Wim Wenders spricht über seinen neuen Film: Warum ein Hund mitspielt, warum er gern in Wuppertal ist und wie Paris zur Oase wird.
Wuppertal. Der Film ist ein Schock, den Wim Wenders (71) am Donnerstag im vollbesetzten Rex als Vorabpremiere vorstellte. Denn für „Die schönen Tage von Aranjuez“ setzen die Zuschauer zwar eine 3D-Brille auf, doch dann kommt nicht die gewöhnliche Action. Vielmehr zwingt der Film sie auf eine Entschleunigungsspur.
In diesem luftigen Kammerspiel sitzen eine Frau und ein Mann in einem wundervollen Garten mit Fernblick auf Paris, jede Einstellung zeigt eine neue Blütenpracht. Vogelgezwitscher und Blätterrauschen liefern den Soundtrack, schließlich waren zwölf Mikrofone allein dafür im Garten verteilt. Die beiden sitzen und reden, sie vor allem über die Liebe, er weicht aus. Minimalistischer geht es kaum. Doch wer sich darauf einlassen mag, erlebt einen entrückten Sommernachmittag.
Herr Wenders, in der Auftaktsequenz zeigen Sie Paris als paradiesische Oase voller Grün und Vogelgezwitscher – aber menschen- und autoleer. Zu welcher Zeit konnten Sie das filmen oder mussten Sie digital eingreifen?
Wim Wenders: Wir hatten die blendende Idee, dass Paris im Sommer sonntags morgens um 5 Uhr leer sein müsste. Dann war um 4.30 Uhr Halligalli, um 5 Uhr war Halligalli, um 6 Uhr war Halligalli. Alle Leute kamen aus den Discos und fuhren gefährlich besoffen herum, schwenkten Champagnerflaschen aus den Wagen. Da haben wir gemerkt: Es wird hier nicht leer. Gedreht haben wir trotzdem. Ein Mensch war danach vier Wochen beschäftigt, alle Autos rauszuretuschieren. Jetzt ist es tatsächlich paradiesisch nur mit den Vögeln, die durch die Stadt flitzen.
Im Film reden die Frau und der Mann – so nennt sie Peter Handke in seinem Stück – fortwährend miteinander, aber eine wirkliches Gespräch entsteht nicht.
Wim Wenders neuer Film „Die schönen Tage von Aranjuez“ läuft bundesweit am 26. Januar an. Er beruht auf einem Stück von Peter Handke, das er 2012 für seine Frau Sophie Semin geschrieben hat. Sie spielt auch die weibliche Hauptrolle im Film.
Wenders: Das ist ja auch was mit Mann und Frau, die ticken anders. Der Film zeigt schon ein Gespräch. Sie bemühen sich auch beide, dem anderen gut zuzuhören – aber so richtig lässt sich der Mann nicht darauf ein. Er ist zwar neugierig und hat auch ein paar Fragen, die hin und wieder ein bisschen unverschämt und impertinent sind. Aber wenn er mal dran ist, will er eigentlich nicht mit der Sprache heraus und von sich erzählen.
Das bekannte Problem mit den Gefühlen?
Wenders: Ja, Männer reden nun mal nicht so gern von ihren Gefühlen, Frauen haben damit weniger ein Problem. So sieht man an dem Film, wie unterschiedlich Männer und Frauen tatsächlich sind. Zwei Frauen würden ganz bestimmt völlig anders miteinander reden an diesem Tisch als zwei Männer. Aber dass sich eine Frau und ein Mann so lange zuhören, ist auch schon was Schönes.
Sehen Sie die beiden als Liebende? Dafür sitzen sie ja ziemlich weit auseinander.
Wenders: Man weiß nicht so genau, was es mit den beiden auf sich hat. Es gibt Neugierde und Respekt, aber wenn da mal was war, ist es vorbei.
Sie sind mit Peter Handke seit langem befreundet. Hemmt Sie das, wenn Sie etwas an seinem Stoff ändern?
Wenders: Ich habe ja einiges geändert. Ich habe noch eine Figur dazu erfunden, den Schriftsteller, der den beiden zuhört und das schreibt, was sie sagen. Den Hund, die Jukebox und den Gärtner habe ich auch hinzugefügt. Im Theaterstück gibt es nur die zwei Personen, das war mir für einen Film doch zu dünne.
Haben Sie ihn gefragt?
Wenders: Ja, ich habe ihm gesagt, was ich machen wollte. Und er hat mich machen lassen. Wir sind ja lange genug Freunde, dass wir uns gegenseitig nicht reinreden. An dem Dialog an sich habe ich nichts verändert, nur eine halbe Stunde gekürzt. Ansonsten war ich froh, dass ich diesen Dialog hatte. Ich finde es schön, wie die beiden reden. Im französischen Original hat es eine gewisse Luftigkeit und Leichtigkeit, die wir versucht haben, in die deutsche Fassung hineinzubringen – was einige Mühe gekostet hat.
Handke wollte den Autor aber nicht selbst spielen?
Wenders: Ich habe ihn gefragt, aber Peter wollte nicht. Er hat gesagt: „Wenn du unbedingt einen Autor drin haben willst, dann mach das, aber nimm lieber einen Schauspieler.“ Das war ein guter Rat, denn mit Jens Harzer habe ich schön gearbeitet. Er wusste auch viel über das Stück, weil er in der deutschen Uraufführung unter Luc Bondy den Mann gespielt hat. Es gibt auch Leute, die meinen, dass er Peter ähnlich sieht – dem jungen.
Als Gärtner machte Handke gern mit?
Wenders: Ja, da ist er auch sehr kompetent. In seinem eigenen Garten zupft er das Unkraut, schneidet die Bäume und lässt sich nicht reinreden. Er hat sich auch von mir nicht sagen lassen, wie er diesen Baum im Film zu beschneiden hat.
Sie haben den Hund schon angesprochen: Er agiert ungewöhnlich entspannt.
Wenders: Der war gar nicht meine Idee. Das ist der Hund von Reda Kateb, den er bei den Proben immer dabei hatte. Sophie Semin hatte ihre Katze dabei. Die beiden waren friedlich miteinander und haben sich sehr gut benommen. Als es ans Drehen ging, hat Reda gesagt: „Wenn wir den Hund ins Haus tun, bellt er. Wenn er dabei sein kann, ist er friedlich.“ Mir war wichtiger, dass er nicht stört, also ist er mit im Bild. Polo war so lieb, ist immer an den richtigen Stellen aufgestanden, hat richtig mitgespielt. Die Katze ist einen Tag vor Drehbeginn abgehauen – und am letzten Drehtag wiedergekommen. Sie hatte darauf wohl keine Lust.
Reden wir über Wuppertal: Wie hat sich Ihr Verhältnis zu der Stadt nach dem „Pina“-Film entwickelt?
Wenders: Oh, ich war öfter da, habe viele Premieren des Ensembles gesehen, auch andere Projekte von Tänzern und Schauspielern, habe Freunde besucht. Ich fühle mich Wuppertal sehr verbunden. Es ist eine Art Heimatort für mich geworden, weil ich lange hier war und auf der Suche nach Drehorten so viel herumgelaufen bin, dass ich die Stadt vielleicht besser kenne als viele, die hier wohnen. Als der Verleih fragte, ob ich nicht eine kleine Kinotour mit dem Film machen wollte, habe ich gesagt: „Okay, schickt mich nach München, Hamburg, Düsseldorf– aber bitte auch nach Wuppertal.“
Sie haben einige Jahre in den USA gelebt. Wie sehen Sie der Amtseinführung von Donald Trump entgegen?
Wenders: Das tue ich mir nicht an. Ich habe Besseres zu tun, als mir die drittklassigen Künstler anzusehen, die da auftreten, und diesen Schmierenkomödianten, der sich selbst beweihräuchert.
Hätten Sie sich je vorstellen können, dass jemand wie Trump gewählt wird?
Wenders: Nein, aber nun ist es einmal so. Das wird auch nicht lange dauern, denn der Mann hat ja keine Lust zu arbeiten. Ich weiß auch nicht, was die Leute draufhaben, die ihn beraten sollen. Das sind alles Geschäftsleute – die können Business, aber Amerika ist kein Business, sondern ein wichtiges und mächtiges Land. Insofern ist es eine Katastrophe, denn Trump wird das vor die Wand fahren. Ich glaube aber fest daran, dass die Amerikaner stark genug sind, um auch so einen Trottel zu überleben.
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Kinokritik: Die schönen Tage von AranjuezÖdnis im GartenVon Thomas Klingenmaier 25. Januar 2017 - 10:23 UhrWim Wenders probt den filmischen Stillstand: In seiner Verfilmung eines Bühnenstücks von Peter Handke gelingt es ihm nicht, die Faszination des bannenden Sprechens fassen.
Stuttgart - Dass die Amerikaner so gerne Movies nennen, was sich von Moving Pictures ableitet, von den bewegten Bildern also, das ist auch eine Programmansage: Im Kino sollen die Menschen, Dinge und Verhältnisse bitte ordentlich in Bewegung kommen. Diese pragmatische, an Publikumswünschen orientierte Auffassung von guten Filmen hat immer schon den Widerspruchsgeist einiger mehr oder weniger esoterischer Cineasten geweckt, hat sie gereizt, Filme vorzulegen, denen die Bewegung ganz ausgetrieben ist. Auch Wim Wenders hat sich nun hinreißen lassen, eine Stillstandsübung auf die Leinwand zu bringen: „Die schönen Tage von Aranjuez“.
Zugrunde liegt dem Spielfilm ein Theaterstück von Peter Handke, das aus einem langen Gespräch zwischen einem Mann und einer Frau besteht. Er (Reda Kateb) fragt, sie (Sophie Semin) antwortet, und die beiden an einem schönen Tag an einem Gartentsich im Freien Sitzenden entlassen keinesfalls den üblichen Smalltalk in die Sommerluft. Es geht um sexuelle Erfahrungen und um sexuelles Erwachen. Aber auch wenn zwischen dem Paar hochsymbolisch ein Apfel auf dem Tisch liegt, als könnten sich Adam und Eva diesmal allein mit Worten ums Paradies bringen, wird das in keiner Sekunde spannend oder sinnlich.
Auch kleine Mätzchen bringen weder Humor noch Leben
„Die schönen Tage“ will und kann nicht die Faszination des bannenden Sprechens fassen. Das wird schon von der permanent auf sich selbst verweisenden Kamera verhindert: Ausgerechnet diesem beschränkten Szenario mutet Wenders die stereoskopische 3-D-Kamera zu, ein absurder optischer Overkill. Im Haus aber sitzt der Schriftsteller (Jesn AHrzer), der das Paar imaginiert, dessen Gespräch ersinnt und ab und an seine Jukebox anwirft. Diese Konstruktion schafft es, den Sprechenden Bedeutung und Stofflichkeit zu rauben, ohne im Austausch den Schriftsteller intersanter zu machen. Auch kleine Mätzchen – ein Kurzauftritt von Nick Cave, ein Komparsenauftritt im Hintergrund von Peter Handke als Gärtner – bringen weder Humor noch Leben in diesen Akt des Trotzes. Der Seelenkrisen-Thriller „Everything Will Be Fine“, einer von Wenders schönsten Filmen, ist vor zwei Jahren derb geflopt. Vielleicht schien seine bebende Ruhe vielen bloß leere Ödnis. Nun legt Wenders eine seiner schwächsten Arbeiten nach, als wolle er sagen: „Euch zeige ich mal, wie ödes Kino wirklich geht!“
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.kinokritik-die-schoenen-tage-von-aranjuez-oednis-im-garten.4ef61736-1fdf-49b8-bad0-f7375958671b.html===========================
Kino der Entschleunigung
Wim Wenders hat es nicht leicht. Sein neuester Film Die schönen Tage von Aranjuez feierte auf den Filmfestspielen von Venedig Premiere und wurde von der Kritik leidenschaftlich gehasst. Erschwerend kommt hinzu, dass die Vorlage von Peter Handke stammt, auch Peter Handke wird von vielen nicht gemocht. Und dann auch noch das: Ein Kino der Entschleunigung. In 3D. Ein Mann, eine Frau, eine Terrasse, ein schöner Sommertag. Wozu hier 3D, wurde von vielen gefragt. Weshalb überhaupt ein Film, und kein Hörspiel? Oder eben gleich Theater?
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»Wer fängt an?« – »Du fängst an.« – »Wie war deine erste Nacht mit einem Mann?« – »Meine erste Nacht mit einem Mann war keine Nacht und nicht mit einem Mann.«
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Die Dialoge sind theaterhaft gesprochen, und eigentlich sind es nicht einmal Dialoge, es ist mehr ein Frage- und Antwortspiel zwischen einem Mann und einer Frau, die im Film noch nicht einmal ein Paar sind. Und hier bereits beginnt die Perfidie, mit der Wim Wenders den Text seines langjährigen Freundes und Wegbegleiters Peter Handke zersetzt und zu etwas Neuem macht. Peter Handke hatte den »Sommerdialog«, wie er sein Stück »Die schönen Tage von Aranjuez« im Untertitel nennt, für seine Frau geschrieben. Wim Wenders besetzt die Rolle der Frau mit Handkes realer Frau, der französischen Schauspielerin Sophie Semin und öffnet damit die Fiktion in die Realität hinein. Auf ähnliche Weise bricht er den geschützten Raum der Spiels auf, wenn er einmal Peter Handke mit einer Leiter als Gärtner im Hintergrund zeigt, wie der sich an der Hecke zu schaffen macht. Es sind Querverweise auf die außerfiktionale Realität, aber mehr noch: zum realen Autor des Textes und der realen Adressatin, für die dieser Text geschrieben wurde. Dieses Aufbrechen des scheinbar so intakten Fiktionsortes auf der Terrasse in einem malerischen Garten setzt sich weiter fort, durch Figuren, die Wenders für den Film erfunden hat und mit denen er zwar den Text nicht verändert, ihn dennoch deutlich bricht. Hier kann sich Ironie hineinschleichen und ein »plaisir« am Text, das Handkes Dialog mit seinen recht schweren Zeilen tatsächlich eher nicht bereithält.
Vexierspielchen
Das Aufbrechen geht weiter: Ein Schriftsteller sitzt im Haus, blickt auf die Terrasse, vor sich eine Schreibmaschine, und imaginiert den Dialog, den Mann und Frau dann sprechen. Eine Fiktion der Kreation, die sich wie ein Teleskop zwischen die Szene auf der Terrasse schiebt und den Dialog in die Ferne rückt, ihn nicht mehr beim Wort nimmt: Wird der Dialog vom Schriftsteller vorgesprochen und auf die Lippen des Paares souffliert? Oder spricht der Schriftsteller nach, was er hört? Immer wieder lässt er die Worte auf seiner Zunge zergehen, mit sichtlicher Amüsiertheit, einmal verlässt er seinen Schreibplatz, geht in die Küche, holt sich ein Glas Wasser und lacht lauthals. Über das, was er sich ausdenkt oder was er zu hören glaubt? Oder gar über den Film?
Dieses Vexierspiel mit Kreation und Kreiertem, mit dem Erzähler außerhalb der Geschichte und den Figuren, die er erfindet, nimmt Wenders mit großem Spaß ganz ernst. Wenn dann auch noch urplötzlich Nick Cave an einem Flügel sitzt, im Kameraschwenk hinter der Jukebox auftaucht, dann ist das Spiel mit der Materialisierung der Schöpfung perfekt und die Ebenen sind ins Unendliche gedehnt: Für Handke war die Jukebox sogar ein eigenes Essay wert (»Versuch über die Jukebox«, 1990), in dem er deren Wichtigkeit beim Schreibprozess betont. Darüber tut sich auch die Truhe zum Zitatenschatz von Wenders' eigenen Filmen auf, die oft auch von der Freundschaft zu Handke inspiriert waren (die Jukebox verweist auf
Alice in den Städten, 1973, Nick Cave auf
Der Himmel über Berlin (1987), das »kreationistische« Zuhören des Schriftstellers auf die Engel ebendort, Peter Handke wiederum auf
3 amerikanische LPs, 1969, und auf
Falsche Bewegung, 1974, und eben die Jukebox). Die Musik, die aus der Jukebox ertönt, wird eingesetzt wie ein antiker Chor, der das Geschehen aus der Warte außerhalb der Fiktion kommentiert, die Lieder sind bewusst gesetzte Elemente des Films. »I don't believe in an interventionist God«, singt Nick Cave, während der Autor-Kreator andauernd interveniert. Das alles ist natürlich ein ziemlich intellektueller Spaß.
Wenders stellt sicherlich keine Schenkelklopfer her, aber er amüsiert sich auch über Handkes Text, der einigermaßen chauvinistisch ist: die Frau wird ausgefragt, nach intimen Details ihrer Sexualität, sie beginnt zu erzählen, auf der Seite des Mannes keine Reaktion. Was Wenders als ziemlich tumbes Zuhören zeigt. Bis die nächste Frage kommt. Sophie Semin entfaltet, während sie spricht, eine glucksende Mädchenhaftigkeit, sie ist aber nicht mehr jung, im Gegenteil. Reda Kateb, der den Mann spielt, erscheint neben ihr wie ein Schöngeist, der kein Alter und kein Leben in sich trägt und nur Staffage ist, ein Stichwortgeber, der nicht weiß, wohin mit seiner Männlichkeit. Der dann folglich auch, in einer ausbrechenden Szene, für die »Action« zuständig ist.
3D-Sinnlichkeit
Der große, auch sinnliche Genuss bei Die schönen Tage von Aranjuez ist das Aufeinandertreffen der Schauspieler, des Textes, der Figuren – mit dem 3D. Es ist der dritte Film, den Wenders in 3D gedreht hat, und wie die Male zuvor bürstet er auch hier wieder die Technik gegen den Strich. Nimmt es nicht als »Kino wie noch nie«, sondern bricht es runter auf ein »3D wie noch nie«: auf ein 3D jenseits der jahrmarktähnlichen Effekte, unter denen man sich unwillkürlich hinwegducken will. Das 3D von Wim Wenders lässt die Bilder einfach nur plastisch erscheinen. Der Effekt, den er derart unspektakulär erzielt, ist jedoch sehr sophisticated und hat stets mit dem Film zu tun, den man gerade sieht. Gemäß dem Credo »form follows function« der Architekten (keine Form ohne Funktion, denn sonst wäre sie nur Dekoration) oder der Dichotomie von Form und Inhalt der Literatur, nach der jede Form auf den Inhalt zu beziehen sei und eine Form ohne Inhalt nur eine leere (Wort-)Hülse.
Pina (2011), Wenders erstes 3D-Experiment inszenierte das Tanztheater von Pina Bausch als Guckkasten-Aufführung. Das 3D verschob teilweise die Dimensionen so, dass man den Eindruck von tanzenden Figurinen hatte, die sich auf einem Bühnenmodell bewegten, das den Raum vorstellbar machen sollte. Der Dokumentarfilm war ein großer Erfolg, aber bereits
Every Thing Will Be Fine (2015) wurde schon nicht mehr gemocht: Wozu das 3D, wurde gefragt. Wenders jedoch entrückt die Welt hier der Unmittelbarkeit, lässt sie wie im Inneren einer Schneekugel erscheinen, wie hinter Glas. Jetzt, in
Die schönen Tage von Aranjuez schafft Wenders' 3D eine Tiefenstruktur, die das Bild nach Innen, in die Tiefe der Leinwand hinein verlegt (und nicht in den Zuschauerraum bringt, wie sonst so gerne) und dadurch eine unaufdringliche Plastizität und die Illusion eines Realraums schafft. Dies verstärkt das neckische Spiel mit der Kreation: Als Zuschauer erleben wir das Paar, als würde es tatsächlich dort sitzen.
Bei aller Zurückgenommenheit gibt es dann aber auch bei Wenders noch wahre 3D-Effekte. Es sind ganz stille und doch intensive Momente, in denen die Kamera die Welt zu streicheln scheint. Die Kamera streift durch die Zweige eines Baumes, jedes einzelne Blatt entfaltet sich in den Zuschauersaal hinein, es ist ein Kino der Zärtlichkeit. Oder die ersten Einstellungen überhaupt des Films: ein menschen- und autoleeres Paris, eine Tiefendimension in die Stadt hinein, die sich auftut. Alles ist still, ein ganz langsamer Kameraschwenk zu früher Morgenstunde – wie eine umgekehrte Hommage an Claude Lelouchs
C'était un rendez-vous (1976), der eine
halsbrecherische Autofahrt durch das morgendliche und noch leere Paris zeigte. Auch hier wieder die Entschleunigung von Wenders.
Die schönen Tage von Aranjuez ist kein Film, der sich aufdrängt. Es ist ein Film, der gesehen, gehört und entdeckt werden will.
Brille ab!
»Den schau ich mir gar nicht an« – das ist vielleicht auch der falsche Zugang. Aber Die schönen Tage von Aranjuez ist schon ein merkwürdiger Film.
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Ich werde mich nie daran gewöhnen, dass man eine Brille aufsetzen muss, wenn man ins Kino geht. Und das ausgerechnet so einer wie Wenders diesen 3-D-Fimmel hat, überhaupt diesen Technik-Fetischismus, obwohl Wenders doch von etwas ganz anderem kommt, vom Kino als direktes, bodenständigem Erlebnis, beiläufig, alltäglich, nah an den Menschen, Straßenkunst wie Straßenmusik. Und nun fidelt er im Kunst-Jetset, versucht sich an geschmäckleriscker Kino-Kunst als neuer bürgerlicher Hochkultur.
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Es beginnt mit Paris-Bilder, menschenleeren. »What a perfect day« klingt aus dem Off. Die Kamera streift über einen Garten, jede Bewegung eine Unschärfe und Flimmern, es stimmt eben etwas nicht.
»Wieder ein Sommer. Und wieder ein schöner Sommertag.... Ein Garten, eine Terasse, eine Frau und ein Mann unter den Bäumen in einem sanften Sommerwind; wie außerhalb der Zeit...« Ein Schriftsteller sitzt in einem edlen französischen Landhaus, umgeben von einer malerischen Gartenanlage und hämmert Buchstaben in die Tasten seiner altmodisch-wohldesigneten Olivetti-Schreibmaschine (neben der allerdings ein iPad liegt). Ist dies eine ganz und gar fiktive Figur, oder ist der von Jens Harzer mit vornehmem Understatement und jungenhaft-verschmitztem Charme gespielte Wörtermeister doch nur ein Avatar von Peter Handke, der ja tatsächlich in einem von einer malerischen Gartenanlage umgebenen Landhaus bei Paris lebt, und der am liebsten auf einer Schreibmaschine schreibt?
Schreibmaschine und iPad, Musicbox und 3-D, das ist Wenders. Und ist es eigentlich noch nie jemand aufgefallen: Die Untertitel machen bei 3-D die Leinwand zum Aquarium.
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So oder so: Mit ihm beginnt der Film, nach der Vorlage eines Stückes von Peter Handke. Wir hören seine Worte, wir sehen die ihnen entwachsenden Vorstellungen. Wenn sich ein Wort verändert, verändert sich im Nu auch die Kleidung, oder die Sitzanordnung der Personen auf der Leinwand. Der Erfindungszauber der Kunst wird hier gefeiert.
Aber auch spießiges Design: Die Limonade, der Hund. Sie in rot, er in blau. Sie gelbes Cape, er roten Apfel. Dann er mit Zigarettenetui und Feuerzeug, natürlich blau. Das wäre als Theaterstück schon recht öde. Warum muss das ein Film sein? Ich verstehe es nicht.
Andererseits: Weil es sich bei Die schönen Tage von Aranjuez um ein Zwei-Personen-Stück handelt, und weil diese beiden Figuren permanent sitzen und miteinander reden, wie schon gehört an einem schönen Sommertag in einem Garten, auf einer Terrasse, unter Bäumen, weil das alles so ist, sind die Variationsmöglichkeiten in der Anschauung begrenzt. Unendlich variabel erscheint vielmehr die Phantasie, oder einfach das Spiel der Wörter...
»Ein Sommer wie noch nie – tja, vielleicht ja auch der letzte Sommer überhaupt. Wer macht den Anfang?«
»Du?«
»Wie war Deine erste Nacht mit einem Mann?«
»Die erste Nacht war keine Nacht. Und er, das war kein Mann.«
»Erzähl!«
»Magnetisiert! Nein: Vielmehr erfüllt. Nein: Überwältigt von Begehren.«
Zwei Menschen sitzen 90 Minuten lang und reden derart, mal sprunghaft und unkonzentriert, mal anekdotisch und unkonzentriert, jedenfalls immer wie, als würden sie Texte eines Theaterstückes aufsagen, nicht aber aneinander interessiert sein. Sie reden über Sex. Potzblitz!
Besser Sex zeigen, als über Sex reden – im Kino.
Es ist eine ganze Weile her, dass man einen Film über zwei Menschen, die auf einer Terrasse über Sex reden, noch per se für große Kunst oder wenigsten mutige Provokation halten konnte. Eher wirkt diese Konstellation – Mann fragt, Frau erzählt, Mann schmunzelt, Frau stöhnt, Mann schreibt auf, Frau gibt preis – wie eine satte Altherrenphantasie.
Wenn es das aber wenigstens wäre. Mehr noch hingegen wirkt Wim Wenders' neuer Film, so, als sei dem Regisseur sein Realitätssinn abhanden gekommen.
Der Inhalt der Dialoge erscheint komplett unwichtig, gegenüber dem puren Akt des Sprechens selbst. Man redet aneinander vorbei, man ringt mit Worten. Die Außenwelt scheint dieses Reden im als-ob fast zu stören. Der Mann mit dürrem Bart und Brille von einer nerdy Unsexiness heuchelt nur Interesse, die Frau, älter als der Mann, eine klassische junge herbe Matrone, wie Wenders-Frauen leider oft, heuchelt nur die Verruchte. Verweise auf Eric Rohmer, die im Vergleich hybrid und völlig unangemessen sind, retten den Regisseur auch nicht: Die schönen Tage von Aranjuez ist über weite Strecken einfach nur uninspiriertes Laberkino.
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Warum man zudem einen solchen Film auch noch im teuren 3-D-Format drehen muss, bleibt das Geheimnis des Regisseurs. Jenseits des Narzissmusverdachts taugt allein Wenders bekannter Technikfimmel als Erklärung. 3-D wird hier zur Farce. Aber das ist nicht etwa eine ironische Geste von Wenders. Es kostet ein Heidengeld – für nix. Was 3-D mit dem Kino macht: es nimmt das Leuchten raus. Man merkt es, wenn man die Brille mal absetzt – was man bei Wenders gut kann, denn dieser Film ist eh nur ein Hörbuch. Richtig unscharf sind da nur die Untertitel, wenn man den Film auf Französisch guckt. Der Vordergrund ist nur ganz leicht verzerrt, der Rest aber ist flirrend, vibrierend, und es sieht gleich besser aus. Wie Impressionismus, wie Sukurov vor Jahren.
Ansonsten ist dieser Film ein fast bewegungsloses Kammerspiel. Ästhetisch mausetot. Der Offenbarungseid eines Filmemachers.
Nur ziemlich genau alle 15 Minuten wird das Gerede dann unterbrochen, und der Autor schmeißt seine Wurlitzer-Musicbox, an. Schon klar: »Versuch über die Juke-Box«. Auch von Peter Handke. Einmal materialisiert sich auch dieser Gesang, wenn Nick Cave dann unvermittelt am Flügel sitzt und singt.
Postscriptum:
Wim Wenders ist schon immer ein sehr überschätzter Filmregisseur gewesen. Eigentlich finde ich es überflüssig, so einen Satz überhaupt hinzuschreiben. Denn warum sollte man? Der Mann ist über 70 und hat wie jeder alte Herr einen gewissen Respekt verdient, auch wenn man seine Sachen nicht mag. Respekt ist sowieso etwas, was man in Deutschland vor Filmemachern, vor allem älteren, irgendwie verdienten Filmemachern zu wenig hat.
Wenn allerdings der Name Wenders immer noch im In- und Ausland mit so einer Aura umgeben wird, immer noch so ausgesprochen wird, als sei ja klar, dass dessen Filme ganz toll sind, dann muss man das auch einmal infrage stellen.
http://www.artechock.de/film/text/kritik/s/sctavo.htm
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