrieb, wiederholt sich, dreht sich im Kreise, drei Stunden lang. Gerät weinerlich, greinerlich und ungeduldisierend repetitiv, trotz aller Poesie des Texts, trotz der schönen Peymann-Bilder auf Karl-Ernst Herrmanns großartiger Straßen-Bühnenwelt.
Und doch ist Berlin ganz elektrisiert, weil diese Berlin-Premiere ein ganz erstaunliches Hauruck-BE-Debüt war. Zu sehen, wie Meret Becker als vom Dichter-Ich herbeigesehnte Unbekannte nach nur drei Tagen Probenzeit das BE erobert, ganz und gar bekannt und eingesprungen für die erkrankte Kollegin Regina Fritsch aus Wien, gibt einen großen Extra-Applaus!
http://www.bz-berlin.de/kultur/mehr-kultur/die-unbekannte-die-jeder-kennt
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Berlin-Premiere der Peter Handke-Uraufführung DIE UNSCHULDIGEN, ICH UND DIE UNBEKANNTE AM RAND DER LANDSTRASSE im Berliner Ensemble
Samstag, 30. April 2016, 19.30 Uhr. -----
Peter Handkes neues Stück – Inszenierung: Claus Peymann – wird nach der gefeierten Uraufführung im Februar am Wiener Burgtheater, am im BE Berlin-Premiere haben.http://www.theaterkompass.de/news-einzelansicht+M5f81969b6e3.html
Die Unschuldigen kommen daher, sind unschuldig, machen jedoch einen Haufen Scheiß. Es sind nicht die alten Bösewichte, die alles absichtlich machen, sondern sie wissen nicht, was sie tun, wie Jesus sagt: Herr, verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun! Ich bin eher der Meinung: Herr, verzeih ihnen nicht! Es gibt jedenfalls Konfrontationen der Figuren, ganz lustige, scharfe und traumhafte, wie es meine Art ist. Dann geht es ordentlich los, aber dann höre ich wieder auf, weil ich finde, es ist nicht interessant, nur draufzuschlagen. …
Der Held heißt Ich, er ist eine Mittelgestalt zwischen Caliban und Prospero, ein Monstrum, ein Irrer, ein Tier und zugleich ein Zauberer. Es gibt auch zwei Frauen in dem Stück, die Unbekannte und die Andere, diese ist ein bisschen wie Lady Macbeth. Sie ist die Frau des Anführers der Unschuldigen, letzten Endes schreit sie vor lauter Jammer, aber sie geht nicht zugrunde, sie geht nur weg.“
Peter Handke
Claus Peymann hat, seit der Publikumsbeschimpfung 1966 im Frankfurter Theater am Turm, bereits insgesamt zehn Stücke von Peter Handke uraufgeführt. Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße ist seine fünfte Handke-Uraufführung am Burgtheater.
Es spielen Krista Birkner, Regina Fritsch, Maria Happel; Anatol Käbisch, Christopher Nell, Luca Schaub, Martin Schneider, Hermann Scheidleder, Martin Schwab, Felix Strobel, Fabian Stromberger, Jörg Thieme; Bühne: Karl-Ernst Herrmann, Kostüme: Margit Koppendorfer
Regie Claus Peymann
Bühne Karl-Ernst Herrmann
Kostüme Margit Koppendorfer
Musik Moritz Eggert
Licht Friedrich Rom
Dramaturgie Jutta Ferbers, Anke Geidel
Die Aufführung wird weiterhin im Repertoire des Burgtheaters und des BE zu sehen sein.
http://handke-drama.blogspot.com/2014/10/die-unschuldigen-ich-und-die-unbekannte.html/
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Claus Peymann inszeniert Peter Handkes neues Stück "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" in Wien
Peter Handke ist ebenso sehr ein Geher wie ein Schriftsteller. Wenn er nicht gehen kann, ist ihm auch das Schreiben unmöglich. Die Straße und das leere Stück Papier sind für ihn Schauplätze der Zukunft: Dort wird alles noch einmal beginnen. Auf der ersten Seite von Handkes neuem Stücks Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße steht der programmatische Satz: "Und da kommt sie, da erscheint sie, da fliegt sie mich an, da erstreckt sie sich, die Landstraße, vorderhand leer."
Die Straße ist der Urgrund, auf welchem Handkes Fantasie und Erinnerung plastisch werden – wie auf einer Kinoleinwand, die sich unter seinen Füßen erstreckt. Die Straße ist aber auch ein trockenen Fußes begehbarer Fluss, welcher die ganze Weltgeschichte vorbeiwälzt – und auch des Erzählers persönliche Geschichte. Als der "Verderber" Hitler hier durchzog, so berichtet Handkes Protagonist im Stück, habe seine schwangere Mutter vor Schreck Wehen bekommen (Handke selbst wurde 1942 geboren). Und natürlich ist die Straße auch erotisch aufgeladen: Sie wird den Helden irgendwann zu der "Unbekannten" führen, der nie gesehenen Frau seines Lebens.
Einer erschafft sich die Welt, indem er eine Straße erschafft. Das hat Handke schon öfter getan, am schöpfungswütigsten in seinem Stück Die Stunde da wir nichts voneinander wussten. Damals begegneten sich, aufleuchtend und für immer verschwindend, stumme Unbekannte dort, wo sich viele Straßen kreuzen, auf einem Platz: lauter Szenen der Verheißung, mögliche Anfänge.
In den Unschuldigen herrscht ein anderer Geist. Der Protagonist und Erzähler des Stücks, ICH genannt, weiß von Beginn an alles über alle, die er trifft, und es ist ein vergiftetes Wissen: Er weiß von ihnen, dass sie es nicht wert sind, ihm auf seiner Straße Gesellschaft zu leisten, geschweige denn: ihn zu begleiten.
ICH fühlt sich von den "Unschuldigen" belästigt, welche die Welt beherrschen – schon einer von ihnen reicht, ihn vollständig zu umzingeln; sie alle sind für ihn die allerschlimmsten Täter. Sie zu verfluchen ("Horizonträuber!"), verschafft ihm eine schier erotische Lust, und gern würde er sie auf lange Zeit einfrieren lassen, dann wäre er rechtzeitig tot, ehe sie wieder auftauen. Die Schuld der Unschuldigen wird nie durch Taten manifest – es ist wohl am ehesten das zufriedene Mitlaufen, gesichtslose Dabeisein, stimmlose Mitschnattern von buchstäblich uns allen, das Handke meint.
ICH macht kaum Anstalten, seine Unschuldigen genauer kennenzulernen, er lebt, recht besehen, vom Vorurteil, von den sprichwörtlichen sieben Sekunden, in denen ein Mensch sich ein Urteil über sein Gegenüber bildet und es dann nicht mehr revidiert – ICH macht es sich ein Leben lang in diesen magischen sieben Sekunden gemütlich. "Die Unschuldigen nehmen den Krieg vorweg, sind sein Fleisch und Blut", sagt der Protagonist – und es wirkt fast so, als wünschte er sich diesen Krieg, der seinen Generalverdacht endlich bestätigt. Und bisweilen dringen die Verbrechen, die jene Unschuldigen wohl in ihrem Leben noch begehen werden, als unabgegoltene Schuld an die Oberfläche des Stücks: wenn die "Unbekannte" daran erinnert, dass hier, auf der Landstraße, Menschen ins KZ geschickt wurden, dass dort, am Rand der Landstraße, ein amerikanischer Bomberpilot, abgestürzt nach dem Krieg, von den Bauern gelyncht wurde
Am Wiener Burgtheater hat Claus Peymann, der 78-jährige ehemalige Herr des Hauses, Handkes Stück zur Uraufführung gebracht. Wien empfing ihn mit allen paramilitärischen Ehren: Jubel, glückliche Präsentation alter Wunden, schön war’s damals! Die Zipfel gleich mehrerer Mäntel der Geschichte wehten über die Stadt – zuallererst der politischen Geschichte, denn Peymann gegen Wien: das war eine permanente Schlacht um Autorität, Stolz, historische Schuld und Wahrheit. Dann aber auch der Theatergeschichte: denn dieses Duo – Peymann/Handke – hat insgesamt zehn Stücke zur Uraufführung gebracht, fünf davon an der Burg. Das Urstück, welches die beiden, Handke und Peymann, für alle Zeiten zusammenschweißte, auch wenn sie seitdem in konstantem Streit leben, war, vor 50 Jahren, am Frankfurter Theater am Turm, diePublikumsbeschimpfung – von heute aus gesehen fast ein Rap-Abend, eine swingende Suada, die zuversichtliche, auf Eklat fröhlich hingebürstete Beleidigung und Aufstachlung des Publikums: ein Aufbruch. Der Schlussapplaus ist auf YouTube zu sehen: Handke, 24, steht in Jubel und Buhs wie der fünfte Beatle, ein Popstar, der sein Publikum, die Unschuldigen von damals, mit wilden Gesten zu Zugabengebrüll stimuliert. Auch das Stück Die Unschuldigen … geizt, 50 Jahre später, nicht mit Beschimpfung, Fluch, Verwünschung, aber es hat das Vergeblich-Wehmütige eines Abschieds. Der Protagonist spürt nun vor allem die Rückstöße seiner Wut. Zelebriert wird die Abdankung eines königlichen Wutnickels: ein letzter Fluch, bevor ich gehe.
Der für Handkes Schreiben (und wohl auch für seine Person) entscheidende Konflikt zwischen liebender Weltanschauuung und zorniger Weltabscheu ist der Motor des Stücks: Man hört sein Dröhnen und Brausen in den Worten seines Protagonisten. Leider wird dieser Motor von Peymanns Inszenierung so brutal gedrosselt, dass er nur noch wimmert. Aus der Darstellung innerer Kämpfe wird fahle Illustration. Handkes Suaden, die vom Verlust einer Welt handeln, sind nun, auf der Burg-Bühne, nichts anderes als Klagen darüber, dass es nicht mehr so sei, wie es angeblich mal war: Wo früher Geselligkeit war, stehen heute blinde Handy-Idioten am Wegrand. Wo früher Bildung den Menschen Freiheit verschaffte, da dient Bildung dem Deppen von heute dazu, es in Quiz-Situationen möglichst weit zu bringen. Die allgemeine Banalisierung, Verflachung, die die Inszenierung beklagt, vollzieht sie selbst: an diesem Stück, das sie so halb uraufführt.
Nichts wirkt inspiriert, von spielerischem Überschuss getrieben: Karl-Ernst Herrmann, der große Bühnenerfinder, der an dieser Stelle vor 26 Jahren für Handkes und Peymanns Spiel vom Fragen eine wunderbare, sich allmählich ins Hinterland schraubende Straße gebaut hatte, wirft uns nun bloß eine kahle, leere Kurve auf schiefer Ebene als Spielort hin. Der Regisseur lässt darüber einen Trupp von Spitzweg-Buben und Kabarettkomparsen biedermeierhaft sich hinwegkräuseln – ein von Geburt an zusammengestauchtes, mut- und sprachloses Komfortgesindel. Und Peymanns Hauptdarsteller, Christopher Nell? Dass dies ein alter Schriftsteller ist, der seine Lebens- und Schreibwege noch einmal geht, ist ihm nicht zu glauben. Nell ist eher ein Morgenmensch, zutraulich der Schöpfung und uns gegenüber: Er tappt zur Rampe wie ein Wesen, das gefüttert und gestreichelt werden möchte, gut genährt mit Zuneigung und funkelnden Sinneseindrücken, fast verwöhnt. Ein hellstimmiger Gesell, getrieben von dem Jubilierzwang eines Vagabunden aus einem alten deutschen Heimatfilm.
Größtes Problem der Inszenierung: Es ist beim großzügigen Streichen von Text die Struktur des ganzen Stücks verloren gegangen. Die Unschuldigen … besteht einerseits aus laut zu sprechenden Passagen (vor allem Monologen), andererseits aber aus nach innen geflüstertem beziehungsweise gedachtem Weltkommentar, Ich-Kommentar: So vehement der Protagonist nach außen flucht und schäumt, so skrupulös notiert er in seinem Inneren, was geschieht, geschah, geschehen könnte. Dieses innere ICH ist wie ein Gebüsch, worin einer sich am Rand seiner Straße vor der Welt, die er angeblich verachtet, sehr wachsam verbirgt: kein Heckenschütze, sondern eigentlich ein Hecken-Denker. An diesem Gegensatz der Sprechweisen, dieser Aufspaltung in den dramatischen Rappelkopf und den allerzartesten, lupenfeinsten Weltbetrachter, scheitert die Aufführung: Ihm hält sie nicht stand, ihn verleugnet sie schlicht.
Irgendwann im Stück verrät Handkes Protagonist, warum er die Landstraße liebt: weil sie ihm das Gefühl gibt, jetzt keinesfalls sterben zu müssen. "Noch keinmal", heißt es da, "habe ich im Landstraßenwind den Totenschädel an mir gespürt, im Gegenteil." Mark Twain hat das alles einmal, sachlich amerikanisch, so formuliert: "Es ist leichter, draußen zu bleiben, als nach draußen zu gehen." Draußen zu bleiben – das ist Handkes Weg und der seines Helden. In dieser Inszenierung hat man leider nie den Eindruck gehabt, je draußen gewesen zu sein.
Auf dem Weg vom Burgtheater zum Hotel, kein Witz, kam der Rezensent nachts in der Josefstadt noch an einem Schießkino vorbei. Was ist ein Schießkino? Es ist ein lang gezogener schalldichter Raum, in dem man die Jagd auf bewegliche Ziele – "vom Fuchs bis zum Wasserbüffel" – trainieren kann. Der Schütze steht am einen Ende des Raums und feuert auf Objekte, die auf einer Leinwand am anderen Ende vorbeiziehen. Er darf sich als Überlebender und als letzter Gerechter fühlen, ohne irgendjemanden getroffen zu haben. Genau so hatte man diesen Abend im Burgtheater erlebt: als wäre man ins größte Schießkino Wiens geraten.
http://www.zeit.de/2016/11/theater-wien-burgtheater-peter-handke-claus-peymann/komplettansicht
Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße — Claus Peymann inszeniert das neue Stück von Peter Handke am Burgtheater Wien
Fechtkampf mit Unbekannten
von Leopold Lippert
Wien, 27. Februar 2016. Kurz vor der Pause kommt ein Sommersturm auf, es bläst Staub auf die Bühne, Papierfetzen wirbeln herum, buntes Laub fällt vom Schnürboden. Christopher Nell, der als schizophrene Hauptfigur "Ich, Erzähler" und "Ich, der Dramatische" einen abgelegenen Streifen Landstraße bewohnt, sammelt verdreckte Zettel vom Boden auf, achtlos weggeworfen von den "Unschuldigen", die in immer neuen Konstellationen die Straße entlangkommen. Es sind alte Fahrscheine, Rechnungen, Kinokartenabrisse, Gutscheincodes - zerknitterte Erinnerungsminiaturen. "Hop on – Hop off" steht auf einem dieser Tickets, und die simple Touristenbus-Formel ist vielleicht die passendste Beschreibung für einen Abend, der permanent mit großer Welterklärung liebäugelt, sich aber dann doch nur zum bunten Stationenspiel durchringt.
"Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" ist beileibe nicht die erste Peter Handke-Uraufführung am Wiener Burgtheater, und schon gar nicht die erste, die Claus Peymann inszeniert. "Handke Burg Peymann" könnte man da im Burgsprech klotzen, und markante Setzungen sind irgendwie auch Teil des Erwartungshorizonts bei dieser fast schon historischen Zusammenkunft alter Haudegen.
Fremde Wanderer auf der Landstraße
Doch Handkes "Schauspiel in vier Jahreszeiten" ist im Grunde das Gegenteil eines großen Statements. Verglichen etwa mit dem inhaltlich stark fokussierten Erinnerungsreigen "Immer noch Sturm" ist "Die Unschuldigen..." weit weniger kohärent und stellt eher eine zerfaserte Aneinanderreihung von Figurenbegegnungen und Erzählrahmungen dar — mal will das Stück Kapitalismuskritik, mal Modernekritik, mal Realismuskritik sein, mal wird kollektive Erinnerungsarbeit thematisiert, und dann wieder Muttersöhnchen-Konflikte und sexuelle Gewalt. Gespickt ist das ganze mit Shakespeare-, Vergil-, und Katholizismus-Anspielungen, und Mehrsprachigkeit als Bildungsbürger-Selbstvergewisserung: "Nofretete!" ruft das Ich der Häuptlingsfrau (Maria Happel) freudig entgegen, "heißt das nicht: Die Schönheit ist erschienen!? La beauté est apparue. La belleza e aparecida." Schon gut, wir haben's verstanden!
Trotz all der Kanon-Intertextualität ist der Grundton ein bedrohlicher: Das "Ich" wird jedes Mal aufs Neue mit dem "Anderen", dem von außen Kommenden konfrontiert, das die Landstraße heraufzieht und passieren will. Die Angst vor dem Unbekannten, dem hemmungslos Rülpsenden (Martin Schwab) und dem unkontrolliert Glucksenden (Maria Happel) ist für Handke zentral. Die Sprache ermöglicht dabei nicht immer Austausch, sondern nährt bloß Verdächtigungen: "Ihr Unschuldigen seid nicht harmlos!" ereifert sich das Ich, das zwischen Grüßen und Abwehren immer weniger unterscheiden will.
Komischer Kontrollzwang
Da ist es doch überraschend, dass in Peymanns Inszenierung die düsteren Aspekte des Texts zunehmend ins Hintertreffen geraten. Das faschistoide Begehren des Ichs, alles kontrollieren zu wollen, was sich auf der Landstraße ereignet, wird im wahrsten Sinne des Wortes "überspielt". Und so darf der virtuose Christopher Nell auf der verwitterten Bushaltestelle am Straßenrand clownesk herumquirlen, während der Rest der Truppe beschwingt "Wir wollen niemals auseinandergehn!" trällert, wie auf einem Wanderausflug.
Und so wird der eigentlich existentielle Fechtkampf zwischen dem Ich und dem Unbekannten-Häuptling (Martin Schwab) zu einem skurrilen Herumgestochere, das damit endet, dass ein "Degen" unter lautem Gelächter im Publikum landet (letzteres vielleicht nicht ganz absichtlich). Und so geht ein durchaus starkes Bild – das Ich und der Häuptling werden an ihren Mänteln zusammengeknöpft und damit die Untrennbarkeit von "Selbst" und "Anderem" ausgestellt – in einer (famosen) Lachnummer unter, in der Maria Happel daneben den sterbenden, zappelnden Schwan mimt.
Peymann'sches Losdonnern
Und auch die nach hinten leicht ansteigende Bühne von Karl-Ernst Herrmann, auf der eine weit geschwungene Landstraße nur durch Lichteffekte markiert wird, hat etwas surreal Komisches. Mit plumpem Seilzug, unterkomplexen Off-Geräuschen (Rauschen! Vogelgezwitscher!), und Taschenspielertricks (Explosiönchen!) kokettiert die immer sichtbare Illusionsmaschinerie mit dem hochgerüsteten Burgtheater-Bühnenapparat, der hier eben ganz und gar nicht zum Einsatz kommen darf.
In Peymanns Inszenierung wird der von Handkes doppelter Ich-Figur eröffnete Konflikt zwischen dem Epischen und dem Dramatischen scheinbar in einer dritten Kategorie aufgelöst, der des Verspielt-Theatralen. Für Peymann bedeutet "dramatisch" ganz simpel "aufregend", und die Erwähnung des Wortes im Text ist zuallererst Gelegenheit, mal ordentlich Stroboskop-Blitze zu zünden und Theaterdonner loszulassen. Für Peymann ist Handkes Landstraße weder Erzählfläche noch Dialogparcours, sondern primär ein Ort für fast schon naive Freude am Herumhoppsen (Nell), am Lachanfall (Happel), oder am Kollektiv-Ins-Handy-Näseln (Ensemble). Und weil es in "Die Unschuldigen..." nur bedingt episch oder dramatisch zugeht, gibt es auch kein wirkliches Ende, bloß ein verschmitztes Andeuten, und das Publikum klatscht mehrfach (und zunehmend genervt) verfrüht ins Leere.
Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße
Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten von Peter Handke
Uraufführung
Regie: Claus Peymann, Bühne: Karl-Ernst Herrmann, Kostüme: Margit Koppendorfer, Dramaturgie: Jutta Ferbers und Anke Geidel, Licht: Karl-Ernst Herrmann und Friedrich Rom, Musikalische Mitarbeit: Moritz Eggert, Geräusche / Töne: David Müllner.
Mit: Krista Birkner, Franz J. Csencsits, Regina Fritsch, Maria Happel, Anatol Käbisch, Christopher Nell, Benedikt Paulun, Hermann Scheidleder, Martin Schwab, Felix Strobel, Fabian Stromberger.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
www.burgtheater.at
Ein Schauspiel in vier Jahreszeiten von Peter Handke
Uraufführung
Regie: Claus Peymann, Bühne: Karl-Ernst Herrmann, Kostüme: Margit Koppendorfer, Dramaturgie: Jutta Ferbers und Anke Geidel, Licht: Karl-Ernst Herrmann und Friedrich Rom, Musikalische Mitarbeit: Moritz Eggert, Geräusche / Töne: David Müllner.
Mit: Krista Birkner, Franz J. Csencsits, Regina Fritsch, Maria Happel, Anatol Käbisch, Christopher Nell, Benedikt Paulun, Hermann Scheidleder, Martin Schwab, Felix Strobel, Fabian Stromberger.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
www.burgtheater.at
Kritikenrundschau
Norbert Mayer von Die Presse (28.2.2016) ist voll des Lobes für das Ensemble. Er sieht "großartige Szenen" von Martin Schwab und Christopher Nell, Maria Happel liefere "ein Meisterstück an Lust und Spiel, das zur Todesfuge wird" und Regina Fritsch stoße "das Ich buchstäblich vor den Kopf, fesselt es, weist es auf das Vergangene und das Vergängliche hin". Am Ende füge sich der Abend "traumhaft zu großen Illusionen". Mayer resümiert: "Lang anhaltender Applaus nach gut drei Stunden. Handke und Peymann haben ihn sich so wie alle Beteiligten redlich verdient."
Die Salzburger Nachrichten drucken die Kritik der österreichischen Nachrichtenagentur Apa (28.2.2016). Sie findet Peymann habe den Abend "in Verehrung für Handkes welthaltige Poetik als Hochamt zelebriert und in gleichzeitiger Brechung augenzwinkernd als kunstvolles Bühnenmärchen umgesetzt". "Der raue Wind der Wirklichkeit verirrt sich in Gestalt einer seltsamen, rasch gesprengten Demonstration, die u.a. 'Freiheit, Gleichheit, Informiertheit' fordert, nur kurz hierher." Mehr Vergnügen bereite Peymann die übersteigerte Selbstkritik des dramatischen Ichs mit einer Reihe "falscher" Schlüsse, auf die das immer wieder erneut zum vermeintlichen Schlussapplaus einsetzende Publikum stets aufs Neue hereinfällt. Peymanns Position als erster Handke-Exeget sei auch nach diesem Abend unangefochten.
Ronald Pohl vom Standard (28.2.2016) hadert mit Handkes Stückvorlage. Zwar würde er ihm inhaltlich gern in allem zustimmen: "Prosaisch und seinsvergessen ist die Welt der Autobahnauffahrten, der planierten Zugangswege. Unser Dasein hat zweifellos an Würzigkeit eingebüßt, an Geschmack und Gehalt." Aber leider entdecke man an diesem Abend "weit und breit kein Stück, keinen geschürzten Handlungsknoten. Da ist nichts außer dem diffusen Willen, Handkes wortgewaltige Referate in all ihrer mutwilligen Pracht aufzuhübschen und zu exekutieren." Nichts sei notwendig in dieser "Kunstgewerbeübung auf technisch hohem Niveau". Früher habe man in Handkes Namen "Einbäume zu Wasser gelassen und selige Stunden verbracht, da man nichts voneinander wusste. Jetzt wurde man an der Landstraße sitzengelassen. Kein schönes Erlebnis."
Handkes neues Stück sei über weite Strecken eine Art räsonierender Lebenssinn-Monolog, findet Hartmut Krug im Deutschlandfunk(28.2.2016). "Bei der Lektüre dieses 180 Seiten umfassenden Textes, der mit viel Redundanz und manchmal angestrengt poetischer Befindlichkeitsprosa dahinfließt, fällt es schwer, darin ein Theaterstück zu entdecken. Doch Regisseur Claus Peymann gelingt es sofort wunderbar, der Schwere und Bedeutsamkeit des Textes mit einer unaufgeregten Lockerheit zu schwungvollem Theaterleben zu verhelfen."
"Es bleibt ein merkwürdig naives und recht eindimensionales Bild, das Nell und Peymann vom Dichter entwerfen", befindet Anke Dürrauf Spiegel online (28.2.2016). Von der "Melancholie, die in Handkes selbstkritischem wie eitlem Stück zu spüren ist, von der Zerrissenheit eines autistischen Künstlers, der sich nach der Welt sehnt und sie doch nicht aushält", sehe man auf der Bühne "zu wenig".
Der Abend dauere lang genug, dass man sich an dem "wunderschönen Himmelszelt" des Bühnenbilds von Karl-Ernst Herrmann gründlich sattsehen könne, schreibt Barbara Villiger Heiligin der Neuen Zürcher Zeitung (29.2.2016). Handkes "eigenbrötlerischer Wut- und Weltbürger" wirke "vor allem weltfremd". Am Ende habe es "jubelnden Applaus" für die Aufführung gegeben. "Das muss nicht bedeuten, sie sei gelungen."
"Theater ist ja schon lange zum 3D-Dolby-Stereo-Multiplex-Gesamtsuperevent verkommen, viel Krach, viel Sex, viel Action, und selbst Shakespeare muss den letzten James-Bond-Film noch an sinnlicher Gesamtladung übertreffen", holt Joachim Lottmann in derWelt (29.2.2016) weit aus zu diesem Haken: "Peymann war der erste, der das vor vielen Jahren begriffen hat." Weiter über Peymann (zu seinen Zeiten als Burgtheater-Intendant 1986-99): "Er war das, was heute die Flüchtlingskrise ist, ein Spalter der Nation." Von ihm gelte als gesichert, "dass noch niemals ein Zuschauer seine Karte wegen Langeweile zurückgegeben hat". Peter Handke hingegen sei der "größtmögliche Langeweiler", so Lottmann. Handke wolle beschreiben, "und Peymann will sozusagen erzählen." Was passiert? Es sei im Endeffekt Hauptdarsteller Christopher Nell, "dieser zum Weinen zarte Mensch", der "allein auf seinen schmalen Schultern" das ganze Unternehmen trage. "Den ganzen monströsen Handkescheiß." Aber Lottmann ist doch am meisten beeindruckt von Peymann, der zum Schlussapplaus auf die Bühne kam, und "wie er jetzt agiert, Schauspieler küsst und herzt, seine Lieblinge hin- und herschiebt, mit einer völlig aberwitzigen Applaus-Choreografie überrascht, Gefühlsausbrüche provoziert, bei seiner Truppe und im Zuschauersaal, bis endlich alle aufstehen und durchdrehen: sagenhaft."
"Robust angepackt und um entscheidende Feinheiten gekürzt", diene Handkes Stück Peymann als Grundlage für ein "ziemlich aufgeblasenes, ziemlich obsoletes Theaterdonnerwetter", schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (29.2.2016). Statt ihn "in seiner seltsamen Querständigkeit oszillieren und flirren zu lassen", gehe Peymann den Text, "der zugegebenermaßen als Drama kaum bestehen kann", mit dem Schutzhelm und dem Werkzeugkasten des vierschrötigen Theaterhaudegens an, so Dössel. Auch Peymanns "abgestandener Theaterzauber- und Märchenonkelhumor" schade der Unternehmung und sorge dafür, "dass der Text auf der Bühne plötzlich sehr viel verquaster erscheint als bei der Lektüre".
Barbara Villiger Heilig gibt in der Neuen Zürcher Zeitung (29.2.2016) zunächst einmal einen Stimmungsbericht aus Wien mit Flüchtlingen und Oberkellner, und reminisziert den Burgtheater-Skandal. "Alles beim Alten? Nein, aber unter Kontrolle." Karl-Ernst Herrmann habe für "seine zigste Zusammenarbeit" mit Peymann "ein wunderschönes Himmelszelt aufgezogen", darunter "sich das Poem entfaltet, in bedächtigem Rhythmus". Die Monologe, die Christopher Nell als Dichter-Alter-Ego hält, seien "Dialoge des Ichs mit dem Ich". "Spezialisten" erkennten darin "Handkes Poetologie". Alle anderen "warten auf die Handlung". Doch die gebe es nicht. Die Unschuldigen tauchen zwar auf, wie üblich bei Peymann-Herrmann "aus der Versenkung hinten", aber viel mehr, als dem "Geschimpfe des Protagonisten" standzuhalten und "ihre Ohren" ihren Handys zu leihen, hätten sie nicht zu tun. Trotz "schauspielerischer Glanzlichter" lange "Handkes eigenbrötlerischer Wut- und Weltbürger" nicht für einen ganzen Theaterabend.
"Nicht verabredet und doch vorhersehbar wurde am Premierenabend gefeiert: ein Fest für Peymann in frenetischem Jubel", schreibt Uwe Mattheis in der taz (1.3.2016). Die drei Stunden Handke davor müsse man sich "als verschlüsselte Offenbarung eines (poetischen) Pantheismus" vorstellen. "Nach der ersten Feierlaune" verblasse der Abend. "Die Theatermaschine ist trefflich in Schwung, aber ihr Welterfindungszauber, der einst das Sehen neu lehrte, ist eitel blass geworden", so Mattheis: "Und wieder einmal werden die alten Heroen kulturkritisch klagen, das Theater haben an 'Stellenwert verloren'. Aber vielleicht hat ihr Theater, das über mehr als eine Generation das Theater war, mittlerweile erstaunlich wenig zu sagen."
Claus Peymann werde in Wien mit allen paramilitärischen Ehren empfangen: "Jubel, glückliche Präsentation alter Wunden, schön war's damals!", schreibt Peter Kümmel in der Zeit (3.3.2016). Aber "die allgemeine Banalisierung, Verflachung, die die Inszenierung beklagt, vollzieht sie selbst: an diesem Stück, das sie so halb uraufführt". Nichts wirke inspiriert oder von spielerischem Überschuss getrieben. Karl-Ernst Herrmann, der große Bühnenerfinder, werfe uns nun bloß eine kahle, leere Kurve auf schiefer Ebene als Spielort hin. "Der Regisseur lässt darüber einen Trupp von Spitzweg-Buben und Kabarettkomparsen biedermeier-haft sich hinwegkräuseln – ein von Geburt an zusammengestauchtes, mut- und sprachloses Komfortgesindel." "Größtes Problem der Inszenierung: Es ist beim großzügigen Streichen von Text die Struktur des ganzen Stücks verloren gegangen."
THEMA: MEDIEN
MEDIENMACHER
Aufmerksamkeit bei der Uraufführung gut gebrauchen. Denn schließlich musste die berühmteste aller deutschsprachigen Bühnen im vergangenen Jahr unter der Führung von Karin Bergmann einen harten Sparkurs fahren. Im vergangenen Jahr drückte die deutsche Burgtheater-Chefin, die seit zwei Jahren die Geschäfte führt, die Kosten in der Spielzeit um rund vier Millionen Euro. Am Ende stand ein Jahresüberschuss von 1,2 Millionen Euro. Zumindest die ökonomischen Folgen des Finanzskandals aus der Ära ihres Vorgängers Matthias Hartmann werden Stück für Stück abgearbeitet. Eine beachtliche Managerleistung.
Doch Theater lässt sich nicht in erster Linie an der wirtschaftlichen Leistung messen. Entscheidend ist die künstlerische. Und da spielt das Burgtheater wieder ganz vorne mit. Peter Handke und Claus Peymann sei Dank.
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Burgtheater kann die Aufmerksamkeit gebrauchen
Der bald 80-jährige Peymann zaubert mit der Hilfe seines kongenialen Bühnenbildners Karl-Ernst Herrmann starke Bilder auf die Bühne. Der Demonstrationszug der „Unschuldigen“ auf der Landstraße hält Transparente wie „Freiheit, Gleichheit, Informiertheit“ dem Zuschauer entgegen. Das sind Bilder, die nur schwer aus dem Kopf zu kriegen sind, Regietheater im besten Sinne des Wortes. Schließlich ist Handkes imaginäre „Landstraße“ noch „der letzte freie Weg in die Welt, der letzte nicht verstaatlichte, nichtvergesellschaftete, nichtgeographierte, nichtgeologisierte, nichtbotanisierte, nichtgegooglte, nichtöffentliche und nicht private Weg auf Erden.“
THEMA: MEDIEN
MEDIENMACHER
Noch ein Beiratsposten für Helmut Markwort
NOZ KAUFT MHN
Neuer Zeitungsriese entsteht in Norddeutschland
ALIBABA SPORTS UND WIGE MEDIA
Deutsche Digitaltechnik für Chinas Sportler
Handke unter Peymann an der Burg ist noch immer ein Medienereignis – zumindest im kunstaffinen Alpenland. Deshalb trifft an einen solchen Abend Macht auf Geld auf Kultur – Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer, Voestalpine-Boss Wolfgang Eder und Regisseur Achim Freyer sind im Publikum.
Aufmerksamkeit bei der Uraufführung gut gebrauchen. Denn schließlich musste die berühmteste aller deutschsprachigen Bühnen im vergangenen Jahr unter der Führung von Karin Bergmann einen harten Sparkurs fahren. Im vergangenen Jahr drückte die deutsche Burgtheater-Chefin, die seit zwei Jahren die Geschäfte führt, die Kosten in der Spielzeit um rund vier Millionen Euro. Am Ende stand ein Jahresüberschuss von 1,2 Millionen Euro. Zumindest die ökonomischen Folgen des Finanzskandals aus der Ära ihres Vorgängers Matthias Hartmann werden Stück für Stück abgearbeitet. Eine beachtliche Managerleistung.
Doch Theater lässt sich nicht in erster Linie an der wirtschaftlichen Leistung messen. Entscheidend ist die künstlerische. Und da spielt das Burgtheater wieder ganz vorne mit. Peter Handke und Claus Peymann sei Dank.
Immer montags schreibt Handelsblatt-Korrespondent und Buchautor Hans-Peter Siebenhaar seine Sicht auf die Kommunikationswelt auf.
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Handkes Wachtraum zwischen den Dörfern
Bild: REUTERS
Uraufführung von "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" im Burgtheater – Peymann wirbelt den dichten Text kunstvoll auf.
(DiePresse.com)
Peter Handke hat vor der Uraufführung seines neuen Stückes „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ verraten, dass er beim Verfassen an den Weg zwischen seinem Kärntner Heimatort Griffen und dem Nachbardorf Ruden gedacht habe. So also sah sie aus, diese Landstraße, am Samstag im Wiener Burgtheater in der Inszenierung von Claus Peymann: Bei offenem Vorhang öffnet sich in der Mitte der riesigen Bühne ein zweiter, luftiger Stoff, auf der von Karl-Ernst Herrmann gestalteten schiefen Ebene ist ein helles, manchmal beleuchtetes Band zu sehen, als bloße Kurve in abstrakter Landschaft, die zu einem Endspiel von Samuel Beckett passen würde: Warten auf die Unbekannte.
Dort auf der Straße ist das Ich unterwegs, Christopher Nell spielt es souverän, als fesche Variation des Dichters in jungen Jahren, mit Accessoires des Wanderers Handke aus späterer Zeit. Er gerät unter die Unschuldigen mit ihrem Wortführer (Martin Schwab) und ihrer Wortführerin (Maria Happel). Später begegnet er der geheimnisvollen Unbekannten (Regina Fritsch). Nell versteht es vom ersten Monolog an, dem dichten, dunklen, auffällig mit Sätzen aus der Weltliteratur spielenden Text Luftigkeit, zuweilen Witz, verlässlich Tiefe zu geben – mit heller Stimme, singend, tänzelnd, denkend. Schwab und Happel als seine „unschuldigen“ Widerparts sind besonders in der Komik stark. Da wird getrippelt, gekämpft und gestaunt. Eine zauberhafte, seltene Erscheinung ist Fritsch – prägnant und unheimlich präsent.
Dort auf der Straße ist das Ich unterwegs, Christopher Nell spielt es souverän, als fesche Variation des Dichters in jungen Jahren, mit Accessoires des Wanderers Handke aus späterer Zeit. Er gerät unter die Unschuldigen mit ihrem Wortführer (Martin Schwab) und ihrer Wortführerin (Maria Happel). Später begegnet er der geheimnisvollen Unbekannten (Regina Fritsch). Nell versteht es vom ersten Monolog an, dem dichten, dunklen, auffällig mit Sätzen aus der Weltliteratur spielenden Text Luftigkeit, zuweilen Witz, verlässlich Tiefe zu geben – mit heller Stimme, singend, tänzelnd, denkend. Schwab und Happel als seine „unschuldigen“ Widerparts sind besonders in der Komik stark. Da wird getrippelt, gekämpft und gestaunt. Eine zauberhafte, seltene Erscheinung ist Fritsch – prägnant und unheimlich präsent.
„ . . . ein jeder geht anders . . . “
Peymann garniert den Erzählstrom mit bewährten Effekten, – Vogelgezwitscher, Donner, Blitz und Schnee, ja sogar mit einem veritablen Sturm. Da saust und braust es, da wirbeln die Blätter, auch schwarz verkohlte. Fast wie im Film. Gleich am Anfang taucht aus dem Boden eine desolate Bushaltestelle auf, Schild, Bank und Unterstand, eine alte Erinnerung und zugleich das Lager für den Erzähler, auf dem er geschickt herumturnt.
Was will das magische und auch wahnsinnige Ich auf diesem „letzten freien Weg in die Welt“? Es gilt, diese Passage zu verteidigen, gegen die ignoranten Unschuldigen mit ihrem Fimmel für mobile Telekommunikation und Konsum, gegen allerlei Schnurren dieser gewöhnlichen Leute, die so viel übersehen, was das Ich im Blick hat. Sie sind für den gereizten Erzähler Landstraßenokkupanten . Ganz anders sieht er die mysteriöse Frau in Schwarz. Sie ist „die erhoffte, seit jeher ersehnte“ auf diesem letzten Weg. Sie wird ihm später sagen: „Die einen gehen so, die anderen gehen so, ein jeder geht anders“ - eine befremdende Feststellung. Das längst Entwöhnte passt zur Grundstimmung hier, in einem Motto ist sie im Buch angedeutet – „Go sleep and hear us“ aus William Shakespeares „The Tempest“. Alles nicht wahr! Handkes gespaltenes Ich, das zudem auch noch einen lästigen Doppelgänger hat, denkt an „Hellträumen. Umfassend träumen. Verbindlich! Freiträumen“.
Was will das magische und auch wahnsinnige Ich auf diesem „letzten freien Weg in die Welt“? Es gilt, diese Passage zu verteidigen, gegen die ignoranten Unschuldigen mit ihrem Fimmel für mobile Telekommunikation und Konsum, gegen allerlei Schnurren dieser gewöhnlichen Leute, die so viel übersehen, was das Ich im Blick hat. Sie sind für den gereizten Erzähler Landstraßenokkupanten . Ganz anders sieht er die mysteriöse Frau in Schwarz. Sie ist „die erhoffte, seit jeher ersehnte“ auf diesem letzten Weg. Sie wird ihm später sagen: „Die einen gehen so, die anderen gehen so, ein jeder geht anders“ - eine befremdende Feststellung. Das längst Entwöhnte passt zur Grundstimmung hier, in einem Motto ist sie im Buch angedeutet – „Go sleep and hear us“ aus William Shakespeares „The Tempest“. Alles nicht wahr! Handkes gespaltenes Ich, das zudem auch noch einen lästigen Doppelgänger hat, denkt an „Hellträumen. Umfassend träumen. Verbindlich! Freiträumen“.
Die Poesie am Rand der Wörter
Im ersten, rund hundert Minuten langen Teil bietet die Regie allerlei Tricks auf, mechanische wie choreografische, um den Monolog des Ich-Erzählers bei seinen Begegnungen mit der Außenwelt bildkräftig zu unterstützen. Da ist viel Rennen und Gedränge, man spürt die Aggression des Erzähler-Ichs, das sich an Geringfügigem erregt wie an Wesentlichem, das sich daran philosophisch am Rand der Wörter abarbeitet. Findet er Zettel, etwa Prospekte oder private Notizen, macht er aus zufälligen Sätzen gefundene Gedichte. Passiert er Passanten, wird er oft rabiat.
Nach der Pause, für knapp eine Stunde, fokussiert diese Inszenierung noch stärker auf das dominante Quartett, während die übrigen sich zum Leichenzug formieren, als ob sie apokalyptischen Bildern von Hieronymus Bosch oder Pieter Bruegel entsprungen wären. Einem kurzen Gefecht mit Stecken folgt fast versöhnliche Nachbarschaft. Das sind großartige Szenen von Nell und Schwab. Happel liefert ein Meisterstück an Lust und Spiel, das zur Todesfuge wird. Fritsch stößt als nunmehr erkannte Unbekannte das Ich buchstäblich vor den Kopf, fesselt es, weist es auf das Vergangene und das Vergängliche hin. Eros trifft Thanatos.
Das Ende wird in feinen Abstimmungen zelebriert. Jetzt fügt sich alles traumhaft zu großen Illusionen. Am Schluss, nach 171 Seiten Text (für die Aufführung wurde er merklich gekürzt), fragt sich das komplexe Ich, ob es denn gehe, dass in einem Traum der Träumer nicht nur das erste, sondern auch das letzte Wort habe – „ . . . in einem Wachtraum: Ja! – Ach, ja. Ach, ja!“ Lang anhaltender Applaus nach gut drei Stunden. Handke (*1942) und Peymann (*1937) haben ihn sich so wie alle Beteiligten redlich verdient.
Mysteriöses Rockkonzert alter Meister
Es verbindet die beiden alten Meister eine unglaubliche Geschichte. Vor einem halben Jahrhundert haben sie sich gefunden: Durch „Publikumsbeschimpfung“, 1966 in Frankfurt am Main uraufgeführt, wurden sie als kecke Twens auf einen Schlag berühmt. Ein „verbales Rockkonzert“ nannte der Dramatiker diese damalige Insultation. Seither rocken Handke und Peymann in unregelmäßigen Abständen. Ihre jüngste Arbeit ist die zehnte gemeinsame Uraufführung. Allein fünf gab es am Burgtheater, wo Peymann von 1986 bis 1999 ein in mehrfachem Sinne aufregender Direktor war. Dazu trugen auch die gedankenvollen, epischen Stücke von Handke erheblich bei, die dessen Leib- und Leben-Regisseur für gewöhnlich sehr opulent in Szene setzte. Dieses späte Drama gehört zu den geheimnisvollsten bisher.
(Norbert Mayer)
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Uwe Mattheis in der taz (1.3.2016)
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Uwe Mattheis in der taz (1.3.2016)
Premiere im Burgtheater Wien
Sie sehen nicht, sie zappen
Schriftsteller Peter Handke dichtet, Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann steuert Blitz und Donner bei und Regisseur Claus Peymann wird gefeiert.
Für einen Abend wendet die Burg den entsetzten Blick von der ungewissen Zukunft des Hauses ab und macht eine Rolle rückwärts in die 90er Jahre, als die Regiezampanos der 80er Jahre sich an der Wiener Ringstraße die Türklinken in die Hand gaben, BurgschauspielerInnen eine Art von republikanischem Adel bildeten, Literatur noch polarisierte, jede Uraufführung zum Staatsakt wurde, die Budgets noch solide waren und die Theatermaschine in die Vollen gehen konnte.
Nicht verabredet und doch vorhersehbar wurde am Premierenabend gefeiert: ein Fest für Peymann in frenetischem Jubel. Nur altgediente Ohren erinnern sich an das Buhen, Pfeifen und die permanente Denunziation, mit der kulturnationalistische Philister seine Ära in Wien unaufhörlich begleiteten.Davor liegen drei Stunden Handke. Man muss sie sich als verschlüsselte Offenbarung eines (poetischen) Pantheismus vorstellen.
Aber vielleicht hat ihr Theater mittlerweile erstaunlich wenig zu sagen
Jedes Blatt und jedes Blümlein enthält eine Botschaft über die ganze Welt bereit für den, der in der Lage ist zum inständigen Hören, zum geduldigen Schauen, zum „Auf-sich-Übergehen-Lassen“. Das Problem: Der Dichter kann es, die anderen nicht. Aber war Dichtung nicht einmal das, was von tiefer gehender Erfahrung zumindest berichten konnte? Die Abspaltung des Dichter-Ichs von allem, was Gesellschaft ist, färbt sich um zur Bukolik des Tramps, der in den schiefen Resten einer aufgelassenen Postbushaltestelle haust – Get Your Kicks on Mariazeller Bundesstraße.
Dem Sehnen und Suchen treten jetzt die anderen entgegen. Die „Unschuldigen“ nennt Handke sie, ein anachronistischer Umzug, der immer wieder auftaucht, mal handyschnatternd im Sportdress, mal im zombiehaften Schwarz hinter einer Monstranz herziehend. Sie verstehen nicht, sie kommunizieren. Sie sehen nicht, sie zappen. Sie hören nicht, sie telefonieren. Ihre Unschuldsvermutung ist natürlich blanker Hohn. Der Erbsünde der Konsumgesellschaft rettungslos verfallen, sind sie das anonyme Geschwätz der Masse, das Heideggersche „man“.
Handkes metaphysisches Mann-Frau-Yin-Yang-Motiv
Zwei von ihnen haben keine Namen, aber eigenständigen Text. Auch sie scheitern an tiefer gehenden Verstehensprozessen, der „Wortführer“ (Martin Schwab) tragikomisch, die „Wortführerin“ (Maria Happel) urkomisch. Aus den „Schönen Tagen von Aranjuez“ (2012) entfleucht, weht Handkes metaphysisches Mann-Frau-Yin-Yang-Motiv herein in der Gestalt der „Unbekannten“ (Regina Fritsch), die der Held im entscheidenden Moment strafwürdig nicht erkennt.
Von den gesellschaftlichen Stereotypen aus „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“ (1992) bis zum Herbstlaubrascheln von „Immer noch Sturm“ (2011) ist die Rezeptur für ein Handke-Potpourri reich vorhanden. Peymanns souveränes Handwerk hält vieles zusammen, kann aber zuletzt doch nicht den Gedanken zerstreuen, dass diese antimoderne Philippika der Wut eines Dichters entspringt, der die Form verloren hat.
Aber auch der Abend selbst verblasst nach der ersten Feierlaune. Die Theatermaschine ist trefflich in Schwung, aber ihr Welterfindungszauber, der einst das Sehen neu lehrte, ist eitel blass geworden. Und wieder einmal werden die alten Heroen kulturkritisch klagen, das Theater haben an „Stellenwert verloren“. Aber vielleicht hat ihr Theater, das über mehr als eine Generation das Theater war, mittlerweile erstaunlich wenig zu sagen
==========================Claus Peymann werde in Wien mit allen paramilitärischen Ehren empfangen: "Jubel, glückliche Präsentation alter Wunden, schön war's damals!", schreibt Peter Kümmel in der Zeit (3.3.2016). Aber "die allgemeine Banalisierung, Verflachung, die die Inszenierung beklagt, vollzieht sie selbst: an diesem Stück, das sie so halb uraufführt". Nichts wirke inspiriert oder von spielerischem Überschuss getrieben. Karl-Ernst Herrmann, der große Bühnenerfinder, werfe uns nun bloß eine kahle, leere Kurve auf schiefer Ebene als Spielort hin. "Der Regisseur lässt darüber einen Trupp von Spitzweg-Buben und Kabarettkomparsen biedermeier-haft sich hinwegkräuseln – ein von Geburt an zusammengestauchtes, mut- und sprachloses Komfortgesindel." "Größtes Problem der Inszenierung: Es ist beim großzügigen Streichen von Text die Struktur des ganzen Stücks verloren gegangen."
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