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[the drama lecture
that discuss and have material about all of Handke's drama, chronologically arranged, 1966 to the present.
This blog serves the purpose of discussion and news announcement, catch as catch can...
interesting interview with Handke biographer Malte Herwig [DER MEISTER DER DAEMMERUNG]
ON WHICH I COMMENT BELOW:
Diese Geisterbeschwörung hat es in sich: In "Immer noch Sturm" nähert sich Peter Handke in einer dunkel leuchtenden, plastisch knackenden Sprache, die oft fremd erscheint und dann wieder äußerst vertraut, von seiner Familiengeschichte. Die Vorfahren seiner Mutter waren slowenische Kärntner, eine unterdrückte Minderheit in Österreich mit eigener Sprache, eigenen Traditionen. Unter den Nazis wurden sie nahezu ausradiert, den Rest besorgten die Anpasser der Nachkriegszeit. Handkes Vater wiederum war deutscher Wehrmachtssoldat, Mitglied der verhassten Herrenmenschen, Handke selbst der ungeliebte "Bankert". Eine Geschichte, die die Zerrissenheit des 20. Jahrhunderts spiegelt, verkörpert in ihm, dem Erzähler.
In den Kammerspielen des Deutschen Theaters versucht Regisseur Frank Abt, Handkes eindrückliches Kreisen um die Wunden seiner Familiengeschichte nah ans Publikum zu rücken. Wie schon in seiner "Jochen Schanotta"-Inszenierung sitzt das Publikum auf der Bühne und schaut auf eine kleine runde Insel, die sich langsam vor sich hindreht. Ihre Kulissenteile spiegeln das Fragmentarische von Handkes Denk- und Erinnerungsgebäude: Küche, Schlafzimmer, Stube sind nur angedeutet.
Hier versammeln sich die Herbeigerufenen, Herbeierinnerten in trachtenähnlicher Kleidung, mit leuchtenden Gesichtern und glänzenden Augen. Zwischen ihnen und uns steht Markwart Müller-Elmau als Erzähler und Vermittler dieses hybriden Texts aus Roman und Drama. Oft murmelt er in sich hinein, scheu, hilflos, ruft die Ahnen herbei, kommt mit ihnen ins Gespräch – und muss mit Ansehen, wie die Familie zerbricht: Zwei seiner Onkel fallen als deutsche Soldaten im Krieg, zwei weitere Geschwister der Mutter werden Partisanen im Kampf gegen die Deutschen.
Beeindruckende Charakterstudien
Frank Abt gehört zu den großen Sensiblen unter den Regisseuren, zu den leisen, behutsamen Stimmen. Beeindruckend, wie das Ensemble hier aus den Tableaus des Beginns feine Charakterstudien formt, wie die Großeltern sich necken und der Ton zwischen den Geschwistern rau, aber herzlich ist – bis der Krieg beginnt. Wenn die Todesmeldungen eintreffen und Katharina Matz' Großmutter wie Michael Gerbers Großvater die Eigenheiten ihrer Kinder erinnern, mit flackernden Stimmen zwischen Wärme und Verzweiflung, dann trifft das ins Mark.
Wunderbar, wie Judith Hofmann als Handkes Mutter sich immer wieder neu erfindet zwischen dem Mädchen voller Lebenslust und der Frau mit dem Riss im Herzen, wie sie jeden Ton wägt und jede Enttäuschung sanft unterspielt. Nur selten wird jemand laut, Thorsten Hierse etwa, der friedfertige große Bruder, der als Partisan innerlich verhärtet. Markant auch Ole Lagerpusch und Marcel Kohler als jüngere Brüder.
Während die Welt in Stücke geht, verliert das Bühnenbild seine Wände. Am Ende sitzen die Schauspieler ganz in Schwarz am hinteren Bühnenrand, sprechen aus einer anderen Welt zum Erzähler – ein gespenstischer Moment auch deshalb, weil das Leid der Familie nach Kriegsende weiterging: Abt fügt an Anfang und Schluss Auszüge aus Handkes Erzählung "Wunschloses Unglück" über den Selbstmord der Mutter. Das zieht die Linien überzeugend ins Heute, verortet den Text aber – wie schon mit dem kleinen Erzählformat und der kurzen Dauer von zwei Stunden – sehr privat. Das erreicht zwar nicht die mahlende Intensität von Dimiter Gotscheffs Fünf-Stunden-Uraufführung 2011, besitzt aber immer noch genug erschütternde, dunkle Momente, die einen so schnell nicht loslassen.
Kammerspiele des Deutschen Theaters, Mitte, Schumannstraße 13
"Das ist das Stück der Kärntner"
Wie die Passionsspiele in Oberammergau: Der Handke-Biograf Malte Herwig regt an, "Immer noch Sturm" regelmäßig als Open Air auf dem Jaunfeld zu spielen.
Sie haben die Aufführung so aufmerksam verfolgt - bedauern Sie, dass Sie nicht auch als Kritiker bei "Immer noch Sturm" waren?
MALTE HERWIG: Bedauern? Nein, ich bin ja kein leitender Angestellter der Handke-Industrie. Ich habe den Text von Peter Handke als erster Kritiker vor einem Jahr in der "Zeit" besprochen. Die Biografie war meine private Entscheidung und eine sehr schöne Arbeit. Bedauern würde ich, nicht zur Aufführung gegangen zu sein. Sie war zu lang, das ist klar. Man hätte kürzen müssen, vor allem den Monolog am Ende. Aber ansonsten fand ich sie sehr gut, eine wundervolle Hommage mit wundervollen Darstellern. Dass Peter Handke zum Schlussapplaus auf die Bühne kam, war wie ein Ritterschlag für die Inszenierung von Dimiter Gotscheff.
Peter Handke greift in seinem Stück Kärntner Geschichte auf, zeigt die Slowenen als Verlierer, geht auf die Leistung der Kärntner Partisanen ein. Der Monolog am Ende klingt phasenweise wie eine Regierungserklärung.
HERWIG: Ich glaube, dass das Tragische am öffentlichen Schriftsteller Peter Handke wäre, wenn so etwas wie sein Besuch beim Begräbnis von Milosevic cdazu führt, dass jeder Kolumnist aufschreit und ihn niederschimpft. Wenn er aber ins schwarze Herz der österreichischen Geschichtsvergessenheit zielt, klatschen die Leute beifällig, lassen die politische Botschaft aber an sich vorbeigehen. Ich glaube, mit diesem Stück zielt Handke auch in dieses politische schwarze Herz. Deswegen fand ich den Aufführungsort nicht ideal. Es hätte entweder das Burgtheater sein müssen, in der Hauptstadt von Österreich, dem Zentrum. Oder das Jaunfeld. Aber Thomas Oberender hat dem Stück mit einem tollen Rahmenprogramm das bestmögliche Exil in Salzburg geschaffen. Mich würde sehr interessieren, wie die Reaktion in Kärnten ist.
Sie finden also: Das Stück muss in Kärnten gezeigt werden.
HERWIG: Auf jeden Fall. Es ist ein großes Kärntner Volksstück, wenn ich das als Deutscher so sagen darf. Mir hat es Kärnten sehr nahe gebracht. Es ist ein großes Stück über das Wesen und das Schicksal der Menschen hier, für mich ein historisch-politisches Gegenstück zu "Wunschloses Unglück", das als eine Art Hausbuch der Kärntner gilt. Das ist das Stück der Kärntner. Ich würde eine Open Air Bühne ins Jaunfeld stellen und "Immer noch Sturm" regelmäßig aufführen. Wie die Passionsspiele in Oberammergau.
Ein reizvoller Gedanke. Handke wird nächstes Jahr 70. Das Land Kärnten könnte sich also in diese Richtung etwas anstrengen.
HERWIG: Es wird ja auch langsam Zeit, dass bei Suhrkamp die erste Ausgabe mit gesammelten Werken herauskommt. "Immer noch Sturm" ist Handkes großes Altersstück, fast eine Art "Faust II". Ein Mythenspiel, das aus der Perspektive des Alters auf die wichtigsten Texte von Handkes Werk zurückgreift, Lebensthemen anklingen lässt. Auf die "Hornissen", wo der verlorene Onkel Gregor vorkommt, auf die Tiraden der "Publikumsbeschimpfung". Es erinnert auch an "Über die Dörfer", wo sich der großstädtische Dichter Peter Handke eingefügt hat in die Landbevölkerung. Dann der Apfelmythos, der von der "Wiederholung" bis in die "Morawische Nacht" weiterentwickelt wird. Die Zitate aus der "Stunde, in der wir nichts voneinander wussten". Es hat eine lange Entstehungszeit, mindestens zehn Jahre, in denen sich Handke immer wieder mit Kärntner Partisanen getroffen hat.
Sie haben auch Peter Handkes Arbeitsexemplar von Prunik- Gaspers "Gemsen auf der Lawine" gesehen? HERWIG: Genau. Dieses Buch war die Hauptquelle, es ist voller Anreichungen, Randbemerkungen, einmal steht sogar da "Gute Prosa!". Handke hat sich intensiv damit beschäftigt. Er gilt in der Öffentlichkeit ja als wandernder Dichter, der in die Natur geht, beobachtet, aufschreibt - das ist natürlich richtig. Aber hier hat er auch intensiv studiert und exzerpiert, er hat das Buch mehrmals gelesen, oft steht am Rand S. S., die Abkürzung für "Storm Still", wie der Arbeitstitel von "Immer noch Sturm" lautete. Handke hat teilweise wörtliche Formulieren und Szenen übernommen. Etwa die Szene, wo das "Ich" die Hände der Mutter hält. Ein anderes Beispiel, da heißt es: "Ohne Partisaneneinheit wäre Kärnten wie ein Apfel, den der Bauer unter dem Baum verfaulen lässt". Das ist eine Formulierung aus einem Partisanenbrief, der bei Prunik zitiert wird, das passt genau in Handkes große Apfelmythologie.
Eingearbeitet hat Handke auch die Feldpostbriefe seiner Onkeln. Das, entnimmt man der Biografie, ist auch Ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken.
HERWIG: Naja, vielleicht indirekt ein bisschen. Ich habe im Zuge meiner Recherchen auch Handkes Onkel Georg Siutz im hohen Alter kennengelernt, der im Stück als Valentin auftritt. In dessen Keller tauchten dann die Feldpostbriefe auf. Durch diesen glücklichen Zufall hat Handke sie wieder lesen können und zum Teil noch wörtlich in das Stück eingebaut.
Und Handkes Vater?
HERWIG: Der wird im Stück zwar nur am Rande erwähnt, spielt aber eine wichtige Rolle, Handke verflucht sich ja in der Person des "Ich" immer wieder selbst. Es heißt "Verflucht sei der Liebeswurm in deinem Liebesbauch". Warum? Weil der Vater ein Deutscher ist; die Mutter begeht den Verrat mit einem Reichsdeutschen ein Kind zu zeugen. Das Dramatische ist ja, dass Handkes Vaters nicht nur Wehrmachtssoldat gewesen ist, das waren die Onkel auch. Der Unterschied ist, dass er bei der NSDAP war. Meine Nachforschungen ergaben, dass Erich Schönemann bereits am 1. 5. 1933 in die NSDAP eingetreten ist. Er war ein klassischer Opportunist, der sofort nach der Machtergreifung Hitlers in die Partei eingetreten ist, sehr eilig. Das darf man nicht vergessen, wenn man den Zwiespalt sieht zwischen Kärntner Slowenen, einer erdichteten Partisanenfamilie und einer Schwester, die sich mit einem NSDAP-Mitglied einlässt. Peter Handke ist eben kein Weihepriester des L'art pour l'art, der durch die Kärntner Landschaft spaziert und sich nur was ausdenkt. Sein Jaunfeld ist kein künstliches Paradies. Er steht mit den Füßen auf der Erde, und mit dem Kopf manchmal in den Wolken. I
Einblicke in Handkes Welt im Rahmenprogramm der Salzburger Festspiele: Donnerstag, 19.30 Uhr u. a. mit Malte Herwig (Edmundsburg auf dem Mönchsberg) Roloff comments: Das ist ja interessant! Besonders das Buch mit dem der Peter sich beschäftigt hat. Aber Herwig hat sich verhaspelt. Der dritte Sohn hieß Jure, und hatte als FPOer scheinbar reaktionäre Tendenzen. Handke übergeht den Anschluss vollkommen [trotz dieser komischen "Klartext" Passagen!] in dem Stück, und damit auch welch-immer Erwartungen Hoffnungen, auch die Kaerntner Slowenen in die Verbindung mit/auf das Grossdeutsche Reich hatten. Der zweite Sohn hieß Hans, auch nicht gerade Slowenischer Name. Inwiefern wollten die Sivecs, und andere Kaerntner Slowenen sich akulturieren? Der "Ote" wählte die 1ste Yugo Föderation, als Wiederholung auf klein des KUK. Sein Großenkel wählt.... Handke selbst ist ja auch Opportunist, von Anfang an. Und als Exhibitionist bringt nicht nur die Weiber aber manchmal die ganze Welt zum erröten, die als solche wohl kaum von Erythrobie leidet!
Am Freitag, 12. August, hat in Salzburg Peter Handkes sehr privates Partisanenstück "Immer noch Sturm" Premiere. Dabei trifft Balkanmusik auf Kärntnerlied.
Theater-Familie: Bibiana Beglau als mit den Partisanen kämpfende Tante Ursula (li.) und Oda Thormeyer in der Rolle von Handkes Mutter Ich entdecke immer noch Neues", meinte Regisseur Dimiter Gotscheff kürzlich bei einem Pressegespräch in Salzburg. Eineinhalb Tage hat der Entdecker Zeit, dann muss seine Inszenierung von Peter Handkes "Immer noch Sturm" stehen. Freitagabend wird der Text - vom Team liebevoll "eine Zumutung für das Theater, aber so etwas brauchen wir" genannt - auf der Perner-Insel uraufgeführt. "Still Storm", Shakespeares Überschrift für jene Szene, in der König Lear Donner und Blitz anfleht, seine undankbaren Erbinnen zu vernichten, nahm Handke als Titel für sein bis dato persönlichstes Werk. Auf dem Jaunfeld trifft er als Erzähler-"Ich" auf Großeltern, Mutter, drei Onkeln, Tante und verquickt über sie seine Familiengeschichte mit der des Freiheitskampfs der Kärntner Slowenen gegen die Nationalsozialisten. Wie aus einem Traum tritt die Verwandtschaft auf und konfrontiert den Nachfahren mit der Vergangenheit.
Fakt und Fiktion
Regisseur Dimiter Gotscheff hat zwar „große Schwierigkeiten“ mit dem Handke-Text, liebt aber dessen PoesieHandkes im Vorjahr verstorbener Onkel Georg "Jure" Siutz (der FPÖler im Clan) hatte im Keller alte Dokumente, Feldpostbriefe, Fotos, Urkunden aufbewahrt. Sie sind der Stoff, aus dem der Autor schöpfte und dabei Fakt durch Fiktion korrigierte. So darf etwa Handkes literarischer Lieblingsonkel Gregor, tatsächlich 1943 in Russland gefallen, zu den Partisanen überlaufen und überleben. Der 2010 bei Suhrkamp erschienene Text ist ein Stück Prosa in Dialogen mit Regieanweisungen: Handke sagt, wie und wo's langgeht. Der ursprünglich als Uraufführer vorgesehene Claus Peymann wich wegen "unterschiedlicher Erwartungen an die Ästhetik der Inszenierung"; zum Zug kamen Gotscheff und das Hamburger Thalia Theater als Koproduzent der Salzburger Festspiele. Gotscheff, Heiner-Müller-Intimus und nun erstmals mit Handke beschäftigt, räumt "große Schwierigkeiten" bei der Beschäftigung mit dem Text ein, schwärmt aber auch von seiner "Poesie, die ihm eine andere Dimension verleiht", von seiner Sinnlichkeit und Berührungspunkten mit der antiken Tragödie: "Dieses Werk ist ein Epos mit einer Schwerkraft, die uns hineinzieht und der Substanz Stück für Stück näherbringt." Handkes Bühnen-"Ich" wird Jens Harzer verkörpern. Handkes mit ihm schwangere Mutter spielt Oda Thormeyer, Tilo Werner den Onkel Gregor, Bibiana Beglau Tante Ursula. Das Jaunfeld gestaltet Bühnenbildnerin Katrin Brack als ziemlich leere Ebene. Vier Stunden soll's darauf grüne Blätter regnen. Sandy Lopicic sorgt für den Sound: Balkanmusik mit Beatles-Zutaten. Und Kärntnerlied.
Salzburger Festpiele: Vier Stunden und 45 Minuten Konzentrationsarbeit für Peter Handkes „Immer noch Sturm“.
Von Sabine Strobl
Salzburg –Das Jaunfeld, Heide- und Steppenlandschaft, ein Apfelbaum, „mit ca. 99 Äpfeln“, eine Bank. Hier trifft ein Nachfahre in seinen Kindheitserinnerungen und Träumen die „Ahnen“. Das sind die ersten Bilder, die Peter Handke in „Immer noch Sturm“ entwirft. Das Werk ist eine poetische Liebeserklärung an Handkes slowenische Familienlinie. Die Uraufführung vergangenen Freitag auf der Perner Insel in Hallein wurde mit Applaus, aber auch mit Vorbehalten aufgenommen.
Der bulgarische Regisseur Dimiter Gotscheff, der die Aufgabe der Uraufführung vom ausgeschiedenen Claus Peymann übernommen hat, setzt auf Einfachheit und die Wirkung der Sprache. Was für alle Beteiligten des Abends zu einer reizvollen Auseinandersetzung wird. Gotscheffs Raum für den Text, das Jaunfeld, ist weit, leer, Träumen entsprechend auch dunkel. Licht fällt nur auf den Kreis, in dem sich die Familienangehörigen aufstellen. Bühnenbildnerin Katrin Brack lässt für Stunden grüne Blätter vom Himmel rieseln. Die Kameraeinstellung ist ein für alle Mal geklärt. Die Aufmerksamkeit kann dem Ensemble des Thalia Theaters gelten.
Handkes Text, in dem er viele Details seiner Herkunft und Familiengeschichte verarbeitet, zeigt selten klar, wie sehr das Geschehen des Zweiten Weltkrieges das Leben Einzelner zerstört und die folgenden Generationen geprägt hat. Der schon lange nahe Paris lebende Schriftsteller (Sohn eines deutschen Soldaten und einer Kärntner Slowenin) lässt ein „Ich“ zum Apfelbaum nach Kärnten zurückkehren. Jens Harzer, der bei den Salzburger Festspielen in Dostojewskis „Verbrechen und Strafe“ zu sehen war, schlüpft in die Rolle von Handkes Alter Ego. Wie der Schriftsteller mit einer Brille mit dunklen Gläsern ausgestattet. „Dober Dan“. Es geht viel um Sprache. Und so gesellt sich die nördlichere Sprachfarbe der Schauspieler in die slowenisch, österreichische des Textes. Die „Sippe“ erscheint: die lebenslustige Mutter (Oda Thormeyer). Deren „14-Tage-Regenwetter-Schwester“ Ursula (Bibiana Beglau), die als Widerstandskämpferin umkommt. Der Frauenheld-Bruder der Mutter, Valentin (Hans Löw), der Nachzügler Benjamin (Heiko Raulin), der schroffe Großvater (Matthias Leja). Ein weiterer Bruder der Mutter, Gregor, ist in Handkes Familiengeschichte der erste Schreibende, er hat 1936 auf Slowenisch ein Buch über Apfelbäume verfasst. Handke hält es in Ehren, kennen gelernt hat er seinen im Krieg gefallenen Taufpaten nie. In „Immer noch Sturm“ bekommt Gregor die Rolle des Partisanen Jonatan (Tilo Werner). Es gelingen wunderbare Porträts der Familienmitglieder und einige tiefgehende Szenen. Gabriela Maria Schmeide macht Gänsehaut, wenn sie als Großmutter in ihrer Trauer um den ersten gefallenen Sohn die anderen in den Alltag zurücklotsen will. Das Ensemble ist warmgespielt, unterstützt von den südosteuropäischen Klängen Sandy Lopicics. Konzentration auf der Bühne und im Zuschauerraum.
Bei aller Reduktion legt Regisseur Dimiter Gotscheff doch einige entbehrliche Regieeinfälle vor, die vom Zitat der beliebten Kinderfigur Benjamin Blümchen bis zum einstigen Ambros-Hit „Schifoan“ reichen. Nach der Pause ist die Spannung nicht wieder aufzubauen. Ich-Darsteller Jens Harzer ist am Premierenabend seiner Rolle nicht gewachsen. Abschließend wird das Augenmerk noch einmal auf die Situation der Slowenen im Zweiten Weltkrieg gerichtet. Sie waren die Volksgruppe, die in Österreich den Widerstand gegen Hitler wagte. Ohne explizit dazu aufgefordert zu werden, wenden sich die Gedanken dem Ortstafelstreit der slowenischen Minderheit in Kärnten zu. Immer noch Sturm.
Das Publikum ist schon beim Aufstehen. Da gesellt sich Peter Handke, um Unauffälligkeit bemüht, zu den Schauspielern auf die Bühne. Und aller Applaus gehört ihm. Die Koproduktion mit dem Hamburger Thalia Theater übersiedelt nach den Salzburger Festspielen im September nach Hamburg.
Tiroler Tageszeitung, Printausgabe vom So, 14.08.2011
Bei den Salzburger Festspielen wird am Freitag, 12. August 2011 Peter Handkes "Immer noch Sturm" uraufgeführt - ein Stück oder doch kein Stück? Vielleicht eher eine große dramatische Erzählung, in der die Erinnerung an seine Heimat Kärnten und an den Widerstand der Slowenen gegen die Nazis eine große Rolle spielt.
Jens Harzer als Ich und Oda Thormeyer als seine Mutter
Rezensenten euphorisch
Der schon seit längerer Zeit im Suhrkamp erhältliche Text "Immer noch Sturm" wurde von den Rezensenten großteils euphorisch begrüßt. Vom "schönsten Stück, das Handke je geschrieben hat" war da sogar die Rede. Aber es liest sich nicht wie ein Theaterstück, viel eher ist es eine Textfläche im Stil Elfriede Jelineks, die allerdings von einem Ich-Erzähler zusammengehalten wird, der natürlich kein geringerer als Handke selbst ist.
"Eine Heide, eine Steppe, eine Heidesteppe, oder wo. Jetzt, im Mittelalter, oder wann", sind die ersten Sätze. Bald wird klar, es ist das Jaunfeld, auf dem Handke seine Großeltern, seine Mutter sowie die drei Brüder und die Schwester der Mutter versammelt.
Koproduktion mit Hamburg
Thomas Oberender, Schauspielchef der Salzburger Festspiele, glaubt an "Immer noch Sturm" als Theaterstück und bringt es jetzt auf der Perner-Insel in Koproduktion mit dem Hamburger Thalia-Theater heraus, nachdem sich schon sehr konkrete Pläne mit Claus Peymann und seinem Berliner Ensemble zerschlagen haben.
"Ich glaube dieses Stück ist sehr wesentlich davon geprägt, dass die Geschichte durch dieses Ich hindurchgeht, das uns die Erzählung seines Lebensweges, seiner Vorfahren mitteilt und dass Ich und Politik und Gesellschaft sich nicht ausschließen", sagt Oberender über Handke und sein poetisches Ich in "Immer noch Sturm". "Das ist eine Art von Summe - ich will nicht sagen Schlusspunkt -, die dieses Stück formuliert."
Umstrittene Beziehung zu Jugoslawien
Vielleicht auch ein Schlusspunkt mit Handkes umstrittener Beziehung zum ehemaligen Jugoslawien, mit seiner Sehnsucht nach dem Tito-Staat, der ihn noch zum Verteidiger von Slobodan Milosevic machte. Auf diesen Weg konnten und wollten auch eingeschworene Handke-Leser ihm oft nicht mehr folgen.
Nun also noch einmal eine Elegie, ein Traumspiel, in dem vor allem auch vom Widerstand der Slowenen und der Partisanen die Rede ist. Ein Bulgare, der in die DDR gegangen ist, wurde als Regisseur für die Handke-Uraufführung ausgewählt: Dimiter Gotscheff. Er leugnet nicht, dass ihn der slowenisch-kärntnerische Hintergrund des Textes zunächst nicht wirklich ein Begriff war und meint: "Das ist kein lokaler Text. Durch die Poesie von Handke kriegt dieser Text eine andere Dimension."
Regisseur nutzt Spielraum
Besonders erfreut ist Dimiter Gotscheff über den Spielraum, die Halleiner Perner-Insel, "weil dieser Raum einfach die Sprache von Handke öffnet". Katrin Brack hat das Bühnenbild gemacht, der aus Bosnien stammende Österreicher Sandy Lopicic steuert die Musik bei und Darsteller wie Jens Harzer und Tilo Werner, Bibiana Beglau und Oda Thormeyer werden ihr Bestes versuchen, einen Weg durch das vieldeutige Wortdickicht zu finden.
Der Erzähler im Krankenbett. „Ich“, Peter Handke, spürt seiner Familie im Zweiten Weltkrieg nach. Foto: Christian Brachwitz
Der Sturm ist spürbar. Es zieht im Zuschauerraum. Die Luft kühlt ab. Im Hintergrund der schlichten Bühne (Gralf-Edzard Habben) – ein Schlafzimmer inmitten eines Gartens – auf die zunächst Äpfel, später Totenköpfe bollern, haben sich die beiden Flügel eines mächtigen Fensters geöffnet. Durch sie drängen etwas seltsame Figuren herein, stellen sich um das Krankenbett, in dem ein älterer Mann liegt. Er wird uns durch den Abend begleiten. Er ist „Ich“, unverkennbar der Autor Peter Handke, der in „Immer noch Sturm“ den Zweiten Weltkrieg aus Sicht der unterdrückten Minderheit der Slowenen in Kärnten beleuchtet. Sie hat sich über politische Glaubensgrenzen hinweg zum militärischen Widerstand, dem einzigen überhaupt innerhalb des Reichs, zusammengeschlossen und sogar Siege errungen.
Handke erzählt diese Geschichte, die nie so recht in die Geschichtsbücher gefunden hat (Dramaturg Helmut Schäfer weist darauf vor Beginn der Aufführung hin), als Familienepos und spannt einen Bogen von 1936, dem für die Bauern verklärten „Jahr von Sonne und Schnee“, über 1942, als die Besatzer allgegenwärtig sind, und die slowenische Sprache geächtet ist, bis 1945, zur Befreiung und die kurze Zeit der Hoffnung auf Freiheit, die im Geschacher der Mächte aber doch wieder verloren geht.
Roberto Ciulli spürt den Minderheiten nach
Der inzwischen über 80-jährige Roberto Ciulli, Hausherr im „Theater an der Ruhr“, hat zeit seines Theaterlebens dem Leben der Minderheiten nachgespürt, mit Theaterleuten in Osteuropa, Asien und Nordafrika gearbeitet und in diesen Ländern deutsche Stücke gezeigt. Vor vier Jahren ist die Inszenierung von „Immer noch Sturm“ entstanden, die jetzt im Schweinfurter Theater immer noch taufrisch, ungemein intensiv, von einem überwältigend guten Ensemble gespielt, zu erleben war.
Im Jaunfeld, einem Tal zwischen Saualpen und Karawanken, schreitet der Erzähler (ein leichtdistanzierter Herr: Volker Roos) die Lebensstationen seiner Familie ab, die der Krieg zerreißt. Seine Onkel werden zum Militärdienst herangezogen, zwei fallen, einer, der doch eigentlich schwächelnde einäugige Gregor (Klaus Herzog) schließt sich den „Grünen Kadern“ an, wird, wie seine resolute und in der Familie ungeliebte Schwester Ursula (spröde und schließlich in Uniform mächtig aufdrehend: Dagmar Geppert), Kader des Widerstands, während die andere Schwester (Petra von der Beek) heftig verliebt das Kind eines deutschen Soldaten erwartet.
Erzählt wird ein Traumspiel
Ciulli erzählt das als Traumspiel, lässt die feine poetische Sprache Handkes aus sich heraus wirken. Herrlich, wenn der kauzige Großvater (Rupert J. Seidl) gegen das Neue wettert, sich die neuen Worte der Deutschen verbittet, aber auch „Tragödie“ und „Liebe“ nicht hören kann.
Ergreifend die Großmutter (Simone Thoma), die mit feinem Minenspiel das Geschehen kommentiert und beim Lesen der Feldpostbriefe ihrer Kinder feststellt, dass man sich ohne Krieg wohl nie geschrieben hätte.
Einige Kürzungen wären guit gewesen
Der Abend nimmt gefangen. Dreieinhalb Stunden sind aber auch recht lang. Mit dem sendungsbewussten Handke ist oft doch der politische Essayist durchgegangen. Ein paar kräftige Striche hätte man sich schon gewünscht.
Böse Miene zum guten Spiel? Schauspielchef Thomas Oberender und Regisseur Dimiter Gotscheff sind von „Immer noch Sturm“ überzeugt.
„Immer noch Sturm“ feiert Uraufführung auf der Pernerinsel
Im Rahmen der Salzburger Festspiele wird in Hallein übermorgen zum ersten Mal Peter Handkes Werk „Immer noch Sturm“ inszeniert. „Das Stück ist für das Theater eine Zumutung“, war dabei der erste Eindruck der zuständigen Dramaturgin Beate Heine.
HALLEIN (sawa). „Es ist ein bemerkenswertes und aufregendes Stück, das wir hier produzieren und das überall auf der Welt verstanden werden kann“, freut sich Thomas Oberender, Schauspielchef der Salzburger Festspiele, vergangenen Freitag im Rahmen der Pressekonferenz zur Uraufführung von Peter Handkes „Immer noch Sturm“, welche am kommenden Freitag auf der Pernerinsel die Zuschauer begeistern soll. Die Regie wird dabei von Dimiter Gotscheff übernommen: „Wichtig ist, dass Gotscheff zu den jungen Regisseuren zählt. Er ist immer auf der Suche geblieben“, erklärt Oberender seine Entscheidung den renommierten Theaterregisseur, der in diesem Jahr mit dem „Theaterpreis Berlin“ ausgezeichnet wurde, ins Boot zu holen. Bislang setzte sich Gotscheff primär mit den Werken des Dramatikers Heiner Müller auseinander; mit der Regie von „Immer noch Sturm“ betrat Gotscheff künstlerisches Neuland: „Die größte Schwierigkeit war Handke zu begegnen, an die neuen Wurzeln des Autors heranzutreten. Es ist ein schwerer Text.“ Diesem Urteil schließt sich auch die zuständige Dramaturgin Beate Heine vom Thalia Theater Hamburg an: „Mein erster Eindruck: Das Stück ist für das Theater eine Zumutung. Es ist unglaublich theatral, eine echte Herausforderung. Handke hat sich aufgespaltet, er spiegelt sich in jeder Figur wider. Dafür muss man eine Erzählform finden.“
Zwischen Realität und Fiktion
„Immer noch Sturm“ handelt vom Kärntner Widerstand zur Zeit des zweiten Weltkrieges und Handkes slowenischen Vorfahren. Der Ich-Erzähler, der Handkes Geschichte verkörpert, „erinnert“ sich dabei an eine Zeit, zu der er noch nicht gelebt hatte. Nur mit Hilfe von Erzählungen und Erinnerungsstücken lässt er die Vergangenheit aufleben, versetzt sich selbst in die unterschiedlichen Situationen, trifft dabei auf Familienmitglieder und wird somit Teil der Geschichte, die schon längst vergangen ist; die er nie selbst miterlebt hatte. In dieser Fiktion, die dennoch so nahe an der Wirklichkeit liegt, trifft der Erzähler auch auf seine schwangere Mutter, die diesen gerade selbst unter ihrem Herzen trägt.
Viele Parallelen
„Anfangs war mir nicht klar, was das für Österreich bedeutet. Diesen Ort zwischen Hoffnung und Vernichtung, den Handke beschreibt, gibt es aber überall“, sagt Heine, gebürtige Hamburgerin. Eine Verbindung zu dem Stück hat auch Sandy Lopicic, welcher für die Musik verantwortlich ist: „Es ist sehr wichtig, dass die Uraufführung in Österreich stattfindet. Das Stück hat sehr viel mit meiner Herkunft zu tun. Meine Großeltern und Urgroßeltern sind aus Slowenien. Ich habe ähnliche Geschichten erzählt bekommen.“ Warum man sich für die Halleiner Pernerinsel als Austragungsstätte entschieden hat, erklärt Oberender: „Es war gleich klar, dass wir uns für die Pernerinsel entscheiden, sie ist die größte räumliche Bühne. Es ist ein großes Glück, dass wir so eine Form erhalten können. Sie ist unabdingbar.“
1. Akt „Eine Heide, eine Steppe, eine Heidesteppe, oder wo. Jetzt, im Mittelalter, oder wann. Was ist da zu sehen? Eine Sitzbank, eine eher zeitlose, im Mittelgrund, und daneben oder dahinter oder sonst wo ein Apfelbaum, behängt mit etwa 99 Äpfeln.“ So beginnt das Stück. „Ich“ wird von seinen Vorfahren heimgesucht, ein Fremdling im „Interkontinentalanzug“ unter feiertäglich Gewandeten. Valentin erklärt, wie er es zu etwas brachte: Weil er sich „von unserer Haus- und Sippensprache, der vermaledeiten, losgesagt“ hat. „Wer rein deutsch sprach, versprach, ein Herr zu sein“, heißt es. 1936, sechs Jahre vor Handkes Geburt Gregor, der Älteste, hat in Maribor Landwirtschaft studiert, ist als stolzer Slowene ins Land der Peiniger zurückgekehrt und führt als Begründer einer Obstzucht die Familie aus der Paria-Existenz. Die Gestalt des Onkels ist präzise bis in die Details gezeichnet. Wieder und wieder findet sich der Name Gregor in Handkes Werk, ein weiteres Mal noch in der idealen Existenz des Widerstandskämpfers. Die Gestalten tanzen ab, nur die Mutter kommt noch einmal zurück: „Weißt du denn nicht, dass wir bei dir bleiben bis ans Ende deiner Tage, und vielleicht noch darüber hinaus, du Erztrottel?“2. Akt, 1939 Alle drei Söhne sind im Krieg. Die Mutter ist „auf dem Sprung zum Feindwerden“. Drei Jahre später sieht man Ursula, die ältere Schwester, „im Aufzug fast einer Schweinemagd“, über „die wie weltstädtisch Gekleidete“ her-fallen. „Das dafür, daß du dir einen von einem Anderweitigen gehst. Während ich im Stroh hinter dem Ziegenstall übernachte, kugelst du mit dem reichsdeutschen Ziegenbock durchs Doppelbett des Hotels ,Tigerwirt‘.“ Die Mutter knöpft den Mantel auf. Sie ist schwanger von einem deutschen Soldaten. Für das „Ich“ beginnt der Film des Lebens zu laufen. Benjamin, der Jüngste, fällt. Der Großvater verflucht Deutschland. „Und verflucht sei der deutsche Liebeswurm in deinem Liebesbauch. Verflucht sei die Frucht deines Leibes. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, verflucht sei der Name des Herrn in Ewigkeit.“ Ursula schließt sich den Partisanen an.
Handke-Stück kommt auch ans Burgtheater: Über den Widerstand der Kärntner Slowenen
NEWS: Kooperation mit den Salzburger Festspielen
Uraufführung am Burgtheater wegen Streit abgesagt
Peter Handkes Stück "Immer noch Sturm" über den Widerstand der Kärntner Slowenen gegen Hitler kommt nun auch ans Burgtheater. Das berichtet NEWS in seiner morgen erscheinenden Ausgabe.
Wie Direktor Matthias Hartmann bestätigt, geht man eine Kooperation mit den Salzburger Festspielen und dem Hamburger Thalia Theater ein, die das Stück im kommenden Sommer gemeinsam auf der Perner Insel herausbringen. Das bedeute, dass in Wien zumindest eine umfangreiche Aufführungsserie der Inszenierung Dimiter Gotscheffs zu sehen sein wird. Die Uraufführung sollte ursprünglich am Burgtheater stattfinden, musste aber wegen eines Zerwürfnisses zwischen Handke und dem vorgesehenen Regisseur Claus Peymann abgesagt werden.
Tost, brüllt, tobt und kracht?"
Peter Handkes "Immer noch Sturm" als Gedächtnis- und Seelenfeger. Ein Epos über die Kärntner Widerstandskämpfer, eine Zeitreise und Familiensaga, ein Hohelied auf die einstige Heimat. Geht das alles? Durchaus.
Und immer wieder Gregor. In zahlreichen Büchern und Stücken von Peter Handke erscheinen Protagonisten mit diesem Vornamen, sei es in der "Niemandsbucht" oder in der "Stunde der wahren Empfindung", auch im dramatischen Gedicht "Über die Dörfer" spielt dieser Gregor die wichtigste Rolle. Gut ließe sich das Werk Handkes also auch als Handkes kolossaler gregorianischer Kalender bezeichnen, dem er mit dem Theaterstück "Immer noch Sturm" (in Anlehnung an das "Storm Still" in Shakespeares "Lear") eine weitere Seite hinzufügt - eine mit Trauerrand versehene Suche nach der verwehten oder politisch verblasenen Zeit.
Grabgesang
Denn in dieser Bühnenarbeit, die mehr Prosa- als Theatertext ist und erst im Finale mit furiosen Monologen und Dialogen, Tiraden und Litaneien aufwartet, unternimmt Handke erneut eine Zeitreise. Zurück in das von Slowenen bewohnte Jauntal, das sich als Heidensteppe erweist, hinein in die Dörfer und in den Familienkreis.
Drei Perioden umfasst die Verzahnung von Tag-, Nacht- und Albträumen: die Jahre von 1936 bis 1939, das Kriegschaos zwischen 1942 und 1943 und letztlich einige Tage nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Handke nimmt dabei vorwiegend die Rolle des Beobachters ein, der Gesehenes oft unverzüglich wieder infrage stellt. Ein Kunstgriff, den er schon in den "Spuren der Verirrten" praktizierte. Damals stellte er dem Drama den Totenschein aus, diesmal gewährt er der Familien- und Geschichtstragödie freien Lauf und trägt das öffentliche Kurzzeitgedächtnis und das geschrumpfte österreichische Erinnerungsvermögen zu Grabe. Zuweilen schlägt Handke seine pathetischen Obertöne an, mitunter verblüfft er durch Sprachverniedlichungen, etwa wenn die Nazis als "Raumverdränger" firmieren oder ein Familienangehöriger als "Obstgartenflüchtling".
Ruhmesblatt, vergilbt
Bei diesem "Flüchtling" handelt es sich um Handkes Onkel Gregor, der sich den slowenischen Widerstandskämpfern in Kärnten anschließt. Dass Handke in seinem Stück von der wahren Familienchronik abweicht (sein Onkel Gregor fiel 1942 in Russland) und aus Feldpostbriefen von ihm zitiert, mag Biografen und Historiker beschäftigen, es ändert nichts am Wortsturm, den Handke gegen das österreichische Kurzzeitgedächtnis richtet. Denn bei den Staatsvertragsverhandlungen in der Nachkriegszeit wurde dieser heroische und einzige kollektive Widerstand als Ruhmesblatt für das Aufbäumen gegen die Nazis angeführt. Das Blatt ist längst vergilbt, die Realität sieht, man denke an den endlosen Ortstafelstreit, anders aus.
Dennoch können sich Kärntens Politiker, darunter der Landeskulturreferent, der lustvoll betont, nie Bücher zu lesen, in entspannter Ignoranz üben. Mit aktuellen Kärntner Zustandsbildern hat Handke nichts im Sinn. Er betreibt impulsiv, wehmütig, letztlich resignativ, weiterhin seine "Vorfahrenvergegenwärtigung" und lässt, nach Gregors letztem rhetorischen Kahlschlag ("Was schreit auf den Bänken, und faßt mich an gegen meinen Willen, und rumpelt und kracht, und tobt und brüllt, und tost und lärmt, daß es schon lange nicht mehr schön ist?" - "Die Menschheit!") am Ende in Endlos-Version seine Leibhymne erklingen: das Lied vom "Weltverdruss".
Das Stück wird, nach Claus Peymanns Absage, nun 2011 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt. Etliche heimische Politiker im Saal werden gewiss so reagieren, wie sie es für angebracht halten: applaudierend, stürmisch vielleicht sogar. Womit sie zumindest dem Titel des Stücks Genüge tun.
Peter Handkes Partisanenstück wird 2011 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt
NEWS: "Stück ist die Krönung eines Lebensthemas"
Salzburgs Schauspielchef Obereder ist euphorisch
Peter Handkes viel diskutiertes Stück „Immer noch Sturm“ über den Widerstand der Kärntner Slowenen im Nazi-Reich wird am 12. August 2011 im Rahmen der Salzburger Festspiele auf der Perner Insel uraufgeführt. Das bestätigt Salzburgs Schauspielchef Thomas Oberender in der morgen erscheinenden NEWS-Ausgabe. Der renommierte bulgarische Regisseur Dimiter Gotscheff wird die Koproduktion mit dem Hamburger Thalia Theater inszenieren.
Die Uraufführung war eigentlich für Februar am Burgtheater veranschlagt, scheiterte aber an einem Zerwürfnis zwischen Handke und dem vorgesehenen Regisseur Claus Peymann. Oberender, der dafür ein anderes Projekt zurückgestellt hat: „Das Stück ist die Krönung eines Lebensthemas: ein Autor, der sich seine Heimat nur erschreiben kann. Darüber hinaus ist das Stück eminent politisch, auch in seiner Haltung zu Europa: Es geht um ein Volk, das nie zu den Siegern der Geschichte zählte, das um seine Sprache, seine Identität kämpfen musste. Gleichzeitig ist es Handkes vielleicht persönlichstes Stück: Sein Ich-Erzähler trifft die Geister seiner Vorfahren und erlebt ein Familiendrama, das auch ein Drama europäischer Geschichte ist. Es ist ein großes homerisches Epos, in dem Homer die von ihm erfundene Welt selber betritt. Der Erzähler begegnet seiner Mutter als junger Frau und sieht sich selbst in ihrem Bauch heranwachsen. Wo als auf der Bühne können Sie das erleben?“ Noch mehr Infos zum Thema finden Sie in NEWS 38/10
Das Jaunfeld, im Süden Österreichs, in Kärnten: Dort versammeln sich um ein »Ich« (oder steht es eher am Rande?) dessen Vorfahren: die Großeltern und deren Kinder, unter ihnen die eigene Mutter. Sie erscheinen ihm, da sie ihn bis in die Träume begleiten, in einer Vielzahl von Szenenfolgen, in denen sich die unterschiedlichsten Spiel- und Redeformen abwechseln – ein Panorama, das weit über alle literarischen Genres hinausreicht und sie sich zugleich anverwandelt. Gestaltet Peter Handke eine beispielhafte Familientragödie in Szenen? (Immerhin sterben zwei der Brüder in den vierziger Jahren.) Erzählt er anhand einzelner Stationen das Epos eines Volkes, der Slowenen? (Von ihnen ging der einzige bewaffnete Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime innerhalb dessen ursprünglicher Grenzen aus.) Entwirft er das Geschichtsdrama der ewigen Verlierer (die einmal die Historie auf ihrer Seite wähnten und doch nichts erreichten)? Oder wendet er sich, erzählend-dramatisch, zurück zur eigenen Biographie, deren Voraussetzungen und Folgen? Im neuen Buch von Peter Handke durchdringen sich Prosa und Drama, Theatralisches und Poetisches, Geschichtliches und Persönliches, und so wird am Ende doch fraglich, ob der überlebende Bruder der Mutter wirklich das letzte Wort hat: »Es herrscht weiterhin Sturm. Andauernder Sturm. Immer noch Sturm. Ja, wir haben das Unrecht begangen – das Unrecht, hier, gerade hier, geboren zu sein.«
Er spielt wieder den Mephisto und bedauert die Peymann-Handke-Absage.
Die gute Nachricht zuerst: Gert Voss kehrt am Samstag, 8.5. als Mephisto in Faust I nach sieben Monaten Pause auf die Bühne zurück. Der König des Burgtheaters hatte sich am 26.September in einer Faust-Vorstellung bei einem Sturz aus vier Meter Höhe einen Trümmerbruch des rechten Beins zugezogen. „In der Walpurgisnacht-Szene, wo es heißt: ,Der ganze Strudel strebt nach oben‘, habe ich mich an einen hinauffahrenden Würfel gehängt, da ist der Unfall passiert“, erzählt Voss. „Als wir nun bei der Probe zu dieser Stelle kamen und ich den Würfel berührte, schrien die Techniker sofort: ,Hände weg!‘“
Nun die schlechte Nachricht: Claus Peymann hat seine für Februar geplante Uraufführung von Peter Handkes Drama Immer noch Sturm, in der Gert Voss die Hauptrolle spielen sollte, abgesagt. „Das ist sehr schade“, sagt Voss, der geniale Protagonist der wesentlichen Peymann-Erfolge am Burgtheater. „Peymann hat mir geschrieben, dass Handke und er übereingekommen wären, das Stück nicht zusammen zu machen. Er ist traurig darüber, auch weil er so gern wieder mit mir gearbeitet hätte. Ich bin auch traurig, ich hatte mich auch auf die Arbeit mit Peymann gefreut.“
Berlin - Peter Handkes neues Werk hatte schon eine spektakuläre Geschichte hinter sich, lange bevor es jetzt auf den Markt kam. Claus Peymann, der «Papst» unter den deutschen Theatermachern, wollte das neue Stück seines langjährigen Freundes Handke als Gastspiel am Wiener Burgtheater uraufführen. Doch Regisseur und Autor zerstritten sich, der Plan wurde gekippt.
Jetzt hat Handke (67), der große Provokateur unter den deutschsprachigen Dramatikern, sein Stück «Immer noch Sturm» in einer Buchfassung bei Suhrkamp herausgebracht. Und der Wunsch des gebürtigen Kärnters nach einer Uraufführung in Österreich wird doch noch wahr: Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass der «Sturm» unter der Regie des Bulgaren Dimiter Gotscheff im August 2011 bei den Salzburger Festspielen Premiere feiert.
Die Buchfassung ist eine packende und zugleich poetische Zeitreise in Handkes Familiengeschichte. Als Ich-Erzähler begegnet er in Szenen zwischen Traum und Wirklichkeit seiner Mutter, ihren vier Geschwistern und den Großeltern, die als slowenische Minderheit in Kärnten leben.
Zwei der Geschwister schließen sich angesichts der Verfolgung durch die Nazis im «Großdeutschen Reich» dem bewaffneten Widerstand einer Partisanengruppe an. Die Auseinandersetzung mit diesem Teil der Familiengeschichte wird zugleich zur Frage an den nachgeborenen «Kümmerer». «Nicht ich lasse Euch nicht in Ruhe. Es lässt mich nicht in Ruhe, nicht ruhen», sagt er einmal.
Malte Herwig, dessen Handke-Biografie «Meister der Dämmerung» demnächst erscheint, nennt das Buch ein «großes Alterswerk im besten Sinne». Und Thomas Oberender, der Schauspielchef der Salzburger Festspiele, sagte: «Es ist ein großes homerisches Epos, in dem Homer die von ihm erfundene Welt selber betritt.»
Freilich, vieles ist nicht erfunden: Der heute in der Nähe von Paris lebende Autor wurde 1952 im kleinen Ort Griffen in Südkärnten geboren. Seine Mutter war Slowenin, sein verschwundener Vater ein deutscher Wehrmachtssoldat. Von ihm erfährt Handke erst, als er kurz vor dem Abitur steht.
Hauptfigur im Buch ist sein Pate und ältester Onkel Gregor, der 1942 an der Ostfront fiel. Er hatte eine Schlüsselrolle in der Familie und kommt als literarische Figur bei Handke immer wieder vor. In «Immer noch Sturm» schließt er sich den Partisanen an, für die nach 1945 der «frische Frieden» bald in einen faulen umschlägt.
«Einmal die Heimat verloren - für immer die Heimat verloren. Es herrscht weiterhin Sturm. Immer noch Sturm», sagt der Onkel in der Passage, die dem Stück den Titel gab. Wenngleich aus anderer Perspektive, so klingt hier erneut das Thema an, mit dem Handke sich Mitte der 90er Jahre politisch ins Zwielicht brachte. Auch seine damals so umstrittene Parteinahme für Serbien entsprang letztlich der Idee eines Vielvölkerstaats Jugoslawien.
Spannend an dem gerade mal 166 Seiten starken Buch ist aber nicht nur die Verschränkung von Familien- und Weltgeschichte, sondern auch die literarische Form. In einer Mischung aus Drehbuch und Roman entwickelt Handke seine Szenen in dichten, wortgewaltigen Dialogen, die sein «Ich» mit den familiären Traumgestalten führt. Zum Schluss bleibt der sich selbst genügenden Familie als Wahlmöglichkeit nur, ihren «Weltverdruß»-Walzer einmal als Polka zu singen. «Zwar auch nicht gerade Zukunftsmusik, aber naja ...»
Neues Stück, neues Buch, neue Biografie "Wo soll ich sonst sein, als auf der Seite der großherzigen Verlierer?" fragt sich Peter Handke im Exklusivinterview mit dem kultur.montag und nimmt damit auch auf seine jüngste literarische Arbeit Bezug.
"Immer noch Sturm" heißt sein neues Theaterstück, bei den Salzburger Festspielen 2011 wird es seine Uraufführung erleben, als Buch ist es bereits Platz 1 der ORF Bestenliste.
Peter Handke erzählt darin von einer slowenischen Kleinhäusler-Familie in Kärnten während der Nazi-Zeit. Man verbietet ihr den Mund, man droht, sie auszusiedeln – sie formiert sich zum Widerstand gegen das Terrorregime. Als die Barbarei endet, bricht der Kalte Krieg los: Die Ritter der neuen freien Welt machen bald gemeinsame Sache mit den ehemaligen Tätern. Die Helden der Résistance: allzu schnell vergessen, wieder Verlierer.
Das Stück ist hart an Handkes eigenen Lebenslinien geschrieben. In seinem Garten bei Paris erzählt er Katja Gasser vom unauslöschlichen Eindruck seiner ersten Leseerlebnisse: die Feldpostbriefe seiner slowenischen Onkel.
"Eine universelle und gleichzeitig eine Kärntner Geschichte" wollte er schreiben, sagt Peter Handke. Im Mittelpunkt: eine "Fiktion seiner Person" ein Ich, von dem Peter Handke erzählt: "Ich war ein Bub und ich habe wirklich nur Bahnhof verstanden. Meine Mutter hat mit mir manchmal, um mich zu provozieren, Slowenische gesprochen, aber eigentlich nur um mein blödes Gesicht zu sehen."
Leidenschaftlich und poetisch
Das "Ich" hat Peter Handke in seinem Stück unter Anführungszeichen gesetzt. Ein Chronist wollte er sein, sagt er, und der erzählt von seinen slowenischen Vorfahren im Widerstand gegen das Nazi-Regime - leidenschaftlich und poetisch zugleich.
Der Schauplatz: Das Jaunfeld in Südkärnten, das alte Siedlungsgebiet der Kärntner Slowenen. Es treten auf: die Mutter, die Großeltern, Ursula, die Schwester der Mutter, und die Brüder der Mutter: Benjamin, Valentin und - Gregor.
Gregor hieß auch der Onkel von Peter Handke, der sich im Zweiten Weltkrieg den Partisanen anschloss und seither verschollen ist und der für seine Mutter eine wichtige Bezugsperson war.
"Dadurch, das ihr ältester Bruder, den sie sehr geliebt hat, Gregor Sievets, so hieß er, Gregor der Graue könnte man das übersetzen, im Krieg gerade für Hitler, das war die Tragödie der Familie, gefallen war, hatte sie keine Person mehr mit der sie das Slowenische, seelisch weiter schwingen lassen hätte können", erzählt Handke.
Was ist Sprache?
"Immer noch Sturm". In seinem Stück sei es ihm um die großen Fragen gegangen: "Was ist Krieg? Was ist Familie? Was ist Landschaft? Und was ist - vor allem - Sprache?"
"Im sogenannten Unterkärnten oder Südkärnten wo auch Slowenisch gesprochen wurde oder wird, da waren glaube ich 90 Prozent slawisch. Wie das meine Großelter ihre eigenen Sprache bezeichnet haben, was man vor Slowenen nicht sagen darf, Windisch, ein slowenischer Dialekt, der war überall präsent und hat die Luft rhythmisiert", sagt Handke.
Uraufführung in Österreich geplant
In Österreich soll sein Stück uraufgeführt werden wünscht sich Peter Handke, und es sollte hier auch Dauer haben. Die Peymann-Inszenierung wäre als Gastspiel nach kurzer Zeit wieder zurück nach Berlin gewandert und Peymann sei es nur um Taktik und Strategie gegangen, sagt Peter Handke - das habe ihn verletzt.
Als Theaterautor ist man heutzutage fast fehl am Platz. Ich spüre mich immer zwischen der alten Theaterschreibegilde, die es ja überhaupt nicht mehr gibt, und den Neueren. Ich bin da irgendwo in einem Zwischenbereich, wo ich mich durch fantasiere und doch immer denke an Schauspieler. Ich denke immer an Körper, ich denke an Menschen die reden. Ich denke an Existenzen, an Widerreden, ich denke was ist das Drama, auch wenn es nur eine Sekunde dauert. Ich bin ein Schriftsteller, ich habe keine Ideologie, ich habe nur Probleme.
Im kommenden Jahr soll "Immer noch Sturm" voraussichtlich doch auf die Bühne kommen. Interesse an der Uraufführung hat Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann ebenso bekundet wie die Salzburger Festspiele.
Gemunkelt wurde schon länger, Anfang der Woche meldete das Berliner Ensemble knapp: Peter Handke und Claus Peymann hätten die Zusammenarbeit für die im Februar 2011 geplante Uraufführung von "Immer noch Sturm" (Storm still") aufgegeben. Der Dichter wollte Schauspieler mit Handke-Erfahrung wie Gert Voss, Adam Oest und Martin Schwab. "Nicht ideal" findet Handke auch, dass die Produktion bald nach der Uraufführung am Wiener Burgtheater nach Berlin gegangen wäre. Der Theatertext erzähle eine "universelle, aber Kärntner Geschichte", und die sollte "quer durch Österreich" gezeigt werden.Wie geht es denn mit Ihrem Stück jetzt weiter?
PETER HANDKE: Ja, das möchte ich auch wissen. Es muss bald entschieden werden, denke ich. Und es sollte schon in Österreich sein.
Was ist mit Ihrem Wunsch nach einer Uraufführung in Kärnten in der Regie von Martin Kuej?
HANDKE: Das war vielleicht naiv. Natürlich hätte ich den Wunsch gehabt nach einer Uraufführung in Kärnten, aber es gibt am Theater in Klagenfurt keine Tradition für meine Stücke. Am Burgtheater sind zumindest 15 Stücke uraufgeführt worden, da gibt es die Schauspieler und es ist ein Ort. Nichts gegen Klagenfurt, aber ich wiederhole mich: Da gibt es keine Tradition. Ich glaube, der Intendant ist ein freundlicher Mann, aber ich habe natürlich Kenntnis von dem Interview, in dem er das Stück ein Produkt nennt. Das hat mich schon ein bisschen befremdet, dass er sagt, er kennt "das Produkt" noch nicht.
Das Produkt, also "Storm still", kennen ja nur wenige.
HANDKE: Aber das Wort: Produkt! Das hat mich auch daran erinnert, dass Kuej zu mir beiläufig gesagt hat, in München kann man so eine Art österreichischer Stücke schon nicht mehr verkaufen. Das befremdet mich halt.
Martin Kuej sagte, er sei nach langen Gesprächen zur Auffassung gelangt, mit Ihrem Text müsse ein Regisseur arbeiten, der eine Ahnung davon hat, wovon Sie hier überhaupt schreiben.
HANDKE: Ahnung ist wichtig. Claus Peymann - ich versteh das ja, er ist ja bald ein älterer Herr -, er hätte das ungelesen genommen. Ich habe vermisst, dass er mir erzählt, was in ihm vorgegangen ist, als er das Stück gelesen hat. Aber es ging sofort nur darum: Wo machen wir das? Mit wem? Hat der Schauspieler blonde Haare? Wie alt ist er? Ah 23 Jahre! Hinkt er? Er wollte so eine Art Schwanenkrächzgesang machen. Es ging nur um Taktik und Strategie: Wo macht man es, mit wem, gegen wen? Das hat mich verletzt.
Kuej prophezeite, Peymanns Inszenierung wäre eine Weichspülerversion geworden?
HANDKE: Naja, Kuej mit seinen Sprüchen. Ich verstehe mich gut mit ihm und er hat das Stück auch gehabt. Er hat sich wochenlang nicht gerührt. Unsereiner hat halt schnell eine Antwort gegeben, wenn man begeistert war, oder auch im umgekehrten Sinn, wenn man empört war. Für mich ist das Stück jetzt erst recht kostbar. Ich habe es zum ersten Mal selber richtig durchgelesen.
Man hört, Sie haben es etliche Male überarbeitet und es sei immer länger geworden?
HANDKE: Ich wollte es erst kürzen, und eigentlich habe ich es verlängert. Ich habe jetzt alle Feldpostbriefe der Brüder meiner Mutter noch einmal studiert und exzerpiert und mir gedacht, da muss noch einiges vorkommen von der Kärntner Sprache. Das habe ich noch eingebaut. Es ist eine universelle, aber Kärntner Geschichte.
Die Bezeichnung "Partisanenstück" ist demnach eine sehr verkürzte Darstellung für diesen Text.
HANDKE: Unbedingt. Es ist ein Stück zu vielen Fragen: Was ist Krieg? Was ist Familie? Was ist Landschaft? Was ist Zwist in Familien? Und was ist - vor allem - Sprache? Ja, es kommen doch mehrere slowenische Passagen vor.
It apppear that Malte Herwig has read IMMER NOCH STURM: Als "großes Alterswerk im besten Sinne" hat dieses neue Drama Malte Herwig beeindruckt, dessen Handke-Biografie demnächst bei dva erscheint. So ist Herweg auch berufener Erklärer der familiären Hintergründe des Textes, den er als "zwischen Lyrik und Epos traumwandelnd" beschreibt, und als historisches Traumspiel über den Kärntner Widerstand und die Geschichte von Peter Handkes Familie. Protagonist dieses "Traumstücks" sei Handkes Onkel und Taufpate Gregor Siutz, der an seinem 30. Geburtstag 1943 im Zweiten Weltkrieg gefallen sei, und dessen Vorname bereits in früheren Handke-Texten auftauchte. Als Personal treten Herwig zufolge die Großeltern Handkes, die Mutter, ihre Brüder und eine Schwester auf, und sprechen auch mit dem "Ich", das die Szene am Rande beobachte: "Was willst Du von uns? Nachfahr? Wir haben doch verloren." .. Intensely autobiographical it seems, I know all about that, and that those letters from the uncle Gregor was one of the impulses to become a "postage stamp" heirloom! "! x michael r/
Onkel, Tante und andere Verwandte Peter Handke betreibt Familienmythologie und findet seinen Biografen
Keine Kämpfe in den Bergen und keine gefeierten Heroen des Widerstands. Jenes „Partisanenstück“, als das es angekündigt war, ist Peter Handkes neues Stück nicht. Nach der Veröffentlichung des Textes zeigt sich jetzt allerdings: So viel (österreichische) Geschichte wie in „Immer noch Sturm“ war bei diesem Autor bislang auch noch nicht. Die Ich-Figur des Dramas fasst die Schreibmotivation zusammen: „Seit langem lese ich nur noch Geschichtsbücher. Die Geschichte unserer Gegend und unserer Leute hier.“ „Und was bringt dir so ein Lesen? Was kannst du davon gebrauchen? Was nützt es dir?“, fragt die Mutter zurück. Darauf die Antwort: „Nützen: nichts. Gebrauchen: sehr wenig. Es macht einen hilflos. Und es bringt mich in Wut.“
Empörung löst hier vor allem die Tatsache aus, dass den Kärntner Slowenen, die in Österreich den einzig nennenswerten Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime organisiert und getragen hatten, der ihnen dafür zustehende Platz in der Geschichte verweigert wurde. Gemeint ist also vor allem die österreichische Nachkriegsgeschichte, sind damit auch die britischen Besatzer, die bei Handke nun (ganz anders als etwa bei Ingeborg Bachmann) nicht als Befreier, sondern als erste und neue Unterdrücker des Slowenischen in Kärnten gesehen werden. Auch an ihnen rächt sich der Autor auf seine Weise: Ohne dass diese etwas dafür können, werden in einer langen, ohnmächtigen Suada der Reihe nach britische Fußballklubs verflucht. „Daß die Tottenham Hotspurs kalt abgeschossen werden und spurlos verschwinden. Dass Manchester United auseinanderfällt in Staubpartikel.“ Die Ich-Figur, die dies sagt, nimmt sich vom Autor jede Menge, und die Behauptung, dass es Handke selbst sei, der hier durch den Text spricht, ist wohl nicht allzu vermessen. Mitten hinein in die Geschichte seiner eigenen Familie stellt sich der Autor in dem Stück, zunächst ins Jahr 1936 (als einer aus der Sippe seinen glücklichsten Tag erlebt), dann in die Kriegsjahre 1942/43, und schließlich ist der von Beginn an als erwachsen gedachte Sohn noch im Jahr 1948 inmitten seiner Verwandtschaft zu sehen. Eingebunden in Gespräche, die ihm gleichsam retrospektiv seine Legitimation als Schriftsteller verleihen, denn an ihm ist es, all das aufzuschreiben: die Geschichte der eigenen Familie und jene der Kärntner Slowenen. Der Handlungsort des Stehdramas (auf die Bühnenumsetzungen kann man gespannt sein) könnte unspektakulärer nicht sein: eine hölzerne Sitzbank im Jaunfeld, nicht weit weg von Handkes Geburtsort Griffen, in einem Kerngebiet der slowenischen Besiedlung. Mit guten Gründen hätte die Geschichte der Kärntner Slowenen auch als Heldengeschichte erzählt werden können, und mit noch besseren Gründen vermeidet Handke eine solche Darstellungsform. Was der Volksgruppe in „Immer noch Sturm“ bleibt, ist eine stumme Präsenz, die Handke am Ende des Stücks allerdings mit höchstem poetischem Nachdruck umgesetzt hat. Da drohen die slowenischen Figuren in der Masse all jener zu verschwinden, die plötzlich die Bühne von allen Seiten her bevölkern. Die Musik, die in diesen Momenten gespielt wird, kennt man aus früheren Werken des Autors; der Weltverdrusswalzer, den es schon im „Wunschlosen Unglück“ gab, wird diesmal jedoch als Polka intoniert. So entwickelt sich aus dem Lied ein Tanz gegen die Geschichte, genau so hartnäckig gegenwärtig wie die kleinen Gesten, mit denen sich die immer spärlicher vorhandenen Slowenen artikulieren – kleine Fingerzeige, die nichts anderes zu sagen haben als schlicht und einfach: „He, ich bin noch da!“ – „Und ich auch.“ – „Und ich auch.“
Rechtzeitig zum neuen Stück, einem so unmittelbar autobiografischen Text des Autors wie wenige andere, ist jetzt auch eine neue Handke-Biografie erschienen. Der Journalist Malte Herwig hat dazu nicht nur in den Vorlassbeständen des Autors in öffentlich zugänglichen Archiven recherchiert und mit zahlreichen Weggefährten und -gefährtinnen gesprochen, sondern sich und seinem Buch „Meister der Dämmerung“ auch ganz neue Quellen erschlossen wie beispielsweise die Briefe, die der Dichter, aber auch seine Mutter noch in späten Jahren an Handkes leiblichen Vater Erich Schönemann geschrieben haben. Interessant in Bezug auf „Immer noch Sturm“ ist auch jenes Kapitel der Biografie, das sich mit Handkes Kärntner Herkunftsfamilie auseinandersetzt, denn in ihm treten die Umschreibungen, die der Autor an der eigenen Biografie unternimmt, klar zutage. Zwei seiner Onkel, die in Wahrheit zur deutschen Wehrmacht eingezogen wurden und an der Ostfront gefallen sind, macht Handke in „Immer noch Sturm“ ebenso zu Kärntner Partisanen wie eine Schwester der Mutter, die die „Schneeige“ genannt wird. Zentrale Bedeutung für sein gesamtes literarisches Werk hat der eine der beiden Onkel: Gregor Siutz, der nach der von ihm geliebten Apfelsorte im neuen Stück mit dem Tarnnamen „Jonatan“ versehen wird, ganz so, als ob das Paradies hier gleich neben der Kriegshölle läge.
In seinem wirklichen Leben hat Handkes Onkel Gregor in den 30er-Jahren die Landwirtschaftsschule in Maribor besucht. Das von ihm handschriftlich verfasste Lehrbuch über den Obstbau hängt heute im sogenannten Herrgottswinkel von Handkes Haus in Paris und wird Besuchern gerne als biografisches Schaustück präsentiert. In der Familie aus „Immer noch Sturm“ wird das Buch wie ein Evangelium herumgereicht. Der Tonfall, in dem die nicht zum ersten Mal bemühte Familienmythologie hier zur Sprache kommt, ist freilich bedeutend zurückhaltender als davor und diesmal eben auch historisch grundiert. Wobei es sich mit der Geschichte im Stück so ähnlich verhält wie bei Shakespeare, nämlich so, als wäre sie im Nachhinein als Traum erinnert. Aus dem „King Lear“ hat Handke denn auch den Titel von „Immer noch Sturm“ entnommen. „Storm still“, heißt es in einer Regieanweisung aus dem dritten Akt, als der alte König allein über die Heide irrt. Etwas von dieser poetischen Genauigkeit, die geeignet ist, alle Liturgien auf den konkreten Menschen zu beziehen, hätte man sich auch von Herwigs Biografie gewünscht. Denn so verdienstvoll dieses Buch in seinen vielen Details und meist sorgsam recherchierten Fakten ist, werden aus dem Leben von Peter Handke hier vielleicht doch etwas zu viele Sensationen (Herkunft, Frauen, Schaffenskrise) gewonnen, wobei sich der Autor gerade beim „heiklen“ Thema Serbien um größtmögliche Objektivität bemüht. Ab und zu aber, so scheint es, spricht nicht nur aus dem Werk, sondern auch aus dem Leben von Peter Handke eine etwas feinere Stimme. In aller Bescheidenheit und ganz dezidiert: „He, ich bin noch da!“ ===================================
Handke o Slovencih, "ljudstvu, ki se ni nikoli štelo med zmagovalce"
Nova drama Petra Handkeja
23. september 2010 ob 12:02 Salzburg - MMC RTV SLO/STA
Nova drama Petra Handkeja Immer noch Sturm (Še vedno vihar) bo avgusta naslednje leto krstno uprizorjena na salzburškem poletnem festivalu.
Sprva je bila premiera predvidena za Dunaj, kot koprodukcija Burgtheatra in Berliner Ensembla. Režiral naj bi jo Claus Peymann.
Vodja dramskega programa salzburškega festivala Thomas OberenderDimiter Gotscheff, njen koproducent pa bo Thalia Theater iz Hamburga. Drama, katere dogajanje bolj spominja na prozo kot na gledališke dialoge, je v knjižni obliki izšla pri založbi Suhrkamp. je povedal, da je odločitev za krstno predstavo 12. avgusta 2011 v Salzburgu na otoku Perner padla pred kratkim. Predstavo bo režiral
Immer noch Sturm je mešanica družinske tragedije in zgodovinske drame. V Podjuni na Koroškem se okoli osrednjega lika, Jaza (Ich) srečajo mati, stari starši in drugi družinski člani. Gre za zgodovino njegovega ljudstva, Slovencev, in njihovega upora znotraj nacionalsocializma.
Handkejeva najosebnejša igra"Igra je krona življenjske teme: avtor, ki si domovino lahko zgolj pripiše. Iz tega izhaja, da je igra eminentno politična, tudi v svoji drži do Evrope: gre za ljudstvo, ki se nikoli ni štelo med zgodovinske zmagovalce in ki se je moralo bojevati za lastni jezik in lastno identiteto," je povedal Oberender.
"Obenem je to morebiti Handkejeva najosebnejša igra: njegov Jaz -ripovedovalec se sreča z duhovi svojih prednikov in doživlja družinsko dramo, ki je tudi drama evropske zgodovine. To je velik homerski ep, v katerem Homer vstopa v svet, ki ga je sam ustvaril," je bil še velikopotezen Oberender.
Koroški epos"Če že pišem dramo, potem bom šel na vse in bom na dolgo in široko, z ostrino in rezko popisal zgodovino nekega naroda," je pisatelj, ki živi v Parizu, lani povedal v intervjuju za avstrijski tednik News. Dramo je opisal še kot "dolgo, epsko igro, način 'pripravljanja na nesmrtnost', skorajda koroški epos."
Zgodbe o partizanih na avstrijskem Koroškem se je Handke lotil s prepričanjem, da je lahko poučna za ves svet. Pasivni odpor proti nacizmu je bilomed koroškimi Slovenci čutiti že od leta 1938, aktivni odpor pa od jeseni naslednjega leta. Odporniško gibanje na Koroškem je bilo tudi edino na ozemlju samega nemškega rajha. Nanj se je Avstrija sklicevala pri mirovnih pogajanjih po koncu vojne in prav zato ji je uspelo dobiti status prve žrtve fašizma. Sklicevanje na ta odpor pa ji je koristilo tudi pri vzpostavitvi demokratične države.
A. J.http://www.rtvslo.si/kultura/oder/handke-o-slovencih-ljudstvu-ki-se-ni-nikoli-stelo-med-zmagovalce/239938
Leicht wird es Uraufführungsregisseur Dimiter Gotscheff mit Peter Handkes neuem Stück "Immer noch Sturm" nicht haben. Das kommt einem bei der Lektüre des Textes, der soeben im Suhrkamp Verlag erschienen ist, bald in den Sinn. Es ist eine Mischung aus Prosa und Dialogen, für die der Autor eine konkrete Bühnenvorstellung hat. Eine Heide oder Steppe, einen Apfelbaum, "behängt mit etwa 99 Äpfeln", und eine "zeitlose" Sitzbank. Die dramatischen Ereignisse jedoch ereignen sich nicht im Lauf der Handlung, sondern werden nacherzählt. Leicht werden es dagegen die Salzburger Festspiele haben, für diese Koproduktion mit dem Thalia Theater Hamburg großes Interesse zu wecken. Denn es ist ein starker, aufwühlender Stoff, dem sich Handke widmet, gleichzeitig hoch politisch wie tief privat. Der seit langem in Frankreich lebende gebürtige Kärntner befasst sich mit der eigenen Familiengeschichte, lässt neben einer "Ich"-Figur seine "blutjunge" Mutter, seine Onkeln, Tanten und Großeltern auf der Bühne auftreten, aus der Geschichte und dem Jenseits herbeigebeten vom Autor selbst: "Da seid ihr nun, Vorfahren. Die längste Zeit schon habe ich auf euch gewartet. Nicht ich lasse euch nicht in Ruhe. Es lässt mich nicht in Ruhe, nicht ruhen." Am Jaunfeld lädt das "Ich" seine Vorfahren zum Erzählen ein, spricht und diskutiert mit ihnen und veranstaltet eine Zeitreise, die ins Jahr 1936 ("unser glücklichstes Jahr"), ins Jahr 1942 und hin zum unmittelbaren Kriegsende führt. Die slowenische Familie der Mutter, die von einem Deutschen ein Kind bekommt, gerät mitten hinein in ein großes Drama um Weltkrieg und Widerstand. Zwei Brüder der Mutter sterben als Soldaten an der Front. Dass Handke in seinem Stück ganze Passagen aus Feldpostbriefen seines Taufpaten Gregor Siutz, der nur ein Jahr nach Peter Handkes Geburt auf der Halbinsel Krim fiel, zitiert, hat Malte Herwig, dessen Handke-Biografie "Meister der Dämmerung" in Kürze bei der Deutschen Verlags-Anstalt erscheint, jüngst in der Wochenzeitung "Die Zeit" beschrieben. Der älteste Bruder und die Schwester der Mutter gehen in den Widerstand, kämpfen in den Wäldern als Partisanen gegen die "Schwaben" genannten deutschen Truppen. Die Schwester stirbt, der Bruder überlebt - und muss miterleben, wie sehr sich die slowenischen Widerstandskämpfer nach Kriegsende von den Siegermächten und von der neuen österreichischen Regierung verraten fühlen. Laut Malte Herwig ist die persönliche Beteiligung der Familie an den Partisanenkämpfen dichterische Freiheit, nicht historische Wahrheit. Doch für das Stück ist dies nicht von Belang. Handke gelingt es immer wieder, Poesie in das Geschehen zu bringen, ohne den tiefen Schmerz zu verleugnen. "Immer noch Sturm" ist mit Sicherheit das persönlichste Stück Handkes und transportiert mühelos große Gefühle. Ebenso sicher ist eine Herausforderung für die szenische Umsetzung. Und schon jetzt einer der vorprogrammierten Höhepunkte der Salzburger Festspiele 2011. INFO: Peter Handke: "Immer noch Sturm", Suhrkamp Verlag, 166 Seiten, 16,40 Euro, ISBN 3-518-42131-X.
Den kompletten Shakespeare an einem Abend? Nicht weniger vermessen erscheint es, den ganzen Handke in ein Buch zu packen (an die 80 Publikationen). Genau das aber tut Peter Handke jetzt selbst und braucht dafür gerade mal 166 Seiten.
Sein neuer Text ist ein alle Gattungen übergreifendes Opus Magnum. Ein sprachgewaltiges Alterswerk. Es hat die epische Dimension eines Romanes, die lebhaften Dialoge eines Theaterstückes und den klingenden Rhythmus eines Gedichtes, der erst beim lauten Vorlesen richtig zur Geltung kommt. Nebenbei erscheint es als eines der persönlichsten Bücher des 1942 in Kärnten geborenen Handke. „Immer noch Sturm“, heißt es, und es ist eine schöne Fügung, dass darin ausgerechnet ein Zitat aus Shakespeares „King Lear“ mitklingt.
Alles hebt an mit einem Szenario, wie es von Samuel Beckett stammen könnte und so dann doch nur wieder Peter Handke geschrieben haben kann. „Eine Heide, eine Steppe, eine Heidesteppe, oder wo. Jetzt, im Mittelalter, oder wann. Was ist zu sehen? Eine Sitzbank, eine eher zeitlose, im Mittelgrund, und daneben oder dahinter oder sonst wo ein Apfelbaum, behängt mit etwa 99 Äpfeln, Frühäpfeln, fast weißen, oder Spätäpfeln, dunkelroten.“
Auf der Bank sitzt das „Ich“. Akteur und Erzähler in einem. Von allen Seiten nähern sich Gestalten. „Da seid ihr nun, Vorfahren. Die längste Zeit schon habe ich auf euch gewartet. Nicht ich lasse euch nicht in Ruhe. Es lässt mich nicht in Ruhe, nicht ruhen. Ihr lasst mich nicht in Ruhe, nicht und nicht.“
Aus dem Nichts, nur aus Worten wird eine Welt geboren. Sätze nehmen Gestalt an, werden Gestalten. Wie er es seit dem Stück „Kaspar“ (1967) immer wieder getan hat, setzt Handke die alte, in Österreich mit Hofmannsthal gipfelnde Tradition der sprachkritischen Literaturlinie fort und führt exemplarisch die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Wortes vor. Im Kopf des Dichters entsteht ein Universum. Alles ist so, wie er es setzt. Könnte aber auch ganz anders gewesen sein.
Da sind die Großmutter und der katholische Großvater, in dessen Haus nicht einmal die Worte „Ich“ oder „Liebe“ ausgesprochen werden dürfen. Dann sind da die Kinder. Fünf an der Zahl. Gregor, Valentin, Ursula, Benjamin und die Mutter des Erzählers. Ein raunender Chor der Stimmen, der die Geschichte der Familie Handke anhand der Jahresmarken 1936, 1942 und 1945 Revue passieren lässt. Nicht jedes Ereignis ist belegt. Die Freiheit des Dichters hat immer die Obergewalt. Ort der Handlung ist das Janfeld, jene Gegend im Süden Österreichs, in der von der slowenischstämmigen Bevölkerung während des Dritten Reichs der einzige bewaffnete Widerstand gegen das NS-Regime innerhalb dessen anfänglicher Grenzen ausging.
Während Großmutter im Krieg die Feldpostbriefe ihrer zwangsrekrutierten Söhne auswendig lernt, geht die ältere Tochter „mit einem von den anderen“ und wird von dem deutschen Wehrmachtssoldaten auch noch schwanger. Sie geht ihn Suchen im Reich. Lässt ihr Kind zurück. Damit nicht genug. Zwei der drei Brüder fallen im Weltkrieg, die jüngere Tochter läuft zu den Partisanen über und stirbt wenig später im Zuchthaus. Abgrund, wohin man auch schaut.
„Später werde ich über das alles Genaueres schreiben.“ So endete 1972 Handkes Erzählung „Wunschloses Unglück“. Mit seinem neuen Buch setzt er genau da an und erzählt die Vorgeschichte seiner Familie. Es ist ein dichtes und doch nach allen Seiten offenes Werk. Eine „Expedition an Ort und Stelle“, wie es im Buch heißt. Motive aus allen Schaffensperioden Handkes schimmern auf und verblassen wieder. Der Dichter tritt wie im Spiegel sich selbst noch einmal gegenüber. Lotet seine schmerzende Entwurzelung aus, in dem er die Geschichte der Vorfahren und den erfolglosen Freiheitskampf der Slowenen in Kärnten erzählt.
„Einmal die Heimat verloren – für immer die Heimat verloren. Es herrscht weiterhin Sturm. Andauernder Sturm. Immer noch Sturm“, heißt es am Ende, bevor das „Ich“ in ein gellendes „Lied vom Weltverdruss“ einstimmt. Ja, so kennen wir Peter Handke, dessen Schwester sich schon zu Gymnasialzeiten über die Laune ihres Bruders beschwerte, wenn es mit dem Schreiben mal nicht so voranging. Bis heute hat sich daran nichts geändert.
Der Text sollte von Claus Peymann für die Bühne des Burgtheaters Wien inszeniert werden. Doch Peymann hat sich mit Handke, seinem alten Weggefährten, bei der Umsetzung zerstritten. Nun soll es Regisseur Dimiter Gotscheff für die Salzburger Festspiele richten. (Von Welf Grombacher) http://www.glanzundelend.de/Artikel/abc/h/handke_sturm.htm
Lothar Struck über Peter Handkes dramatische Epiphanien »Immer noch Sturm«
Ein Ich-Erzähler sitzt auf einer Bank auf einer Wiese, in der Heide, im Jaunfeld. Ein Apfelbäumchen behängt mit etwa 99 Äpfeln gibt ihm Schutz und er kommt ins Phantasieren, ins Heraufbeschwören. Aufmarsch der Vorfahren. Sie erscheinen ihm - oder er lässt sie erscheinen? Er ist der einzige, der sie noch träumt: Nicht ich lasse euch nicht in Ruhe. Es läßt mich nicht in Ruhe, nicht ruhen. Ihr laßt mich nicht in Ruhe. Im Laufe der Erzählung (oder ist ein Drama?) frischt der Wind auf, kommt von vorne, von hinten und von oben, wird zum Sturm (zum Erinnerungssturm sowieso). Und die Landschaft, die Kindsheimat, nein: die Bleibe, dieses wiedergeholte Kärnten verändert sich im Laufe dieser Ahnen-Epiphanien. Das ist mehr als nur die Suche nach den eigenen Wurzeln. Vielleicht ist "Immer noch Sturm" das wirkliche Nachtbuch Peter Handkes (und das vor wenigen Wochen erschienene ist nur ein Präludium).
Zeitreisen1936 ist die erste Station der Zeitreise, oder um was es sich handelt. Die blutjunge (spätere) Mutter, die Karawankenfranzösin, ansonsten namenlos; sechszehnjährig. Der Affensohn, das Fastkind Benjamin mit seiner wunderbaren Ekellitanei. Der selbstbewusste ältere Bruder Gregor, der Einäugige, von der Landwirtschaftschule kommend, mit seinem Werkbuch vom Obstbau; ein Apfelmensch. Valentin, der Mutterbruder. Die Schwester Ursula, die die anderen spüren läßt, daß sie nicht geliebt wird. Der Vater (des Erzählers Großvater) und dessen furiose Suaden wider das allzu schnelle und beliebige Gebrauchen der großen Worte. Und seine Frau, die Großmutter, die immer allen gut sein will.
Alle sind versammelt, schweigen zusammen, reden nacheinander, sich ins Wort fallend, widersprechend, miteinander die Zeit verklärend und so 1936 flugs als unser glückliches Jahrfestlegend und zwar trotz des großen Jammerns vor der leeren Vorratskammerwand, trotz der Knechte mit den Hungerlöhnen, trotz der Freigelassenen ohne Freiheit, trotz der Schlägereien selbst bei den Begräbnissen, trotz der Feinde innerhalb der friedlichsten Gemeinden. (Oder gerade wegen all dem?) Ein Jahr von Sonne und Schnee. Ein Jahr, in dem der zweite Bruder Werktag für Werktag mit unserem Vater von Bauer zu Bauer, quer über die Sau- oder Bleialpe als minderjähriger Wanderzimmermann zog. Und der jüngste Bruder ließ sich nicht von der Unkultur…verhexen und flüchtete aus dem Griechischen, dem Lateinischen, heim aus dem Deutschen, gleich heim in den Stall zu den seichenden, furzenden, scheißenden Tieren, nichts wie heim in den heimischen Dialekt […] unbeleckt von jeglicher Geisteskultur.
Weiter mit 1942. Die Sprache, die kein eigenes Wort für "ich" kennt, ist verboten worden; gilt alsUntermenschenkauderwelsch. Slowenisches wird in den Briefen der Soldaten geschwärzt. Die leeren Zeilen der Kartoffeläcker. Alle im Krieg. Benjamin, der Tundrajüngling, ist dank des Krieges erwachsen geworden. Gregors Briefe kennt des Erzählers Mutter auswendig. Sie rezitiert aus ihnen. Valentin, der andere Bruder, der Nordlichtsohn, langweilt sich in Norwegen: Wie sehne ich mich nach einer ordentlichen Arbeit, statt mich zu langweilen bis zum Endsieg! (Ironie, die kein Zensor erkannte.) Und im Dorf wird geredet. Die Tochter geht mit einem von den anderen. Es ist, so beteuert sie, Liebe. Aber ihr Vater will davon nichts wissen: Das Wort will ich nicht gehört haben. Noch niemand hat bisher bei uns hier von Liebe geredet. Und solange ich zu bestimmen habe, soll auch niemand hier so ein Wort in den Mund nehmen dürfen. Da zeigt die Tochter ihren runden Bauch: Etwas Schöneres als meinen Bauch hat unser Jaunfeld nur zu allen heiligen Zeiten gesehen!
Und dann, fast gleichzeitig, der Brief über Benjamin. Alle japsen mit, auch der Ungeborene. Benjamin ist tot. Die Worte vermodern beim Vorlesen (für Fürer und Fataland), das Entsetzen führt zum Verfluchen der Deutschländer und auch zum Verfluchen des iebeswurms der Schwangeren und erst die Großmutter ruft ihren Mann zur Ordnung, der resigniert feststellt: Du mit deiner ewigen Versöhnlichkeit. Mit deinem Friedenswahn. Friede auf Erden? Unmöglich. (Nicht einmal eine Sehnsucht nach dem Unmöglichen.)
Fiktionalisierungen des AutobiographischenGewiss - der Ich-Erzähler, der dem-Wind-Ausgesetzte und Sturm-Erzeugende, ist Peter Handke. Weit holt er aus. Zurück in eine Zeit, als er noch nicht geboren war. Statt des kindlichen Wunsches wie es nach dem eigenen Tod weitergeht phantasiert Handke herbei, was vor der Geburt war. Es ist eine der schönsten Stellen dieses Buches: die glückliche Mutter – so, wie der Sohn sie später selten oder nie erlebt hat. Aber sofort wird dies mit der Todesmeldung des jüngsten Sohnes konterkariert. (Nur keine Idylle aufkommen lassen.) Die autobiografischen Parallelen sind in dieser dramatischen Erzählung (oder ist es ein erzähltes Drama?) zunächst frappierend und werden oft nur notdürftig verfremdet. Etwa wenn die Familie Svinec (bzw., dann "eingedeutscht", Swinetz) heißt (statt Siveć bzw. Siutz).
Aber das ist – selbstverständlich – nicht alles deckungsgleich mit der Familiengeschichte, die Handke immer wieder in seinen Büchern fort- und umgeschrieben hat. Schon in seinem Erstling ("Die Hornissen") spielen Briefe von und Assoziationen über den im November 1943 gefallenen Bruder Gregor eine wichtige Rolle. In "Über die Dörfer", dem "dramatischen Gedicht", kehrt ein Gregor in seine Heimat zurück, die er nicht mehr wiedererkennt. Dann in der epischen "Wiederholung" die Suche von Filip Kobal nach dem vermissten Bruder Gregor und statt seiner das Finden eines Ortes, einer Landschaft, eines Arkadien. Der Gregor Keuschnig der "Stunde der wahren Empfindung" und dessen Wiederkehr als Autor der "Niemandsbucht". Und vor zwei Jahren in der "Morawischen Nacht": Die vergebliche (Selbst-)Suche nach eben diesem Keuschnig. Die Begegnung mit dem ("richtigen") Vater, dem "Sparkassenangestellten" (diese Formulierung hat Handke später bedauert); fast eine Versöhnung mit Deutschland (freilich hier, im Ahnenaufmarsch ohne diejenigen, die der Geschichte nicht würdig sind). Schließlich die Zwie- und Verzeihungsgespräche mit der Mutter.
Weltverdruss-PolkaIst demnach "Immer noch Sturm" nicht nur das angekündigte "Partisanendrama" zu Ehren der Widerstandsgruppen der Kärntner Slowenen, der "Grünen Kader", sondern erfüllt Handke hier auch das schon lange währende Versprechen aus "Wunschloses Unglück" "später…über das alles Genaueres" schreiben zu wollen? Und war doch tatsächlich am Ende der Erzählung von 1972 über den Freitod der Mutter von der "WELTVERDRUSS-POLKA" in den Musikboxen der Gegend die Rede, die nun im neuen Drama von der Sippe gemeinsam zum Abschluss lauthals und aus Leibeskräftengesungen wird, zwischendurch auch extra falsch (und, wie der Ich-Erzähler einräumt, sogar von ihm). Und es gibt diese Peripetie bei der Mutter: Vom noch keinmal traurig gewesen sein zum Es ist aus mit der Freunde. Dieser Umschwung betrifft nicht nur die Schwangere, sondern noch drei weitere Figuren im Stück – alle vier Kinder der Großeltern des Erzählers.
Die Brüche werden dialogisch-dramatisch aufbereitet mit Argument und Gegenargument. Welch' ein emphatisches Politikverständnis: Ja, gottgefällig zusammensitzen: das ist Tätigsein. Das ist Politik! Manchmal erinnert das an die neckischen Mauerschauer-Spielverderber-Wortspiele aus dem "Spiel vom Fragen", mal an ein griechisches Drama. Ursula, die Schwester, schließt sich den Partisanen an, geht in die Wälder zu den Versprengten, den Spärlichen. Und bei der Taufe des Wechselbalges, des Windelscheißer[s], Bankert[s] und Elefantenmenschen kommt es zur Aussprache zwischen der jungen Mutter, Valentin, dem Westmenschen und Gregor, der es Ursula gleichtun möchte und die Uniform der Wehrmacht schon verbrannt hat. Die Schwester rät Gregor ab, hat Angst vor den Sanktionen, die der Familie eines Deserteurs drohen könnten, den Lagern, in die die "Slowenen" zwangsumgesiedelt werden. Bewegend, wie Handke hier das Ringen nach dem richtigen Verhalten thematisiert, dramatisiert. Und wie die archaische Welt der Obst- und Milchbauern Kärntens durch die Weltpolitik förmlich aus den Fugen gerät (und, das kann vorweg genommen werden, nie mehr – oder nur für kurze Zeit – wiederhergestellt wird).
Zu den WaldmenschenBis auf die Tatsache, dass die junge Mutter mit ihrem Vaterlosen Kärnten verlassen hatte, entfernt sich Handke von der realen Geschichte seiner Familie immer mehr. Die "Tragödie" (hier lässt er den Begriff gelten) seiner Familie, dass zwei der drei Söhne des Großvaters für Hitler-Deutschland im Krieg ums Leben gekommen waren, wird verfremdet: Der fiktive Bruder Valentin will zurück zum (ungeliebten, aber unvermeidbaren) Wehrmachtsdienst. Er, dem der Krieg fast nur Gutes gebracht hat und für den die Mutter-, Vater-, Kinder-, und Haus-, Herd- und Stall-Sprache, diese verstockte, berglerische Sprache nicht identitätsstiftend ist, er, der Widerstand als zwecklos sieht und sich längst für die Westwelt entscheiden hatte (und sogar Deutschland ist…schon der Westen) - er, der schon für die Nachkriegszeit geplant hatte, kommt dann für den Virer und unser großes deitsches Fatterland um. Er, der zu Beginn davon sprach, als einziger Sohn den Krieg überlebt zu haben, wird im Laufe des Dramas entgegen der historischen Abläufe sozusagen umgebracht.
Umgebracht "zu Gunsten" von Gregor, der Ursula folgt und den Partisanen beitritt (er wird dortJonatan genannt). Er und Ursula, die nun die Schneeige heißt (Snežena), berichten bei ihren seltenen, heimlichen Elternbesuchen, wie es in den Wäldern zugeht. Märsche durch den Schnee (immer in den Fußstapfen des Vorgehers, um nicht die wahre Stärke zu verraten). Eingeständnisse: Wir taugen nicht fürs Kämpfen, gleich welches. Die Hinrichtung eines Butterdiebes in den eigenen Reihen. Gregors Klage, dass in der Widerstandsarmee die Gebildeten fehlten. Sie besteht aus ehemaligen Holzfällern, Bauernburschen, Sägewerksarbeitern, Müllergesellen. Es fehlen ihnen die Studierte[n], Lehrer, Anwälte, Ärzte. Höchstens ein paar Priester. Sie fehlten bis zuletzt, auch und gerade den Bauernburschen.
Am Ende siegen die Partisanen und mit Hilfe der Engländer sind Österreich (und damit auch Kärnten) befreit. Gregor kehrt zurück; Ursula stirbt in der Gefangenschaft wenige Stunden vor der Befreiung. Dennoch: Der 8. Mai 1945 ist der glücklichste Tag in Gregors Leben. Der Monolog über das schöne Kärnten (Schön? Andersschön.) ist ergreifend, ja herzzerreißend. Und zum ersten Mal in der Geschichte Macht verkörpert! Ähnlich wie der Heimkehrer Pablo im Königsdrama "Zurüstungen für die Unsterblichkeit" eine Lust "auf die Macht" verspürt, einer "ganz neuartige[n], bisher unbekannte[n]" Macht, so dass "dieses Wort weltweit eine andere Bedeutung bekäme". Hier fallen am ersten Tag des Friedens Republik und Königreich zusammen und alle Macht war beim Volk. Aber dann kam die Desillusionierung: Zehn Tage lang der warme, warme Frieden, und dann der kalte, kalte Krieg – der andauert.
Österreich statt JugoslawienDie historischen Begebenheiten erläutert Handke nicht. Tatsächlich wurde am 7. Mai 1945 in einem offiziellen Akt die Regierungsmacht an die demokratischen Parteien Kärntens, die vor dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland dort bestanden, übergeben. Erst einen Tag später eroberten die Briten Klagenfurt und waren damit den Tito-Partisanen nur wenige Stunden voraus. Am 16. Mai wurde das Volksbefreiungsparlament, welches sich vermutlich für den Anschluss Kärntens an Jugoslawien aussprechen wollte, von den Briten aufgelöst. Man berief sich auf die Abstimmung von 1920, in der sich 59,01% für einen Verbleib Kärntens in Österreich aussprachen (40,96% votierten für Jugoslawien); eine erneute Abstimmung wurde abgelehnt. Gleichzeitig wurde die Befehlsgewalt der jugoslawischen Partisanentruppen in Kärnten der Sowjetunion übertragen. Diese befolgte die Wünsche der Westmächte und forderte die jugoslawischen Truppen auf, das Land zu verlassen. Kärnten wurde den weltgeschichtlichen Zeitläuften "geopfert"; der "Kalte Krieg" zwischen der Sowjetunion und den Alliierten führte erst später zu den bekannten Auseinandersetzungen. Da waren die Weichen in Österreich längst gestellt.
Diese wenigen Tage zwischen der Machtübergabe an die Lokalpolitik und dem potentiellen Vereinigung Kärntens mit dem sich bildenden, neuen Jugoslawien ist der "warme Frieden". Diese Perspektive löste die von Handke so schwungvoll und eindrucksvoll erzählte Hochstimmung aus; in typischer Weise mit der Konjunktion "Und" die Sätze verbindend erzählt. Ein kurzes Schwelgen (in dem sogar das blinde Auge Gregors wieder gesund wird).
Wer eine Art Verklärung oder gar Heroisierung des Kärntner Widerstands erwartet hatte, geht fehl. Kein Superlativ. Kein Heldentum; das brechtsche Pathos ist Handke zuwider, auch wenn es für eine "gute Sache" wäre. Und dennoch: Fast immer reden, deklamieren, handeln die Figuren dialektisch, zweifelnd, schwankend. Diese Widerständler waren gespalten ob ihres Tuns und auch sie waren vom Krieg und dessen merkwürdiger Regeln geprägt, ja: verdorben. Sie sahen ihren Widerstand als schiere Notwendigkeit.
Am Ende sitzt der Nachfahr, der Maler von Einfaltspinselbilder[n] ohne den Apfelbaum auf der Wiese. Kein Schutz mehr am und im Baum. Das Symbol für das archaisch-arkadische Kärnten ist verschwunden. Für Gregor-Jonatan, der mit seinem ewigen Jugoslawien, hält die politische Entwicklung das gleiche Schicksal bereit wie für den Nachfahren Handke 1991 – beide "verlieren" ihr Jugoslawien. Und so ist die "Weltverdrusspolka" am Schluss das wahre Kontinuum für denjenigen, der sich in die Geschichte begibt, bewegt und schließlich doch nur bewegt wird. Die Geschichte ist die Siegermacht. Ist das beschreibend? Oder resignativ? Handke lässt es offen – und hier liegt das tschechowhafte, das spielerisch-komödiantische in diesen Figuren, in diesem Stück. Einem Stück Welt-Literatur. Lothar Struck
S
Krieglinde, Krampfhilde, Übelheid und Ekeltraud
VON ULRICH WEINZIERL
Ein poetischer Traum vom ewigen Frieden: Peter Handke erkundet in "Immer noch Sturm" sein slowenisches Familienerbe
Von Ulrich Weinzierl
"Still storm" heißt die Szenenanweisung im dritten Akt von Shakespeares "King Lear". Der wahnsinnige alte König verflucht auf wüster Heide seine treulosen Töchter, inmitten entfesselter Naturgewalten, umtost von Blitz und Donner: "vernicht / auf eins den Schöpfungskeim des undankbaren Menschen!" Auch Peter Handkes neues Buch "Immer noch Sturm" spielt auf einer Heidelandschaft. Hier werden jedoch künftige Generationen nicht verdammt, sondern ein nicht ganz junger Nachgeborener entsinnt sich seiner Vorfahren. Man kann nicht anders sagen als: in Liebe.
"Immer noch Sturm" ist ein Theatertext, der sich wie ein Kurzroman liest. Da es mit dem ursprünglich vorgesehenen Regisseur Claus Peymann, weiland Handkes Entdecker für die Bühne, Differenzen gab, soll nun Dimiter Gotscheff das Werk bei den nächsten Salzburger Festspielen aus der Feuertaufe theatralischer Erprobung heben. Aber jetzt schon lässt sich behaupten: Als Kopftheater ist es ein fabelhaftes Buch geworden, eines der besten im Oeuvre des Dichters. Des Dichters? Gewiss doch, der aus der Mode geratene Begriff trifft auf kaum einen anderen Prosaschreiber zu wie auf Peter Handke. Naturgemäß haben wir es mit keinem "Stück" im herkömmlichen Sinn zu tun, eher mit einem "dramatischen Gedicht", so wie "Über die Dörfer" von anno 1981 eines war. In vielerlei Hinsicht bündelt der Band wesentliche Stränge aus seinem bisherigen Schaffen, wobei das Private vom Allgemeinen, das Autobiografische von Geschichte und Politik nicht zu trennen ist. Seit Jahrzehnten besinnt sich Handke seiner slowenischen Wurzeln mütterlicherseits, mit dem väterlichen Deutschland hatte er indes nie etwas im Sinn. Es blieb ihm Fremd-, im tiefsten Inneren vielleicht sogar Feindesland, wohl auch weil er sich - unehelich geboren - als Vaterlosen empfand. Die wichtigste männliche Rolle in seinem imaginären Familiengefühlshaushalt spielte ein Onkel, den er gar nicht persönlich kannte. Sein Taufpate, Gregor Siuz, starb schon 1943 als Wehrmachtssoldat auf der Krim. Er war im deutschnationalen Kärnten ein bewusster Slowene, hat zudem Schriftliches (über Apfelzucht) hinterlassen. Eine Menge Protagonisten Handkes tragen den Vornamen Gregor - von Gregor Keuschnig bis zu Gregor Kobal. Allmählich verwandelte sich der unfreiwillige Soldat Gregor Siuz für und durch den Autor in einen Widerstandskämpfer. Im Gau Kärnten hatten, getragen von Slowenen und Kommunisten, die einzigen nennenswerten Partisanen-Aktionen gegen das NS-Regime auf Reichsgebiet stattgefunden. Die Kärntner Slowenen wurden systematisch unterdrückt und verfolgt. Ihr - nüchtern betrachtet - kleiner Beitrag zur Österreichs Befreiung bekam staatspolitisch nach 1945 plötzlich großes Gewicht. Allein, das souveräne Österreich wusste es den Kärntner Slowenen nicht zu danken. Sie blieben eine stärkstem Assimilationsdruck ausgesetzte Minderheit, haben es bis heute nicht einmal zu den verfassungsmäßig durch den Staatsvertrag garantierten zweisprachigen Ortstafeln in ihren Siedlungsgebieten gebracht. Also waren und sind sie Verlierer der Geschichte, mit denen sich Handke, der immer Außenseiter und Star zugleich gewesen ist, identifizierte - wie in der Folge mit den Serben in den Balkankriegen. Peter Handkes hat sein Familiendrama genau in diesen historischen Kontext gestellt. Auf der "Heidesteppe" des Kärntner Jaunfelds begegnen dem Ich-Erzähler in traum- und märchenhaften Sequenzen seine Ahnen: Großvater und Großmutter, Onkel Gregor, Tante Ursula und seine Mutter. Es ist Zweiter Weltkrieg und dennoch eine Enklave des Friedfertigen. Ein unendliches Gespräch zwischen den Familienmitgliedern über die unterschiedlichen Positionen entspinnt sich. Und selbstverständlich reden sie nicht, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, sie sprechen unverfälschtes Handke-Idiom. Eine perfekte Kunstsprache, mal Deutsch, mal Slowenisch, deren Zauber man sich nicht zu entziehen vermag. Dem Hineinhorchen in die Worte, dem Neuschöpfen aus verschütteten Sprachquellen. Der hohe, an Bibel und Liturgie geschulte Ton, gemischt mit kolloquialen Floskeln, wird zum Balance-Akt über dem Abgrund des Lächerlichen. Das Wunder: Peter Handke stürzt nicht ab. Wenn der Lobpreis sich fatal der Hymne zu nähern scheint, rettet ihn die Lästerung. Keiner kann ehrwürdig Germanisches böser verballhornen als er: "Krieglinde, Krampfhilde, Übelheid und Ekeltraud" - ein wahrhaft schauriges Schwesternquartett. Handke verteidigt die Sehnsucht nach einer heilen Welt, die Utopie vom "Andersschönen", aber nicht mit Klauen und Zähnen, vielmehr mit den Mitteln unerbittlicher Milde, über die ein "tapferes Hasenherz" verfügt. Wider die geradezu kindliche, weltfromme Poesie dieses Buchs des Lebens sind Einwände eines zynischen Realitätssinns machtlos. Als wäre Kants Schrift "Zum ewigen Frieden" aus dem Philosophischen in Dichterische übersetzt worden. Der Poet Handke hat innerhalb seiner Gegenwirklichkeit immer Recht, als Publizist im öffentlichen Meinungskampf irrte und irrt er sehr wohl, bisweilen auch gewaltig. Das sanfte Gesetz des Peter Handke: "In der Sprache bleiben. Auf ihr beharren! Sprache, meine, unsere: Hühnerleiter wird Jakobsleiter." Der letzte, berühmteste Satz aus "Wunschloses Unglück", seinem literarischen Requiem nach dem Selbstmord der Mutter, lautet: "Später werde ich über das alles Genaueres schreiben." Mit "Immer noch Sturm" hat Peter Handke das Versprechen eingelöst. Peter Handke: Immer noch Sturm. Suhrkamp Verlag, 167 S., 15,90 Euro
======================================================== Peter Handkes „Immer noch Sturm“
Verabredung mit der Vergangenheit
Osnabrück. Geistergespräch, Generationenpalaver, Phantomdebatte, Kulissengeflüster: Peter Handke wagt in „Immer noch Sturm“ den Grenzgang – thematisch wie literarisch. Das gewohnt geteilte Echo dürfte ihm damit wieder einmal sicher sein. Dabei ist der neue Handke von herausragender Qualität.
Mit seiner Parteinahme für Serbien in den Jahren des Bürgerkriegs im zerfallenden Jugoslawien hatte sich Peter Handke in den Augen vieler Beobachter seinerzeit hoffnungslos diskreditiert. Was dabei gern übersehen wird: Politisches Statement und künstlerische Qualität haben, wenn es um Literatur geht, nicht vermengt zu werden. Die politisch unkorrekte Haltung macht noch lange keinen schlechten Autor – und umgekehrt. Peter Handke präsentiert sich mit seinem neuen Buch zweifellos auf höchstem literarischen Niveau. „Immer noch Sturm“ taugt als Zwitterwesen aus Roman und Bühnentext, Erinnerungsbuch und Epos zum Bravourstück virtuosen Könnens. Handke balanciert disparate Gattungsmerkmale fein aus. Und dies nicht als Selbstzweck. Die eigentümliche Form entspricht inhaltlichen Intentionen. Die konzentrieren sich auf ein Projekt, wie es künstlerisch heikler kaum zu denken ist. Peter Handke inszeniert das Gespräch des Ich-Erzählers mit seinen Vorfahren als Stationenstück aus lauter unverhofften Begegnungen – und als geisterhaftes Rollenspiel jenseits von Zeit und Raum. W.G. Sebald (1944–2001) prägte in seinem Meisterwerk „Austerlitz“ (2001) das Wort von den „Verabredungen in der Vergangenheit“. Handke gibt dieser Sichtweise – übrigens ebenso wie Sebald in seinen Büchern – überzeugende Gestalt. Im weiten Hallraum der Geschichte gewinnt die Geschichte einer slowenischen Familie während des Zweiten Weltkrieges exemplarisches Gewicht und als Gespräch der Opfer anrührende Präsenz. Die Parallelen zu Handkes eigener Familiengeschichte sind nicht zu übersehen. Seine Mutter war Slowenin, sein Vater ein verschollener Wehrmachtssoldat. Sein ältester Onkel Gregor fiel 1942 an der Ostfront. Handkes Text lässt sich als Roman lesen oder als Vorlage für ein Bühnenstück verstehen. Burgtheater-Chef Claus Peymann sollte „Immer noch Sturm“ eigentlich in seinem Haus aufführen. Nach Differenzen über das künstlerische Vorgehen ist Handkes Text als Bühnenversion nun 2011 für die Salzburger Festspiele eingeplant, in der Regie von Dimiter Gotscheff. „Immer noch Sturm“ beeindruckt jedoch lange vor dieser Aufführung als ein Werk, das menschliches Schicksal suggestiv heraufbeschwört. Großeltern, Mutter sowie deren Geschwister Gregor, Valentin, Ursula und Benjamin gruppieren sich zu einem Beziehungs- als Sprachgeflecht. Spricht man die Sprache der Vorfahren oder das Idiom der verhassten Besatzer? „Nie wieder jemand Deitschen hören, mit seiner Luftzerhackersprache, mit seiner Eintongabelstimme, mit seinem Trommelfelldurchstoßbrüllen“, schimpft sich der Großvater die Wut über eine Gewalt von der Seele, die sich neben militärischer Landnahme in sprachlicher Überfremdung manifestiert. Handke inszeniert diesen Konflikt der Idiome mit fein orchestriertem Sprachgemisch: Slowenisch, Dialekt und ein – welche Ironie – perfektes Deutsch verwebt er zu einer Textpartitur von reicher Klangfülle. Allein deshalb ist zu bedauern, dass es um die Aussichten Handkes auf den Literaturnobelpreis so schlecht bestellt ist. Kulturelle Identität richtet gegen Krieg und Gewalt nichts aus: Diesem bitteren Fazit treibt Handkes vielstimmige Familiensaga in auswegloser Logik entgegen. Die Schwester, die sich mit einem deutschen Soldaten einlässt, der Bruder, der in den Widerstand geht, die beiden anderen, die als Wehrmachtssoldaten fallen, der verzweifelnde Großvater, die in anrührender Demut verharrende Mutter: Handke entwickelt die Familien- konsequent als Opfergeschichte. Sprache wird für ihn zum Gradmesser der Parteinahme. Täter, gleich ob Wehrmachtssoldaten oder Partisanen, sprechen den „Klartext“ der Ideologie, der Befehle. Opfer intonieren das samtige Idiom ländlich geprägter Identität. Peter Handke arbeitet diese Gegensätze fein heraus, verzichtet auf bündige Erklärungsmodelle für die Härten und Wechselfälle der Realgeschichte. Seine Wahrheit ist konsequent die der bedrängten Individuen. Das schließt die Utopie der Vielvölkergemeinschaft ein – die Handke allein im imaginären Raum der Sprache beschwören mag. Das kann als Plädoyer für das vergangene Jugoslawien verstehen, wer will. Handkes politische Botschaft ist kontrovers zu werten. Wirklich problematisch erscheint ein Erzkonservatismus ganz anderer Art. Handkes Figuren behaupten die uneingeschränkte Macht der Herkunft über den Einzelnen, die Unmöglichkeit, außerhalb des heimatlichen Sprechens überhaupt einen Ort finden zu können. Diesem Daseinskonzept darf man nicht folgen – schon nicht aus Respekt für einen Autor, der jenseits des Herkommens seine eigene Sprache so eindrucksvoll gefunden hat.
Peter Handke gelingt mit "Immer noch Sturm" ein Opus magnum
Schon Ende der Fünfziger, als Peter Handke noch in Klagenfurt aufs Gymnasium ging, beschwerte sich die Schwester über seine schlechte Laune, wenn es mit dem Schreiben mal wieder nicht so voranging. Ein paar Jahre später warf Handke zornig den Autoren der Gruppe 47 "Beschreibungsimpotenz" vor (1966) und sorgte mit seiner "Publikumsbeschimpfung" (1967) für einen Skandal. Im Grunde hat sich nichts geändert seitdem. Handke ist bis heute der ewige Grantler. Sein neues Buch "Immer noch Sturm" belegt das exemplarisch, es endet mit dem wütenden Lied vom "Weltverdruss".
In dem sprachgewaltigen Alterswerk vereint Handke alle literarischen Gattungen. Sein Text ist episch wie ein Roman, hat die tönende Sprache eines Gedichts und die beseelten Dialoge eines Theaterstücks. Auf einer kargen Heide lässt er die Ahnen aufmarschieren. "Da seid ihr nun, Vorfahren. Die längste Zeit schon habe ich auf euch gewartet. Nicht ich lasse euch nicht in Ruhe. Es lässt mich nicht in Ruhe, nicht ruhen." Was folgt, ist ein beeindruckender Chor der Stimmen, der Handkes Familiengeschichte mit der des Freiheitskampfes in Österreich verknüpft. Waren es doch die slowenischen Kärntner, die innerhalb der ursprünglichen deutschen Reichsgrenzen als Einzige bewaffneten Widerstand gegen Hitler übten. Das neue Handke-Buch ist sein persönlichstes seit "Wunschloses Unglück" (1972). Damals bewältigte er schreibend den Selbstmord der Mutter.
In einem ebenso eindringlichen Text, in dem Motive aus allen Schaffensperioden aufblitzen, spürt Handke nun der eigenen Heimatlosigkeit nach. Aus Worten entsteht eine Welt. Die Sprache selbst wird zum Gegenstand der Geschichte. Sätze nehmen Gestalt an, werden zu Gestalten. Das Buch wird so zu einem Opus magnum, in dem sich der Schriftsteller wie vor einem Spiegel selbst gegenübertritt.
Peter Handke: Immer noch Sturm . Suhrkamp, 166 Seiten, 15,90 Euro
Kommentar: +++ Kunst, Kultur und Musik +++Bericht 798x gelesen
Berlin [ENA] Peter Handkes neues Buch "Immer noch Sturm", sollte ein Drama werden, und wird auch eines sein, im nächsten Jahr bei den Salzburger Festspielen. Mit wenigen Worten zeichnet er ein Bühnenbild. "Eine Heide, eine Steppe, oder wo. Jetzt, im Mittelalter, oder wann. Was ist da zu sehen?" Die szenischen Teile entstehen durch das Gestalterische der Satzzeichen. Er gliedert, legt sich nicht fest.
Gestisch überträgt Handke die Handlungen der Bühne in sein Buch. Alles vermittelt dem Leser den Eindruck, dass hinter dem Erfundenen, mehr steckt als nur die schöpferische Phantasie des Autors. Ist dieses Szenische wirklich nur erfunden, wenn man am Ende ein Fragezeichen setzt? "Still Storm" aus Shakespeares " Lear", zitiert Handke im Titel , und am Ende seines Buches, und deutet damit auf den endgültigen Verlust seiner Heimat hin. Wie ein roter Faden, oder zumindest als Parallele, zieht sich die Geschichte König Lears, durch Handkes Buch. Von seinen Getreuen verraten und alleingelassen zieht Lear ohne Ziel durch die Landschaften. Schon zu Beginn des Dramas zerfällt ein Reich, und Grenzen werden neu gezogen.
Eine bäuerliche Familie slowenischer Abstammung, in einem Dorfe Kärntens, die sprachlich, und ethnisch in einem kulturellem Vakuum lebt, hin und her geschoben zwischen den Mächten. Eine Familie die zerrieben wird in diesen politisch unruhigen Zeiten, bis nur noch der Autor, Peter Handke, übrig bleibt. Es geht um Handkes Kindheit und Jugend im südkärntener Jaunfeld. Es geht um die Mutter die, Grosseltern, eine Tante, drei Onkel, und um den deutschen Vater, dessen Herkunft ihn zum Aussenseiter seiner Familie werden ließ. Es handelt sich um die bäuerliche Abstammung seiner Familie, und deren erzwungene Zugehörigkeit zu einer ihr fremden Kultur, vom Anschluß Österreichs 1938 an das Deutsche Reich bis in die 1950er Jahre.
Um Partisanen, Gebirgsjäger, Tito und die Entstehung, und den späteren Zerfall Jugoslawiens geht es. Er arbeitet Erinnerungen ab, ohne zeitliche Folge. Undeutliche, nebelhafte Gebilde, manchmal klar umrissen. Aber doch mehr Träumen als historischen Gewissheiten gleich. Handke sucht eine Form wie er seine Ahnen überliefern soll. Setzt diese Personen wie Puzzleteile zusammen und dramatisiert sie. Gestaltet ihre Auftritte und erschliesst ihr Inneres. Es entstehen Porträts der Mutter, des Grossvaters und des Onkels Gregor. Ohne festen Umriss, nur undeutliche Züge. Handke der Erzähler zeigt dem Leser, dass Erinnerungen mehr aus Stimmungen bestehen. Man ist geneigt diesen Vorbehalt Handkes gegen die historische Ordnung zu teilen.
Und doch ist dieses Buch nicht ereignisarm. Der Onkel Benjamin fällt im Krieg, der Grossvater der die Deutschen und deren Sprache hasst, die Tante die zu den Partisanen geht, der kurze Auftritt des Vaters. Die Handlungen in der Erfundenes und Wahrheit nicht auseinanderzuhalten sind, werden von Handke nicht gedeutetet, da jede Deutung die Gefahr der Fälschung in sich birgt. Handke weicht ihr aus, überlässt es dem Leser darüber zu reflektieren. Zum Erzählstil Handkes gehört, dass er Landschaften, Tiere und Hausgeräte näher beschreibt als Menschen. Es ist wie bei Kindern, die sich weniger an Menschen erinnern, als an einzelne, bestimmte Dinge. Die Orte der Kindheit sind in der Erinnerung manifestiert.
Auch seiner familiären Herkunft kann man nicht entfliehen, sie vielleicht verdrängen, oder die Nähe oder Ferne zur Ihr seelisch neu justieren. Was ist nun dieses Buch "Immer noch Sturm". Es ist ein Projekt der seelischen Entsorgung. Der achtundsechzigjährige Handke, ein bekannter Dichter und Erzähler, der letzte seiner Familie, begegnet in seinen Erinnerungen den junggebliebenen Verwandten. Er erzählt von seiner Familie, und entfernt sich von sich selbst. Es scheint, als habe Handke dieses Buch geschrieben, um sich der unausweichlichkeit der Geschichte nicht zu beugen, ihr zu trotzen. Durch das ganze Buch zieht sich die Figur des Partisanen. Ursula, seine Tante, und sein Onkel Gregor gehen in die Wälder und werden zu Partisanen.
Bevor Kärnten nach dem Kriege Österreich angegliedert wird, bestimmen für eine kurze Zeit Partisanen die Geschicke dieser Landschaft. Ist auch Handke ein Partisan? Wohl eher ein ewiger Rebell, ein Rufer in der Nacht. Der Dichter ist und bleibt ein politischer und weltanschaulicher Rebell. Einer der gegen den Strich bürstet. Jemand dem schon in seiner Kindheit der Wind entgegen blies, entwickelt diesen Charakterzug des Unbequemen. In seinem Werk " Immer noch Sturm ", versucht er das zu verdeutlichen. Aber es bleibt ein Versuch!
Here are the links to the various sites devoted to Handke's drama work:
As the translator of Handke's plays up to and including WALK ABOUT THE VILLAGES I wanted to call your attention to three sites devoted to his dramas., http://www.handkedrama.scriptmania.com/index.html
,,in addition there is most of a Handke lecture of mine on line at,the handkelecture site, and a handkedrama-blogspot [links anon],LINK OF LYNXES TO MOST HANDKE MATERIAL AND BLOGS ON THE WEB:,, http://www.handke.scriptmania.com/favorite_links_1.html
"Dieser Text ist für das Theater eine Zumutung, aber so etwas brauchen wir." Das sagte Dramaturgin Beate Heine über Peter Handkes Stück "Immer noch Sturm" am Freitag. Genau in einer Woche soll diese Koproduktion mit dem Hamburger Thalia Theater bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt werden.
"Die Übertragung auf die Bühne ist auch deswegen schwierig, weil er, Handke, als Figur selbst auf der Bühne steht, und weil sich dieser Handke in allen Figuren dieses Stückes verbirgt. Noch dazu sind diese Figuren allwissend, und das Stück ist eine Mischung aus sehr persönlicher Familiengeschichte und der Geschichte Kärntens und Sloweniens. Und es ist autobiografisch und fiktiv zugleich - ich denke, das macht deutlich, wo die Herausforderung liegt", erläuterte Heine.
Auch Regisseur Dimiter Gottscheff sprach einerseits von "großen Schwierigkeiten". Andererseits von einer "Poesie, die dem Text eine andere Dimension verleiht", von außergewöhnlicher Sinnlichkeit und Berührungspunkten mit der antiken Tragödie. "Dieses Werk ist ein Epos mit einer Schwerkraft, die uns hineinzieht und der Substanz Stück für Stück näher bringt. Wir haben zwei Monate in Hamburg geprobt, und jetzt, durch diesen offenen und wunderbaren Raum auf der Pernerinsel, entdecke ich immer noch Neues.
Ursprünglich war Claus Peymann als Regisseur vorgesehen, aber dann entschied sich Handke für Salzburg. Es ist Bedingung von Handke, dass seine Bühnenwerke in Österreich uraufgeführt werden.
"Dieser Text kann auf der ganzen Welt verstanden werden", sagte der Salzburger Schauspielchef Thomas Oberender. "Man hat Handke ja immer wieder vorgeworfen, ein 'Ich-Literat' zu sein. Aber das Ich, die Politik und die Gesellschaft schließen einander in diesem Text nicht aus. 'Immer noch Sturm' ist eine Art Summe von Handkes Werk."THE APPROACHING PREMIERE OF 'immer noch sturm'
Herr Handke, am 12. August wird bei den Salzburger Festspielen Ihr Stück "Immer noch Sturm" uraufgeführt. Werden Sie da sein?
PETER HANDKE: Ich werde eine Probe besuchen.
Nur die Probe?
HANDKE: Wer weiß.
Wovon hängt es ab?
HANDKE: Ob ich mich dem stellen kann, was ich getan, was ich geschrieben habe. Das Stück ist nicht nur mein intimstes, es ist auch extrem universell. Es geht nicht nur mich was an, es ist weit mehr als ein Kärntner Stück, ein Partisanenstück. Es geht darum, was Widerstand ist und was Familie. Was ist Widerstand innerhalb der Familie, was Religion, was Landschaft? Da hätte ich mir gewünscht, dass einmal noch in dieser Weltgeschichte Theater etwas bedeutet.
Tut es das nicht mehr?
HANDKE: Heutzutage gibt es so viele Ereignisse. Aber es gab eine Zeit, da haben Theaterstücke im Feuerwerk des kulturellen Lebens noch etwas gegolten. Das war die große Zeit von Eugene O'Neill oder Tennessee Williams. Aber vielleicht erzählt der Regisseur Dimiter Gotscheff "Immer noch Sturm" ja so, dass wir uns alle freuen können. Dass wir berührt sind. Dann würde ich schon hingehen.
Wie ist es, in die Stadt zurückzukehren, in der Sie so lange sesshaft waren?
HANDKE: Ich bin gern in Salzburg, aber nicht, wenn gerade ein Stück von mir aufgeführt wird. Ich mag die Stadt und ich mag die Landschaft: Maria Plain, Itzling, aber auch die Container-Bahnhöfe. Man muss an die Peripherie gehen. Ich habe Salzburg erst dadurch lieben gelernt, dass ich zur Stadt hinausgewandert bin.
Gewohnt haben Sie aber mittendrinnen.
HANDKE: Auf dem Mönchsberg. Ein seltsames Mittendrinnen. Eine Art Inselberg. Das war für mich ein gewaltiger Entschluss damals.
Warum gewaltig?
HANDKE: Man ist in Salzburg magnetisiert von der Mitte, das ist nicht immer gut. Als ich vor vielen Jahren nach Österreich zurückkam, da habe ich mich als jemand erlebt, der gescheitert ist. Nach Hause zu kommen ist das Eingeständnis einer Niederlage, habe ich mir gedacht. Und in der Schizophrenie dessen, der sich für gescheitert hält, habe ich mich auch angefeindet gefühlt. Ich habe die Blicke der Leute als böse Blicke erlebt. Nicht nur in der Getreidegasse. Dabei muss man auch mit den eigenen Blicken Frieden erzeugen. Das ist das Geheimnis, und das habe ich nicht beherrscht im Anfang. Das kann man nie beherrschen. Nur ab und zu, da gelingt es einem.
Das Barocke, das Katholische an der Stadt, mögen Sie es?
HANDKE: Ich mag das Romanische, die versteckten romanischen Winkel von Salzburg. Die Erzabtei Sankt Peter. Aber auch die Franziskanerkirche hat ein romanisches Tympanon. Und die Fresken im Kloster am Nonnberg, auf denen der heilige Augustinus dargestellt ist auf eine freche und zugleich fromme Weise, wie halt die Romanik ist. Frechheit und Frömmigkeit schließen sich nicht aus. Das habe ich am Nonnberg entdeckt. Da musste man dann hinpilgern. Oft ist Santiago de Compostela am eigenen Ort genauso zu fassen, als wenn man nach Galizien geht.
Was mögen Sie noch an Salzburg?
HANDKE: Einmal, da bin ich am Mönchsberg gesessen. Es war Nacht und der berühmte Regen von Salzburg ist ganz still meilenweit auf die Blechdächer der Stadt gefallen. Das Geräusch hat mir gut gefallen. Das gibt es nur in Salzburg. Ihr in Graz oder Klagenfurt habt da ganz andere Dächer, ihr habt Ziegeldächer. Das klingt ganz anders. Das ist ein ganz anderes Regengeräusch.
Machen die Festspiele die Stadt größer oder entstellen sie sie?
HANDKE: Beides. Ich bin froh, wenn ich keine Festspiele sehe.
War das schon immer so?
HANDKE: Ich bin nie gern hingegangen. Zugleich habe ich es manchmal doch gern gesehen, wenn Leute schön gekleidet da irgendwo hinziehen, um Haydn, Mozart oder Schubert zu hören.
Und die Maskerade, das Pfauenhafte?
HANDKE: Was soll's. So ist der Mensch halt. Da bin ich milde.
Man sagt, Salzburg sei nur mehr was für die Geldsäcke
HANDKE: Das war immer so. Die Salzburger "Fetzenspiele" hat schon Ernst Jandl gesagt: Aber zugleich ist da noch immer der platonische Schatten der Idee von Hofmannsthal und Reinhardt lebendig. 1982 wurde in Salzburg mein Stück "Über die Dörfer" aufgeführt. Breites episches Theater. Man erzählt das Land, man erzählt Dorfmenschen, man erzählt das Verschwinden eines Dorfes. Man ließ sich Zeit. Man erzählte. Und während des Erzählens ging das Dach der Felsenreitschule auf und über die Stunden fielen langsam die Herbstblätter herein. Das war schön.
Was hat Ihnen die Stadt zurückgegeben?
HANDKE: Ich habe viele verlorene Menschen kennengelernt, auch nur im Vorbeigehen, die mir irgendeinen Blick gegeben haben, der freundlich war. Das genügt mir. Mit dem Salzburger Bürgertum habe ich nie etwas im Sinn gehabt.
Warum?
HANDKE: Das Bürgertum ist das große Problem der Kultur. Das ist und wird immer so bleiben.
Salzburg hat immer große Künstler angezogen: Trakl, Zweig, Toscanini, Karajan, Brecht, Bernhard.
HANDKE: Der große Dichter ist für mich Georg Trakl, Bernhard ist für mich nicht der große Dichter. Er ist ein begnadeter Vereinfacher. Sand. Thomas Bernhard ist Sand.
Wieso Sand?
HANDKE: Mit Sand kann man Häuser bauen, wenn man ihn zu Zement mischt. Nur mit Thomas Bernhard kann man nichts bauen. Der ist Sand. Unnützer. Treibsand. Tut mir leid, dass ich das sage. Nein. Es tut mir eigentlich nicht leid.
Es gab aber eine Zeit, da mochten Sie Bernhard sehr. Was ist passiert?
HANDKE: Der als Jesuitenschüler verschriene Schriftsteller Wolfgang Kraus - kennt ihn jemand noch? - hat einmal über Thomas Bernhard gesagt: Der hat seine Seele verkauft und kann jetzt alles schreiben.
Sie sind dann weg aus Salzburg. Warum eigentlich?
HANDKE: Weil ich mich kleinlich werden gespürt habe und so polemisch und unwillig. Außerdem ist es die Natur der Dinge. Irgendeinmal muss man weg. Das hat auch physikalische Gründe.
Welche denn?
HANDKE: Na Hieb, Stoß, Gegenstoß. Auf diese Weise entstehen nicht nur Kriege, so entsteht alles. Lassen Sie sich das von mir als Experten für Psychophysik sagen: Man ist an einem Ort und plötzlich gibt es eine Antienergie, eine Antiphysik. Da braucht es keine großen metaphysischen Gründe. Da geht man dann weg. So einfach ist das.
Dimiter Gotscheff probt Peter Handkes Kärntner Partisanenstück "Immer noch Sturm" bei den Salzburger Festspielen.
Letztes Update am 13.07.2011, 13:47
Jens Harzer: Der "Ich"-Erzähler holt sich in Handkes "Immer noch Sturm" Verwandte herbei, mit denen er die Familiengeschichte und die Geschichte Kärntens zwischen Fakt und Fiktion Revue passieren lässt. Es regnet grüne Blätter. Stundenlang. Ununterbrochen. Sonst ist die Bühne weitgehend leer. Die Idylle, die Heide, der Apfelbaum sind Andeutungen. Musik gibt es. Und Versatzstücke. Wie den Hut des Großvaters.
Dimiter Gotscheff probt Peter Handkes "Immer noch Sturm" am Hamburger Thalia Theater. Nachdem eine Uraufführung durch Claus Peymann wegen "unterschiedlicher Erwartungen an die Ästhetik der Inszenierung" nicht zustande gekommen war, legte der Autor sein Werk in die Hände des bulgarischen Regisseurs.
Der zeigt das Kärntner Partisanenstück nun in Kooperation mit den Hamburgern bei den Salzburger Festspielen. Und ab Oktober am Burgtheater.
Besuch
Gotscheff, der Heiner-Müller-Intimus, der, wie er sagt, "dessen Texte immer noch in den Gedärmen rumoren fühlt", besuchte Handke in Paris. Einen Nachmittag und eine Nacht lang haben die beiden gesprochen, formuliert und sind übereingekommen. Gotscheff gerührt von der Gastfreundlichkeit, der Wärme und der Zugänglichkeit des schwierigen Schriftstellers, Handke angetan von Gotscheffs Verständnis für seine Arbeit - der Theatermacher weiß, wie sich der Verlust von Vaterland und Muttersprache anfühlt ...
"Immer noch Sturm" ist Handkes persönlichstes Werk. Auf dem Jaunfeld trifft er als Erzähler-"Ich" auf seine Großeltern, Mutter, drei Onkeln, Tante und verquickt über sie Familiengeschichte mit der der Partisanenkämpfe der Kärntner Slowenen gegen die Nationalsozialisten. Das liest sich schon wie ein Theaterstück, ein Stück Prosa in Monologen und Regieanweisungen.
"Stimmt. Das ,Kamera ab!' ist von Handke vorgegeben", sagt Beate Heine vom Thalia Theater, die mit Gotscheff die Bühnenfassung erarbeitet hat. "Wir mussten ,nur noch' eine theatertaugliche Version für seine epische Erzählform finden, mussten dafür sorgen, dass die Familienstrukturen und die Beziehungen der Figuren untereinander trotz der monologisierenden Form auf der Bühne sichtbar werden."
Aneignung
"Es ist spannend zu beobachten, wie wir uns gemeinsam Handke aneignen", so Heine. "Gotscheff hat kein ,Konzept', er entwickelt mit den Schauspielern. Er hat da eine sehr eigene Herangehensweise. Er beschreibt Stimmungen, eine Atmosphäre, eine Energie. Er will Töne vermitteln. Er sucht das, was aus dem Bauch kommt." Nachsatz: "Und er weiß sehr genau, was er will."
Sehr genau setzt man sich an der Alster auch mit Kärnten und seiner Geschichte auseinander. Sieht Dokus über den Partisanenkrieg, beschäftigte sich sogar mit dem Ortstafelstreit. Man will die Brisanz, die das Thema für Österreich hat, verstehen. In und um die Hansestadt gibt es nichts Vergleichbares. Eine wohlsituierte dänische Minderheit. Aber nicht diese Zerrissenheit, nicht diesen Wunsch nach Angenommen-Werden, der bis heute unerfüllt ist.
Sprache, Identität über Sprache ist eines der großen Themen des Werkes. Ständig wechselt der Tonfall. Von Hochdeutsch zu Kärntner Dialekt zu Slowenisch. Von Alltag zu Verlautbarung.
Und das Österreichische? Im Buch lässt Handke über den Unterschied von Káffe und Kaffee lästern, über den von Geschirrschrank und Kredenz. Und über den von "Bleibe" und "Heimat". Darüber haben die Hamburger diskutiert. Und die Stellen schließlich im Stück gelassen. Da darf man sich nicht angegriffen fühlen. Dann kommen in Deutschland halt nur Blümchen aus dem Kännchen ... Na und?
Der Text: Geschichte in einer Kiste im Keller
"Still Storm", "Immer noch Sturm", schrieb Shakespeare über die Szene, in der König Lear Donner und Blitz anfleht, sie mögen seine undankbaren Erbinnen vernichten. Peter Handke nannte sein Stück danach.
Es ist nicht das erste Mal, dass der Autor seine Familiengeschichte verarbeitet. Er tat es in "Wunschloses Unglück" 1972, in "Über die Dörfer" (1981) oder 2008 in "Die morawische Nacht". Für den 2010 bei Suhrkamp erschienen Text hat er "neues Material" in die Hände bekommen. Familiendokumente, Feldpostbriefe, Fotos, Urkunden. Von seinem im Vorjahr mit 92 Jahren verstorbenen Onkel Georg "Jure" Siutz in einer Kiste im Keller aufbewahrt. Onkel Jure war Handke nicht sympathisch. Er war ein kalter Mensch. Und FPÖ-Abgeordneter. Aber derjenige der drei Siutz-Brüder, der den Krieg überlebte; Hans und Gregor fielen 1943.
Traum Der Fund im Keller ist die Basis des Buchs. Handkes "Ich" holt sich in einer Art Traum sieben Verwandte herbei, mit denen er die Familiengeschichte und die Kärntens ab 1936 Revue passieren lässt. Er erzählt von der Unterdrückung der slowenischen Minderheit, ihrem Partisanenkampf gegen das Dritte Reich - und letztlich vom lächerlichen Ortstafelstreit.
Dabei mischt sich Fakt mit Fiktion. Onkel Gregor darf zu den Partisanen überlaufen und überleben; Tante Ursula wird von den Nazis zu Tode gefoltert; Handkes Mutter begibt sich auf der Suche nach seinem Vater ins Feindesland Deutschland.
Der Freiheitskampf der Kärntner Slowenen gilt Historikern heute als bedeutendste Widerstandsbewegung im "angeschlossenen" Österreich. Er war der einzige kontinuierliche, organisierte und bewaffnete Widerstand gegen die NS-Diktatur in Österreich. Viel gebracht hat den Slowenen ihr Mut (noch) nicht. "Literatur", sagte Peter Handke in einem ORF -Interview, "ist die Möglichkeit, Gerechtigkeit herzustellen."
Produktion: Die Daten und Fakten
Regisseur: Dimiter Gotscheff, 1943 in Bulgarien geboren, kam 1962 mit seinem Vater in die DDR. Gottscheff studierte wurde bald Schüler und Mitarbeiter von Benno Besson, erst am Deutschen Theater, dann an der Volksbühne. 1979 ging Gotscheff wegen der Ausbürgerung Wolf Biermanns nach Bulgarien zurück; seit Mitte der 1980er- Jahre arbeitet er wieder an deutschsprachigen Bühnen von Wien bis Hamburg. Berühmt sind u. a. seine "Philoktet"-Inszenierung in Sofia 1983 und sein "Iwanow", mit dem er 2006 von Theater heute und beim Berliner Theatertreffen ausgezeichnet wurde. Heuer erhielt Gotscheff den Theaterpreis Berlin.
Inszenierung: In "Immer noch Sturm" spielen u. a. Jens Harzer (Ich), Oda Thormeyer, Tilo Werner, Bibiana Beglau und Gabriela Maria Schmeide. Premiere in Salzburg ist am 12. August, am Burgtheater am 3. Oktober.
Wien (OTS) - Peter Handke kommt nach der vorläufigen Absage der
Burgtheater-Uraufführung seines Partisanenstücks "Immer noch Sturm"
im Juni nach Wien. Das bestätigt der Schriftsteller in einem Gespräch
für die morgen erscheinende NEWS-Ausgabe. Handke, der sich seine
Übersetzung der "Helena" des Euripides ansehen wird: "Dann muss das
endlich entschieden werden, auf einen Lichtpunkt zugehen. (...) Wenn
es überhaupt aufgeführt werden sollte, muss es unbedingt in
Österreich aufgeführt werden, und zwar im nächsten Jahr." Gerüchte,
Klagenfurt könne den Zuschlag bekommen, weist er zurück. "Die haben
mit meinen Stücken keinerlei Tradition. Das Burgtheater hat eine
kleine Uraufführungstradition begründet." Burgtheaterdirektor
Matthias Hartmann: "Man kann an einem Text von Peter Handke nicht
desinteressiert sein. Meine Dramaturgie und ich werden uns umgehend
mit dem Thema beschäftigen."
Nach der Absage des vorgesehenen Uraufführungsregisseurs Claus
Peymann deutet Handke einen anderen Weg an: "Für mich war ,Über die
Dörfer' unter Wim Wenders, diese zeit- und raumgebende Inszenierung
in der Salzburger Felsenreitschule (1982, Anm.), das, was ich mir vom
Theater wünsche. Das Stück jetzt ist ja eine Art Fortführung, ein
nach-Shakespeare'sches Traumstück."
Das Scheitern der Pläne mit Peymann führt er auch auf
Dispositionelles zurück. "Das Problem war auch, dass das am
Burgtheater keine Koproduktion, sondern ein Gastspiel des Berliner
Ensembles war. Es wäre zwei Wochen in Wien gespielt worden, hätte
keine Dauer gehabt und keine Möglichkeit, ins ganze Land zu gehen.
Ich hatte immer meine Skepsis gegen die Eile, in der diese
Entscheidung getroffen wurde, obwohl das Stück damals ja gar nicht
fertig war. Ich habe es noch zweimal durchgearbeitet, seit drei
Wochen ist es sprech-, spruch- oder spielreif. Der Schluss hat sich
geändert, ich habe es mit Fakten gefüttert, zugespitzt und gerundet
zugleich. Auf verständliches Drängen Peymanns wurde es sehr früh
öffentlich, auch die Tatsache, dass er es macht. Die Entscheidung war
halt weniger ästhetisch als strategisch-taktisch. Das hat nicht ideal
angefangen." Laut NEWS war über eine reguläre Koproduktion zwischen
Burgtheater und Salzburger Festspielen gesprochen worden. Peymann
hatte allerdings darauf bestanden, dass Handke ihm das Stück
versprochen habe.
Handke: "Für dieses Stück müssen ganz große Schauspieler her. Das
war in dieser Besetzung nur Gert Voss. Peymann hätte auch umdenken
müssen: Das Berliner Ensemble hat viel kleinere Dimensionen als das
Burgtheater. Am Ende war er schon ein bisschen zage und hat mich
ständig mit technischen Problemen, Gastspielproblemen und
Schauspielerproblemen konfrontiert, die alle nicht die meines Stückes
sind. Ich habe auch gemerkt, dass es in seinem eigenen Bereich keinen
fruchtbaren Widerspruch gibt. Ich war überreizt. Zurück bleibt eine
große Traurigkeit."
Hartmann bestätigt in NEWS auch, dass Vizedirektorin Karin
Bergmann - sie kam 1986 mit Peymann an die "Burg" - das Haus mit
Saisonende verlässt: "Das war immer so verabredet. Es ging immer um
eine Übergangszeit, unklar war nur, ob die ein oder zwei Jahre
dauert." Die Gründe seien privater Natur.
the American Scholar caused controversy about Handke, reviews, detailed of Coury/ Pilipp's THE WORKS OF PETER HANDKE, the psycho-biological monograph/ a note on Velica Hoca/ open letter to Robert Silvers + NYRB re: JS Marcus..
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