SEE
http://www.handkedrama3.scriptmania.com/custom3_1.html
FOR PHOTOS AND REVIEWS.
Frisches aus dem Elfenbeinturm
Nina Kunzendorf und André Jung in Samuel Becketts und Peter Handkes "Das
letzte Bandd/ Bis dass der Tag euch scheidet oder eine Frage des
Lichts" in Salzburg.
Foto: rtr/Dominic Ebenbichler
Foto: rtr/Dominic Ebenbichler
Der Schriftsteller residiert in einem Stahlkäfig. Wie ein Erker wölbt
sich dieser aus dem Bühnendunkel, ein paar Quadratmeter sind es nur, die
der Dichter für seine ungeschickten Tapser zur Verfügung hat. Fällt ihm
eines seiner Requisiten aus der Hand, kullert es in den Zuschauerraum.
Der Schriftsteller auf der Bühne des Salzburger Landestheaters ist ein
Gefangener: seiner selbst und der Rolle, die er sich zugedacht hat.
"Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms" hat der junge Autor seinerzeit
reklamiert. Das war im Jahre 1967 und es war die Zeit, als der
Schriftsteller ein fürsorglicher Lenker und moralischer Leiter sein
sollte. Davon wollte Handke nichts wissen und feierte lieber seine
Selbstbespiegelungs-Prosa. Der Elfenbeinturm wurde ein geflügeltes Wort;
und selbst mehr als vierzig Jahre später ist es im Bühnenbild von Anja
Rabe im Salzburger Landestheater noch präsent.
Das Stück
Bis dass der Tod euch scheidet oder eine Frage des Lichts, Salzburger Festspiele: bis 13. August; ab 30. Oktober in den Münchner Kammerspielen.
Allerdings steckt nicht Handkes Frauenfigur im Gitterkäfig sondern
Becketts Herr Krapp, dieser gute alte Bekannte der Bühnenliteratur. Bei
den Salzburger Festspielen gibt man Becketts Monologklassiker aus dem
Jahr 1958 "Das letzte Band" - als Vorspann zu Handkes unlängst
entstandener Weiterführung des kurzen Stücks, das auf den etwas
umständlichen Namen hört: "Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine
Frage des Lichts."
Während
bei Beckett ein alternder Dichter wieder und wieder die
Tonbandaufzeichnungen von vor dreißig Jahren anhört - die hochtrabenden
Erwartungen eines jungen Künstlers, die psychologisierende Innenschau
einer zarten Seele, die Trennung von der Geliebten - stellt Handke diese
gleich selbst auf die Bühne. Als junge Frau oder wie Handke sich
ausdrückt "als blühendes Leben". Bei Beckett hat sie keine Stimme, bei
Handke bläst sie dem Geliebten von einst den Marsch.
Peter
Handke schreibt in Salzburg "Das letzte Band" von Samuel Beckett fort.
Handkes Text ist ein herausfordernder Dialog mit Beckett. Doch das
scheint in Jossi Wielers Regie nur in Ansätzen durch. Im Bild. André
Jung in der Rolle des Schriftstellers.
Der
Schriftsteller residiert in einem Stahlkäfig. Wie ein Erker wölbt sich
dieser aus dem Bühnendunkel, ein paar Quadratmeter sind es nur, die der
Dichter für seine ungeschickten Tapser zur Verfügung hat.
Die
Konfrontation von Becketts Helden und der Handke’schen Nymphe
inszeniert Jossi Wieler denn auch als eine Art späte Versöhnung. Ein
letztes Mal wird der Schriftsteller von der Muse geküsst.
Was
André Jung zeigt, ist das fein gearbeitete Porträt des abgetakelten
Künstlers, breit und sehr genau ausgespielt. Halb Clown, halb Penner und
zwischendurch ist auch das Klischee vom armen Poeten mit Regenschirm in
der Dachklause nicht weit.
Wenn
sich zur Halbzeit des eineinhalbstündigen Abends der Gitterkäfig dreht
und sich die Bühne öffnet, dann tut sich auch ein neuer Möglichkeitsraum
auf. Sein Gesicht ist die Schauspielerin Nina Kunzendorf.
Bei
den Salzburger Festspielen gibt man Becketts Monologklassiker aus dem
Jahr 1958 "Das letzte Band" als Vorspann zu Handkes unlängst
entstandener Weiterführung des kurzen Stücks, das auf den etwas
umständlichen Namen hört: "Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine
Frage des Lichts."
Während
bei Beckett ein alternder Dichter wieder und wieder die
Tonbandaufzeichnungen von vor dreißig Jahren anhört - die hochtrabenden
Erwartungen eines jungen Künstlers, die psychologisierende Innenschau
einer zarten Seele, die Trennung von der Geliebten...
stellt Handke diese gleich selbst auf die Bühne. Als junge Frau oder wie Handke sich ausdrückt "als blühendes Leben".
Bei Beckett hat die Geliebte keine Stimme, bei Handke bläst sie dem Geliebten von einst den Marsch.
"Mit
deiner Art von Schweigen hast du verhindert, dass zwischen dir und mir
das Schweigen herrschte", sagt sie, und: "Du bist nie Kind gewesen,
lieber Herr." Es sind typische Handke-Sätze, leicht beleidigt und
anklagend im Tonfall - aber auch erstaunlich offen in ihren Bedeutungen.
"Mit deiner Art von Schweigen hast du verhindert, dass zwischen dir und
mir das Schweigen herrschte", sagt sie, und: "Du bist nie Kind gewesen,
lieber Herr." Es sind typische Handke-Sätze, leicht beleidigt und
anklagend im Tonfall - aber auch erstaunlich offen in ihren Bedeutungen.
In ihnen nur die Rache der in einer Beziehung zu kurz zu
sehen, die weibliche Stimme, die sich jetzt endlich auch einmal Gehör
verschafft, hieße, in die typische Handke-Falle zu tappen.
Handkes
auf Französisch verfasstes (und von ihm selbst ins Deutsche
übersetztes) Stück ist gleichzeitig eine Verneigung vor der aufs
Wesentlichste reduzierten Beckettschen Altherrenfantasie (auch dieser
wechselte zwischen den Sprachen) und ein herausfordernder Dialog mit
ihm. Verhandelt wird nichts weniger als das Bild des Schriftstellers.
In der sanften, sich dezent am Text entlang hangelnden deutschsprachigen Erstaufführungsregie von scheint
das nur in Ansätzen durch. Sein Herr Krapp ist André Jung. Ein
zersauster, zerfurchter, zerstreuter Mann knapp an die Siebzig, dessen
Schritte unsicher sind und dem nur Bananen geblieben sind, um die eigene
Männlichkeit zu beweisen. Sie hält er in gespielter Absichtslosigkeit
vor den Schritt - da drinnen regt sich nicht mehr viel.
Was
André Jung zeigt, ist das fein gearbeitete Porträt des abgetakelten
Künstlers, breit und sehr genau ausgespielt. Halb Clown, halb Penner und
zwischendurch ist auch das Klischee vom armen Poeten mit Regenschirm in
der Dachklause nicht weit. Der ist
sein Refugium, doch es ist schon längst nicht mehr selbst gewählt. Die
Zeit, als noch Entscheidungen möglich waren, als der Rückzug produktiv
hätte sein können, ist nur mehr auf den Tonbändern präsent. Endstation
Schriftstellerklause.
Wenn
sich zur Halbzeit des eineinhalbstündigen Abends der Gitterkäfig dreht
und sich die Bühne öffnet, dann tut sich auch ein neuer Möglichkeitsraum
auf. Sein Gesicht ist die .
Sie könnte einem Modelkatalog entstiegen sein, so attraktiv und frisch
wirkt sie. "Mein Spiel jetzt" sind ihre ersten Worte, und auch wenn
Handke ihre Figur als eine Anspielung auf die Nymphe Echo konzipiert
hat, hat sie doch nichts Versteinertes an sich. Im Gegenteil.
Die
Bilder von Marmorstatuen auf den Videoeinspielungen von Stefan Bischoff
im Hintergrund macht sie schnell vergessen. Kunzendorf spricht Handkes
epische Sätze im lächelnden Plauderton. Krapp hatte das Band auf dem
Tisch, sie hat eines im Haar. Die schweren Künstlermythen weichen der
leichten Beschwörung der Stille und der Kindheit, der Fragen und des
Sommers.
Im Kern von Kunzendorfers Monolog steckt eine kleine Handke’sche Poetologie. Wie schon in seinem kleinen -Text
spricht er sich gegen das Handwerk des Deutens und Bedeutens aus,
insofern hat sich in den vergangenen vierzig Jahren nicht allzu viel
geändert. Die Konfrontation von Becketts Helden und der Handke’schen
Nymphe inszeniert Jossi Wieler denn auch als eine Art späte Versöhnung.
Das
Gesicht des Herrn Krapp hellt sich auf, die beiden kommen sich auch
körperlich näher. Ein letztes Mal wird der Schriftsteller von der Muse
geküsst. Aber natürlich passiert das nur in einem übertragenen Sinn.
Alles andere hätte auch nicht zu diesem feinfühligen Abend gepasst.
BOOKMARKS
HERE IS A "LESE PROBE" IN GERMAN:
Leseprobe
Handke, Peter
Bis daß der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts
© Suhrkamp Verlag
978-3-518-42096-6
Suhrkamp Verlag
Peter Handke
Bis daß der Tag euch scheidet
oder
Eine Frage des Lichts
Ein Monolog
Deutsche Version )
und
Französische Erstschrift ( )
Suhrkamp
© dieser Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form
(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)
ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert
oder unter Verwendung elektronischer Systeme
verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Druck: Druckhaus Nomos, Sinzheim.
Printed in Germany
Erste Auflage
ISBN
–
Bis daß der Tag euch scheidet
oder
Eine Frage des Lichts
Für S.
Was sehe ich da? Sieht das dort nicht aus wie ein Grabmal
für die römischen Ehepaare einstmals, Mann und Frau nebeneinander
wie aus dem Stein gehauen – nur sind das nicht
bloß die beiden Köpfe, sondern ganze Figuren, ein Paar zudem
wie in Lebensgröße, und losgelöst von dem gemeinsamen
Stein, oder was das ist – keine Reliefs, sondern vollständige
Skulpturen oder Figuren, eine jede aufrecht in ihrer Nische
eng beieinander, wenn auch ganz und gar nicht monumental.
Gewand und Gesichter zeigen das gleiche Grauweiß wie
das sie umgebende Steinhäuschen, oder was es ist. Grauweiß
auch die Augen, hier wie dort geschloßen. Beide Statuen
oder Gestalten stehen in derselben Haltung, die Köpfe gleichermaßen
geradeaus gerichtet. Und doch springt uns bei
längerem Hinsehen ein Unterschied zwischen den zweien
da dort an, über den üblichen zwischen Mann und Frau
hinaus. Der Mann, obwohl ebenso aufrecht wie neben ihm
die Frau, wirkt, mit nicht nur eingefallenen und geschrumpelten
Wangen, sondern auch ebensolchem Mund, und dazu
den stark konkaven Schläfen, tot und hinüber, wie man
nur hinüber aussehen kann. Daran ändert auch nichts, daß
jemand, vielleicht ein angeheiterter Passant, ihm die Lippen
tiefrot überschminkt, ihm eine rote Pappnase angesteckt und
Bruchstücke wie von einem Tonband um die Stirn gewickelt
hat. Die Frauenstatue an seiner Seite, trotz ihrer Kalkfarbe,
erscheint uns, wie sagte man einmal? als das blühende
Leben. Das rührt zuerst von ihren, wie eben nur im Leben,
zu einem hintersinnigen Lächeln geschürzten Lippen, und
überdies von der leuchtenden Glätte des ganzen Gesichts,
welche statt an den Tod an einen da auf seinen Höhepunkt
sich zubewegenden und sich jetzt und jetzt erfüllenden Traum
denken lassen, und zuletzt auch von dem halbnackten Busen,
dem, wie sagte man einmal, schwellenden, den wir in
einer Art Halluzination meinen, sich auf und ab bewegen
zu sehen. Kein stärkerer Gegensatz denkbar zwischen dieser
Frau und diesem Mann: der zwischen ganz Leben und ganz
tot. Und so schlägt diese Frau da dann auch in der Tat die
Augen auf, oder ist das weiterhin eine Halluzination?, und
zeigt sich lebendig, allein, indem sie schaut, und nun auch
spricht, nicht wie aus einer Gruft, vielmehr leichthin und
nachgerade bukolisch. Und auch wenn sie sich nicht an den
Mann zu ihrer Seite wendet und nicht einmal zu ihm hinäugt,
scheint es klar, zu wem sie da redet:
Mein Spiel jetzt. Dein Spiel, es ist gespielt, Mister
Krapp, Monsieur Krapp, Herr Krapp. Gespielt unter
einem falschen Namen, in einer Sprache, welche
nicht die deine war. Freilich, zugegeben, gut
gespielt, mitsamt deinem Gehabe eines abgehalfterten,
desillusionierten Clowns. Was sollte die Verkleidung
mit den übergroßen Schuhen? Was sollte
das Gehabe mit dem Mampfen der Bananen? Desillusioniert?
Nein. Nicht ganz und gar. Bis ans Ende
deines Spiels und bis zum Verlöschen des Lichts
ging von deinem Spiel der Rest einer Illusion aus.
Ein Rest? Ein Hauch, eine Brise, ein Schimmer, ein
Rhythmus. So war dein Spiel ein gutes Spiel, und
deine Hoffnungslosigkeit nicht bloß Alte-Clown-
Routine, vielmehr für Augenblicke erleuchtet, oder,
wie gesagt, rhythmisiert. Alter durchtriebener Spieler
du, Krapp. Oder wie dich nennen? Krapp-meines-
Herzens? Krapp, das Krokodil? Mit Krapp
kein Krippenspiel? Mein Spiel jetzt. Und für das
habe ich keinen falschen Namen angenommen,
keinen Bühnennamen, weder Effi, noch Molly,
noch … Ich bin es, die spielt und die spricht, ich,
die Frau neben dir in dem beinah bewegungslosen,
ruderlosen Boot mitten im Schilf des namenlosen
Sees oder Weihers unter dem sommerlichen Sternenhimmel.
Und ich spreche und spiele, lieber
Herr, in meiner eigenen Sprache, der Sprache meiner
Kindheit und der Sprache meiner Sinne. Und
ich lasse das Vergangene vergangen sein. Ich höre
nicht die Tooonbänder von einst an, ich reagiere
nicht auf meine Stimme vor Jahrzehnten. Was war,
ist jetzt – der Sommer, das Wasser, das Boot, das
Schilf, die Sterne, die Stille. Und du? Du nicht. Von
dir keine Spur. Du hast vielleicht agiert, aber in
meinem Jetzt agierst du nicht mehr, weder als Junger
noch als Alter. Jung, du? Sommer in deinem
Leben? Nie. Wir zwei spielen zwei verschiedene
Spiele, lieber Mieter des Boots du. Mein Spiel
braucht kein Kostüm, keine Manege, keine Pappnase,
keine extradreckigen Gewänder. Es braucht
kein Ausrutschen auf Bananenschalen, keine Apparate,
Maschinen und Requisiten, kein künstliches
Licht, und schon gar keine künstliche Dunkelheit.
Mein Spiel, im Gegensatz zu dem deinen, braucht
nicht skandiert zu werden von Pausen. Wenn ich
spreche ohne Extrapausen, so nicht etwa, weil ich
eine Frau bin, vielmehr weil die Pausen, und vor
allem die deinen, die vorsätzlichen, die vorgefaßten,
deine Pausen voll versteckter und doch gar
nicht versteckter Bedeutungen, nicht zu meinem
Spiel gehören. Zeichen ja. Aber keine Bedeutungen.
Bloß keine Bedeutung! Ach, du und deine
Kunstpausen, Krapp. Du und deine Pausenliturgien.
Du und deine Pausenpsalmen. Du und …
Was wärst du doch gewesen ohne dieses Und …?
Du hast jede deiner Pausen produziert. Du hast sie
komponiert, wie ein Komponist. Die Pausen, sie
sind dir nie unterlaufen, durch einen Traum, aus
Traurigkeit, vor Schreck. Wie habe ich jedesmal das
Vertrauen in dich verloren, sooft du deine Sinn-
Pausen gemacht hast, Krapp, sooft du die Stille zu
einer deiner Kunstpausen mißbraucht hast, Krapp,
und wie habe ich jedesmal im stillen gefleht: Tu’s
nicht noch einmal, Krapp. Und du tat’s es noch einmal,
und noch einmal, Krapp. Dein unknown female
dagegen, ich, kann keine Kunstpausen machen.
Ich kann nicht? Ich will nicht? Mit deiner Art
von Schweigen hast du verhindert, daß zwischen
dir und mir das Schweigen herrschte. Mit deiner
Art Schweigen wolltest du bestimmen über mich,
wolltest du mir dein Gesetz aufzwingen, ein despotisches
Gesetz, gegen das es keine Widerrede gab.
Trotzdem gab es, zugegeben, Momente, da hat
dein Schweigen mir gutgetan. Momente, da dein
Schweigen mich geweckt hat. Da es mich zur Vernunft
gebracht hat. Ah, Momente, da dein Schweigen
für Stille gesorgt hat, jenseits der Bedeutungen
und Hintersinnigkeiten. Ein Schweigen, das mich
zum Denken brachte. Denken was? Denken an
was? Nichts als Denken. Sinnen statt Hintersinn.
Wirklicher Vogel wurde imaginärer, und umgekehrt.
Buddy Holly sang sein »Peggy Sue«, auch
wenn niemand sang und einzig jenes Schweigen
herrschte. Ein Stein machte die Augen auf. Wittgenstein,
dabei, als Volksschullehrer einen seiner
Schüler zu ohrfeigen, sorgte bloß für einen leichten
Luftzug … Du hast mich an jenes Schweigen glauben
lassen. Vor dir kannte ich nur ein Schweigen,
das mir Angst gemacht hat. Es graute mir vor dem
Schweigen, so wie es mir graute vor der Müdigkeit.
Du hast mir die Ohren geöffnet für jenes Schweigen,
und in der Folge auch die Augen. »Schau, was
für eine Stille!«, das ist unser gemeinsamer Satz geworden
in jener Epoche, und das war eine Epoche,
für mich jedenfalls. In jener Augen-auf-für-die-Stille-
Epoche herrschte, so bildete ich es mir jedenfalls
ein, zwischen uns zweien jene Zeitform‚ die es in
unser beider Grammatik gar nicht gab: der Dual,
die Zweizahl: »wir zwei hörten, wir zwei schauten«.
Aber in einem bestimmten Moment habe ich entdeckt,
daß du selber gar nicht an jenes Schweigen
glaubtest, jenes Schweigen so anders groß als das
der unendlichen Räume, das nicht bloß Blaise Pascal
so erschaudern hat lassen. Oder so: Du wolltest
mich, die andere, daran glauben machen, doch du
selber, du hattest kein Vertrauen in die stille Welt
als der Weisheit letzter Schluß. Du warst nicht der
Schöpfer, der du so gern gewesen wärst. Die stille
Welt, sie war nicht dein Vaterland. Das Unbeschreibliche:
Du warst nicht offen genug, nicht
durchlässig genug – nicht Gestalter oder eben
Schöpfer genug, daß es, das Unbeschreibliche, sich
schlicht gezeigt hätte, ohne deine Einmischung,
und ohne deine Zusätze, einen Zusatz nach dem
andern. Du warst außerstande, die stille Welt ihre
Arbeit tun und ihr Spiel spielen zu lassen – sie, kurz
gesagt, zu lassen. Statt dessen hast du auf sie gezeigt,
du, in der ersten Person: »Achtung, jetzt zeige
ich das, und jetzt zeige ich das!« Statt ein Niemand
zu sein im Schweigen, warst du ständig die erste
Person, Wort für Wort, und Satz um Satz. Es ist
nicht wahr, daß du deine Zweifel hattest lange nach
jener Nachtstunde im Boot inmitten des stillen
Schilfs unter den schweigenden Sternen: In der
Stunde deines Todes hattest du entschieden weniger
Zweifel als damals in der Stunde unser beider
Leben. Da dort hast du die Welt ganz und gar nicht
sich zeigen lassen. Du hast an jene Ewigkeit gleich
nicht geglaubt – sonst wären wir doch auf ewig zusammengeblieben,
du und ich, und nicht bloß in
deinen Worten und Sätzen post festum. Ja, was für
ein Fest das war. Was für eine Einheit. Aber du
warst nicht Manns genug für jene Stunde. Du warst
nicht Kind genug. Du bist nie Kind gewesen, lieber
Herr. Wahr ist freilich, daß ein Kind, ein jedes Kind,
ohne Unterlaß etwas zeigen möchte, wie du. Zeigen,
zeigen tun die Kinder, jetzt in die eine Richtung,
jetzt in die andere, undsofort, und so weiter.
Zeigen und zeigen wollen: Das ist sogar, wie soll
ich es sagen, das am stärksten bezeichnende Zeichen,
das am meisten handfeste Zeichen eines Kindes,
das, wie soll ich es sagen, auf der Höhe seiner
selbst ist. Was aber möchte so ein Kind, fragst du,
eigentlich zeigen? Und ich antworte dir: Nichts. Jedenfalls
nichts Besonderes, und vor allem nichts
Bedeutendes. Das Zeigen der Kinder will und soll
nichts bedeuten. Ein Kind sitzt irgendwo im Gras,
streckt seinen Arm aus, spitzt seinen Zeigefinger
und zeigt. Was zeigt es? Was indiziert es? Nichts,
rein gar nichts, kein Ding, nicht einmal den Raum,
nicht einmal den Wind, nicht einmal eine Wolke.
Und auch den eigenen ausgestreckten Arm zeigt es
nicht, und auch nicht den eigenen gespitzten Zeigefinger.
Das Kind zeigt nicht, wie es zeigt. Es zeigt
nicht, daß es zeigt. Und wenn das Kind so am Zeigen
ist, zeigt es niemand anderem etwas, weder seinem
Vater, noch seiner Mutter, noch einem anderen
Kind, noch einem vorbeigehenden Fremden –
oder vielleicht doch? Es streckt den Arm aus, es
spitzt den Zeigefinger und zeigt sein Dreimal-
Nichts einem Fremden? Einem Unsichtbaren?
Noch gestern, oder wann das war, habe ich einen
Autobus vorbeifahren sehen, voll von Kindern,
und eins der Kinder drinnen war gerade dabei, seinen
Arm zu heben und zu zeigen. Auf was wohl
draußen? Auf den Himmel? Auf mich? Auf einen
anderen Bus? Nein, auf nichts, und auf wieder
nichts, den Arm wie emporgehievt von der Kraft
des Nichts-und-wieder-nichts im Umkreis des Kindes,
belebt von der reinen Lust, auf nichts und
noch einmal nichts zu zeigen, geheißen von niemandem,
bezogen auf niemanden. Und wirklich
hat ja niemand, kein anderes Kind in dem Bus in
die Richtung geschaut, in die das Kind gezeigt hat.
Denn es gab gar keine Richtung, und niemand, kein
anderes Kind hat überhaupt bemerkt, daß das Kind
gezeigt hat. Ihm selber war vielleicht sein Zeigen
gar nicht bewußt. Und dazu hat das Kind in einem
fort Laute ausgestoßen, entschieden sinnlose, hat
mit diesen Lauten gespielt. Was gespielt? Alles und
nichts. Und du? Und du? All dein Zeigen hat von
Anfang an bedeuten wollen. Und alle deine Laute
und dann Sätze waren Mannequins auf einem
Laufsteg, der nach deinem Wollen die Welt bedeuten
sollte, und jedesmal wieder dasselbe Mannequin,
nur leicht umgekleidet, einmal im Sandsack,
einmal in Asche, einmal als Bäumchen-wechseledich
– – nicht – und nicht. Schon als ein Kind, hast
du’s mir nicht selber erzählt, hattest du zu kämpfen
mit deinem ständigen Bewußt-Sein, hat es dir zu
schaffen gemacht, in einem fort bewußt zu sein,
bewußt, zu sein, bewußt, zu existieren, bewußt, zu
gehen und dabei die Arme auf und ab zu bewegen,
bewußt der Stellung der Lippen in deinem Gesicht,
bewußt deines Hinterkopfes, und vor allem bewußt,
dich den andern, so oder so, zu zeigen, und,
noch ärger, den anderen ständig etwas zeigen zu
sollen, und zwar nicht gleich was, vielmehr etwas
Bezeichnendes, das Etwas hinter dem Etwas, eine,
die Idee von Etwas – seinen Sinn oder sei es seinen
Unsinn, was in deinen Erwachsenenjahren dann ja
deine Spezialität und später, gegen deine Absicht,
mit Verlaub deine Geschäftsgrundlage wurde. Das
Bewußtsein hat aus dir keinen Narren gemacht.
Oder doch: den König der Narren, den NarrenÄltesten.
Weder warst du ein Kind deiner Eltern,
noch ein Kind Gottes, noch Kind überhaupt. Ärger
als der kleine Jesus, der von Mutter und Ziehvater
drei Tage lang sich suchen ließ, bis sie ihn
endlich fanden im Tempel von Jerusalem, wo er
sich schriftgelehrter als alle Schriftgelehrten zeigte,
hast du schon als Winzling, als du dich gerade erst
schwankend auf den zwei Beinchen halten konntest,
um dich herum deinen eigenen Tempel errich
tet, den »Tempel des Nichtendenwollenden Deutens
und Bedeutens«, in welchen du als Säugling
schon, in deine Windeln pissend und scheißend,
deine Umgebung eingesperrt hast, in dein Ich-zeige-
euch-Gefängnis, wie später dann auch mich, das
unknown female. Hat nicht deine eigene Mutter
überall herumerzählt, daß schon der Schrei, den du
ausgestoßen hast bei deiner Geburt, ganz und gar
nicht der Schrei eines Neugeborenen war, sondern
einer, der schallte wie aus dem Innern eines Grabs?
So hast du deine Eltern schon an deinem ersten
Tag auf Erden erschreckt, und in der Folge alle andern,
und insbesondere die Kinder deines Alters.
Sie haben sich dir genähert, angezogen – Ausdruck
deiner Mutter – von deinem »Engelsgesicht«, und
sowie du deine Stimme erhoben hast, sind sie geflüchtet.
Zudem hast du aus deinem Engelsgesicht
auf jeden und auf alles, was dir unter die Augen
kam, die finsteren Blicke eines Unglückspropheten
abgeschossen, zuerst aus der Wiege heraus, und
später von deinem Dreirad, deinem Fahrrad, deinem
Pferd, deinem Arbeitstisch, aus der Krone
deiner Apfelbäume, hoch oben von deiner Leiter,
zuletzt von deinen Spitalsbetten, und ganz zuletzt
von deinem Totenbett. Und was war deine Prophetie,
von der Wiege bis zum Grabe, von Alpha bis
Omega?: Unsere Mütter, sie gebären uns zwischen
ihren gespreizten Mutterbeinen über einem offenen
Grab, das Leben als der Schimmer eines kurzen
Augenblicks – der Schimmer eines weißen
Rosses, der durch den Spalt einer Scheune fällt –‚
und gleich darauf der Plumps ins Grab, und das
war alles. Und in dem kurzen Augenblick? Ein
Schluck Milch, ein Schluck Bier, eine erste und eine
letzte Liebe, und im Schilf eines namenlosen Sees
ein Seufzen hinauf zu den Sternen, ein Seufzen,
eine Stimme, die einmal ganz und gar keine Grabesstimme
war. Und was war der Laut jenes Seufzens?
Ein »Ah!« wie zu Beginn eines Stücks? Ein
»Ach« wie am Ende eines Stücks? Egal. Was zählte:
Ich war nicht gemeint von deinem Seufzer, du
seufztest für dich allein. Du warst nicht fähig zu
einem Zwiegespräch. Du warst nicht fähig zur
Zweisamkeit. Zu zweit warst du falsch, und klangst
du falsch. Nur allein hast du existiert. Nur in der
Heimlichkeit dachtest du, was du sagtest, und sagtest,
was du dachtest, und ließest die wahren Seufzer
hören. Mit den andern, mit dem andern: außer
halb deines Elements. Allein: zurück in deinem
Element. Nur allein bewegtest du dich mit deinem
eigenen Körper, lachtest du dein echtes Lachen.
Nur allein hattest du ein Zentrum. Und so, als ein
Alleiniger, bist du mir ja auch begegnet. Du glaubtest
dich allein, und obwohl du dich nicht bewegtest,
schienst du zu tanzen. Und als du mich sahst,
hast du auf der Stelle das Zentrum verloren, und es
war aus mit dem Tanz, und ich wollte auf dem Absatz
umdrehen, aber da war es schon zu spät …
Während all der Jahre, sooft ich fürchtete, den
Glauben zu verlieren – von Liebe und insbesondere
Hoffnung laß uns hier schweigen – ‚ habe ich
dich allein gelassen, wenn auch nur zum Schein – in
Wirklichkeit, um dich auszuspähen. Vermeintlich
allein mit dir selber, wurdest du jedesmal wieder,
ob bewegt oder unbewegt, zum Tänzer. Ein widersprüchlicher
Tänzer, muß man dazusagen: Dein
Alleintanz war heiter und zugleich resigniert, deine
Schritte, ob sichtbar oder nicht, eroberungslustig
und zugleich verloren, dein Strahlen friedlich und
zugleich kriegerisch, dein Triumphieren das eines
von allem und jedem verlassenen Idioten. Wie
leicht war es, dich auszuspähen. Kaum warst du al
lein, gab es mich, die andere, augenblicks nicht
mehr. Selbst wenn ich dich ausgespäht hätte dicht
vor deinem Gesicht, eine Handbreite davor, wäre
ich für dich nicht vorhanden gewesen. Als ich mich
so einmal bemerkbar gemacht habe, bist du zusammengefahren
und hast dich weggeduckt vor mir
wie vor einem fremden Eindringling, wie vor einem
feindlichen Angriff. Immerhin, indem ich dich
so ausgespäht habe, bist du mir erschienen als das
Kind, das du nie gewesen bist. Oder nein: Nicht als
ein Kind habe ich dich so gesehen, sondern als eine
Waise, eine Waise schon im Moment der Empfängnis,
schon im Bauch seiner Mutter. Ja, Jahrzehnte
nach deiner Geburt bist du mir erschienen im
Bauch deiner Mutter, so wie diese dich nie gesehen
hat: ein Fötus in Gestalt eines da zusammengekrümmten
winzigen Alten, das Gesicht klar gezeichnet,
und mit dem klaren Ausdruck: »Das Licht
der Welt – ich will es nicht sehen! Nur keine Existenz!
Bleibt alle weg von mir, und vor allem du, du,
und du!« Und zur gleichen Zeit, da unten, im Bauch
deiner Mutter, hast du gestrahlt. Dein »Nein! Nein!
Und abermals nein!«, du hast es schon gespielt, entschieden
klarer und, ja, lebendiger, als irgendein
anderer Fötus es hätte spielen können. Und so ist
es mit dir geblieben, nachdem du, angeblich mit
dem grämlichen Gesicht eines Greises, das Licht
der Welt erblickt hattest. Mit deinem formvollendeten
Gram hast du unsereinen angesteckt zu Heiterkeit.
In deiner Leichenbittermiene und in deinem
steten Verneinen hat ebenso stetig mitgespielt
eine verschmitzte, herrlich sinnlose Lebenslust.
Dein Extraschwarzsehen war ein Kraftwerk, das
ein Extralicht erzeugt hat. Dein Spiel, suchte es
nicht, als Spiel, gleichwohl die andern, unsereinen,
mich? Nein, nein, und abermals nein. Doch ab deinem
Debut – ja, es war ein Debut, ja, und abermals
ja – schicktest du Zeichen aus. Du selber wolltest
das verkörperte Zeichen sein. Und ein Zeichen,
nicht wahr, mein Lieber, das richtet sich an den anderen,
an die anderen. Du, das Waisenkind, sandtest
ab deinem Debut und so weiter bis ans Ende
Deiner Tage Zeichen aus. Mit deinen so spielfreudig
kombinierten und rhythmisierten Zeichen hast
du freilich die andern alle auf ihre Plätze verwiesen
und einen unüberwindlichen Leerraum um dich geschaffen. Du, der Verwaiste, mein Verwaiser.
Mein Platz war ausschließlich in deinen Sätzen, in
UNTIL THE DAY / BIS DASS DER TAG EUCH SCHEIDE/ REVIEWS...A TEXT EXCERPT...
A COLLECTION OF GERMAN REVIEWS/ I WILL WRITE A NOTE ONCE THE BOOK REACHES ME...BELOW IN YELLOW ON BLEU... A TEXT EXCERPT.AND INTERVIEW ON THE OCCASION...M.R
The play has been transated meanwhile, to be published by Seagull, distributed in the US
by Chicago University Press
http://www.press.uchicago.edu/ presssite/metadata.epl?mode= synopsis&bookkey=10463909
The play has been transated meanwhile, to be published by Seagull, distributed in the US
by Chicago University Press
http://www.press.uchicago.edu/
Peter Handke - "Bis daß der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts." | |
Leseprobe"Ich kann es ertragen, übergangen zu werden", hat eine andere Frau einst einem anderen Mann bedeutet. Und dementsprechend schließe ich mich dir an in meiner zeichenlosen Nacht, stammle dunkel vor mich hin, und zugleich drängt es mich doch, mein Gestammel zu singen, den Refrain zu dem von dir gesummten Lied, vom Schatten, der an unseren Bergen herabsteigt, vom Azur des Himmels, das sich verhärtet, vom Lärm, der verebbt aus unsrer Landschaft, vom Schlaf im Frieden, der bevorsteht. (24; deutsche Version, 2008) Moi, je te rejoins dans ma nuit insignifiante, avec quelques bribes de mots obscurs mais qui me poussent doucement à les chanter, des mots vagabonds qui répondraient peut-être à cette chanson que tu as chantonnée une fois pour moi, moi installée dans le noir: "L'ombre descend de nos montagnes, / L'azur du ciel va se ternir. / Le bruit se tait dans nos campagnes. / En paix bientôt tout va dormir..." (46 f; französische Erstschrift, 2007) © 2009 Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. |
Alle Texte sind Ausdruck meines Nicht-Gelingens“
11. August 2009 | 19:01 | | BERNHARD FLIEHER
Peter Handke gab den SN ein exklusives Interview. Bild: SN/APA
Kirchenwirt in Maria Plain. Gastgarten. Sommerhitze. „Wo haben Sie eine Heimat?“, sagt Peter Handke, 66 Jahre alt, seit den 1960er-Jahren unter den bedeutendsten Schriftstellern deutscher Sprache. „Na ja, ich lebe da unten in der Stadt. Bin aber nicht von hier.“ – „Na sehen Sie: Keine Heimat. Es gibt keine Heimat.“ Dazu ein Glas Weißwein, und Handke reicht ein Stück Backhendl über den Tisch. „Nehmen Sie’s. Bitte. Ich kann nicht mehr.“Das also ist er, der scheue Dichter, von dem alle so tun, als wäre er unerreichbar. Im Schatten einen Tisch weiter: das Interview. Handke ist in der Stadt, wo er jahrelang gelebt hat, weil bei den Salzburger Festspielen sein Text „Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts“ aufgeführt wird. Ein Echo auf Becketts „Das letzte Band“ ist der Text (siehe Premierenkritik rechts).
SN: Warum haben Sie dieses Echo auf Samuel Becketts „Das letzte Band“ verfasst?Handke: Ja, warum . . . Auf „warum“ kann man oft nicht antworten. Das wird man spüren. Das tut dem gut, dem Beckett-Stück. Das versäumte Leben, das da erscheint und das doch nicht versäumte Leben, das der alte Krapp gelebt hat. Das tut gut, dass da ein Licht, ein anderes Licht dazukommt.SN: Im Programmheft sprechen Sie in einem Text der Literaturwissenschafterin Elisabeth Schwagerle davon, dass Sie sich immer wieder vorgenommen haben, alles schwarz zu sehen. Und kaum, dass das Schreiben beginnt, kommen Ihnen diese Schwarzbilder abhanden. Nun hellen Sie auch den Beckett auf. Ein Scheitern also?
Handke: Alle meine Texte sind Ausdruck meines Nicht-Gelingens. Alle. Eine sehr fragwürdige Situation ist das, und natürlich gewagt, auf Weltliteratur, auf ein großes Stück zu antworten.SN: Klingt nach Ehrfurcht.
Handke: Ehrfurcht nicht. Das ist das einzige Stück von Beckett, das ich ganz und gar vollkommen find’.
Und es ist etwas anderes noch dabei, was ja in meiner Antwort mitspielt: Es ist immer noch ein Hintersinn, eine Allegorie von Existenz drin.SN: Wenn Beckett sich in dem Text etwa auf Theodor Fontane bezieht, beziehen Sie sich auf Neil Young.Handke: Haben Sie das gemerkt?SN: In dieser Situation, eine Frau am Ende, kann – wenn sie „Helpless Helpless“ sagt – nur der Song von Neil Young gemeint sein aus dem Jahr 1970. Wie sehr hallt die Musik dieser Zeit in Ihnen nach?Handke: Natürlich ist das so. Ob ich’s immer noch höre? Ich hör’ es nur, wenn ich von fern zufällig wo vorbeikomme. Und wenn man dann ein paar Takte von diesen Rhythmen mitkriegt, von etwas, das einem so viel bedeutet, dann würd’ ich das Gefühl noch einmal wiederholen. Das ist, glaub’ ich, aber eine falsche Nostalgie.SN: Der Song „Helpless“ ist wohl einer der zärtlichsten Ausdrücke von Hilflosigkeit in der Popmusik.
: Handke: Ja, ja. Sie sagen das . . . Schön. Ja, das ist Zärtlichkeit, von einer Zartheit ist das, eine Zartheit wird da zur Zärtlichkeit.SN: Der Song ist ein Resultat von Woodstock, wo Crosby, Stills, Nash and Young auftauchen in der sogenannten Goldenen Ära der Popmusik. Vieles in Ihrem Werk ist voller Zitate und Anspielungen auf Helden dieser Zeit. In „Bis dass der Tag euch scheidet . . .“ heißt es: „Ich höre nicht die Spulen von gestern an. Reagiere nicht auf meine Stimme vor Jahrzehnten.“ Wie ist es mit der Musik?Handke: Es war eine große Zeit, für mich hat es das, diese drei, vier Jahre, danach nimmer gegeben. Ich mach’ da keinen Unterschied zwischen Bea tles und Stones, Yardbirds, Small Faces, The Who – ja sogar die Hollies oder Hermans Hermits! „No Milk Today“ war eines der für mich schönsten Lieder. Das waren ein paar Jahre, da stand die Welt offen durch diese Lieder. Und die Welt ist immer noch offen, aber sie wird halt nicht mehr benutzt, diese Offenheit. Ohne all dem Rhythmus, dem Klang – wer weiß, was aus mir geworden wäre, ich hab ja alle Singles gekauft damals.SN: Und die spielen Sie noch?Handke: Nein, meine älteste Tochter hat die, glaub ich, immer noch. Bis Creedence Clearwater Revival – und dann bin ich von der Szene verschwunden.SN: Aber wieso eigentlich?
Handke: Sie beschuldigen mich!SN: Nein. Es lässt sich aber doch vieles in Ihrem Werk bis heute mit dem Rhythmus, mit Musik vergleichen. Für mich wirkt das oft wie die Arbeiten des irischen Sängers Van Morrison, wenn Sie . . .
Handke: Ja. Van Morrison. Egal welcher, der Politische, der Stille. . . Dann ist er auch auf den Funk gekommen, den Blues.
Vielleicht kommt er auch noch einmal auf die Poesie, die einsame Poesie.SN: Van Morrison, so schrieb Popjournalist Lester Bangs, schaffe auf kleinstem Raum wie „besessen jede Menge Information“.
Und doch scheint es darauf nicht anzukommen. Im Grund stellt Van Morrison doch Gefühl und Rhythmus über das Wort, das „Wie“ über das „Was“.Handke: Aber was er sagt, wird doch erst intensiv, wie er es macht. Er hat ein großes Gefühl – und dann werden „Was“ und „Wie“ doch eines.SN: Ja, wenn man es kann . . .Handke: Wenn man ein großes Gefühl hat, dann kann man alles. Wie sagt der Kafka einmal mit lauter Scheinheiligkeit? Er muss ein Jahr in sich suchen, bis er eine wahre Empfindung in sich spürt. Aber er hat das natürlich übertrieben. Aber wenn jemand ein wahres Gefühl . . . das wird dann Form. Oder auch nicht. Und dann wird der Mensch unglücklich. Ein großes Lied, das ist etwas Unglaubliches, etwas sehr Seltenes. Das Ideal der Menschheit, das ist ein großes Lied.SN: Sind Sie neidisch auf Musiker?
Handke: Bin ich. Ja, bin ich. Manchmal. Aber schön neidisch! Diesen Neid hab’ ich gern. Ein großes Lied . . . naja, ein großes Buch ist auch etwas, auch das ergreift einen. Aber Buch, Lied . . . Elvis, Buddy Holly, Dostojewski, Beatles, Stendhal, mittelalterliche Epen – alles gehört zusammen. Ich hätt’ nie ein Lied schreiben können.
Ich hab ja Singen gehasst in der Schule, das Singen meiner Mutter. Bei Elvis hab ich mich ja geschämt, dass ich das gemocht habe. Aber ab den Beatles hab ich aufgehört mich zu schämen. Da hab ich gedacht: Das ist es!SN: Dass alles zusammengehört, wie Sie sagen, ist wohl ein Resultat dieser Tage in den 60er-Jahren.Handke: Ja. Endlich war mal dieser Unterschied nicht mehr da. Das ist für immer vorbei. Dieser blöde Ausdruck von E- und U-Musik. Alles, was aus der Tiefe kommt, auch wenn es zugleich wieder oberflächlich wird, wie Pop, hat Schönheit. Das ist alles unsterblich.SN: Wünschten Sie sich, manchmal etwas oberflächlicher wahrgenommen zu werden?
Handke. Ja, Sie haben recht. Ich würd’ mir wünschen, dass einige meiner Stücke als Boulevard stücke wahrgenommen werden.SN: Passiert aber nicht. Vielleicht auch, weil Sie ja so ein Art Heiligkeit umgibt, der Dichter jenseits von jedem, der im Wald um Paris Schwammerl sucht, sich manchmal provokant zu Wort meldet. Das ist doch nicht schön, nur so – als Schwieriger – wahrgenommen zu werden.Handke: Natürlich ist es ein Dilemma heutzutage für einen, der ernsthaft Literatur schreibt, Träume formuliert, vielleicht wirke ich da manchmal nicht so ernsthaft, sondern etwas flapsig, aber die Frage ist tatsächlich immer schwieriger zu beantworten: Wo habe ich meinen Platz als Schreiber? Es ist eine schwierige Situation, ein Dilemma, das nie größer war als in dieser Zeit.SN: Woran liegt das?Handke: Wir werden immer in ein bisschen ein seltsames Licht gerückt. Und das ist ja auch normal. Aber die meisten Schriftsteller und Schreiber sind ja längst unglaublich tüchtige Bankiers und Produzenten und Regisseure und auch die Conferenciers ihrer selbst. Ich hab’ das schon auch zwischendurch ein paar Mal versucht zu machen, Aber ich hab’ bemerkt: Ich bin da nicht gut darin.
SN: Warum?
Handke: Ich bin als öffentlicher Mensch einfach nicht gut. Und das ist auch ganz richtig so. Heute gehen die Öffentlichkeit und der Schriftsteller nicht mehr gut zusammen. Da spielen sicher einige sehr gut – so wie der Herr Kehlmann das macht. Der ist ja fast dafür geboren, aus dem Mutterleib geschlüpft und war schon ein kleiner Showman. Warum auch nicht?! Für mich ist das nichts.SN: Was ist etwas für Sie?Handke: Für mich ist die Sprache, der Umgang damit etwas anderes, etwas Gewaltiges, etwas das nicht selbstverständlich ist – wie ein gutes Lied von Van Morrison oder von Dylan, oder ein gutes Stück Prosa, oder zwei, drei Repliken in einem Stück. Da erscheint das Leben. Drei, vier Sätze, und man ist nicht nur getröstet, sondern auch gekräftigt.SN: Merken Sie das, wenn Sie schreiben?Handke: Vorher merk ich’s, bevor ich schreibe. Und dann schreib ich’s halt auf. SN: Das klingt ja einfach.Handke: Naja. Kommen Sie, jetzt lassen wir’s, oder? Trinken Sie noch einen Wein.SN: Nur das noch: Im Text „Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts“ kommt eine Autobahnstation vor, sonst gibt’s keine Orte. In solchen Zwischenräumen, Nichtorten, halten sie sich da am liebsten auf?
Handke: Ich sage dazu immer Schwellenräume, Schwellenbereiche, wenn man in einem Übergang ist von einem Bereich zum anderen, wo man spürt, wie die Welt vielleicht gegliedert sein könnte oder gegliedert ist. Ja, Grenzen? Wo sind die Grenzen? Da entstehen viele innere Grenzen, die sind nicht so spannend, die inneren Grenzen der Menschen. Aber mir kommt vor, es gibt viel mehr innere Grenzen, als es je gegeben hat. Schauen sie, das ist Europa.SN: In dem Text „Am Felsfenster morgen“ schreiben Sie mit Blick auf Salzburg, auf Dauer könne Ihnen ein Ort nur etwas bedeuten, wenn Sie sich auf Dauer von ihm entfernten. Nun leben Sie schon seit fast zwei Jahrzehnten südwestlich von Paris. Drängt es Sie nicht weg?Handke: Nein es drängt mich nicht weg. Ich fühle mich verantwortlich für den Garten. Da kann man nicht weg – wenn man Besitzer ist, ist man schon ein halbes Arschloch. Aber ich hab das ja auch gerne, den Garten und . . .
SN: Das klingt doch nach Idylle. Handke: Es ist keine Idylle. Es gibt keine Idyllen in dieser Welt. Nirgendwo. Ein Idylle ist ein Gefühl von Menschen, das ist alles Täuschung.
SN: Und man kann sich auch keine Idylle schaffen – so mit Haus und Garten?Handke: Nein. Nie hat’s Idylle gegeben. Nie. Es gibt vielleicht Atemräume für einen Moment. Und es ist vielleicht ein Vorteil, einen Garten zu haben, um dort lesen zu können. Aber es hat nichts mit Idylle zu tun. Der Garten kann Ort es größten Dramas sein oder des schönsten Dramas. Vielleicht gibt’s solche Momente, wenn der Wind durch die Kastanien geht. Aber Idylle ist das nicht. Vielleicht ein Aufatmen und dann denkt man: Jetzt ist jetzt. Das ist ja eine Gabe, das sagen zu können.
SN: Das klingt nach einem Grundprinzip der Rockmusik: Immer genau hier, immer genau jetzt passiert, was wichtig ist.Handke: Aber bei mir ist das vorbei. Ich kann nicht mehr sagen: Jetzt ist jetzt. Ich spür’ das nicht.
Ich krieg’ sofort eine Wehmut, weil ich weiß, dass es gar nicht wahr ist, also nicht mehr wahr ist. Aber ich wünsch’ allen, die jünger sind, dass sie das sagen können, dieses: „Jetzt ist jetzt“.
SN: Das ist also eine Altersfrage?Handke: Ja, weil man nicht mehr glaubt, das halten zu können. Früher glaubt man; Jetzt! Und sagt sich: Merk’ dir diesen Moment, diesen Augenblick.
Das war dann aber auch schon vorbei, aber es hat nachgewirkt und Kraft geben. Und jetzt . . . jetzt hab ich keine Kraft mehr.
© SN/SW
Sind Sie mit der Inszenierung Ihres jüngsten Stückes zufrieden?
PETER HANDKE: "Zufrieden" gehört nicht zu meinem Wortschatz, aber ich war relativ erleichtert. Ich fand es schön, dass die Frau, die ich ersonnen habe, nicht nur aus Sprache besteht, sondern dass die Sprache auch eine Gestalt erzeugt - den Menschen.
Ist "Storm Still", Ihr neues Werk über den Widerstand in Kärnten, fertig? Wo soll die Uraufführung stattfinden?
HANDKE: Es gibt es seit über sechs Monaten, ich muss es nur etwas lichten, wie man ein Gebüsch lichtet. Aber ich habe keine Vorstellung, wo und wie das jetzt weiter geht. Aber es ist ja kein aktuelles Stück, sondern ein Stück, das Dauerprobleme erzählt. Das Stück zeigt ewige Konflikte, Konflikte, die mit dem Zusammenleben von Menschen verbunden sind.
Könnten Sie sich Johann Kresnik als Regisseur vorstellen?
HANDKE: Ich kenne Herrn Kresnik nicht und weiß nicht viel über ihn. Früher, als ich noch Zeitungen gelesen habe, habe ich viel über ihn gelesen. Aber ich lese kaum noch Zeitungen, außer wenn ich in Kärnten bin, dann lese ich natürlich pflichtbewusst Ihre Kleine Zeitung. Nein, mit Kresnik kann ich mir die Inszenierung nicht vorstellen.
Kann Literatur gegen den Zeitgeist antreten?
HANDKE: Ist mir total egal. Ich habe nie im Leben gegen etwas, sondern immer für etwas geschrieben. Ich schreibe höchstens gegen mich, wie Henrik Ibsen gesagt hat, ich halte Gericht über mich selber. Natürlich schreibe ich für die Leute. Ich kann mir ein Publikum nicht vorstellen, sondern immer nur einzelne Leute.
Ist Kärnten wirklich anders?
HANDKE: Es gibt ein Kärnten, das Leute wie Kiki Kogelnik, Christine Lavant, Peter Turrini, Gustav Janus und Florjan Lipus verkörpern. Das andere Kärnten ist das bestimmende und wird das ewig bleiben. In einem Jörg Haider-Museum in Kärnten wird Schund herumstehen, den aber jeder meiden kann. Solange man Schulkinder nicht verpflichtet, hinzugehen.
Sie sprechen oft von Unerreichbarkeit. Was ist für Sie unerreichbar?
HANDKE: Eine komplizierte Frage. Man könnte auch fragen: Was ist erreichbar? Dass man halbwegs glorreich durchs Leben kommt. Dass dieser und jener, der das liest, auch etwas davon hat, sich freut und bestärkt fühlt. Das kann man erreichen. Aber weil ich kein E-Mail habe, bekomme ich kaum Rückmeldungen. Nach dem Motto des Romans von Gabriel García Márquez "Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt". Der Schriftsteller Peter Handke hat niemand, der ihm schreibt. Das ist auch richtig so. Wie hat Goethe gesagt: Die höchste Kultur, die ein Mensch sich geben kann, ist, dass niemand nach ihm fragt. Auf ewigen Ruhm war ich nie aus, auf Tagesruhm auch nicht. Irgendwas dazwischen. Ein Schriftsteller, der etwas taugt, ist eine Zwischenexistenz.
Ihre Neudichtung der "Helena" von Euripides soll 2010 am Wiener Burgtheater uraufgeführt werden. Luc Bondy soll inszenieren. Verraten Sie uns etwas über das Stück?
HANDKE: Es ist keine Nachdichtung, sondern eine Übersetzung. Auf Anregung des großen Germanisten Wendelin Schmidt-Dengler. Euripides deswegen, weil er ein großer Psychologe war, der immer alles erklärt hat. Jetzt, wo ich das Stück übertrage, finde ich die Psychologie nicht mehr so wichtig. Die zentrale Frage lautet: Ist die Frau, die man in den Händen hält oder die einen in den Armen hält, wirklich die, für die man sie hält. Die Geschichte ist die, dass die wahre Helena nicht nach Troja gegangen ist, sondern von der eifersüchtigen Hera nach Ägypten geführt wurde und dort unversehrt und treu 17 Jahre verbracht hat. Menelaos, ihr Gatte, der glaubt, dass er seine Helena wieder heimführt, findet noch eine Helena und ist total verwirrt. Das ist die schönste Stelle des Stücks. Es ist ein Spiegelstück. Man weiß nicht, wer der Mensch ist, mit dem man es zu tun hat. Ich bin aber noch nicht fertig damit und weiß auch nicht, ob es am Burgtheater kommt.
Sie schreiben nach wie vor mit Bleistift. Wenn man Ihnen den Bleistift wegnehmen würde?
HANDKE: Das wäre schlimm. Dann müsste mir jemand Bleistifte schicken, um mich zu retten.
Was bedeuten Ihnen Auszeichnungen?
HANDKE: Jeder Trottel von Schriftsteller hat zahlreiche Preise gewonnen.
Könnten Sie sich vorstellen, dass man Ihnen zu Ehren einen Gedenkstein aufstellt oder ein Museum eröffnet?
HANDKE: Doch. Aber es darf kein Stein sein, sondern muss ausschauen wie ein Ameisenhaufen und muss lebendig sein und nach Weihrauch und Harz riechen.
Sie haben sich mit 12 im Gymnasium Tanzenberg, das primär zur Heranbildung von Priesternachwuchs diente, angemeldet. Warum sind Sie nicht Priester geworden?
HANDKE: Meine Mutter hat mich angemeldet. Weder sie noch ich haben auf einen Priesterberuf gehofft, sehr wohl aber der Pfarrer meiner Heimatgemeinde. Es war die einzige Möglichkeit für Landkinder, zu einer Ausbildung zu kommen. Eventuell war im Hinterkopf schon die Möglichkeit, dass vielleicht einmal der Heilige Geist zu einem spricht. Aber im Sinne eines Priestertums hat der Heilige Geist nie mit mir gesprochen.
"Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an, mit 66 Jahren, da hat man Spaß daran, mit 66 Jahren da kommt man erst in Schuss" - identifizieren Sie sich mit diesem Lied von Udo Jürgens?
HANDKE: Das ist total gelogen. Udo Jürgens muss wohl so singen, damit es ein Lied wird. Lieder müssen und dürfen lügen.
Werden Sie in Pension gehen, mit dem Schreiben aufhören?
HANDKE: Ich habe schon öfters aufgehört und fange immer wieder an. Das ist ein schöner Beruf, da kann man nicht in Pension gehen. Der hält einen am Leben.
Sie verbringen den Kurzurlaub mit Tochter Amina, die als Künstlerin in Wien arbeitet. Soll sie das Land ihrer Jugend kennen lernen?
HANDKE: Sie kennt das Land, sie war immer wieder da. Ich habe ihr nichts zu zeigen.
Welche Beziehung haben Sie zu Ihren beiden Töchtern?
HANDKE: Ich bin zwischendurch immer wieder froh, wenn ich allein bin.
SN: Warum haben Sie dieses Echo auf Samuel Becketts „Das letzte Band“ verfasst?Handke: Ja, warum . . . Auf „warum“ kann man oft nicht antworten. Das wird man spüren. Das tut dem gut, dem Beckett-Stück. Das versäumte Leben, das da erscheint und das doch nicht versäumte Leben, das der alte Krapp gelebt hat. Das tut gut, dass da ein Licht, ein anderes Licht dazukommt.SN: Im Programmheft sprechen Sie in einem Text der Literaturwissenschafterin Elisabeth Schwagerle davon, dass Sie sich immer wieder vorgenommen haben, alles schwarz zu sehen. Und kaum, dass das Schreiben beginnt, kommen Ihnen diese Schwarzbilder abhanden. Nun hellen Sie auch den Beckett auf. Ein Scheitern also?
Handke: Alle meine Texte sind Ausdruck meines Nicht-Gelingens. Alle. Eine sehr fragwürdige Situation ist das, und natürlich gewagt, auf Weltliteratur, auf ein großes Stück zu antworten.SN: Klingt nach Ehrfurcht.
Handke: Ehrfurcht nicht. Das ist das einzige Stück von Beckett, das ich ganz und gar vollkommen find’.
Und es ist etwas anderes noch dabei, was ja in meiner Antwort mitspielt: Es ist immer noch ein Hintersinn, eine Allegorie von Existenz drin.SN: Wenn Beckett sich in dem Text etwa auf Theodor Fontane bezieht, beziehen Sie sich auf Neil Young.Handke: Haben Sie das gemerkt?SN: In dieser Situation, eine Frau am Ende, kann – wenn sie „Helpless Helpless“ sagt – nur der Song von Neil Young gemeint sein aus dem Jahr 1970. Wie sehr hallt die Musik dieser Zeit in Ihnen nach?Handke: Natürlich ist das so. Ob ich’s immer noch höre? Ich hör’ es nur, wenn ich von fern zufällig wo vorbeikomme. Und wenn man dann ein paar Takte von diesen Rhythmen mitkriegt, von etwas, das einem so viel bedeutet, dann würd’ ich das Gefühl noch einmal wiederholen. Das ist, glaub’ ich, aber eine falsche Nostalgie.SN: Der Song „Helpless“ ist wohl einer der zärtlichsten Ausdrücke von Hilflosigkeit in der Popmusik.
: Handke: Ja, ja. Sie sagen das . . . Schön. Ja, das ist Zärtlichkeit, von einer Zartheit ist das, eine Zartheit wird da zur Zärtlichkeit.SN: Der Song ist ein Resultat von Woodstock, wo Crosby, Stills, Nash and Young auftauchen in der sogenannten Goldenen Ära der Popmusik. Vieles in Ihrem Werk ist voller Zitate und Anspielungen auf Helden dieser Zeit. In „Bis dass der Tag euch scheidet . . .“ heißt es: „Ich höre nicht die Spulen von gestern an. Reagiere nicht auf meine Stimme vor Jahrzehnten.“ Wie ist es mit der Musik?Handke: Es war eine große Zeit, für mich hat es das, diese drei, vier Jahre, danach nimmer gegeben. Ich mach’ da keinen Unterschied zwischen Bea tles und Stones, Yardbirds, Small Faces, The Who – ja sogar die Hollies oder Hermans Hermits! „No Milk Today“ war eines der für mich schönsten Lieder. Das waren ein paar Jahre, da stand die Welt offen durch diese Lieder. Und die Welt ist immer noch offen, aber sie wird halt nicht mehr benutzt, diese Offenheit. Ohne all dem Rhythmus, dem Klang – wer weiß, was aus mir geworden wäre, ich hab ja alle Singles gekauft damals.SN: Und die spielen Sie noch?Handke: Nein, meine älteste Tochter hat die, glaub ich, immer noch. Bis Creedence Clearwater Revival – und dann bin ich von der Szene verschwunden.SN: Aber wieso eigentlich?
Handke: Sie beschuldigen mich!SN: Nein. Es lässt sich aber doch vieles in Ihrem Werk bis heute mit dem Rhythmus, mit Musik vergleichen. Für mich wirkt das oft wie die Arbeiten des irischen Sängers Van Morrison, wenn Sie . . .
Handke: Ja. Van Morrison. Egal welcher, der Politische, der Stille. . . Dann ist er auch auf den Funk gekommen, den Blues.
Vielleicht kommt er auch noch einmal auf die Poesie, die einsame Poesie.SN: Van Morrison, so schrieb Popjournalist Lester Bangs, schaffe auf kleinstem Raum wie „besessen jede Menge Information“.
Und doch scheint es darauf nicht anzukommen. Im Grund stellt Van Morrison doch Gefühl und Rhythmus über das Wort, das „Wie“ über das „Was“.Handke: Aber was er sagt, wird doch erst intensiv, wie er es macht. Er hat ein großes Gefühl – und dann werden „Was“ und „Wie“ doch eines.SN: Ja, wenn man es kann . . .Handke: Wenn man ein großes Gefühl hat, dann kann man alles. Wie sagt der Kafka einmal mit lauter Scheinheiligkeit? Er muss ein Jahr in sich suchen, bis er eine wahre Empfindung in sich spürt. Aber er hat das natürlich übertrieben. Aber wenn jemand ein wahres Gefühl . . . das wird dann Form. Oder auch nicht. Und dann wird der Mensch unglücklich. Ein großes Lied, das ist etwas Unglaubliches, etwas sehr Seltenes. Das Ideal der Menschheit, das ist ein großes Lied.SN: Sind Sie neidisch auf Musiker?
Handke: Bin ich. Ja, bin ich. Manchmal. Aber schön neidisch! Diesen Neid hab’ ich gern. Ein großes Lied . . . naja, ein großes Buch ist auch etwas, auch das ergreift einen. Aber Buch, Lied . . . Elvis, Buddy Holly, Dostojewski, Beatles, Stendhal, mittelalterliche Epen – alles gehört zusammen. Ich hätt’ nie ein Lied schreiben können.
Ich hab ja Singen gehasst in der Schule, das Singen meiner Mutter. Bei Elvis hab ich mich ja geschämt, dass ich das gemocht habe. Aber ab den Beatles hab ich aufgehört mich zu schämen. Da hab ich gedacht: Das ist es!SN: Dass alles zusammengehört, wie Sie sagen, ist wohl ein Resultat dieser Tage in den 60er-Jahren.Handke: Ja. Endlich war mal dieser Unterschied nicht mehr da. Das ist für immer vorbei. Dieser blöde Ausdruck von E- und U-Musik. Alles, was aus der Tiefe kommt, auch wenn es zugleich wieder oberflächlich wird, wie Pop, hat Schönheit. Das ist alles unsterblich.SN: Wünschten Sie sich, manchmal etwas oberflächlicher wahrgenommen zu werden?
Handke. Ja, Sie haben recht. Ich würd’ mir wünschen, dass einige meiner Stücke als Boulevard stücke wahrgenommen werden.SN: Passiert aber nicht. Vielleicht auch, weil Sie ja so ein Art Heiligkeit umgibt, der Dichter jenseits von jedem, der im Wald um Paris Schwammerl sucht, sich manchmal provokant zu Wort meldet. Das ist doch nicht schön, nur so – als Schwieriger – wahrgenommen zu werden.Handke: Natürlich ist es ein Dilemma heutzutage für einen, der ernsthaft Literatur schreibt, Träume formuliert, vielleicht wirke ich da manchmal nicht so ernsthaft, sondern etwas flapsig, aber die Frage ist tatsächlich immer schwieriger zu beantworten: Wo habe ich meinen Platz als Schreiber? Es ist eine schwierige Situation, ein Dilemma, das nie größer war als in dieser Zeit.SN: Woran liegt das?Handke: Wir werden immer in ein bisschen ein seltsames Licht gerückt. Und das ist ja auch normal. Aber die meisten Schriftsteller und Schreiber sind ja längst unglaublich tüchtige Bankiers und Produzenten und Regisseure und auch die Conferenciers ihrer selbst. Ich hab’ das schon auch zwischendurch ein paar Mal versucht zu machen, Aber ich hab’ bemerkt: Ich bin da nicht gut darin.
SN: Warum?
Handke: Ich bin als öffentlicher Mensch einfach nicht gut. Und das ist auch ganz richtig so. Heute gehen die Öffentlichkeit und der Schriftsteller nicht mehr gut zusammen. Da spielen sicher einige sehr gut – so wie der Herr Kehlmann das macht. Der ist ja fast dafür geboren, aus dem Mutterleib geschlüpft und war schon ein kleiner Showman. Warum auch nicht?! Für mich ist das nichts.SN: Was ist etwas für Sie?Handke: Für mich ist die Sprache, der Umgang damit etwas anderes, etwas Gewaltiges, etwas das nicht selbstverständlich ist – wie ein gutes Lied von Van Morrison oder von Dylan, oder ein gutes Stück Prosa, oder zwei, drei Repliken in einem Stück. Da erscheint das Leben. Drei, vier Sätze, und man ist nicht nur getröstet, sondern auch gekräftigt.SN: Merken Sie das, wenn Sie schreiben?Handke: Vorher merk ich’s, bevor ich schreibe. Und dann schreib ich’s halt auf. SN: Das klingt ja einfach.Handke: Naja. Kommen Sie, jetzt lassen wir’s, oder? Trinken Sie noch einen Wein.SN: Nur das noch: Im Text „Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts“ kommt eine Autobahnstation vor, sonst gibt’s keine Orte. In solchen Zwischenräumen, Nichtorten, halten sie sich da am liebsten auf?
Handke: Ich sage dazu immer Schwellenräume, Schwellenbereiche, wenn man in einem Übergang ist von einem Bereich zum anderen, wo man spürt, wie die Welt vielleicht gegliedert sein könnte oder gegliedert ist. Ja, Grenzen? Wo sind die Grenzen? Da entstehen viele innere Grenzen, die sind nicht so spannend, die inneren Grenzen der Menschen. Aber mir kommt vor, es gibt viel mehr innere Grenzen, als es je gegeben hat. Schauen sie, das ist Europa.SN: In dem Text „Am Felsfenster morgen“ schreiben Sie mit Blick auf Salzburg, auf Dauer könne Ihnen ein Ort nur etwas bedeuten, wenn Sie sich auf Dauer von ihm entfernten. Nun leben Sie schon seit fast zwei Jahrzehnten südwestlich von Paris. Drängt es Sie nicht weg?Handke: Nein es drängt mich nicht weg. Ich fühle mich verantwortlich für den Garten. Da kann man nicht weg – wenn man Besitzer ist, ist man schon ein halbes Arschloch. Aber ich hab das ja auch gerne, den Garten und . . .
SN: Das klingt doch nach Idylle. Handke: Es ist keine Idylle. Es gibt keine Idyllen in dieser Welt. Nirgendwo. Ein Idylle ist ein Gefühl von Menschen, das ist alles Täuschung.
SN: Und man kann sich auch keine Idylle schaffen – so mit Haus und Garten?Handke: Nein. Nie hat’s Idylle gegeben. Nie. Es gibt vielleicht Atemräume für einen Moment. Und es ist vielleicht ein Vorteil, einen Garten zu haben, um dort lesen zu können. Aber es hat nichts mit Idylle zu tun. Der Garten kann Ort es größten Dramas sein oder des schönsten Dramas. Vielleicht gibt’s solche Momente, wenn der Wind durch die Kastanien geht. Aber Idylle ist das nicht. Vielleicht ein Aufatmen und dann denkt man: Jetzt ist jetzt. Das ist ja eine Gabe, das sagen zu können.
SN: Das klingt nach einem Grundprinzip der Rockmusik: Immer genau hier, immer genau jetzt passiert, was wichtig ist.Handke: Aber bei mir ist das vorbei. Ich kann nicht mehr sagen: Jetzt ist jetzt. Ich spür’ das nicht.
Ich krieg’ sofort eine Wehmut, weil ich weiß, dass es gar nicht wahr ist, also nicht mehr wahr ist. Aber ich wünsch’ allen, die jünger sind, dass sie das sagen können, dieses: „Jetzt ist jetzt“.
SN: Das ist also eine Altersfrage?Handke: Ja, weil man nicht mehr glaubt, das halten zu können. Früher glaubt man; Jetzt! Und sagt sich: Merk’ dir diesen Moment, diesen Augenblick.
Das war dann aber auch schon vorbei, aber es hat nachgewirkt und Kraft geben. Und jetzt . . . jetzt hab ich keine Kraft mehr.
© SN/SW
Sind Sie mit der Inszenierung Ihres jüngsten Stückes zufrieden?
PETER HANDKE: "Zufrieden" gehört nicht zu meinem Wortschatz, aber ich war relativ erleichtert. Ich fand es schön, dass die Frau, die ich ersonnen habe, nicht nur aus Sprache besteht, sondern dass die Sprache auch eine Gestalt erzeugt - den Menschen.
Ist "Storm Still", Ihr neues Werk über den Widerstand in Kärnten, fertig? Wo soll die Uraufführung stattfinden?
HANDKE: Es gibt es seit über sechs Monaten, ich muss es nur etwas lichten, wie man ein Gebüsch lichtet. Aber ich habe keine Vorstellung, wo und wie das jetzt weiter geht. Aber es ist ja kein aktuelles Stück, sondern ein Stück, das Dauerprobleme erzählt. Das Stück zeigt ewige Konflikte, Konflikte, die mit dem Zusammenleben von Menschen verbunden sind.
Könnten Sie sich Johann Kresnik als Regisseur vorstellen?
HANDKE: Ich kenne Herrn Kresnik nicht und weiß nicht viel über ihn. Früher, als ich noch Zeitungen gelesen habe, habe ich viel über ihn gelesen. Aber ich lese kaum noch Zeitungen, außer wenn ich in Kärnten bin, dann lese ich natürlich pflichtbewusst Ihre Kleine Zeitung. Nein, mit Kresnik kann ich mir die Inszenierung nicht vorstellen.
Kann Literatur gegen den Zeitgeist antreten?
HANDKE: Ist mir total egal. Ich habe nie im Leben gegen etwas, sondern immer für etwas geschrieben. Ich schreibe höchstens gegen mich, wie Henrik Ibsen gesagt hat, ich halte Gericht über mich selber. Natürlich schreibe ich für die Leute. Ich kann mir ein Publikum nicht vorstellen, sondern immer nur einzelne Leute.
Ist Kärnten wirklich anders?
HANDKE: Es gibt ein Kärnten, das Leute wie Kiki Kogelnik, Christine Lavant, Peter Turrini, Gustav Janus und Florjan Lipus verkörpern. Das andere Kärnten ist das bestimmende und wird das ewig bleiben. In einem Jörg Haider-Museum in Kärnten wird Schund herumstehen, den aber jeder meiden kann. Solange man Schulkinder nicht verpflichtet, hinzugehen.
Sie sprechen oft von Unerreichbarkeit. Was ist für Sie unerreichbar?
HANDKE: Eine komplizierte Frage. Man könnte auch fragen: Was ist erreichbar? Dass man halbwegs glorreich durchs Leben kommt. Dass dieser und jener, der das liest, auch etwas davon hat, sich freut und bestärkt fühlt. Das kann man erreichen. Aber weil ich kein E-Mail habe, bekomme ich kaum Rückmeldungen. Nach dem Motto des Romans von Gabriel García Márquez "Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt". Der Schriftsteller Peter Handke hat niemand, der ihm schreibt. Das ist auch richtig so. Wie hat Goethe gesagt: Die höchste Kultur, die ein Mensch sich geben kann, ist, dass niemand nach ihm fragt. Auf ewigen Ruhm war ich nie aus, auf Tagesruhm auch nicht. Irgendwas dazwischen. Ein Schriftsteller, der etwas taugt, ist eine Zwischenexistenz.
Ihre Neudichtung der "Helena" von Euripides soll 2010 am Wiener Burgtheater uraufgeführt werden. Luc Bondy soll inszenieren. Verraten Sie uns etwas über das Stück?
HANDKE: Es ist keine Nachdichtung, sondern eine Übersetzung. Auf Anregung des großen Germanisten Wendelin Schmidt-Dengler. Euripides deswegen, weil er ein großer Psychologe war, der immer alles erklärt hat. Jetzt, wo ich das Stück übertrage, finde ich die Psychologie nicht mehr so wichtig. Die zentrale Frage lautet: Ist die Frau, die man in den Händen hält oder die einen in den Armen hält, wirklich die, für die man sie hält. Die Geschichte ist die, dass die wahre Helena nicht nach Troja gegangen ist, sondern von der eifersüchtigen Hera nach Ägypten geführt wurde und dort unversehrt und treu 17 Jahre verbracht hat. Menelaos, ihr Gatte, der glaubt, dass er seine Helena wieder heimführt, findet noch eine Helena und ist total verwirrt. Das ist die schönste Stelle des Stücks. Es ist ein Spiegelstück. Man weiß nicht, wer der Mensch ist, mit dem man es zu tun hat. Ich bin aber noch nicht fertig damit und weiß auch nicht, ob es am Burgtheater kommt.
Sie schreiben nach wie vor mit Bleistift. Wenn man Ihnen den Bleistift wegnehmen würde?
HANDKE: Das wäre schlimm. Dann müsste mir jemand Bleistifte schicken, um mich zu retten.
Was bedeuten Ihnen Auszeichnungen?
HANDKE: Jeder Trottel von Schriftsteller hat zahlreiche Preise gewonnen.
Könnten Sie sich vorstellen, dass man Ihnen zu Ehren einen Gedenkstein aufstellt oder ein Museum eröffnet?
HANDKE: Doch. Aber es darf kein Stein sein, sondern muss ausschauen wie ein Ameisenhaufen und muss lebendig sein und nach Weihrauch und Harz riechen.
Sie haben sich mit 12 im Gymnasium Tanzenberg, das primär zur Heranbildung von Priesternachwuchs diente, angemeldet. Warum sind Sie nicht Priester geworden?
HANDKE: Meine Mutter hat mich angemeldet. Weder sie noch ich haben auf einen Priesterberuf gehofft, sehr wohl aber der Pfarrer meiner Heimatgemeinde. Es war die einzige Möglichkeit für Landkinder, zu einer Ausbildung zu kommen. Eventuell war im Hinterkopf schon die Möglichkeit, dass vielleicht einmal der Heilige Geist zu einem spricht. Aber im Sinne eines Priestertums hat der Heilige Geist nie mit mir gesprochen.
"Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an, mit 66 Jahren, da hat man Spaß daran, mit 66 Jahren da kommt man erst in Schuss" - identifizieren Sie sich mit diesem Lied von Udo Jürgens?
HANDKE: Das ist total gelogen. Udo Jürgens muss wohl so singen, damit es ein Lied wird. Lieder müssen und dürfen lügen.
Werden Sie in Pension gehen, mit dem Schreiben aufhören?
HANDKE: Ich habe schon öfters aufgehört und fange immer wieder an. Das ist ein schöner Beruf, da kann man nicht in Pension gehen. Der hält einen am Leben.
Sie verbringen den Kurzurlaub mit Tochter Amina, die als Künstlerin in Wien arbeitet. Soll sie das Land ihrer Jugend kennen lernen?
HANDKE: Sie kennt das Land, sie war immer wieder da. Ich habe ihr nichts zu zeigen.
Welche Beziehung haben Sie zu Ihren beiden Töchtern?
HANDKE: Ich bin zwischendurch immer wieder froh, wenn ich allein bin.
GrabesstimmePeter Handkes Monolog „Bis daß der Tod euch scheidet oder Eine Frage des Lichts“ ist eine Herausforderung für ExpertenVon Stefan CernohubyBesprochene Bücher / Literaturhinweise
So manches Mal denkt man sich beim Lesen von Klassikern oder dem Verfolgen von Theaterstücken, dass einige Charaktere vielleicht mehr Beachtung hätten finden können oder dass Ihre eigene Sichtweise durchaus interessant für den Leser hätte sein können. Ist man dann noch ein bekannter Künstler und Schriftsteller, wird kaum jemand laut aufschreien, wenn man eine Eingebung hat, welche eine solche Erzählung zur Folge hat. Peter Handke hat mit „Bis daß der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts“ einen Monolog verfasst, der sich mit dem Stück „Das letzte Band“ von Samuel Beckett auseinandersetzt.
Der Monolog, der quasi aus dem Grab erklingt, stammt von einer Frau – Krapps Frau? Sie beschreibt sich selbst als Person, für die keine Spitz- oder Künstlernamen mehr nötig sind. Denn nicht er präsentiert die Geschichte seines Daseins, sondern sie. Sie, die Frau neben ihm. Rücksichtslos und ungeschönt stellt s
ie Verhaltensweisen von Krapp zur Diskussion, seine Entwicklung als Individuum und seine Selbstdarstellung im Leben. So kommt sie schließlich auch auf die Frage des Lichts zu sprechen. Warum ist es nicht der Tod, der scheidet, sondern der Tag? Warum ist es das Licht, das so bedeutsam für die Darstellung im Zentrum einer Geschichte ist? Eine Frage, die Peter Handke zumindest anhand der Charaktere aus Becketts Stück erläutert – und doch hat er noch andere Hintergedanken.
Der Monolog, der insgesamt knapp 21 Seiten hat, ist ursprünglich – vergleichbar mit Becketts Schaffen – auf Französisch verfasst worden. In dem bei Suhrkamp erschienenen Buch sind sowohl die ursprüngliche französische Fassung aus dem Jahr 2007, als auch die übersetzte Version aus dem Jahr 2008 enthalten. Er selbst bezeichnet das Werk, seinen eigenen Monolog, als Beispiel. Als Beispiel dafür, dass nach Beckett eigentlich keine eigenen Theaterstücke mehr entstanden sind, sondern nur noch Sekundärwerke. Zugleich will er weitere Reduktion unmöglich machen und Echos präsentieren. Und „Echo“ bezeichnet ja im Griechischen über verschiedene Gedankensprünge die Stimme einer Frau. So obliegt es nun dem Leser, die Frage zu beantworten, ob Handke mit seinen Vorsätzen erfolgreich war und ob tatsächlich nur noch Stücke in Anlehnung an bereits existente entstehen? Keine einfache Aufgabe. Selbst wenn der Leser, der sich mit dem Werk auseinandersetzt, durch Zufall tatsächlich mit Becketts „Das letzte Band“ (Original „Krapp’s last Tape“) vertraut ist, müsste seine Kenntnis der Materie mehr als fundiert sein. Doch wer würde sich dann so weit aus dem Fenster lehnen und eine solche Frage mit einem einfachen „Ja“ oder „Nein“ beantworten?
Zumindest nicht der Verfasser dieser Rezension, der sich maximal auf ein unbestimmtes „Vielleicht“ festlegen möchte. Ob sich der Kauf der nicht ganz preisgünstigen Lektüre lohnt, muss man ebenfalls mit zweierlei Maß messen. Ist man Experte für Theaterstücke, ihre Autoren, die Kunstlandschaft und die aktuelle Situation der Inszenierungen, mag „Bis daß der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts“ sicherlich interessant sein. Für jemanden, der sich mit den Themen nur am Rande oder sogar überhaupt nicht auseinandersetzt und überdies Beckett nicht kennt, ist dieses Buch einfach nur überteuert und sicherlich keinen Kauf wert.
Peter Handke wirft in „Bis daß der Tag euch scheidet“ Fragen für Experten auf. Fragen, die aber auch nur Experten für Theater, Literatur und die Kunstszene im Allgemeinen diskutieren können – und selbst diese hätten vermutlich Probleme, sie zu beantworten. Daher kann das Buch nur einem sehr eingeschränkten Personenkreis empfohlen werden.
Krapps Echo
Lothar Struck zu Peter Handkes befreiendem Monolog »Bis daß der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts«
Martin Held in Das letzte Band in der Inszenierung von Samuel Beckett 1959 am Schiller Theater Berlin: Wie er an diesem kleinen Tisch sitzt, wirr das Haar; unrasiert. Wie ungelenk und eilig er aus einer Schublade eine Banane zieht und diese im Gehen von unverständlichen Lauten begleitet ißt, die Schale fallen läßt, beinahe ausrutscht und dann noch eine Banane mit Genuß verspeist. Dann holt er irgendwann in seinen viel zu großen Schuhen ein sehr voluminöses, sehr alt aussehendes Buch (es sieht aus wie ein Foliant aus dem Mittelalter), dann mehrere Dosen und schließlich ein Tonbandgerät. Er spricht kratzend, grunzend und erst mit der Zeit wird sein Gemurmel artikulierter, als hätte er das Sprechen üben müssen. Er sucht in dem Folianten »Schachtel drei – Spule fünf« (»Das kleine Luder«). Es klingt wie die Koordinaten eines versunkenen Schatzes. »Spuuuuule« wiederholt er lautmalerisch, freudig erregt. Endlich findet er das gesuchte Band. Er schlägt in dem Folianten nach: »Abschied von der [er blättert um] Liebe«. Es beginnt das Abspielen, Vor- und Zurückspulen, das Anhören der immer gleichen Stellen, das Vergewissern, das Verwerfen, das Lachen, das Kopfschütteln. Zwei Mal verläßt er den Platz, geht in einen Nebenraum und man hört, wie er trinkt. Der geneigte Kopf beim Lauschen des vor dreißig Jahren Gesagten (man vergißt solche Bilder lange nicht). Die Selbstbeschimpfung. Das bei aller Unbeholfenheit gekonnte Hantieren mit diesem Tonbandgerät. Der Versuch der Weiterführung des Tonbandtagebuchs. »Sei wieder auf dem Hügel…und lausche den Glocken. Sei wieder. Sei wieder.«
Und am Schluß dann dieser starre Blick, der ein bisschen geöffnete Mund. Gar kein Ende scheint diese Szene zu finden. Es sind drei Minuten. Wie intensiv Schweigen sein kann – und wie unheimlich. Krapp, dem gescheiterten Schriftsteller, ist das Leben erschienen, aber nicht als Verheißung oder Erfüllung, sondern als Hypothek und mit seinen Bändern wird ihm dies noch wahrer als es ohne diese wäre. Wie Erinnerung doch auch schmerzen kann – und Krapp ist der Schmerzensmann der Erinnerung und wirkt lächerlich UND tatsächlich auch ein bisschen tragisch, denn da war ja was - eine große Liebe; ein Augenblick auf einem Boot.
»Das letzte Band« ist ein kleines Stück, aber, wie Peter Handke schreibt, ein »großes« Drama. Er hat nun fünfzig Jahre später ein »Echo« darauf geschrieben: »Bis daß der Tag euch scheidet«, einen »Echo-Monolog, jetzt schwach und widersprüchlich, verzerrt, jetzt stark, verstärkt, vergrößert« (so Handke in seinem Nachwort). Ein Echo von einer Frau – der Frau, die mit einem Mann in einem Grabmal liegt und für diesen kurzen Monolog zum blühende[n] Lebenkommt.
Der Monolog einer Frau – Fortsetzung, nein: Kontinuum der schillernden Frauenprotagonistinnen aus Peter Handkes Werk, von seiner Mutter in »Wunschloses Unglück« über die »linkshändige Frau« im gleichnamigen Buch über die visionäre Nova aus »Über die Dörfer«, der reisenden »Bankfrau« aus dem oppulenten Roman »Der Bildverlust«, dem Kind Lucie in der heiteren Märchenerzählung »Lucie im Wald mit den Dingsda«, der Sängerin in »Kali – Eine Vorwintergeschichte« (und auch wenn Frauen, wie in der »Abwesenheit«, scheinbar am Rande des Geschehens stehen, bekommen sie sehr oft eine besondere Bedeutung).
Und nun dieses »Echo« der Frau, von der Krapp auf dem Band erzählt; der Frau neben dir in dem beinah bewegungslosen, ruderlosen Boot mitten im Schilf des namenlosen Sees oder Weihers unter dem sommerlichen Sternenhimmel.
Manchmal wird man an den Dialog des alten Ehepaars aus dem »Spiel vom Fragen« erinnert, den Frotzeleien und plötzlich aufbrechenden schwärenden Vorhaltungen, die dennoch voller Zuneigung sind. Hier heißt es an Krapp gerichtet: Mit deiner Art von Schweigen hast du verhindert, daß zwischen dir und mir das Schweigen herrschte (es gibt danach Schönes über das Schweigen) oder Du warst nicht fähig zu einem Zwiegespräch. Du warst nicht fähig zur Zweisamkeit… Zu zweit warst du falsch, und klangst du falsch. Nur allein hast du existiert.
Das ist natürlich (natürlich?) viel heiterer als das düstere und dabei so ausdrucksvoll-intensive Krapp-Stück. Heiterer ist es, weil es trotz des fröhlichen Zorn[s] auch eine Liebeserklärung an Krapp ist: Bis daß der Tod uns scheidet? Nein, bis daß der Tag uns scheidet. Der Tag, der uns scheidet: Nie wird er kommen. Nie wird es in mir und zwischen uns auf solch eine Weise Tag werden. Und heiterer ist es auch, weil Krapps Lebensüberdruß und Verzweiflung das »Staunen über das Dasein« gegenübergestellt wird: »Welch Geheimnis! Welche Schönheit!« sagt Ingrid Bergman am Ende ihrer Geschichte auf dem Vulkan Stromboli - eine Szene die Handke schon einmal, im »Versuch über den geglückten Tag«, herbeibeschworen hatte.
Liest man beide Stücke hintereinander wird der wuchtige und schwere Beckett-spezifische Existentialismus vom eher spielerisch angelegten Monolog der Frau gemildert. Die Frau als »Untote« hat mehr Lebensfreude als Krapp, der beim Abhören des Bandes verwundert feststellt: »…kaum zu glauben, daß ich je so blöde war« und sich daran erinnert, wie er im Park darauf »brannte…zu enden«. Handkes Hommage an Beckett ist nicht nur Ergänzung, sondern auch sanfte Korrektur. In den Diagnosen stimmen beide sicherlich überein – in den Therapien nicht. Fast scheint es, daß Krapp durch die Ausführungen der Frau zum Mit-Menschen »vervollständigt« wird. Das ist in gewissem Maße ein Trost. Es könnte aber sein, dass gerade deshalb die Ausweglosigkeit von Krapps Leben noch stärker hervorscheint. Denn plötzlich ist er nicht mehr der eigenwillige Kauz, von dem man sich so bequem distanzieren kann. Vielleicht sind wir morgen auch Krapp – statt Tonband dann mit unserem PC. Und vor lauter Narzissmus stellen wir plötzlich fest, daß wir vergessen haben zu leben. Lothar Struck
Die kursiv gedruckten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
Das Berliner Ensemble zeigt eine französische Handke-Uraufführung«Nach Beckett kamen», schreibt Peter Handke, «nur unsere sekundären Stücke.» In seinem kurzen Programmhefttext denkt er dabei vor allem an Becketts Monolog «Das letzte Band», ein Stück, das er als die «notwendige, vollkommene Reduzierung des Theaters» begreift. Diese These wird kaum bestritten; und richtig ist sicher auch Handkes Selbsteinschätzung: Sein «sehr kleines», bisher nur auf Französisch erschienenes Drama «Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts» rechnet er zu ebenjener Gattung der sekundären Stücke. Denn es ist, wie er treffend anmerkt, «ein bald schwaches, widersprechendes, verstümmeltes, bald starkes, verstärktes, verherrlichtes Echo» auf «Das letzte Band». Eine schmale Randnotiz, kaum mehr als eine improvisierende Phantasie zu einzelnen Beckett-Motiven. Ende letzten Jahres wurde dieses neueste Handke-Werk an der Comédie de Valence unter dem französischen Titel «Jusqu'à ce que le jour vous sépare ou Une question de lumière» uraufgeführt; eine deutsche Übersetzung erscheint im April. Bereits jetzt aber gastierte die Uraufführungsinszenierung von Christophe Perton am Berliner Ensemble. Es ist ein Abend vornehmer Zurückhaltung. In seinem ersten Teil gibt Jean-Quentin Châtelain vorgabengetreu den zermürbten alten Mann Krapp aus dem «Letzten Band». Mit ausgeprägtem Mundwinkelspiel und überdeutlicher Neigung zum Clownesken lauscht er seiner eigenen Stimme auf alten Tonbändern, schmatzt die Silben hervor und schlurft über die quadratisch ausgeleuchtete Bühne. Ein Gefangener seiner eigenen Vergangenheit. Dann aber! Sturm kommt auf, aus dem Schnürboden rieselt Staub, und rechts tritt Sophie Semin in mildes Licht. Sie ist die Figur gewordene Krapp-Erinnerung an eine frühere Liebe, die Handkes Stück Figur werden lässt. «Dies ist jetzt mein Spiel.» Ein leise ironisches Spiel, mit der sie ihre eigene Deutung der gescheiterten Krapp-Liebe umkreist. Statt schlanker Musikalität herrscht hier mäandernde Geschwätzigkeit. Einiges erinnert an Handkes Stück «Spuren der Verirrten», viele Motive Becketts werden aus der Frauenperspektive gegengelesen. Dennoch kommen die bemühten Wort- und Bedeutungsspiele über eine dürre Behauptungsprosa nicht hinaus. Weil Semin aber, für die Handke sein kleines Drama geschrieben hat, nur wenige konzentrierte Gesten und Schritte braucht, um den Text ins Ätherische zu öffnen, schenkt dieser schmale Abend dem Zuschauer dennoch vereinzelte poetische Momente. | |||||
Handkes weibliche Sicht„Das letzte Band“ und „Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts“
Von Miriam Bandar
Da sitzt er, der einsame alte Mann. Hört ein altes Tonband von seinem Leben vor 30 Jahren, bedauert seine jugendliche Borniertheit, den Verlust seiner Liebe für ein erfolgloses Buch und vor allem sich selbst. Dann kommt sie und sagt dieser tragischen Figur endlich mal die Meinung. Gleich zwei Stücke feierten in dem anderthalbstündigen Theaterabend bei den Salzburger Festspielen am Sonntag (9.8.) Premiere: Zuerst zeigte Regisseur Jossi Wieler den Beckett-Männermonolog „Das letzte Band“. Darauf folgt als weibliche Antwort die deutschsprachige Erstaufführung von Peter Handkes „Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts“.
Sein Stück sei eher ein Echo als eine Antwort, schreibt Handke im Programmheft — er selbst saß im Sonntag nicht im Publikum. „Ein Echo, jetzt fern, im Raum und auch in der Zeit, jetzt ganz nah an Herrn Krapp, dem einsamen Held des Stücks von Samuel B.“ Das Publikum nahm die Koproduktion mit den Münchner Kammerspielen mit freundlichem Applaus auf. Für die Darsteller gab es vereinzelte Buh-Rufe.
Ein von Neonlicht beschienener Schreibtisch, ein Tonbandgerät, einen Stuhl und eine Truhe mit Bändern — mehr hat der 69-Jährige Schriftsteller (André Jung) in seinem offenen Metallkasten nicht zur Verfügung (Bühne und Kostüme Anja Rabes). Das Hemd spannt über dem Bauch, die Energie ist dahin, er hält über das vor 30 Jahren aufgenommene Tonband Rückschau auf sein gescheitertes Leben. Damals hatte ihn ein Buchprojekt zum Verlassen seiner Liebe bewegt — wofür er heute nur noch ein Kopfschütteln übrig hat. Die Abhandlungen über das Buch spult er vor, die Schilderung eines Nachmittags im Boot mit der Frau hört er gleich mehrfach. Doch das Leben zurückspulen kann er nicht. Von den jedes Jahr zu seinem Geburtstag besprochenen Tonbändern nimmt er sich das letzte vor, bevor er am Schreibtisch zusammenbricht.
Dann kommt die junge Frau (Nina Kunzendorf) in korallenrotem Pulli, Hose und Turnschuhen auf die Bühne — eine Stimme aus dem Off hat sie zuvor von einer Steinstatue zum Leben erweckt und die Handlung ins Reich der Imagination versetzt. Bei Beckett nur reine Projektionsfläche der Fantasien des alten Herrn, kündigt sie nun an: „Mein Spiel jetzt.“ In einem atemlosen Monolog enttarnt sie gnadenlos die jahrzehntelange, in sich verharrende Selbstbespiegelung des verbitterten Beckett-Helden mit seinen Tonbändern. „Mein Platz war ausschließlich in deinen Sätzen.“ Sie mitten im Leben stehend, er schon immer voll Lebensfurcht, machohafter Borniertheit und nur auf sich bezogen: „So etwas wie eine Replik hast du nie erwartet.“ Am Ende lässt die Stimme sie wieder zu einer Statue an der Seite einer männlichen Figur erstarren — aber das Verhältnis beider zueinander hat sich verändert.
Regisseur Wieler inszenierte den Theaterabend sehr feinsinnig und ruhig. Schwarz-weiße Videoprojektionen im Hintergrund nehmen die fantastischen Brüche im Stück auf, da werden Steinarme zu echtem Fleisch und bewegen sich langsam, ein Damenfuß in Sandalette wippt in Großaufnahme oder jemand schmiert Brote.
Der Schriftsteller ist bei Wieler eher trauriger Clown als sterbender Macho-Tiger, etwa wenn er eine Banane schält, sie sich hochaufgerichtet vor den Schoß hält — um sie dann resigniert vor schwindender Potenz Stück für Stück aufzuessen und die Schale hinter eine Kiste zu werfen. Ein Drehen der Bühne offenbart später, dass sich dort schon ein ganzer Haufen von Bananenschalen befindet.
Auch Nina Kunzendorf kommt als Kontrast zum alten Mann nicht als übersprudelndes Vollweib, sondern mehr als ernste junge Dame mit strengem Zopf daher. Mit ihrem sehr langen Monolog hat sie etwas Probleme, die Spannung zu halten. Das mag am für das Theater schwierigen Handke-Text, aber auch an ihrer Bühnenpräsenz liegen. Mit dem Zusatz des weiblichen Blicks ist dem Schauspiel- und Regieteam des Abends aber dennoch eine gute und ausgewogene Weiterentwicklung des bekannten Beckett-Stückes gelungen.
Berichtigung: In der letzten Zeile des ersten Absatzes wurde der falsch geschriebene Titel des Handke-Textes korrgiert: „Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts“ rpt „Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts“ (nicht: „Bis das der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts“).
Lebendiges DenkenPeter Handke ergänzt und erläutert Samuel Beckett11.08.2009 Dr. Ulrich Fischer
Wer Peter Handkes neues Stück sieht, versteht Samuel Becketts absurden Klassiker "Das letzte Band" besser.
Peter Handke schreibt, sein neues Stück „Bis dass der Tag euch scheidet“ verhalte sich zu Samuel Becketts „Letztem Band“ wie ein Echo. Ein treffender Vergleich. Gegensätze zieh’n sich anIn Samuel Becketts „Letztem Band“ steht ein Mann namens Krapp im Mittelpunkt, in Peter Handkes „Bis das der Tag euch scheidet“ eine Frau, die namenlos bleibt. Becketts Krapp ist wortkarg und grießgrämig, Handkes Protagonistin beredt und gut gelaunt. Becketts „Letztes Band“ ist Ausdruck eines radikalen, tief dunkel eingefärbten Pessimismus, Handke setzt dagegen einen lebensfrohen, heiter-hellen Optimismus.Im letzten Band erinnert sich Krapp, der Protagonist. Er ist offenbar Schriftsteller und hat ein Tagebuch mit Hilfe von Tonbändern geführt. Er sucht sich jetzt Spulen heraus, um sie abzuhören. Krapp erinnert sich an einen bestimmten Moment. Er war mit ihr zusammen. Es war Sommer, sie fuhren in einem Boot, er lag auf ihr, das Boot schaukelte. Ein erotisches Bild… … bei ihm eine Erinnerung an das für immer Vergangenen, ein Grund für tiefe Trauer– die schöne Zeit, sie kommt nicht mehr. Vor ihm liegen die Jahre, in der die Kräfte schwinden bis zur finalen Katastrophe. Krapp ist tief deprimiert. Sie erinnert sich an den gleichen Moment. Ein Grund für immerwährendes Glück. Den Augenblick erfasst, eine Übereinstimmung zwischen ihr und ihm, der ganzen umgebenden Welt, dem Kahn, dem Fluss, dem sanften Schaukeln – viel mehr als ein Orgasmus, dessen Wirkung schnell verfliegt. Dieses Gefühl kann ihr niemand nehmen, die beglückende Erinnerung wird ihr in Zeiten nachlassender Kräfte die alte Energie zurückschenken. Handke gegen Beckett 2:1Wer hat nun Recht? Sie oder er? Die Alternative führt in die Irre: Die beiden gehören zueinander. Mann und Frau. Pessimismus und Optimismus. Das Helle und das Dunkle. Leben und Tod. Das Paar.Eigentlich gewinnt in diesem Spiel Beckett ./. Handke Handke zwei zu eins. Beckett hat das Original geschrieben, Handke aber nicht nur das Echo, sondern auch das Band, das beide Stücke, beide Figuren, beide Grundhaltungen zu einem zusammenknüpft. Handke sagt nicht, sie oder er habe Recht, beide haben es, und zusammen sind sie mehr als zwei Einzelne, ein Paar. Selbstkastration und AutokannibalismusJossi Wieler mindert in seiner Inszenierung den Eindruck, den Beckett systematisch im Text erweckt, Krapp sei ein Clown - sein Paar sind Leute von heute - keine Theaterfiguren. Das hat den Vorteil, dass das Stück auch für den Alltag bedeutsam ist, ein Stück gegen Griesgram und herabgezogene Mundwinkel. Ganz am Anfang, eine Art szenischer Ouverture, nimmt Wieler Partei für Handke, für die Frau und das Leben. Der Regisseur erfindet eine leicht obszöne und hochbedeutsame Szene: Krapp isst gern Bananen. Er schält eine und hält die Frucht zwischen die Beine. Sie erinnert deutlich an einen Phallus. Krapp bricht ein Stückchen ab - und als er sie zum Mund führt und kaut, wirkt es wie Selbstkastration, Autokannibalismus. Einer verzehrt seine Virilität, frisst seine eigene Potenz. Krapps Pessimismus wird gedeutet als selbstverschuldete perverse Lebensfeindlichkeit. - Aber auf dieser Höhe kann Wieler seine Inszenierung nicht halten, allzu oft werden gewichtige philosophische Standpunkte verschliffen.Ein Plaidoyer für DialektikAndré Jung und Nina Kunzendorf spielen das Paar – der Gegensatz ist erheiternd und aufklärend in einem. Eine Harmonie ist ja ohne Streit gar nicht vorstellbar, man weiß erst, was man am Einklang hat, wenn der Missklang vorher ordentlich dissonant war – daraus entsteht eine Dynamik, die das Drama in Bewegung setzt. Tatsächlich wird in Jossi Wielers Doppelprojekt aus zwei Stücken ein einziges, Handke wird zum Teil Becketts, „Bis dass der Tag Euch scheidet“ erläutert, erklärt und vertieft „Das letzte Band“. Krapp und seine Geliebte verschmelzen – es gibt einen Moment, in dem die Frau als Verkörperung eines Gedankens von Krapp erscheint; der Widerspruch zum Pessimismus Krapps, die Negation seiner Philosophie in ihm selbst, die ihn weiterführt.Trotz geglückter Augenblicke kann Wieler mit seiner Inszenierung nicht die Potentiale von Handkes neuem Stück ausschöpfen. Eine geglückte Aufführung könnte jeden mit der Gewissheit entlassen: Pessimisten haben ebenso gute Argumente wie Optimist(inn)en. Widersprüche bringen Bewegung ins Denken. Peter Handkes „Bis dass der Tag euch scheidet“ ist ein Plaidoyer für die Dialektik als Form lebendigen Denkens. Aufführungen am 11., 12. und 13. August im Landestheater Salzburg. Kartentelefon: 0043 662 8045 500 – Internet: salzburgfestival.at Koproduktion mit den Münchner Kammerspielen – Premiere in M. am 30. Oktober 2009 Vollständigen Artikel auf Suite101.de lesen: Lebendiges Denken: Peter Handke ergänzt und erläutert Samuel Becketthttp://theater-festivals-events.suite101.de/article.cfm/lebendiges_denken#ixzz0bnU0xHI6 |
Handke meets Beckett
Premiere "Das letzte Band" bei den Salzburger Festspielen
Von Christoph Leibold
Auf der Basis des Textes von Samuel Beckett erzählt Peter Handke in "Das letzte Band / Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts" von Erinnerungen an eine Liebesgeschichte auf Tonband.
Es ist alles da, was Becketts alter Krapp seit jeher braucht: ein altmodisches Tonband und auch eine schwere Kiste, aus der er jene berühmte Schachtel drei mit der Spule fünf hervorkramt, mit der er tief in seine eigene Vergangenheit eintaucht, als er noch ein junger Mann und Liebe noch möglich war. In Jossi Wielers präzise-dichter Inszenierung bei den Salzburger Festspielen gibt André Jung den Krapp als eigenbrötlerischen Umstandskramer mit melancholischen Zügen.
Wenn Jungs Krapp jener Aufnahme lauscht, die von einem intimen Moment der Zweisamkeit mit einer namenlosen Frau auf einem Ruderboot erzählt, klammert er sich an die Bandmaschine. Traumverloren streift eine Hand zärtlich über den Apparat. Nein, diesem Krapp glaubt man es nicht, wenn er sagt, er wünsche sich die Zeit von damals nicht zurück. Da trauert einer einer verpassten Lebenschance nach!
Und so bleibt André Jung denn auch auf der Bühne und hört aufmerksam und sichtlich deprimiert zu, als nach der Hälfte des Abends Nina Kunzendorf als jene Frau aus dem Ruderboot auftritt, der Peter Handke in seinem Echo-Monolog eine Stimme gegeben hat; und die vielleicht die Liebe von Krapps Leben hätte werden können.
Opposites attract, heißt es. Und tatsächlich ist Nina Kunzendorfs namenlose Frau schon rein äußerlich das glatte Gegenteil von André Jungs Krapp: er verwahrlost, in sich zusammengesunken, barfuß, mit zersaustem, schütterem Haar. Sie aufrecht, elegant, die lange Mähne sorgfältig zum Zopf gebunden. Ihr Monolog ließe sich durchaus als Abrechnung mit Krapp spielen. Doch nichts davon bei Nina Kunzendorf.
Beinahe lässig schlendert sie herein und zieht unaufgeregt ihre Bilanz, die der Krapps diametral entgegengesetzt scheint. Wo Krapp in die Vergangenheit blickt und sich damit der Vergänglichkeit und Vergeblichkeit aussetzt, vergegenwärtigt sie das Gestern und macht es so unvergänglich: "Im Schilf dort, im Boot dort waren wir unsterblich, sind wir unsterblich." Diesen zentralen Satz in Handkes Monolog spricht Nina Kunzendorf ganz lakonisch. Frei von allem Kitsch behauptet sie so die Liebe als sinnstiftende Kraft in einer von Krapp als unsinnig angenommenen Existenz.
Spätestens hier wird klar: Handke lässt nicht nur seine Protagonistin auf Krapp antworten; sein Echo ist ein doppeltes: "Bis das der Tag euch scheidet" ist auch ein Reaktion des Dichters Peter Handke auf die Dramatiker-Ikone Samuel Beckett. Und was für eine! Erfreulicherweise fast ohne die sonst bei Handke üblichen artifiziellen Sprach-Pirouetten. Dafür hoch poetisch, fast romantisch im Kern und mit dem unbedingten Willen, Becketts absurder Welt Lebenssinn entgegenzustellen.
Dass der ausgerechnet in der Liebe zwischen zwei Menschen liegen könnte, ist zwar kein besonders neuer Gedanke. In einer Zeit aber, da Becketts Nihilismus fast schon Common Sense ist, wirkt Handkes altmodisches Bekenntnis mutig - und aberwitzigerweise moderner als Krapps Welt mitsamt ihren verstaubten Tonbändern.
Handke verkleidet sich zunächst als kleiner Schüler des großen Meisters. Lehnt sich eng an sein Vorbild an. Beckett hatte, auch bei "Krapp", alle Deutungen verweigert und auf seinen Text verwiesen.
Anders Handke. In einer Grundsatzerklärung nennt Handke seinen Monolog weniger eine "Antwort auf Das letzte Band von Beckett? Eher ein Echo". Handke sieht die Zäsur, die Beckett gesetzt hat. "Kann es sein", fragt er deshalb, "dass nach Beckett nur noch unsere sekundären Stücke gekommen sind?" Könnte es auch sein, fragt er weiter, dass "keine Reduktion mehr möglich" ist, "kein Null-Raum" mehr? "Nur noch Spuren der Verirrten"?
Begründungen interessieren Handke nicht. Auch hier soll die Devise seiner Predigt "Über die Dörfer" gelten: "Glaubt mir, und haltet euch daran!" Das Ergebnis ist, flapsig gesagt, ein dicker Hund. Dieser Widerruf gleicht dem Adrian Leverkühns (im "Doktor Faustus"), der einst die Neunte Sinfonie zurücknehmen wollte.
"Was sehe ich da?" Schon die ersten Worte reißen einen Raum der Illusion auf. Eine "Art Halluzination"? Denn das, was aussieht wie "ein Grabmal für die römischen Ehepaare einstmals", zwei Figuren, aus dem Stein gehauen, eng nebeneinander, das täuscht, weil in dem "Gegensatz" zwischen Mann und Frau ein ganz anderer Gegensatz aufscheint, der von Leben und Tod.
Nur die Statue der Frau beginnt zu sprechen, ihren Monolog. Es ist ihr Spiel. Allein ihre Stimme. Sein Spiel ist ausgespielt. Krapp bleibt Statue, "tot und hinüber". Im Vergleich zu Beckett haben sich bei Handke die Verhältnisse umgekehrt. Im "Letzten Band" sitzt der alte Krapp, Bananen mampfend, vor einem Tonbandgerät, und hört sich, bruchstückhaft, an, was er selbst, dreißig Jahre zuvor, aufs Band gesprochen hatte.
Nörgelnd kommentiert er sich als "albernen Idioten", grübelt: "Was ist schon ein Jahr, heutzutage? Bitteres Wiederkäuen und steinharter Stuhl." Dann starrt er "bewegungslos vor sich hin. Das Band läuft weiter, in der Stille." Das Ganze endet - im Schweigen.
Handkes Frau dagegen sagt: "Was war, ist jetzt - der Sommer, das Wasser, das Boot, das Schilf, die Stille."
Sie erkennt den schmalen Raum, der ihr belassen ist: "Mein Platz war ausschließlich in deinen Sätzen, deinem "Boot", in deinem ,Schilf´". Erkennt sie sich damit als sein Geschöpf? Nein. "Etwas wie eine Replik von mir hast du nie erwartet. Ja, nicht einmal ein Echo." Stattdessen postuliert Handke: "Du der Hall, und ich der Nachhall." Kein Dialog, ebenso wenig wie bei Beckett. Die Stimme, die jetzt zu Krapp spricht, soll als "Nachhall" verstanden werden. Das heißt: Handke will uns erklären, wie wir die Moderne zu verstehen haben.
Becketts Werk endete im Schweigen. Damit war die literarische Moderne am Ende, ebenso wie die moderne Musik (John Cage), wie die Malerei (Lucio Fontana). Die Möglichkeiten der Reduktion erschöpft. Vorbei die Zeiten, als eine Kritik (der politischen Ökonomie) noch möglich war, seufzte seinerzeit die Kritische Theorie. Handke deutet jetzt diese Diagnose um.
Die Frau, die zu Krapp spricht, hat nämlich, wie sie sagt, "entdeckt, dass du selber gar nicht an jenes Schweigen glaubtest, jenes Schweigen so anders groß als das der unendlichen Räume, das nicht bloß Blaise Pascal so erschaudern lassen hat." Ihr Vorwurf: "du hattest kein Vertrauen in die stille Welt als der Weisheit letzter Schluss".
Dieser Vorwurf zielt über Krapp hinaus auf Beckett und auch über Beckett noch hinaus auf die kritische Grundhaltung der Moderne überhaupt, die nicht die Welt, so wie sie ist, anbeten wollte, sondern, im Gegenteil, verändern. Handke dagegen deutet das Schweigen nicht als Reaktion auf den Schrecken der Welt, sondern als demütiges Verstummen angesichts der Schönheit einer heiligen Schöpfung.
Bei ihm ist die klassische Moderne nicht am Ende, sondern am Ziel - vor dem Altar - angekommen. Nicht die postmoderne Devise "Alles ist möglich" gilt für ihn, sondern "Alles ist schön".
Wenn Jungs Krapp jener Aufnahme lauscht, die von einem intimen Moment der Zweisamkeit mit einer namenlosen Frau auf einem Ruderboot erzählt, klammert er sich an die Bandmaschine. Traumverloren streift eine Hand zärtlich über den Apparat. Nein, diesem Krapp glaubt man es nicht, wenn er sagt, er wünsche sich die Zeit von damals nicht zurück. Da trauert einer einer verpassten Lebenschance nach!
Und so bleibt André Jung denn auch auf der Bühne und hört aufmerksam und sichtlich deprimiert zu, als nach der Hälfte des Abends Nina Kunzendorf als jene Frau aus dem Ruderboot auftritt, der Peter Handke in seinem Echo-Monolog eine Stimme gegeben hat; und die vielleicht die Liebe von Krapps Leben hätte werden können.
Opposites attract, heißt es. Und tatsächlich ist Nina Kunzendorfs namenlose Frau schon rein äußerlich das glatte Gegenteil von André Jungs Krapp: er verwahrlost, in sich zusammengesunken, barfuß, mit zersaustem, schütterem Haar. Sie aufrecht, elegant, die lange Mähne sorgfältig zum Zopf gebunden. Ihr Monolog ließe sich durchaus als Abrechnung mit Krapp spielen. Doch nichts davon bei Nina Kunzendorf.
Beinahe lässig schlendert sie herein und zieht unaufgeregt ihre Bilanz, die der Krapps diametral entgegengesetzt scheint. Wo Krapp in die Vergangenheit blickt und sich damit der Vergänglichkeit und Vergeblichkeit aussetzt, vergegenwärtigt sie das Gestern und macht es so unvergänglich: "Im Schilf dort, im Boot dort waren wir unsterblich, sind wir unsterblich." Diesen zentralen Satz in Handkes Monolog spricht Nina Kunzendorf ganz lakonisch. Frei von allem Kitsch behauptet sie so die Liebe als sinnstiftende Kraft in einer von Krapp als unsinnig angenommenen Existenz.
Spätestens hier wird klar: Handke lässt nicht nur seine Protagonistin auf Krapp antworten; sein Echo ist ein doppeltes: "Bis das der Tag euch scheidet" ist auch ein Reaktion des Dichters Peter Handke auf die Dramatiker-Ikone Samuel Beckett. Und was für eine! Erfreulicherweise fast ohne die sonst bei Handke üblichen artifiziellen Sprach-Pirouetten. Dafür hoch poetisch, fast romantisch im Kern und mit dem unbedingten Willen, Becketts absurder Welt Lebenssinn entgegenzustellen.
Dass der ausgerechnet in der Liebe zwischen zwei Menschen liegen könnte, ist zwar kein besonders neuer Gedanke. In einer Zeit aber, da Becketts Nihilismus fast schon Common Sense ist, wirkt Handkes altmodisches Bekenntnis mutig - und aberwitzigerweise moderner als Krapps Welt mitsamt ihren verstaubten Tonbändern.
Handkes "Bis dass der Tag euch scheidet"
Des Heiligen Buße
VON MARTIN LÜDKE
Unser aller Handke ist immer wieder für Überraschungen gut. Für Provokationen ebenso wie für kniefällige Demutsgesten. Er war der letzte Vertreter der klassischen Moderne und wurde, nach seiner "Langsamen Heimkehr" der erste ernst zu nehmende Gottsucher der Gegenwart. Jetzt will er in einem kleinen Monolog eine große Rechnung begleichen und nicht nur der Moderne ihren kritischen Stachel ziehen, sondern seinen eigenen Rück-Schritt ins Heilige einem gottlos gestorbenen Autor in die Schuhe schieben. Zu diesem Zweck vergreift er sich an Becketts "Letztem Band", das am 5. Oktober 1969 in Berlin aufgeführt wurde. Als eine Art Requiem der klassischen Moderne.
Handke verkleidet sich zunächst als kleiner Schüler des großen Meisters. Lehnt sich eng an sein Vorbild an. Beckett hatte, auch bei "Krapp", alle Deutungen verweigert und auf seinen Text verwiesen.
Anders Handke. In einer Grundsatzerklärung nennt Handke seinen Monolog weniger eine "Antwort auf Das letzte Band von Beckett? Eher ein Echo". Handke sieht die Zäsur, die Beckett gesetzt hat. "Kann es sein", fragt er deshalb, "dass nach Beckett nur noch unsere sekundären Stücke gekommen sind?" Könnte es auch sein, fragt er weiter, dass "keine Reduktion mehr möglich" ist, "kein Null-Raum" mehr? "Nur noch Spuren der Verirrten"?
Begründungen interessieren Handke nicht. Auch hier soll die Devise seiner Predigt "Über die Dörfer" gelten: "Glaubt mir, und haltet euch daran!" Das Ergebnis ist, flapsig gesagt, ein dicker Hund. Dieser Widerruf gleicht dem Adrian Leverkühns (im "Doktor Faustus"), der einst die Neunte Sinfonie zurücknehmen wollte.
"Was sehe ich da?" Schon die ersten Worte reißen einen Raum der Illusion auf. Eine "Art Halluzination"? Denn das, was aussieht wie "ein Grabmal für die römischen Ehepaare einstmals", zwei Figuren, aus dem Stein gehauen, eng nebeneinander, das täuscht, weil in dem "Gegensatz" zwischen Mann und Frau ein ganz anderer Gegensatz aufscheint, der von Leben und Tod.
Nur die Statue der Frau beginnt zu sprechen, ihren Monolog. Es ist ihr Spiel. Allein ihre Stimme. Sein Spiel ist ausgespielt. Krapp bleibt Statue, "tot und hinüber". Im Vergleich zu Beckett haben sich bei Handke die Verhältnisse umgekehrt. Im "Letzten Band" sitzt der alte Krapp, Bananen mampfend, vor einem Tonbandgerät, und hört sich, bruchstückhaft, an, was er selbst, dreißig Jahre zuvor, aufs Band gesprochen hatte.
Nörgelnd kommentiert er sich als "albernen Idioten", grübelt: "Was ist schon ein Jahr, heutzutage? Bitteres Wiederkäuen und steinharter Stuhl." Dann starrt er "bewegungslos vor sich hin. Das Band läuft weiter, in der Stille." Das Ganze endet - im Schweigen.
Handkes Frau dagegen sagt: "Was war, ist jetzt - der Sommer, das Wasser, das Boot, das Schilf, die Stille."
Sie erkennt den schmalen Raum, der ihr belassen ist: "Mein Platz war ausschließlich in deinen Sätzen, deinem "Boot", in deinem ,Schilf´". Erkennt sie sich damit als sein Geschöpf? Nein. "Etwas wie eine Replik von mir hast du nie erwartet. Ja, nicht einmal ein Echo." Stattdessen postuliert Handke: "Du der Hall, und ich der Nachhall." Kein Dialog, ebenso wenig wie bei Beckett. Die Stimme, die jetzt zu Krapp spricht, soll als "Nachhall" verstanden werden. Das heißt: Handke will uns erklären, wie wir die Moderne zu verstehen haben.
Becketts Werk endete im Schweigen. Damit war die literarische Moderne am Ende, ebenso wie die moderne Musik (John Cage), wie die Malerei (Lucio Fontana). Die Möglichkeiten der Reduktion erschöpft. Vorbei die Zeiten, als eine Kritik (der politischen Ökonomie) noch möglich war, seufzte seinerzeit die Kritische Theorie. Handke deutet jetzt diese Diagnose um.
Die Frau, die zu Krapp spricht, hat nämlich, wie sie sagt, "entdeckt, dass du selber gar nicht an jenes Schweigen glaubtest, jenes Schweigen so anders groß als das der unendlichen Räume, das nicht bloß Blaise Pascal so erschaudern lassen hat." Ihr Vorwurf: "du hattest kein Vertrauen in die stille Welt als der Weisheit letzter Schluss".
Dieser Vorwurf zielt über Krapp hinaus auf Beckett und auch über Beckett noch hinaus auf die kritische Grundhaltung der Moderne überhaupt, die nicht die Welt, so wie sie ist, anbeten wollte, sondern, im Gegenteil, verändern. Handke dagegen deutet das Schweigen nicht als Reaktion auf den Schrecken der Welt, sondern als demütiges Verstummen angesichts der Schönheit einer heiligen Schöpfung.
Bei ihm ist die klassische Moderne nicht am Ende, sondern am Ziel - vor dem Altar - angekommen. Nicht die postmoderne Devise "Alles ist möglich" gilt für ihn, sondern "Alles ist schön".
Abtreten zum Gebet!