handke premiere at the berliner ensemble, et
Uraufführung
SPUREN DER VERIRRTEN von Peter Handke, Regie: Claus Peymann
Ein aufmerksam beobachtender Flaneur läßt die Welt an sich vorbeidefilieren: helfende und Hilfe suchende, sich streitende und sich versöhnende Menschen, Kriegslüsterne, Verletzte, Unglückliche, Zornige, Trauernde, Liebeshungrige, Liebesflüchtlinge, Aufbrechende, Widerständige..., die inmitten einer kleinen Völkerwanderung unvermutet auftauchen und ebenso verschwinden. Ihre vorbei fliegenden Worte, oft nur Sprachfetzen, schlagen das jeweilige Thema an. Langsam richtet sich der Blick des Chronisten auf drei Einzelne – darunter den "Zwischenrufer" – die unter den Vielen aus der Menge herausgehoben werden. Kleine Situationen entstehen ein Kreuz wird vorbei getragen, ein Mann wird wie zur Hinrichtung geführt und unter den Vorbeigehenden entsteht Panik. Langsam gerät der Chronist in einen Zwiespalt zwischen seiner Rolle als bloßer Beobachter oder auch Beteiligter und wird zum Mitspieler. Am Schluß steht eine Vision von Freiheit, eine Befreiung von Zwängen, die das Leben mit sich bringt. Bis das groß entworfene Panoramabild mit einem "Oh, Entschuldigung!" verschwindet. Worte und Schritte verklingen.
Handke hat eine eigene, originelle Art von Welttheater geschrieben. Es basiert nicht auf Mythen oder Allegorien, es ist kein Heldenepos, Bildungsroman, Gottsucherstück, auch keine Parabel oder was es sonst noch für Modelle gibt, um die Welt zu erzählen. Es ist vielmehr ein einfaches Stationendrama. Es sind wie auf einer Kette aneinander gereihte Episoden und Fragmente, aus denen der Momente- und Gegenwartssammler Handke ein Ganzes formt. So ergibt sich eine Art Pilgerweg, der von Kreuz zu Kreuz den gesamten Lebenskreis ausschreitet und durch die ganze Welt führt. Jede Station hat ihren eigenen Charakter, ihre eigene Besonderheit, ihr eigenes angedeutetes Drama. Handke hat sozusagen einen "Jedermann" geschrieben, der aus vielen "Jedermännern" besteht. Einen Schlüssel zum Verstehen des Stückes und der Haltung Handkes liefert die Geschichte vom verirrten Vogel im verlassenen Haus: Seine hinterlassenen Spuren sind größer und gewaltiger als der kleine Vogel je war. Diese Spuren überliefert das Stück. Es sind dies Spuren, die der Mensch auf seinem Weg durchs Leben hinterläßt, ein Leben, dessen Drama darin besteht, ein Gefängnis zu sein, aus dem es kein Entkommen gibt.
Voraufführungen: 10., 11., 12. und 16. Februar (Sonderpreise für die Voraufführungen: Kartenkategorie A und B 15,- € (erm. 7,- €), Kategorie C und D 5,- €)
Uraufführung: Samstag, 17. Februar, 20.00 Uhr
Weitere Vorstellungen: 18., 21. und 22. Februar
AKADEMIETHEATER GEGEN DIE KONVENTION TANZT PETER HANDKES STÜCK SPUREN DER VERIRRTEN UND INSZENIERT ES FRIEDERIKE HELLER
Genau genommen ließe sich die Aussage von Peter Handkes Spuren der Verirrten am Akademietheater auf fünf Minuten Spiel- und Handlungszeit reduzieren. Man könnte ein Paar zeigen, das heiratet, sich liebt, haßt, streitet, Sex hat, sich vielleicht scheiden lässt, oder auch zusammen bleibt. Und dann könnte man es sagen lassen: "Ich habe nur so mit dir geliebt und gelebt, weil es von außen, "mit den Augen von Dritten", so verlangt wird. Ginge es allein nach uns beiden, wären wir nie so konventionell geendet, sondern hätten uns unsere eigene Idee vom Paar geboren." - Auf diesen Aufruf scheint Handkes Stück hinaus zu laufen, und er ist doch in rebellischem Sinne so sehr Klischee wie im Inhalt eine Illusion. - Man könnte genauso gut sagen: In der Konvention liegt das eigentliche Glück verborgen, sonst hätte sie sich im Laufe der Geschichte kaum durchgesetzt. Wobei aber gar nicht klar ist, was Handke nicht alles unter der Konvention versteht. (Und außerdem leben heute ohnehin die meisten Pärchen unkonventionell zusammen... )
Reiz der Sprache und des Rhythmus
Der Reiz dieses Stücks liegt also nicht so sehr in Handkes Aussage, sondern in seinen fantasievoll schlagfertigen Satz- und Wortwandlungen, in der Musikalität der Textarchitektur und rhythmischen Handlungsform, in der Spannung der kurz angedeuteten Konventionsszenen, sodass das Zuschauerhirn sofort das ganze Umfeld hinzu kombiniert. Das Publikum bekommt geistig sehr viel zu tun, obwohl dieses Theater genauso als Konzert erlebt werden könnte. - Schon weil die anregende Hamburger "In"-Band Kante, mit zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug, Klavier (Melodica) und Sänger, (fast) durchgehend auf der Bühne weilt und sie das ganze Geschehen rhythmisch zu leiten scheint.
Raum mit Leben
Das soll keinesfalls die Leistung von Regisseurin Friederike Heller schmälern. Sie arbeitet grafisch und rhythmisch detailreich mit den Darstellern, sowie mit einem sehr guten Auge für den Raum, sodass dieser fast so lebendig ist wie ein weiterer Darsteller. Ja, der Raum mit der futuristisch-technisch-kühlen Ausstattung von Sabine Kohlstedt hat ein Leben. Er besteht aus einem schick designten, schiefen Boden mit Karomuster - das wohl das Kästchendenken der Paare andeutet - mit seitlichen Videomonitoren oben, die abwechselnd das Bodenmuster im bewegten Aufbruch und ein Einfamilienhaus mit Auto am Land wiedergeben. An den Seiten stehen noch sechs Stühle, auf denen die Darsteller mit Mikrofonen sitzen: die Männer rechts, die Frauen links. Im Zuge der Handlung fällt der Raum sowie die Geschlechterordnung computerdesign-artig zusammen, sodass die Karos verzerrrt erscheinen, die Decke - den Boden spiegelnd - schräg nach hinten abfällt, und die ganze Raumform vom "Recht-" zum "Tiefeck" geworden ist. So viel zur suggestiven Bühnen-Aufforderung zur eigenen Lebensraum-Gestaltung als Parallele zu jener des "eigenen Paarraums".
Schemenhaftes Paarleben
Während nun ein Darsteller einzelne Paarkonstellationen in Prosa beschreibt, die andere oder er selbst sogleich auf abstrakte Pointe hin reduziert darstellen, steigert sich die wechselnde Perspektive - von Beobachtung zu Handeln, von Zuschauer zu Akteur, vom Dritten zum Paar - zum Kollaps (Zusammenbruch) hin - wie in der guten alten Rockmusik. Die Sprünge von Zuneigung auf Ablehnung sowie von Nähe auf Entfernung, bieten innerhalb der Paarbeziehungen manches erotische Moment, was so viel wie dem Kollaps im Kleinen entspräche. Da es Handke aber ums Prinzip geht, zählt hier der große Pauschalkollaps, der sich selbstverständlich gegen die Zeit richtet, gegen routinierte (Helden-)Väter und Söhne, Mütter und Töchter. Von den überlieferten Bildern und beobachteten Dramen sollen wir zum eigenen, individuellen, nackten (= Philipp Hochmair superkurz am Ende) Leben gelangen, denn die Zeit zur Konventions-Verirrung auf der Erde ist für den einzelnen Menschen zu knapp.
Die Highlights
Obwohl also Band Kante, Raum und Text/form die eigentlichen Stars des Abends sind, kommen auch die Schauspieler ambitioniert rüber. Selbst wenn sie als eigenwillige Typen - von außen (vom Dritten, "konventionell") betrachtet - nicht alle passend gepaart sind. Aber dass sie innerhalb ihrer permanenten Paarbildung (Petra Morzé - Philipp Hochmair, Rudolf Melichar - Bibiana Zeller und Sachiko Hara - Jörg Ratjen) immer wieder andere Paarmuster spielen - so wie ein gleich bleibendes Tanzpaar verschiedene Tanzstile bzw. -schritte umsetzen würde - verlangt ihnen minutenschnelle Verwandlungskunst ab. Und doch tritt jede einzelne Persönlichkeit über die Fülle an Figuren hinter die allgemeine Schemenhaftigkeit zurück. Logischerweise fallen jene positiv auf, die sich gut zu bewegen wissen, wie Sachiko Hara - deren asiatisch-übertriebene Schauspielweise als aggressiv-trotzige Kindfrau ansonsten nicht jedermanns Sache ist - und Philipp Hochmair, der als ei-legender Vogel zwecks Neuanfangs wieder einmal den Vogel höchster Darstellungskunst abgeschossen hat! e.o./r.r.
http://intimacy-art-critic.blogspot.com/2007/09/theater-friederike-heller-bastelt-paare.html
HERE A NUMBER OF LINKS TO REVIEWS OF "SPUREN" WHICH, BEST TO MY KNOWLEDGE, REMAINS UNTRANSLATED:
http://www.focus.de/kultur/buecher/peter-handke_aid_124800.html
http://oe1.orf.at/inforadio/75856.html?filter=5
http://www.faz.net/s/Rub79A33397BE834406A5D2BFA87FD13913/Doc~EBF067788E3184FD0A7E1365F5965DFB6~ATpl~Ecommon~Scontent.html
http://www.tagesspiegel.de/kultur/Berliner-Ensemble-Handke;art117,1878647
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=10244
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