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[the drama lecture
that discuss and have material about all of Handke's drama, chronologically arranged, 1966 to the present.
This blog serves the purpose of discussion and news announcement, catch as catch can...
„Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“ in einer Inszenierung von Tiit Ojasoo und Ene-Liis Semper überzeugte nicht nur durch eine gigantomanische Anzahl von lebendigen Charakteren. Einen wesentlichen Part übernahm auch die Musik, die am Schluss der Aufführung noch mit einem Überraschungseffekt aufwartete.
Sie laufen, und laufen und laufen. Von links nach rechts, von rechts nach links. Alte, Junge, Demente, Fröhliche, Traurige, Verrückte. Sie tragen Aktenkoffer und schieben Geh-Hilfen, sie fahren Rad und rutschen immer wieder am glatten Parkett aus. Sie küssen sich, sich schlagen sich, sie umarmen sich und sie bleiben alleine. „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“, Peter Handkes hypertropher und zugleich stummer Text wurde drei Mal am Theater an der Wien im Rahmen der Wiener Festwochen aufgeführt. Das estnische Regie-Duo Tiit Ojasoo und Ene-Liis Semper zeigte seine Interpretation jenes Werkes, das seine Welturaufführung 1992 ebenfalls im Theater an der Wien erfuhr. Regisseur war damals Claus Peymann.
(Foto: Armin Smailovic)
Die beiden ersten Sätze des Textes werden bei Ojasoo und Semper auf die 17 Meter breite Bühne projiziert. „Die Bühne ist ein freier Platz im hellen Licht. Es beginnt damit, daß einer schnell über ihn wegläuft.“ Kaum gelesen, ertönt eine hohe Männerstimme aus dem Parkett. Hell und klar, aber raumfüllend tönt es durch den Saal. Lars Wittershagen ist dafür bekannt, Musik ausschließlich fürs Theater zu schreiben, wie auch für diese Aufführung. Der Text, der ihr unterlegt ist, stammt von Handke. Der einen Stimme werden im Laufe des Abends weitere folgen, insgesamt 16. Aber bis alle ertönen dürfen, dauert es eine Weile. Nach und nach gesellen sie sich zur ersten, ergänzen schließlich bin in den Bass alle Register. Rezitatorisch angelegt, werden immer nur wenige Sätze gesungen. Es sind minimale Regieanweisungen. Zusätzlich wird das Geschehen auf der Bühne über lange Strecken von elektronischer Musik begleitet, die sich Szenen anpasst und zeitweise Wohlklang mit irritierenden Tönen vermischt .
Don´t try to please me
Handke beim Wort nehmen und Handke mit eigenen Assoziationen neu denken, beides liefern die beiden Esten hier ab. „Seit der Entstehung des Stückes sind schon viele Jahre vergangen. Ich habe beim Lesen heute andere Assoziationen als der Autor sie bei einzelnen Szenen hatte. Aber wir hatten das Glück, dass uns Handke auf unsere Anfrage einen Brief schrieb mit dem Wortlauft: „Don´t try to please me“ erzählte Ene-Liis Semper im Publikumsgespräch.
Und tatsächlich prasselt an einer Stelle Regen, zumindest auditiv hernieder, erfreuen sich die Menschen daran, laufen davon – bei Handke bleibt alles stets im Trockenen. Da wird schon einmal ein Laptop angebetet und Kolonnen von Entlassenen schleppen ihre kleinen Kartons, in denen sich ihr Hab und Gut befindet, das einst in ihren Schreibtischen lagerte. Und dennoch ist das Stück kein allzu zeitgeistiges geworden. Es fehlen Alltagsattribute wie die überall und permanent präsenten Handys. Kein Platz würde sich heute ohne diese elektronischen Gadgets rühmen, ein wirklicher Platz zu sein.
How connected are we to one another’s stories? Not at all when we really think, the hundreds, thousands of people we encounter are just extras in our own tale. So, when we truly sit back, soaking in the æther around us, we allow them to cross our paths. Peter Handke’s The Hour We Knew Nothing of Each Other was first performed in 1992. An epic of mime and movement, the repetitious acts of day to day life mingle with the past in this translation by Meredith Oakes.
Too many cooks can spoil the broth, though somehow the collective of 86 cast members complement each other, balancing hundreds of characters. The entire medley of human society is presented before us: vagabonds, hikers, chefs, nobility, rabble along with the fantastical. An undisclosed sequence of time occurs across Fly Davis’ set, the ‘town square’ of Handke replaced with a more bustling corridor motif.
Meaning doesn’t need to be mined from every production one sees. In truth, The Hour We Knew Nothing of Each Other merely elevates people-watching from pastime to artistic experience. An overarching narrative is not the intent of this piece, instead hundreds of differing breadcrumbs, loose ends and tales are stretched before us. None with a complete beginning, middle or end. As in life, we are passing ghosts through someone else’s story.
Handke however, can be accused of slinking in a few thematic tropes. Primarily, our numerous cast member’s duck, weave and graze off one another: all seem grounded. Unyielding, masterless and free in reality and time. Both flux amidst the bustle. The utter paradox found in recognisable figures of history – mixed with those of scripture, fiction and religion, is fascinating. From Moses’ deliverance of the Commandments to the Huntsman serving Snow White’s ‘heart’ in the glass case. Victorian London glides side by side with present age children, all the while an Egyptian burial sequence is underway.
Just as the Reaper is carted offstage, a character struck down whilst lovers rekindle. The brutality, neigh honesty presented before us, is what makes Handke’s piece work regardless of silence. Wils Wilson and Janice Parker communicate more in this revised interpretation, however. Still, at its core the same text, sequences have been changed whilst keeping the humour. New inserts have been added to draw us into a recognisable world. Refugees, smartphones and effigies of orange skinned Presidents.=====================================
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1053487.durchlaessig-auf-der-schwelle.html Aus der mechanischen Physik ist die schöne Auskunft bekannt, etwas habe: Spiel. »Dass etwas Spiel hat, bedeutet dem Wortsinn nach, dass es sich bewegen kann, und es ist eine der Grundbedingungen für das Theater als freiheitliche Lebensform.« So hat es der Theaterdenker Thomas Oberender notiert, in einem seiner großartigen Essays (»Das Sehen sehen«). Spiel als ein Abrücken vom pressend Geordneten des Alltags. In einem Gespräch mit Oberender sagt der Dichter Peter Handke: »Ich habe das Gefühl, ich muss spielen, damit ich an den anderen überhaupt vorbeikomme.« Bleib beweglich, steh alles durch, ohne dich nur immer durchsetzen zu wollen. Bleib Übergang, such »die Schwelle«. Ein ganz wichtiges Handke-Wort. Cornelia Crombholz inszenierte am Theater Magdeburg Handkes »Die Stunde da wir nichts voneinander wußten«. Ein Piazza-Panorama. Kein einziges Wort, nur Kommen und Gehen, Begegnung und Versäumnis, Aufprall und Abdriften. Ein Endlos-Band von Mini-Geschichten. Dutzende von Schauspielern und Statisten in einem bezwingenden Auftrittsrausch der Sekunden-Dramen, der Moment-Tragödien, der Augenblicks-Komödien, der Wimpernschlag-Romanzen. Vor einem Wolkenhimmel-Prospekt (Bühne: Marion Hauer) ein Menschen-Menschheitsgeschichte(n)-Kaleidoskop. Da, der Abwinkende; dort, die Aufschauende; vorn die Turtelnde, hinten der tumb Trampelnde. Die Bühne wie ein Durchlauferhitzer. Ein Mann vom Gartenbauamt fegt pflichtgemäß herbstliche Laubblätter vom Platz; irgendwann wird er sich verstohlen umsehen und weglaufen - das ist Opposition gegen die Ordnung, das ist Arbeitsverweigerung im schönsten poetischen Auftrag: sinnenbewussten Menschen zu ermöglichen, weiterhin durch dickes, raschelndes Laub zu laufen. Handke bietet Theater weit nach Schiller und Tschechow. Schiller wuchtet das Drama auf die Bühne, du kannst sehen, wie die Tragödie zusticht. Bei Tschechow findet die Tragödie meist draußen statt, auf der Bühne werden die Folgen bestottert. Handke nun erzählt das Drama, das eigentlich gar nicht stattfindet - das dir aber in den Kopf kommen kann, wenn du etwa bei Rot an der Kreuzung stehst: drüben auf der anderen Straßenseite so viele fremde Menschen. Wenn auf Grün geschaltet wird, wie viele Biografien kommen plötzlich auf dich zu. Wer von denen könnte dein Mörder sein, wer deine Liebe, die du nie erfahren wirst? Wie wird ein Mensch einem anderen zum Schicksal? Zufall, Fügung. Vergiss die Schwätzer der Gesetzlichkeit, der logischen Vernunft. Der Kern des Lebens ist die Geschichte, die du versäumst. Der Blick, dem du ausweichst. Der Kontakt, den du scheust. An wie vielen möglichen Wendepunkten laufen wir fortwährend vorüber? Handkes Theater wird in Magdeburg einmal als Werk eines mutigen Träumesängers offenbar, der nicht dramatisiert, sondern kündet. Schön, wie er sich immer wieder in die Spielpläne »schleicht« (Oberender) - kein Eindringling, aber eindringlich schon. Seine Entrückung, die keiner einzigen Konvention zum Munde redet, ist ein aufreizendes Geraderücken: Ja, jenes sanfte Verschmelzungserlebnis, das Ich und Welt zusammenschließen könnte - es ist möglich. Trotz warnender, oft so bitterer Gattungserfahrung, die hier ebenfalls ins Bild geholt wird. Es ist ein Abend der unzählbaren Welten, die da kreisen und kauern und kämpfen. Ein Abend mit Posierenden und Predigenden, mit Notärzten im Einsatz, mit vergeblich lustigen Straßenclowns, mit einem kleinen Panzer, hypernervösen Soldaten mit Waffe im Anschlag. Viele Regenschirme, viel Beamtentempo, viele Aktentaschen (die man sich vors Gesicht hält, wie ein Verbrecher sein Gesicht hinter einer Kladde verbirgt). Zwei jüngere Leute geben sich die Hand. Zwei alte, gebeugte Frauen schlagen auf junge Männer ein. Mal Zeitlupe, mal Raffer. Rollator und Roll over. Die Windmaschine tobt. Kälte weht. Gewitter knallt. Schwarze Witwen stehen stramm. Ein Vogel tanzt, seinen Käfig unterm Arm; später wird er abgeführt, und er wird sich auf dem Boden krümmen, den Kopf im Gitter - immer kehrt jede Freiheit in ihre Heimat zurück: das Joch. Revolutionen bilden da keine Ausnahme: Der da die rote Fahne schwingt, sieht er nicht aus wie Lenin? Ach, dieses Rot: wollte Feuerzeichen gegen die Ausbeuter sein und wurde selber Scheiterhaufens Flammenfarbe. Leider mischte sich mir ein störendes Moment in den Fluss der Schlaglichter: Musik! Die - warum nur! - zu üppig und oft wie eine Pflegecreme über die Szenerie geschmiert wird, zum Teil Popmusik, die das Bild zunehmend schwächt, es zur Illustration einer musikalisch aufdringlich vorgegebenen Stimmung erhebt - die Revue drängt sich in die Poesie hinein. Ein einziges Mal freilich provoziert Cornelia Crombholz bestechend, berührend mit Tönen: zwanzig Minuten Ravels »Bolero« - dazu ein entschlossen verzögerter, schier unendlicher Zug von Menschen. Er überquert die Bühne - Flüchtlinge? Gleichgültige? Verlorene? Vergessene? Verstaubte? Vertriebene? Wiedergänger? Mit Stühlen, Koffern, Schlitten, Harken. Ein beklemmendes, aufreizend lang-atmiges Bild. Das Publikum in der Geduldsprobe: zwanzig Minuten! Eine Aufforderung zum Hinsehen, die aber die Aufforderung einschließt, jede Gestalt dieses nicht abreißenden Zuges mit einer Geschichte zu versehen. Die Langsamkeit der Bewegung lässt dir Zeit dazu. Was treibt, sind lediglich die zwei verschiedenen Trommel-Takte. Das berühmte Endlos-Ostinato. Es wird lauter und lauter und reißt das Orchester mit, bis zum abrupten Abbruch der Melodie: Alle Steigerung - von Liebe, von Bewegung, von Leidenschaft, von Arbeit - endet im scharfen Schnitt, im Tod. Ein Kindersarg wird hereingetragen. Wie sehr wünschen wir uns, mit Friedhofsritualen, die von einem Körper Abschied nehmen, doch zugleich etwas ausdrücken zu können von unserem festen Glauben in die Bestandsfähigkeit einer Seele - denn vielleicht leuchten die Dinge tatsächlich erst in der Dunkelheit, und nur das Schwere ist tatsächlich die Schwinge, die uns trägt. Aber dass ein Kind vor seinen Eltern stirbt, ist schlichtweg das größte allen Elends - nein, das zweitgrößte; das größte Elend ist in solchen Momenten die Unabänderlichkeit. Und Gott muss als Versager erscheinen. Ein kleines Mädchen verliert im Straßentrubel kurzzeitig seine Mutter, strudelt sich in seiner Ausbüchsfreude (und Angst!) in eine Welt wundersamer Märchen- und Albtraumgestalten hinein. Wie überhaupt zu jeder Menschenwahrnehmung das mythische Übermalen gehört: Der dort drüben - könnte so nicht Jesus ausgesehen haben? Und tatsächlich quert ein Kreuzträger die Bühne. Und die da hinten - stellt man sich so nicht das Hexeninbild vor? Am Ende der zwei Stunden steht ein Erkaltungsbild, das alle Menschen erstarren lässt. Die Kälte nach einer Auslöschung. Rückkehr ins animalische Gebaren einer Affenhorde. Alles auf Anfang: Nur immer die längst vergangene Zeit ist unvergänglich. Als noch kein Unterschied war zwischen Haben und Sein. Und die Erde? Ein kleiner Leuchtglobus, den das kleine Mädchen über die Bühne zieht. Handkes Theater kreist um den notwendigen Bruch des Menschen mit der eigenen Rohheit. Nur der Mensch, der »durchlässig« wird (auch so ein Hauptwort des Dichters), ist rettungsfähig: »Es erzählt sich ihm alles. Die Welt erzählt sich ihm, weil er sie durch sich durchlässt. Durchlassen ist auch schmerzlich.« Darin besteht das Wesen dieses Magdeburger Abends. Leben: sich in die Welt hinein übersetzen, bis man sich selber auf neue Art verständlich wird - aber plötzlich nichts mehr selbstverständlich ist. Nächste Vorstellungen: 9., 10. Jun ===============================
ei Einlass wird noch gekehrt, sodass man aufpassen muss, nicht über einen Besen zu stolpern. Auch als alle sitzen, geht das Reinemachen noch einige Zeit weiter, bis wirklich das letzte Körnchen Staub aufgenommen ist. Aber dann fängt sie an: „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“, die hier 90 Minuten dauert und mehr als 20 Amateurschauspieler auf der Bühne im Theater in der Meerwiese vereint.
Von Helmut Jasny
Für seinen diesjährigen Auftritt hat das Theater X nicht wie sonst ein eigenes Stück entwickelt, sondern sich den wortlosen Klassiker von Peter Handke vorgenommen. Wortlos deshalb, weil im gesamten Stück nicht gesprochen wird. Ort des Geschehens ist ein namenloser Platz in einer namenlosen Stadt, auf dem sich Mensch begegnen, aneinander vorbeilaufen, in die Haare kriegen oder einfach nur auftauchen und wieder verschwinden – wie im richtigen Leben auch.
Unter der Regie von Alexander Becker defilieren die unterschiedlichsten Typen an den Zuschauern vorbei. Die einen schlurfen lustlos dahin, die anderen springen förmlich über den Platz. Ein Mann mit Angelrute holte eine Flasche Bier aus der Tasche, eine Stadtindianerin ebenso, nur eine billigere Marke. Feuerwehrleute hantieren mit Schläuchen, ein paar Jungs kicken einen Fußball übers Pflaster, Radfahrer begrüßen sich klingelnd, und ein distinguierter Herr schüttelt Laub vom Hut, sodass wieder gekehrt werden muss. Lange macht es einfach nur Spaß, dem Treiben zuzuschauen. Zumal auch die Komik nicht zu kurz kommt, wenn beispielsweise der Angler ständig mit seiner Rute irgendwo hängenbleibt. Doch irgendwann kippt die Stimmung. Und kurz vor Schluss scheint eine Katastrophe über die Stadt hereinzubrechen. Was genau es ist, bleibt offen. Aber der Soundtrack lässt auf Krieg schließen, vor dem sich die Menschen unter einer Europa-Fahne zu schützen versuchen.
Diese eindrücklich gestaltete Szene kann als Hinweis auf die Flüchtlingssituation gedeutet werden, aber auch ganz allgemein auf die Unsicherheit der menschlichen Existenz – selbst in einer Gesellschaft, die gemeinhin als stabil angesehen wird.https://www.muensterschezeitung.de/Lokales/Staedte/Muenster/3466473-Theater-X-praesentiert-Peter-Handkes-Die-Stunde-da-wir-nichts-voneinander-wussten-Menschen-zwischen-Komik-und-Katastrophe
The Hour We Knew Nothing of Each Other by Peter Handke, in a translation by Meredith Oakes directed by Wils Wilson and Janice Parker
Take a moment to watch our world go by.
Some years ago, playwright Peter Handke was sitting in a town square watching people come and go. Suddenly men carrying a coffin emerged from a house and transformed the square into a stage, lending each vignette that followed – a woman walking her dog, a couple having an argument, a man jogging – special meaning.
Inspired by this experience, The Hour We Knew Nothing of Each Other is a play without words, narrated by music and animated by unspoken interaction. This production gives the simple pleasure of people-watching a vibrant dramatic life as the audience weave a narrative out of the everyday scenes of a city.
This 450-character production will be taking to The Lyceum stage directed by Lyceum Associate Artist Wils Wilson and Janice Parker. We are throwing open the doors of The Lyceum and welcoming a large scale cast of Edinburgh residents onto the stage to create this exciting production.
#TheHourWeKnewNothing
In association with Janice Parker Projects
CAST AND CREDITS
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Ein zauberhafter Reigen der Bilder und Töne feiert den
Augenblick: Szene aus Peter Handkes „Die Stunde da wir nichts
voneinander wußten“
-
Foto: /Wiener Festwochen/Armin Smailovic
Alles Schöne ist schief",
sagt die draußen affichierte Werbung. Und: "Wir sind ein Schatten deiner
selbst." Im Foyer des Thalia Theaters in Hamburg wird diskutiert. Ist
ein Stück ohne Worte schon ein Stück? Die Frage ist ein Klassiker,
bezogen auf "Die Stunde da wir nichts voneinander wußten". Keine Dialoge, nur Spielanweisungen für Schauspieler gab Peter Handke
für seine bei den Wiener Festwochen 1992 uraufgeführte Beschreibung des
Treibens auf einem europäischen Platz. Flüchtige, oft skurrile
Momentaufnahmen. Denn Handke sagt nicht viel mehr als: Jemand geht von
irgendwo nach irgendwohin.
Ein leeres Stück
Foto: /WFW
Das estnische Regie-Duo Tiit Ojasoo und Ene-Liis Semper hat in seiner
bei der Premiere am Donnerstag heftig akklamierten Version – ab 21. Mai
bei den Wiener Festwochen im Theater an der Wien – jeden Augenblick mit
sehr heutigen Bildern gefüllt und eine choreografische Maschine
entwickelt, die das Allgemeine, mitunter Banale zum Besonderen
stilisiert. 135 Minuten nonstop ein Bilderschwall. Ein Mosaik zum Teil starker
Szenen. Ohne Worte, abgesehen von sparsamen Gesangs- und Choreinlagen,
aber körpersprachlich beredt. Menschen gehen, schlendern, laufen,
springen scheinbar ziel- und gedankenlos über die Bühne. Zuerst
graumausig vor einer grauen Wand, später kommt in immer neuen
Situationen auch optisch Farbe ins bunte Treiben. Mehr als zwei Dutzend Darsteller spielen gefühlte 200 Figuren,
Verrückte und Normale. Menschen verschiedener Ethnien und Religionen und
mit unterschiedlichen sexuellen Vorlieben. Alle, die da kommen und
gehen, geben in ihrem oft sinnentleerten Aktionismus und erstarrten
Ritualen ein absurd-komisches, jedenfalls irritierendes Bild ab.
Zahllose Passanten
Foto: APA/PETER MANNINGER
Ihren Auftritt haben u. a. ein Angler mit einem Fisch in der Hand.
Obdachlose mit ihrer Habe im Kinderwagen oder Einkaufswagerl. Ein
Rotkäppchen, Sisyphos, ein Mann mit goldener Kugel und Leuchtschnur ...
Vertraut aus der Alltagswelt: eine geschniegelte Airline-Crew,
hyperventilierende Girlies, Straßenkehrer, ein Tanz der einsamen Herzen
... Aber auch viel Verrätseltes, Mythisches, Archaisches bleibt
unaufgelöst oder ist als Startrampe für Träumereien und Assoziationen
gedacht. Das meiste ist gegen den Zeit-un-geist des schnellen Schnitts
gebürstet. Aber manches wird auch zur harten Geduldprobe, wenn sich die
Performance zwischendurch immer wieder zur Superzeitlupe verlangsamt,
wenn gebückte Frauen in Schwarz – stumme Klageweiber – die Bühne queren. Das Stück? Das sind die Bilder und was sie in den – hoffentlich nicht
leeren – Köpfen der Zuseher erzeugen. Und sie erzählen eine
Tragikomödie der Menschen. KURIER-Wertung:
Ein
Update von Peter Handkes "Die Stunde da wir nichts voneinander wussten"
im Hamburger Thalia Theater fügt dem Stück nicht viel Neues hinzu. Ab
21. Mai läuft die Aufführung bei den Festwochen.
In Peter Handkes
Schauspiel Die Stunde da wir nichts voneinander wussten befreit sich
das Theater von einer schweren Last. Gezeigt werden keine Figuren,
sondern Typen, die sich ganz auf ihr stummes Tun konzentrieren. Der
Schauplatz ist "ein freier Platz im hellen Licht". Der Platz ist wunderbar genau gezeichnet und umschließt doch die
ganze Welt. Winde blasen über ihn hin, was famos zum Aufführungsort
Hamburg passt. Donner rollen, und manchmal mischen sich sogar
mythologische Figuren in das Gewirr der Phantome. Als Freilufttheater
ist Handkes Piazza republikanisch, insofern sie Menschen aus völlig
unterschiedlichen Klassen und Regionen Quartier gewährt. Wenn auch
jeweils kurz. Handkes Schau-Platz ist ein Transitort. Wer ihn quert, tut
es in dem sicheren Bewusstsein, ihn bald wieder verlassen zu dürfen. Jetzt, 23 Jahre nach der Uraufführung, hat man diesen herrlichsten
Nicht-Ort der Welt im Hamburger Thalia Theater neu verlegt. Er ist auch
nicht allein hamburgisch. Für seine Bespielung zuständig erklärt hat
sich das estnische Regie- und Ausstattungspaar Tiit Ojasoo und Ene-Liis
Semper. Ihr Versuch, die verblassten Schemen neu zu beleben, wird ab 21.
Mai im Rahmen der Festwochen im Theater an der Wien zu bestaunen sein. Von Handke höchstselbst haben die beiden Gründer des Teaters NO99 die
Erlaubnis erwirkt, das Konzept der Platzbeschau ins Heute
herüberzudehnen. Es hat sich einiges verändert seit 1992. Nicht nur in
Tallinn wird man Zeuge der Neuordnung unserer Gesellschaften.
Süßer Trost der Musik
Hinzugefügt haben sie auf jeden Fall die Tröstung durch die Musik.
Ein Countertenor singt mit zuckersüßem Melos szenische Anweisungen. Vor
einer grauen Betonmauer huschen die ersten Passanten vorüber. Es
herrscht "Rushhour". Die Zuträger des Kapitalismus hetzen so geschäftig
über den Platz, als müssten sie allein durch ihr Schritttempo
Unabkömmlichkeit demonstrieren. Ojasoo/Sempers Konzept lässt sich am
ehesten als physikalische Versuchsanordnung begreifen. Während im ersten Drittel noch das Bild einer belebten Straße
vorherrscht, weitet sich das Spiel recht bald aus. In den Blick rücken
die Wohlstandsverlierer. Unterstandslose schieben ihre Habe in
Einkaufswagen vorüber. Eine verstockte Alte, die an der Wand einschaut,
entpuppt sich als Diebin von billigen Textilien. Eine kommunale
Reinigungskraft schiebt die deklassierte Person mit dem Besen von der
Bühne. Was an der fast zweieinhalbstündigen Aufführung dann doch verblüfft,
ist der Witzzwang, unter dem sie steht. In Handkes Text kommt es zu
allerlei Kollisionen. Menschen treffen aufeinander, ohne der jeweiligen
Begegnung ganz gewachsen zu sein. Wunderschöne Frauen stöckeln durch
dieses Panoptikum. Jede Einzelne von ihnen scheint, um es mit
Romy-Preisträger André Heller auszudrücken, "verwunschen". Hier, im
Update anno 2015, sieht man vor allem – zauberhafte – Darstellungsbeamte
bei der Arbeit. Die est nischen Künstler haben der Stunde da wir nichts
... die verquere Handke-Poesie doch recht gründlich ausgetrieben. Man
freut sich über nährstoffreiche Ergänzungen des Bildervorrats. Und doch
wird man den Eindruck nicht los, Ojasoo/Semper hätten erstbeste Einfälle
in stummes Handeln übersetzt. Die Erweiterung unserer Gesellschaft mit den Mitteln der
Multikulturalität ist die entscheidende Zubuße gegenüber 1992. Vollends
unverständlich bleibt es daher, wenn man die Integrationsschicksale
schwarzer Migranten zum Zweck der Pointenmaximierung missbraucht. Ebenso
unpräzise ist es, die dringend gebotene Koexistenz der Konfessionen
platt zu bewerben – wenn zum jüdischen Gebet an der Klagemauer der Ruf
des Muezzins erschallt. Man hält sich lieber an die sicheren Lacher. Versehrte und Alte
werden einem beinharten Casting unterworfen, einem Rollstuhlfahrer wird
der beste Blowjob seines Lebens beschert. Das ist alles liebenswürdig
gemeint. Und liegt doch ein paar Meter von Peter Handkes
Paralleluniversum entfernt. In den Schlussjubel mischten sich
vereinzelte Buhrufe. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 2./3.5.2015)
Die Reise erfolgte auf Einladung der Wiener Festwochen. Der Vorverkauf an den Kassen startet Samstag. www.festwochen.at
also see: http://www.abendblatt.de/kultur-live/article205285667/Theater-ohne-Worte-auf-der-Thalia-Buehne.html
o ist das Leben! Ist es so? Das Schöne an Peter Handkes "Die Stunde da wir nichts voneinander wussten" sind die vielen Menschen-Bilder und oft rasend kurzen Szenen, aus denen sich jeder seine Essenz vom Dasein picken kann. Das ist Schau-Spielen in seiner pursten Form, getanzt, gekeucht, gelacht, geschrien, nur ohne Worte.
Fast atmet der Zuschauer die Bewegung mit. Das Erschreckende hingegen ist die Fülle dieses monströsen Bewegungsessays, die förmlich erdrückt, wo man die Komik als Erleichterung herbeisehnt, bevor der Horror wieder zuschlägt. Schlimme Wechselbäder. Aber so ist doch das Leben! Oder?
Was sich Peter Handke vor über 20 Jahren ausgedacht hatte und dann 1992 in Wien unter Claus Peymanns Regie uraufgeführt wurde, sollte ja als Thema zeitlos sein. Am Hamburger Thalia Theater hat sich jetzt das estnische Regie-Duo Ene-Liis Semper und Tiit Ojaso Handkes Stück vorgenommen und dabei entscheidend eingegriffen.
Hatte der große Jürgen Gosch (1943-2009) am selben Ort vor zwei Dekaden nur etwas über eine Stunde für seine Version benötigt, so dehnten Semper und Ojaso das Werk auf satte zweieinhalb Stunden. Kein Wunder, das Sujet verführt dazu.
Ort des Spiels ist ein fiktiver Platz in Europa, auf dem sich Menschen, die sich nicht kennen, in kurzen und längeren Momenten begegnen, Paare/Passanten, stereotype Situationen, erkennbare Gruppen wie Geschäftsleute oder Piloten, dazu amorphe Massen oder markante Figuren. Mit dieser Grundidee kann man trefflich spielen, und die Regisseure holten sich sicherheitshalber vom Meister Handke die Erlaubnis, das Muster seiner detaillierten Regieanweisungen ein wenig dehnen zu dürfen. Man weiß ja, dass Autoren oder deren Erben bezüglich ihrer Werke zickig sein können. Handke hatte nichts gegen gewisse Aktualisierungen, zumal die Neunzigerjahre des vorigen Jahrhunderts inzwischen wirklich etwas patiniert sind.
Erleuchtung inklusive
Zunächst bekam der Platz eine mächtige bewegliche und dramaturgisch akzentuierende Mauer, die ein wenig an Dimiter Gotscheffs Gebäude in der legendären Berliner Inszenierung der "Perser" erinnerte. Klar, dass selbiges Bauwerk später zur Klagemauer mutierte, am Ende der Inszenierung gar zur Paradiespforte inklusive buchstäblicher Erleuchtung, Vertreibungsszene und Auftritt von Gottvater, Sohn sowie Maria und Joseph.
Alles ist in dieser Handke-Afri-Cola, sogar ein wenig seliger Hippie-Schmu. Diese Erweiterungen zerrten etwas an den Nerven, zumal sie einzelnen Szenen (tanzende Soldaten in Tarnanzügen) arg an Regietheater-Urstanzen erinnerten. Und der Idee der Aktualisierung, die sich gerade bei Kriegsthemen derzeit anbietet, etwas entgegenlief. So blieb Manches im Ungefähren und führte zu vermeidbaren Längen.
Was aber in der Fülle der Szenen beeindruckte, war der hingebungsvolle Einsatz der vielen Akteure. Sei es Karin Neuhäuser als in Ehren ergrauter Marylin-Monroe-Ersatz, Mathias Leja in zahllosen Rollen oder Sebastian Rudolphs gesammelte Exzentrikerporträts: Ergänzt von einem Heer wunderbar beweglicher und ausdrucksvoller Komparsen ließ das Regieduo die Thalia-Bühne förmlich explodieren, um sie anschließend in nahezu meditativer Stille versinken zu lassen. Sambatänzer und Muslimas, selbstbewusste Exhibitionisten und Rollstuhlfahrer beim Blowjob.
So ganz ohne Texte ging es dann doch nicht ab. Die aber waren gesungen, von einem großartigen Chor, wie aus einem Oratorium. Peter Handkes Regieanweisungen zu seiner Großpantomime "Die Stunde da wir nichts voneinander wussten" erklangen gleich zu Anfang. Unterstützt von sehr abwechslungsreicher Bühnenmusik (Lars Wittershagen) begleitete dieser Chor, effektvoll als Besucher in Parkett und Rang platziert, die Handlung, sorgte für kräftige emotionalisierte Akzente, manchmal kitschig, immer effektvoll und am Schluss, als die Bewegung auf der Bühne erstarrte, gar als quasireligiöse Überhöhung.
Ein Tick zu viel für manche im Publikum, aber in dieser pathetischen Inszenierung doch konsequent. So ist es eben, das Leben, nicht immer geschmackvoll, aber oft prallvoll.
also see: http://blog.zeit.de/hamburg-veranstaltungen/2015/04/26/peter-handke_9640
Foto: Oliver Proske
BÜHNEPeter Handke
Sein Stück "Die Stunde da wir zu viel voneinander wussten" wird mit sich selbst verglichen – Part 1 auf Kampnagel (K6).
Der Titel Die Stunde da wir nichts voneinander wusstenerscheint geradezu programmatisch. Besteht Peter Handkes Stück doch "nur" aus 60 Seiten Nebentext für zwölf Schauspieler, die er in wechselnden Rollen in einem endlosen Reigen von meist absurd überzeichneten Alltagsszenen stumm über einen lichten Platz flanieren lässt. Dies allerdings in einer so überbordenden Reichhaltigkeit von Details, dass die Fülle der Leben und Schicksale dahinter schier überwältigt. Gesprochen wird nicht, dafür aber unentwegt kommuniziert ... oder?! Jetzt bietet sich die seltene Gelegenheit, diese Frage an zwei unterschiedlichen Versionen zu überprüfen. Am Thalia Theater inszenieren die estnischen Regisseure Tiit Ojasoo und Ene-Liis Semper Handkes Stück als ebenso verstörende wie poetische europäische Utopie. Auf Kampnagel variiert es das Berliner Theaterensemble Nico and the Navigators in Die Stunde da wir zu viel voneinander wussten als Folie medialer Überforderung und kommunikativen Scheiterns.
Die
jüngste Produktion des gut eingespielten Männertrios − Fabian Chyle
(Konzeption und Choreografie), Festivalleiter Hans-Peter Jahn
(Konzeption und Dramaturgie) und Bühnenbildner Adrian Silvestri (Bühne,
Ausstattung und Grafik) – widmet sich, mit Bezug zu Peter Handkes „Die
Stunde, da wir nichts voneinander wussten“, dem Platz als öffentlichem
Ort. „Platzregen / Eine Entfernung zu Peter Handke“ titelt die
Performance, die beim „Eclat“-Festival Neue Musik im Theaterhaus
Stuttgart erstmal gezeigt wurde.
Den
Soundtrack zur Uraufführung hat Alvaro Carlevaro geliefert. Der
Komponist mit uruguayischen Wurzeln hat aus Handkes Text die Adjektive
herausgefiltert und im Vokalstück „14 unbemalte Bilder für 28 Stimmen“
zu einem formalästhetischen Klanggewebe verarbeitet, das als
musikalische Klammer der Tanzversion dient. Chyle, Jahn und Silvestri,
berüchtigt für ausufernde Ideen-Vielfalt, breiten zum Tonbandzuspiel
eine Menge Material aus: Eingetopfte Zierbäumchen, ein Bretterverschlag,
Riesenventilatoren, hunderte Säcke Blumenerde, eine Plastikpuppe
(verkleidet als Doppelgängerin einer Tänzerin), Megafone, mehrere
Jalousien (auf einer das Bild des Tahir-Platzes), eine Schubkarre, eine
Messlatte, die Kopie einer dieser antiken Skulpturen-Imitate aus dem
Gartencenter, sowie Flaggen und Fähnchen unterschiedlichster Länder,
Couleurs und Größen.
Als
wären es der Gegenstände samt Anspielungen, Ausdeutungen und Symboliken
nicht genug, werden noch fünf veritable Fahnenschwenker in den
Warenkorb gepackt, die in mittelalterlicher Tracht einmarschieren, einen
Kurzauftritt liefern und abtreten. Zudem taucht wiederholt eine stumme
Figur in schwarzer Burka auf, die sich (wer hätte es nicht vermutet?!)
als Mann entpuppt.
Die
sieben Tänzerinnen und Tänzer (Angelina Deck, Jule Flierl, Tereza
Lenerova, Claudia Senoner, Anders Kallesoe Jensen, Andre Soares, Karol
Tyminski) haben alle Hände voll zu tun. Auf- und überdreht wie Roboter
auf Speed wird eine Schubkarre hin- und her gekarrt, am Mast wird
masturbiert und die Plastikpuppe wird zum Objekt, an dem sich
aggressiver Stau und sexuelles Bedürfnis entladen. Die Plastiksäcke mit
Blumenerde werden zu einem großen Feld ausgelegt, darüber wird ein Steg
aus Brettern gebaut, auf dem, wie im Film, eine Vergewaltigung gespielt
(oder geprobt), abgebrochen und wiederholt wird.
„Ich
möchte lieber ahnen statt wissen. Sprache ist ja in aller Regel
zerstörerisch. Wenn sie nicht den richtigen Augenblick findet, zerstört
sie das Ungesagte.“, so Peter Handke, der mit „Die Stunde, da wir nichts
voneinander wussten“ ein Theaterstück ohne Dialoge geschrieben hat.
Hauptakteur des Stücks ist ein Platz, der realen Charakter hat, zugleich
aber ein beliebiger Platz irgendwo sein kann. Ein Dutzend stummer
Akteure spielen Alltägliches, begegnen einander, helfen sich
gegenseitig, behindern sich, schließen sich zu Gruppen zusammen und
lösen sie wieder auf. Obwohl sich die Begegnungen intensivieren, hat das
Welttheater nicht den Anschein, als würde da ein Volk zusammenwachsen.
Während
sich die Handlung bei Handke dramaturgisch entwickelt, tritt das Stück
„Platzregen“ auf der Stelle. Im Vorfeld zum Festival-Höhepunkt
stilisiert, haben sich die drei Musketiere Chyle, Jahn und Silvestri den
„Eclat“ auf die Fahne geschrieben und reiten mit wachsender
Begeisterung auf der vermeintlich provokativen Antithese zu Handke
herum. Ist das Stück bei ihm einzig Regieanweisung, verzichten Chyle,
Jahn und Silvestri explizit auf Regie. Konzentriert sich Handke auf den
Platz im Allgemeinen, suggeriert die Wahl der Gegenstände einen
speziellen Platz. Versucht sich Handke in Reduktion, veranstaltet die
Inszenierung eine Materialschlacht. Schließlich wird statt Schweigen den
Protagonisten Geschwätzigkeit verordnet. Körpersprachlich wird selten
interagiert, vielmehr hampeln und strampeln, holpern und stolpern,
ruckeln und zuckeln sie wie auf- und überdrehte Mechanismen, eine Art
fleischgewordenes Reiz- Reaktionsschema mit Aussetzern. Wortsprachlich
lautet ein Dialog: „I want to reproduce with you“, kein Problem, denn
die männliche Antwort auf den weiblichen Wunsch lautet: „I have a good
DNA“.
Im
Gestöhn, Geächz und Gekreische schält sich aus Bergen von Bildern und
Aktionen die Erkenntnis heraus: Der Mensch ist des Menschen Rammler.
Trotz großer darstellerischer Anstrengungen und einiger poetischer
Momente – vor allem der zerbrechlichen wie ausdrucksstarken Jule Flierl
gedankt – versackt das Stück im spätpubertären Habitus einer auf Protest
gebürsteten, übersättigten Männergesellschaft, die sich erinnert: Da
war doch noch was? Na klar, bunga, bunga! Der (er)klärende Regen bleibt
allerdings aus.
“Platzregen” (Downpour) and the Piano Take Centre Stage – ECLAT 2012 (2/10/2012)
17 premieres will be performed at ECLAT, the festival of new music in Stuttgart, from 9 to 12 February 2012.
During ten of them, the piano as a solo instrument, while partnering other instruments and in conjunction with electronic music, will be taking centre stage: the pianists Nicolas Hodges, Ian Pace, Christoph Grund, Yukiko Sugawara and Florian Hoelscher will be exploring new possibilities on the keys of this instrument.
Two premieres involve the SWR experimental studio; the SWR Vocal Ensemble Stuttgart and the Stuttgart Radio Symphony Orchestra of the SWR will perform two each, and three more will be performed by the Neue Vocalsolisten.
Guest performers include the Austrian Ensemble for Contemporary Music from Salzburg, the Trio Accanto and the Stadler Quartet. One of the highlights will be the dance/musical theatre work Platzregen (i.e. Downpour) by Fabian Chyle.
Platzregen is based on Peter Handke’s Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten(i.e. The hour when we knew nothing of each other). This play is not depicted or translated scene by scene into dance; rather Chyle distances himself by transforming the central location from Handke’s original work in order to create a charged, shifting place that is more than just a meeting point or urban setting.
REUTLINGEN/BOUAKE. Leiterin Sonka Müller hatte sowieso nur die
strapazierfähigsten unter ihren Jungschauspielern vom
Teenie-Theater-Treff des Theaters »Patati-Patata« mitgenommen - doch
auch sie bekamen vor dem Flug nach Westafrika schier kalte Füße. »Ich
kann's mir nicht vorstellen- wie soll das denn klappen?«, fragten sie
sich vor ihrem Abflug am 24. Oktober nach Bouaké, Reutlingens ivorischer
Partnerstadt.
Theater frei nach Peter Handke: Jungschauspielerin des Theaters Patati-Patata mit afrikanischer Partnerin in Bouaké. FOTO: PR
Dort sollten sie auf Deutschlehrer Adama Coulibaly samt sieben
Schülerinnen und Schülern vom Lycée Classique et Moderne treffen und
innerhalb von drei Wochen gemeinsam ein Stück erarbeiten. »Aber das
klappte innerhalb von 24 Stunden«, berichtet Jana jetzt beim
Pressetermin begeistert. »Die Ivorer waren so offen!«, zeigt sich auch
Sonka Müller beeindruckt. Mit »Die Stunde da wir nichts voneinander
wussten«, frei nach Handke, war das interkulturelle Theaterprojekt denn
auch überschrieben. Ob Schnee töten kann, wollte ein afrikanischer
Jugendlicher wissen, ein anderer träumte vom Fußball und von Scouts, die
ihn entdecken. Die Deutschen guckten dafür entsetzt aus der Wäsche, als
nach der Aufführung kein langer Schlussapplaus erklang - aber dafür gab
es viel Zwischenapplaus und eine spontane Party. »Auch der höfliche
Umgang ist dort anders«, erzählt Verena, »bei uns zählt Ehrlichkeit zum
Respekt, dort gilt dafür der Respekt vor den Alten viel mehr.« Aus den Begegnungen der jungen Leute, die sich vorher nur
über E-Mails kannten, entwickelte sich ein witziges komödiantisches
Stück, das die jugendlichen Schauspieler vor insgesamt knapp 1 000
Zuschauern in vier Aufführungen auf die Bühne brachten (im Schulhof, in
der Stadthalle von Bouaké, im Goethe-Institut und in einem katholischen
Internat, beide Abidjan).
Als nächstes bereiten sich die sechs vom
Teenie-Theater-Treff auf »Afrika oh Afrika - Grenzerfahrungen« vor, mit
dem sie am 21. Januar im Kulturzentrum franz.K Premiere feiern. Mit
ihrem theatralen Reisebericht über Bouaké bringen die jungen Akteure
ihre Erfahrungen in und mit dem schwarzen Kontinent spielerisch auf die
Bühne. Im nächsten Juli möchten Sonka Müller und die jungen
Schauspieler die ivorischen Freunde nach Reutlingen einladen. Das
jetzige Stück soll dabei übernommen, aber dieses Mal auf den Blickwinkel
der afrikanischen Jugendlichen zugeschnitten werden. Schnee und
europäische Hektik dürften nicht die einzigen Erscheinungen sein, die
die jungen Gäste erschrecken und faszinieren werden - es bleibt also
spannend. Die Schauspieler: Verena Plath, Hannah Levene (beide
Isolde-Kurz-Gymnasium, 12. Klasse), Yanick Ettwein, (IKG, 11. Klasse),
Jana Schönwetter (Hermann-Hesse-Realschule, 9. Klasse), Laura Kipp
(Friedrich-List-Gymnasium, 11. Klasse), Mark Sinzger (Mathematikstudent,
Tübingen). (GEA) www.theaterpatati.de