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Interview
Stand: 06.12.2017 16:13 Uhr - Lesezeit: ca.5 Min.
"Ein größerer Gegensatz als zwischen uns ist nicht vorstellbar"
Mit seinem Sprechstück "Publikumsbeschimpfung" forderte Peter Handke 1966 das Publikum heraus, stellte Seh- und Spracherfahrungen infrage, machte die Sprache selbst zum Ereignis. Nun feiert der Schriftsteller seinen 75. Geburtstag. NDR Kultur gratuliert und spricht mit seinem langjährigen Freund, dem Regisseur Claus Peymann, zuletzt Intendant des Berliner Ensembles.
Herr Peymann, welche Bestimmung hat Peter Handke?
Theatermacher Claus Peymann und Schriftsteller Peter Handke verbindet seit den 1960er-Jahren eine enge Freundschaft.
Claus Peymann: Das wird er selber am besten wissen. Aber er ist sicherlich einer von den Aufrechten in der Kunst, in der Literatur. Mehr und mehr ist er zu einem großen Bewahrer geworden. Die Bestimmung, Visionen zu haben, die Bestimmung der Kunst, den Platz in der Gegenwart immer wieder zu erkämpfen, auch der politischen Kunst. Erinnert sei nur an den großen Streit um den Jugoslawien-Krieg. Aber von Anbeginn an war auch die "Publikumsbeschimpfung" nicht nur Literatur, sondern auch Politik. Es war das Stück der Stunde, der Unruhe, der 68er-Revolte. Und so sind seine heutigen Stücke immer Stücke, die ausgehen von einer zerstörten Gegenwart in den Traum einer besseren Welt. Wie Goethe mit seinem "Faust II", ein großer Träumer und Utopist. Das ist sicherlich seine Berufung. Die hat er sich selbst genommen, ergriffen und vertritt sie - ein toller Mensch!
Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler nennt Handkes Aufstieg 1966 "kometenhaft". Sie waren an diesem Aufstieg maßgeblich beteiligt. Wie haben Sie damals den fünf Jahre jüngeren Handke erlebt?
Peymann: Wir haben uns in Frankfurt am Main getroffen, er kam mit zwei Plastiktüten des Weges, wahrscheinlich direkt vom Jesuiten-College, dem er, glaube ich, entflohen ist, die Plastiktaschen voller Beatles- und anderer Popmusik. Er sah aus wie so ein Milchbart. Wir sind dann zusammen den Main mit einem Tretboot rauf- und runtergefahren. Ich glaube, er war auf dem Weg nach Amerika zur Tagung der Gruppe 47, wo der große Aufruhr ausbrach, als er Stellung bezog gegen die gesamte damalige zeitgenössische Literatur von Grass, Enzensberger und Böll und selber eine ganz neue Position behauptete. Er war immer auch ein Provokateur, jemand, der sich gegen Entwicklungen stellte.
Porträt
Peter Handke: Schreiben gegen den Zeitgeist
Literatur und Aufmüpfigkeit, Sprache und Rebellion - sie begleiten Peter Handke sein Leben lang. Am 6. Dezember feierte der österreichische Schriftsteller seinen 75. Geburtstag. mehr
Bis zum heutigen Tag zieht sich eine Linie durch: In seiner Literatur schimmerten auch immer die Epochen der letzten 50 Jahre durch. Das waren Stücke wie "Kasper" über den manipulierten Menschen, "Das Mündel will Vormund sein" über die Revolte der Unterdrückten gegen die Starken, dann diese traumverlorenen Stücke des Spätwerks, eines der letzten Stücke, "Zurüstungen für die Unsterblichkeit", "Spuren der Verirrten" - alles Bilder, Träume, Vorstellungen einer anderen Welt, auch in einer großen Menschlichkeit. Aus dem Revolutionär von damals mit den Plastiktaschen voller Beat-Musik ist heute ein gläubiger Mystiker geworden, ein seltsamer, scheinbar rückwärtsgewandter Denker. Er ist ein gefährlicher Freund, der nichts zulässt, wahrscheinlich inzwischen ein gläubiger Christ, mit Reisen bis in die serbische Orthodoxie der Kirche. Ein größerer Gegensatz als der zwischen Handke und mir ist gar nicht vorstellbar. Aber ich sehe mich, und das war damals schon so in der "Publikumsbeschimpfung", immer eher als Dirigent. Das Originalgenie - und das ist ein Genie - ist der Dichter Peter Handke. Und wenn man sagt, er sei berufen, dann ist er auch ein Auserwählter. Diese besonderen Menschen - nicht nur Handke, auch Thomas Bernhard, Beuß und Picasso - sehen mehr als wir normalen. Ich habe mich immer von ihm an die Hand genommen gefühlt und bin ihm in seine verworrenen, hochinteressanten, brisanten Wege in das Theater gefolgt - mit größter Freude und großer Verlegenheit.
Und wie ist es Ihnen in der Serbien-Kontroverse gegangen? Konnten Sie ihm da auch folgen? Er löste 1996 viel Kritik aus, als er den jugoslawischen Ex-Präsidenten und Kriegsverbrecher Slobodan Milosevic unterstützte. Hat Handkes Liebe zu Serbien ihn blind gemacht für die Verbrechen im Namen Serbiens?
Peter Handke: Ein Schriftstellerleben
Peter Handke gehört zu den bekanntesten österreichischen Schriftstellern der Gegenwart. Am 6. Dezember 1942 in Griffen (Kärnten) geboren. Die Familie mütterlicherseits gehört zur slowenischen Minderheit in Österreich; der Vater, ein Deutscher, war in Folge des Zweiten Weltkriegs nach Kärnten gekommen.
Literatur und Aufmüpfigkeit, Sprache und Rebellion gehörten für Peter Handke von Anfang an dazu. Schon sein allererster Roman "Die Hornissen" aus dem Jahr 1966 warf die Frage auf, wie sich überhaupt ein Roman schreiben ließe.
Theaterstücke wie "Publikumsbeschimpfung" und "Kaspar" erzählen keine Geschichten, sondern spielen mit Versatzstücken der Sprache. 1973 wird er dafür mit dem Georg-Büchner-Preises in Darmstadt ausgezeichent.
Zu seinen weiteren Werken gehören u.a. "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter", "Die linkshändige Frau" und "Versuch über den geglückten Tag".
Durch seine Freundschaften mit Wim Wenders und Claus Peymann kamen seine Stoffe auch auf Leinwand und Bühne.
2016 verfilmte Wenders Handkes Stück "Die schönen Tage von Aranjuez" mit Reda Kateb und Sophie Semin in den Hauptrollen.
Darüber hinaus hat Peter Handke viele Prosawerke und Stücke ins Deutsche übertragen: Aus dem Griechischen Stücke von Aischylos, Sophokles und Euripides, aus dem Französischen Emmanuel Bove, René Char und Francis Ponge, aus dem Amerikanischen Walker Percy.
Die Formenvielfalt, die Themenwechsel, die Verwendung unterschiedlichster Gattungen erklärte er selbst mit den Worten: "Ein Künstler ist nur dann ein exemplarischer Mensch, wenn man an seinen Werken erkennen kann, wie das Leben verläuft. Er muß durch drei, vier, zeitweise qualvolle Verwandlungen gehen."
Auch politisch bezieht Peter Handke Position. 1996 veröffentlicht er seinen Reisebericht "Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien" und löst damit eine Kontroverse aus. Kritiker werfen ihm eine Verharmlosung der serbischen Kriegsverbrechen vor. 2006 tritt Handke als Grabredner bei Slobodan Miloševićs Beerdigung auf.
"Wenn er fortging, dann hatte er die Angewohnheit, dass er in der Nacht noch zu mir ins Zimmer kam", erinnert sich Handkes Tochter Amina im Interview mit dem Standard. "Er strich mir dann über den Kopf und roch dabei nach Zigaretten und Wein, auch nach Essen." Vielleicht wird ihn auch an seinem Geburtstag wieder der Geruch von gutem Essen und Wein begleiten.
Eines dürfte gewiss sein und uns Lesern nur zu wünschen: dass mit 75 Jahren bei Peter Handke das literarische Pulver noch längst nicht verschossen ist.
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Peymann: Ob er ihn unterstützt hat, weiß ich nicht. Er wusste sehr genau Bescheid, was dort passiert, und wir sind alle befangen in unserer Beurteilung. Er hat den alternativen Heinrich-Heine-Preis bekommen - den offiziellen hat man ihm abspenstig gemacht -, und dann gab es eine große Bewegung, die 50.000 Euro aus anderen Quellen zu beziehen. Und dieses Geld hatte Handke dann nach Serbien gebracht, und hat dort in einem kleinen serbischen Dorf in Bosnien, in der Enklave, dieses Geld übergeben. Das ist humanitäres Handeln in Reinkultur. Vergessen wir nicht, dass die Söhne und Enkel der Nazi-Soldaten, die Belgrad bombardiert hatten, auch dann wieder das heutige Belgrad bombardiert haben. Er hat mir in meiner Bewertung des Serbien-Krieges, auch der dort handelnden Personen, einen anderen Blick beigebracht, wie er auch einen anderen Blick auf die Welt, auf die Geschichte hat. Ob er ein Parteigänger von Milosevic gewesen ist, bezweifele ich aufs Tiefste. Das ist das Bild, was von ihm entworfen wurde - ich selbst habe in Bosnien einen anderen Handke erlebt: einen Handke, der sich gefreut hat, für eine Schule eine neue Pflasterung des Hofs, für das Schwimmbad etwas zu machen. Man muss da unheimlich aufpassen, wer der Provokateur ist, ob es die Zeitungen sind oder dieser wunderbare, einmalige Mensch. Ein ganz großer Mann feiert seinen Geburtstag.
Und nun ist der vielleicht sogar letzte große Roman Handkes erschienen: "Die Obstdiebin oder Einfache Fahrt ins Landesinnere". Sie lesen dieses Buch gerade - welche Assoziationen haben Sie dabei?
Peymann: Es ist wieder ein typischer Handke. Ich probiere gerade im Stuttgarter Staatstheater Shakespeares "Lear", und nachmittags vertiefe ich mich in die "Obstdiebin". Es ist eine Fortsetzung in Bildern des Denkens einer vielleicht nicht mehr allzu großen Lesegemeinde. Aber jedem kann ich wünschen, sich in diese merkwürdige, schöne, tiefe Melodie des Peter Handke einzuschalten.
Das Interview führte Natascha Freundel.
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Handke-Uraufführung am Burgtheater Rumpelstilzchens Raserei Claus Peymann kehrt an die Wiener Burg zurück - und inszeniert das neue Stück von Peter Handke: "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" erzählt von den Schwierigkeiten des Dichters mit der Welt. Von Anke Dürr Handke-Stück am Burgtheater: Sehnsucht nach der fremden WeltFotos Monika Rittershaus/ Burgtheater Wien Sonntag, 28.02.2016 14:59 Uhr Drucken NutzungsrechteFeedbackKommentieren "Wir haben wieder ein Stück", rufe Claus Peymann jedes Mal, freudig erregt "wie ein beschenktes Kind", sobald er das eben fertiggestellte Werk eines Dichters in Händen halte. ADVERTISING inRead invented by Teads So erzählt es der Dramatiker Peter Turrini im Nachrichtenmagazin "Profil" anlässlich der neuen Großtat des Altmeisters, die in Österreich sehr gespannt erwartet wurde: Peymann, 78, ist nach Wien zurückgekehrt. Ans Burgtheater, wo er von 1986 bis 1999 immer wieder für Krawall und Furore gesorgt hatte. Peymanns Auftrag: das neue Stück von Peter Handke, 73, zu inszenieren. Am Samstagabend war es so weit. Handkes Stück heißt "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße". Es ist, wenn sich niemand verzählt hat, die fünfte Handke-Uraufführung am Burgtheater, die elfte überhaupt, fast 50 Jahre nach der legendären "Publikumsbeschimpfung" in Frankfurt, die einst den Ruhm der beiden alten Männer begründete. "Pack! Doppelpack! Tetrapack!" Wie Peymann diesmal reagierte, als er Handkes neues Stück zum ersten Mal in Händen hielt, ist nicht überliefert. Klar ist: Er hat es für eine Uraufführung ziemlich radikal gekürzt. Von den bereits als Buch erschienenen 180 Seiten fällt etwa ein Drittel weg. Trotzdem fehlt einem nicht wirklich was - das Ganze dauert immer noch drei Stunden. Handke zelebriert in "Die Unschuldigen" seinen Status als feinsinniger, schwieriger, menschenscheuer und zu wenig beachteter Dichter. Sein Alter Ego, das "Ich" des Stücks, wandert auf einer verlassenen Landstraße umher, die es als sein Territorium betrachtet. Immer wieder kommen Fremde vorbei. Sie telefonieren und gucken herum, ohne die Schönheit der Natur wahrzunehmen. Der schlimmste Frevel: Sie übersehen den Mann am Straßenrand. Sie hören nicht auf ihn. Weil sie das nicht absichtlich tun, sondern aus Ignoranz, nennt die "Ich"-Figur sie "die Unschuldigen". Das gespaltene Ich Sein "Ich" hat Handke aufgespalten in einen besonnenen "Ich-Erzähler" und in "Ich, den Dramatischen", der sich gern aufregt und die Unschuldigen - zu denen in Publikumsbeschimpfungstradition auch die Zuschauer gehören - mit Ausdrücken wie "tätowierte Schwimmlehrer" oder "Pack! Doppelpack! Tetrapack!" bewirft. Die Landstraße, die er gegen die profanen Menschen verteidigt, die da so unsensibel hindurchtrampeln und sich nur für Sonderangebote und Pauschalurlaube interessieren, ist natürlich das Land der Poesie. Sein Dichterreich. Er verteidigt es störrisch gegen die "Nutzbarmachung" - und leidet gleichzeitig, dass er nicht gebraucht wird. Christopher Nell, 36, spielt dieses Ich. Er gehört dem Berliner Ensemble an, Peymanns neuer Wirkstätte seit 1999. Die Inszenierung ist eine Koproduktion und wird ab Mai auch in Berlin zu sehen sein. Der Poet als Clown und Zauberkünstler Nell erinnert an Charlie Chaplin in "Der Tramp". Er trägt eine zu weite Hose, abgelatschte Stiefel, ein Wams über dem Hemd und einen Lederrucksack; dazu einen staunenden Blick. Die Hände streckt er immer wieder gen Himmel, wenn er nicht weiter weiß: "Und ich? Wer bin ich?" Und wenn es um die Fantasie geht, lässt er seine Finger in der Luft zappeln wie einst bei Roncalli. Der Poet als Clown und Zauberkünstler, der sich seine Welt erträumt. Kaum hat Nell mit der Hand seine Landstraße in die Luft gemalt, erscheint leuchtend ein elegant gekurvter Weg auf der nach hinten ansteigenden Bühne von Karl-Ernst Herrmann. Und, plopp, aus dem Boden erscheint ein rostiger Unterstand, der in seiner Ästhetik an eine Schrottplastik aus den Achtzigerjahren erinnert. Als Erzähler stapft Nell mit ausholenden Schritten über seine Straße. Wenn er dramatisch wird, boxt er um sich und wütet wie Rumpelstilzchen. Er singt mit Kopfstimme, zuckt im Traum wie ein Epileptiker, gibt alles in den sehr langen Monologen - und schafft es doch nicht, dass der von ihm so überpointiert vorgetragene Sermon einen berührt. Es bleibt ein merkwürdig naives und recht eindimensionales Bild, das Nell und Peymann vom Dichter entwerfen. Von der Melancholie, die in Handkes selbstkritischem wie eitlem Stück zu spüren ist, von der Zerrissenheit eines autistischen Künstlers, der sich nach der Welt sehnt und sie doch nicht aushält, sieht man auf der Bühne zu wenig. Schauspieler Nell in "Die Unschuldigen": der Dichter als Zauberkünstler Monika Rittershaus/ Burgtheater Wien Schauspieler Nell in "Die Unschuldigen": der Dichter als Zauberkünstler Auch die anderen sind in Peymanns Inszenierung durch und durch künstliche, überdeutlich ausgestellte Figuren. Maria Happel ist als schrille Karikatur einer Spießergattin eher albern als komisch. Regina Fritsch ist als "die Unbekannte" in schwarzer Korsage und mit strengem Blick schon bei Handke eine Altmännerphantasie, die schwer mit Leben zu füllen ist: Sie ist die Idealfrau, die den Dichter intuitiv versteht, ihm "still an den Lippen hängt", sich widerstandslos treten lässt und doch zu ihm zurückkehrt. Die ihm den Weg durch das Gedankendickicht in seinem Kopf weist. Nur Martin Schwab - mit grauen Indianer-Zopf als "Häuptling" der Unschuldigen - scheint wirklich in sich hineinzuhorchen, wenn er am versöhnungsseligen, von Peymann stark gekürzten Ende seine Kindheitserinnerungen hervorholt. Der Rest aber trägt seine Sätze vor, als gelte es vor allem, klar und deutlich zu sprechen. Alles ist ausgestellt an diesem Abend. Jede Geste, jeder Blick, jede Vogelfeder, die vom Bühnenhimmel fällt, schreit: Das hier ist Theater und will es auch unbedingt sein! Denn die Welt, wie sie uns auf der Bühne erscheint, ist ja eine vom Dichter erfundene. Bevölkert von Kopfgeburten, mit denen der Autor hadert, wenn sie ein Eigenleben entwickeln. Nur: der Kontakt zur Welt da draußen, außerhalb der Theatermauern, ist ihr abhanden gekommen. "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße": Nächste Vorstellungen am Wiener Burgtheater am 29. Februar sowie am 6., 19. und 20. März 2016; ab Mai 2016 am Berliner Ensemble.
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INTERVIEW / ARCHIV | Beitrag vom 08.06.2016 50 Jahre "Publikumsbeschimpfung" von Peter Handke Peymann erinnert an Skandal-Aufführung Claus Peymann im Gespräch mit Anke Schaefer und Christopher Ricke Podcast abonnieren Autor Peter Handke im Oktober 2014 in Wien. (picture alliance / dpa / Georg Hochmuth) Das Stück "Publikumsbeschimpfung" machte den Schriftsteller Peter Handke 1966 über Nacht berühmt (picture alliance / dpa / Georg Hochmuth) Tumulte und Prügeleien – all das gab es 1966 bei der Uraufführung des Dramas "Publikumsbeschimpfung" von Peter Handke. Regisseur Claus Peymann denkt gerne an diese Inszenierung zurück: Damals habe er sich mit seiner Truppe wie die Beatles oder die Rolling Stones gefühlt. Am 8. Juni 1966 wurde Peter Handkes skandalträchtiges Stück "Publikumsbeschimpfung" im Frankfurter Theater am Turm uraufgeführt - in der Inszenierung von Claus Peymann. "Es war ein legendärer Tag", so erinnert sich der Regisseur im Deutschlandradio Kultur an das Datum der Uraufführung. Die Beschäftigung mit Handkes Drama sei für ihn eine "Liebe auf den ersten Blick" gewesen: "Ich war ja jung. Wir waren alle jung. Es war wirklich so die Zeit der Beatles und der Rolling Stones. Und eigentlich hatten wir das Gefühl, dass wir das fortsetzen, was diese proletarischen Sänger uns zeigten. Nämlich Revolte gegen das Bestehende, Revolte gegen das Schlagergeschäft. Und im Grunde ist die 'Publikumsbeschimpfung' ja das Stück der 68er gewesen, das heißt der Aufstand gegen das Bestehende." Der Beginn des modernen Theaters Bei der Premiere habe es heftige Tumulte gegeben, erzählte Peymann. Die zweite, für das Fernsehen aufgezeichnete Aufführung enthalte sogar Prügelszenen: "Günther Rühle, ein nicht unwichtiger Theaterhistoriker und Theaterkritiker, hat gesagt: 'Mit diesem Termin fing das moderne Theater an. Heute sind wir natürlich ganz harte Sachen gewöhnt. Aber wir hatten das Gefühl: Wir sind jetzt die Beatles oder die Rolling Stones." Wie Peter Handke zum Pop-Star der Dichter wurde Aus dem jungen, noch weitgehend unbekannten Handke wurde zum Pop-Star unter den Dichtern. Das sei dann auch mit dessen Auftritt im April 1966 bei der "Gruppe 47" in Princeton verbunden gewesen, meinte Peymann: "Handke war über Nacht wirklich der große österreichische, deutschsprachige Revoluzzer. Es war der Beginn seiner großartigen schriftstellerischen Karriere, die hoffentlich doch eines Tages beim Nobelpreis endet." "Wir haben es nicht auf Skandal angelegt" Peymann ging auch auf die heutige Situation des Theaters und die Erwartungen des Publikums ein. Die damalige Frankfurter Aufführung habe "gewaltiges Entertainment" geboten: "Und zwar auf musikalisch-szenische Art. Es war ein Schmerzensschrei, aber zugleich auch eine große Freude. Aber es war auch ein Theaterfest. Wir haben es ja nicht auf Skandal angelegt. Das ist ein großer Irrtum. Der Handke hat klar gemacht, dass die bestehende Beziehung des Theaters auch mal hinterfragt werden soll."
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nn
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Theater! Meine Welt! Peter Handke und Claus Peymann Mein Theater! Meine Welt! Claus Peymann, dessen Peter-Handke-Verbindung in gemeinsame Frankfurter Zeiten zurückreicht und seitdem nie geruht hat, bringt in Wien ein neues Handke-Stück zur Uraufführung. 25.02.2016 15:37 Uhr Dirk Pilz Teilen Mailen Claus Peymann. Foto: © epd-bild / KEYSTONE Claus Peymann inszeniert Peter Handke. Am Wiener Burgtheater. Er bringt das Schauspiel „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ zur Uraufführung, vergangenes Jahr als Buch erschienen, 177 Seiten lang, jetzt endlich auf der Bühne, mit 13 Schauspielern. Für die Jüngeren unter uns: Das ist das Theaterereignis des Jahres. Claus Peymann hat insgesamt zehn Handke-Stücke uraufgeführt, „Publikumsbeschimpfung“ am Frankfurter Theater am Turm war das erste, vor fünfzig Jahren. Vier Peymann-Handke-Erstinszenierungen gab es allein an der Wiener Burg, die letzte allerdings im fernen Juni 1999, „Die Fahrt im Einbaum oder das Stück zum Film zum Krieg“. Da war Peymann noch Burgtheaterdirektor und der meistgehasste und meistgeliebte Theatermann auf Erden. ADVERTISING Claus Peymann an der Burg – was waren das für Zeiten. Man glaubt’s heute kaum. Peymann holte die jungen Wilden auf die Bühne. Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, Peter Handke. Und was gab es für ein Theater dauernd. Misthaufen wurden vor die Burgtür gekippt, als Peymann Bernhards böses Stück „Heldenplatz“ urinszenierte. Oder wie der Kollege Hans Weigel 1998 bei der Verleihung des „österreichischen Staatspreises für die Verdienste um die österreichische Kultur im Ausland“ über Peymann schimpfte: „Wir haben die Jahre des Dritten Reichs überlebt, wir werden auch das überleben.“ Meine Güte. Ein „Irrenhaus“ schimpfte Peymann einst Österreich, wahrscheinlich zu recht, „wenn Sie wüssten, was für eine Scheiße ich hier erlebe“, flötete er einem Journalisten in den Block. So ging das zu seinerzeit. Es ließe sich Stunden davon erzählen, sie reden in Wien ja auch heute noch dauernd vom Peymann. Sie haben ihn angehimmelt und verdammt damals, immer zugleich. Sie ließen ihn einfach ziehen Dann ging er vor 16 Jahren fort, der Peymann, ans Berliner Ensemble. Das hat er ihnen übelgenommen, dass sie ihn ziehen ließen in die graue Stadt Berlin, die mit den Theatern und ihren Direktoren schlimm leidenschaftslos und achselzuckend, wenn nicht gehässig umspringt. Seitdem sucht Peymann in Berlin sein Wien und findet’s nicht. Er hat die Burg auch gehasst und geliebt zugleich immerfort. 13 Jahren ließen sie ihn warten, bis sie ihn vor vier Jahren endlich zum Burgtheaterehrenmitglied gemacht haben. Was für eine Schmach, einen wie Peymann so lange zappeln zu lassen. Aber er hat sich gern ehren lassen, das dann doch. Und jetzt darf er sogar wieder inszenieren dort. Wieder Handke. Wieder Uraufführung. Man sollte dabei nicht vergessen, dass das Handke-Stück durch und durch eigen ist, sonderbar, jenseits aller Moden. Wo gibt es sonst eine Figur, die uns wissen lässt, dass sie „manchmal Arschficker“ sagt, „allein um des Klangs willen“. Wer sonst lässt ein „Ich im Wechsel zwischen Ich, der Erzähler und Ich, der Dramatische“ auftreten, lässt das literarische Personal über eine Landstraße streifen, als schwebten sie durch tausend Himmel und Höllen. Man kann vor diesem Stück Handke-Literatur nur weglaufen oder es lieben. Ich lief erst weg vor lauter anachoretischem Selbstentrückungstheatergehabe, das mir vorkam, als ersticke es an seinem hochtönenden, klimpernden Bedeutungswillen, als suche einer einen gemütlichen Abseitsplatz an der Landstraße, von dem er gleich zu Beginn ruft „Hier bin ich Menschenkind, hier kann ich’s sein“. Oh weh. Dann aber begann ich die sonderbare Komik zu lieben, mit der die Figuren immerfort aneinander vorbei stolpern, sich selbst in den Rücken fallen, nie so ernst nehmen wie sie vorgeben. Auf Shakespeares „Sturm“ wird oft angespielt, auf das Komische, Absurde, Abwegige. Peter Handke hat eine Welttheaterkomödie geschrieben. Ein gewagtes, verrücktes Drama, ein „Landstraßenstück“, wie er sagt, und es sind die aberwitzigsten Länder, durch die es führt. Handlung hat es im herkömmlichen Sinne keine, Figuren oder Konflikte auch nicht. Das also darf Claus Peymann inszenieren. Ob dieser Peymann, 78 Jahre jung, nach wie vor für eine Überraschung gut sei, wurde Handke, 73 Jahre, vor der Uraufführung jetzt gefragt. Antwort: „Ich hoffe! Ihr Wort in Gottes Ohr! Inschallah!“ Und dann hat er noch gesagt, er träume davon, dass seine Stücke „dieser oder jener junge Regisseur in die Hand nimmt, in die Luft wirft und schaut, was für Figuren im Raum entstehen“. So ein Junger wie Peymann damals an der Burg war vielleicht, früher, damals. Sie haben schon immer kleine Giftpfeile hin-und-her-geschickt. Peymann hielt ihm 1988 vor, Handke sei „auf geradezu rührende Weise reaktionär“, da könne er nicht mehr folgen. Dann hat er ihn wieder in den siebten Himmel gelobt, auch verdächtig. Handke seinerseits hat Peymann den „furchtbar provozierenden“ genannt, den „streitgeisterweckenden“, den „Boxer“ und das keineswegs nur nett gemeint. Aber jetzt sind sie wieder beisammen, ein schönes altes Paar mit junger Theaterlust beide. „Der Weg hier ist mein Recht“, heißt es in Handkes Stück. Das war „meine Königsetappe“, sagt Peymann über seine Burgdirektorenzeit. Mein Theater, meine Welt! Ich, ich, ich! Sie rufen’s seit einem halben Jahrhundert im Chor. Vielleicht wird es gar wieder eine große Uraufführung. Wir wünschen gutes Gelingen.
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REVOLUTIONARY THEATER DIRECTOR CLAUS PEYMANN TURNS 80 Little Klaus - the name at that time spelled with "K" Klaus Eberhard Peymann was born on June 7, 1937, into a middle-class family in Bremen. His father was a teacher and a Nazi; his mother opposed National Socialism. Klaus, for his part, rebelled by changing the spelling of his name: "When did 'Klaus' turn into 'Claus'? I don't know! At some point, it was just easier to write in school," said Peymann. 1234567891011 It will not be a farewell of his own choice when Claus Peymann leaves the Berliner Ensemble at the end of the season - after 18 years of regency and 190 theater productions. Berlin politicians pushed for his abdication. "I feel like a theater monarch without an empire," said the theater director, who turned 80 on June 7. "The Berliner Ensemble is my body, my imagination, my mind. I will not go without feeling pain and despair," he said. His life and career have been composed of a series of dramatic stations, marked by major rifts, scandals and the determined insistence that theater should be a forum for the humanistic critique of society. The first station was his native city of Bremen. Then came student theater in Hamburg, the Theater am Turm in Frankfurt, then Stuttgart, Bochum, Vienna and finally, Berlin. Peymann has always been well known for his outspoken radical democratic views. He has been both naïve as well as despotic in implementing his standards of theater, which he views as a moral institution. Gert Voss and Kirsten Dene (Abisag Tüllmann) Gert Voss and Kirsten Dene, two of Peymann's favorite actors Like none other, he discovered and carefully promoted modern writers such as Peter Handke, Thomas Bernhard, Herbert Achternbusch, Botho Strauss, Elfriede Jelinek and George Tabori. He was or still is friends with most of them. He has also maintained a loyal relationship with the leading stage designers of his generation, including Karl-Ernst Herrmann and Achim Freyer. "Theater people are my family," Peymann once said. His liaison with theater is one of life or death. And acts of resistance are his specialty. "My victories have often resulted from the fears and cold feet other theater makers have had," he noted. His first milestone: the staging of Peter Handke's "Publikumsbeschimpfung" ("Offending the Audience") at the Theater am Turm in Frankfurt in 1966. It was one of 46 theater premieres by Peymann, who has also staged works by Shakespeare, Goethe, Schiller, Lessing, and Büchner. Resistance, intellectual freedom, revolt - all are Peymann's trademarks. New standards for Kleist productions Heinrich von Kleist's "Prinz Friedrich von Homburg" ("The Prince of Homburg") is the last work Peymann is staging at the Berliner Ensemble. The theater director set standards for von Kleist productions as early as 1975 at the Staatstheater Stuttgart with "Das Käthchen von Heilbronn." In 1982, he stirred a sensation with "Die Hermannsschlacht," as most people considered the work by von Kleist as impossible to stage. Peymann did it with finesse, with two of his favorite actors: Gert Voss and Kirsten Dene. Der Prinz von Homburg played by the Berliner Ensemble (Photo: picture-alliance/dpa/P. Zinken) "The Prince of Homburg" played by the Berliner Ensemble "Art is always resistance, contradiction… and the moment in which that no longer occurs, art runs dry," he said. He stuck to that motto as the director of Stuttgart's Staatstheater, even when he ran into conflicts between 1974 and 1979 with city politicians. Uproar came when he supported a campaign to raise money for dental replacements for imprisoned RAF terrorist Gudrun Ensslin. For him, his support was an act of mercy. He also set new standards at the Schauspielhaus Bochum between 1979 and 1986, primarily with works by Thomas Bernhard, such as "Der Weltverbesserer" (The Do-Gooder). He continued to stage works by Bernhard at Burgtheater Wien, which he managed between 1986 and 1999 against much resistance. Bernhard's "Heldenplatz" is considered the climax of Peymann's career - the work that addresses Austria's anti-Semitism prompting both applause and boos alike. Thomas Bernhard and Claus Peymann waving on stage (Photo: Oliver Herrmann) Not one to shy away from conflict: Claus Peymann (right) chose to stage Thomas Bernhard's (middle) critique of Austrian anti-Semitism When he took over the Berliner Ensemble in 1999, he wanted to "become the fang in the government district," he said. Yet the theater revolutionary increasingly could not and would not keep up with the times, garnering his Berliner Ensemble the label of being a "theater museum." A passionate theater director Still, Peymann has grabbed attention with various pieces, including international praise when he staged Bertolt Brecht's "Mutter Courage und ihre Kinder" in 2005. He brought American theater magician Robert Wilson to the stage in the German capital, and has staged works by German theater great George Tabori. It's been a recipe for success, with the Berliner Ensemble being booked around 90 percent of the time. He's also had the numbers counted during his reign: 3,703,647 visitors and 40,879 minutes of applause. Those are laurels that are sure to keep him going in his new career as a freelance theater director.
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nnhttp://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/claus-peymann-das-theater-muss-die-maechtigen-kontrollieren-a-26390.htmlClaus Peymann "Das Theater muß die Mächtigen kontrollieren" 13 Jahre lang hat der Intendant des Wiener Burgtheaters sein Publikum mit ungewöhnlichen Inszenierungen schockiert. Mit der "Fahrt im Einbaum" endet seine Zeit in Wien. SPIEGEL ONLINE sprach mit Peymann über Handkes Skandalstück, die seherischen Fähigkeiten von Schriftstellern und die Verantwortung des Theaters. Mittwoch, 09.06.1999 18:29 Uhr Drucken NutzungsrechteFeedbackSPIEGEL ONLINE: Haben Sie sich mit Handkes Stück "Die Fahrt im Einbaum" ein Abschiedsgeschenk gemacht? Peymann: Dieses Stück führt meine Arbeit in Wien auf den Punkt. Es war mir immer wichtig, zeitgenössische Literatur im Burgtheater zu zeigen und ein Zentrum für das gegenwärtige Theater zu schaffen, als deutsch-nationales Theater. Das hat mit Thomas Bernhard begonnen, mit Turrini und Jelinek. Schöner, genauer, polemischer und poetischer als mit dieser Uraufführung konnte ich diese 13 Jahre hier gar nicht beenden. SPIEGEL ONLINE:Die politischen Ereignisse im Kosovo haben das Stück förmlich überrollt. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung? Peymann:Daß diese einmalige Situation entstehen konnte, daß man an einem Stück über einen Krieg arbeitet, der zehn Jahre zurückliegt und daß dann ein Krieg zur gleichen Zeit beginnt - das überschattet die Arbeit an diesem Stück. Es stellt ja eigentlich eine Elegie auf einen vergangenen Krieg und die Reflexion von Künstlern über dessen Darstellbarkeit dar. Die Realität holte die Fiktion ein, das machte diese Regiearbeit zu einer in meinem Leben vollständig einmaligen Konstellation, die vielleicht den Ernst unserer Beschäftigung mit dem Stück noch vertieft. Wenn Theater oder Schriftsteller ein Gefühl für das, was sich in der Zeit abspielt; entwickeln; dann entstehen solche einmaligen Konfigurationen von Gegenwart, Literatur und Poesie. SPIEGEL ONLINE: Ist Handke für sie ein Seher, ein Prophet? Peymann: Ich glaube, wir müssen uns diesen altmodischen Begriff vom Sehen wieder angewöhnen, weil die sogenannten "Fernseher" blind sind - nicht nur die Produzenten, auch die Zuschauer. Wir brauchen wieder ein anderes "Sehen", ein Fern-sehen oder ein Fern-voraus-sehen. Für mich haben alle großen Dichter - Jelinek, Bernhard, Handke - etwas von diesem Hineinschauen in die Zukunft. Thomas Mann hat das Trampeln der NS-Soldaten schon in den 20er Jahren gesehen. So sieht Handke einen Weltuntergang vor sich. Als wenn man in ein geologisches Loch blickt, so sieht dieses Stück in den Untergrund der Zeit. Es ragt damit weit über eine Elegie auf den Bosnien-Krieg hinaus. SPIEGEL ONLINE: Ist Friede die letzte große Utopie unseres Jahrhunderts? Peymann: Friede ist das einzig Menschen-Angemessene. Und daß wir jetzt wieder Krieg haben, ist eine schrille Realität. Diese scheinbare Ruhe, in der wir aufgewachsen sind, und dieses Glück einer offensichtlichen Friedenszeit ist auf dünnem Eis gebaut. Ich finde, daß dem Theater Aufgaben und Verantwortung zukommen. Wenn schon die Politiker sie nicht übernehmen, dann muß das Theater die Mächtigen kontrollieren, damit die Bäume nicht in den Himmel wachsen, aus dem dann die Bomben regnen. SPIEGEL ONLINE: Wer schreibt die Geschichte, kann man sich der Verantwortung entziehen? Peymann: Die Figuren in Handkes Stück suchen die Schuld in sich. Sie sind verzweifelt über das, was ihnen passiert. Vielleicht ist dieses Stück auch der Spiegel der Wirklichkeit, weil sie geschichtliche Geschehnisse abbildet. Die Geschichte schreiben also vielleicht doch die Künstler. Das jedenfalls ist es, was übrig bleibt in der Erinnerung der Leute. Die Hansln, die im Fernsehen rumtoben, tun ja nur so, als machten sie Geschichte. Ich will es nicht wahrhaben, aber ich muß mir eingestehen, daß ich eine gewisse Verdrossenheit verspüre über die Politik und daß ich eine gewisse Verzweiflung empfinde über das, was sie wir bis heute zustande gebracht haben. SPIEGEL ONLINE: Inwiefern kann das Theater die Politik überhaupt beeinflussen? Peymann: Das Theater ist dazu da, entgegenzuhalten, sich gegen den Strom zu stellen, Halt zu rufen. Und dieser einzelne seherische Rufer in der Wüste, Peter Handke, so sehr man sich über ihn lustig macht, ist eine charismatische Figur, die für viel mehr steht als nur für die jeweiligen Tagesäußerungen zu Serbien. Ich glaube an die Botschaft der Kunst: Wir haben die Nase vorn. Das Interview führte Erna Cuesta in Wien
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https://diepresse.com/home/kultur/news/4925451/Unterwegs-mit-Peymann-und-Handke-auf-der-Weltlandstrasse
Unterwegs mit Peymann und Handke auf der Weltlandstraße Altgriechisch und Van Morrison: Des Dichters Universum. Facebook Google+ Twitter Drucken Mail Vorlesen INTERVIEW: SCHRIFTSTELLER PETER HANDKE Peder Handke – APA/BARBARA GINDL 0 Kommentare von Barbara Petsch 13.02.2016 um 17:57 „Ich erkläre euch den Krieg, ihr Unschuldigen. Ich sage euch den Kampf an. Oder ich leiste euch zumindest Widerstand. Aber wie gegen euch Krieg führen? Wie mit euch kämpfen? Wie euch unwiderstehlich Unschuldigen widerstehen?“ Peter Handke reitet wieder. Schon der Titel seines neuen Stückes ist eine Herausforderung: „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“. Titel von Handke-Stücken müssen sickern, mit der Zeit haken sie sich wie Sprichwörter im Gedächtnis fest: „Die Unvernünftigen sterben aus“, „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“, „Die Fahrt im Einbaum“. Jerusalem-Streit: Unruhen in Palästinensergebieten FEATURED BY Waffen des Geistes. Wie lebt jemand, der nicht Auto fährt, nicht ins Büro geht, kaum Medien konsumiert? Er befindet sich außerhalb – und so ist auch seine Perspektive. Handkes Figuren sind teilweise narzisstisch. Sie haben aber keine klare Identität. Insofern passen sie in unsere Zeit. Sie spalten sich auf, fließen ineinander. Traum und Wirklichkeit verschwimmen – wie in Strindbergs „Traumspiel“. Wie Agnes, die Tochter des indischen Gottes Indra, stehen auch Handkes Ichs immer wieder vor der Tür, hinter der die Lösung des Welträtsels vermutet wird, doch hinter der Tür ist nichts. Konstellationen in Handkes Stücken erinnern auch manchmal an Kafka, speziell dessen Torhüter-Parabel über einen Mann, der sein ganzes Leben vor einem Tor wartet und keinen Einlass bekommt. Aber Handke ist nie nur pessimistisch. Er gilt sogar als Veredler der Wirklichkeit, als Heilsbringer. Immer wieder werden Natur und Menschen in seinen Werken von herumtrampelnden Nichtsnutzen gefährdet oder zerstört. Handke führt dagegen die Waffen des Geistes. Er ist ein wissbegieriger Student, die Strebsamkeit hat er aus dem katholischen Internat mitgenommen. Sein Wandern zwischen Welten, Kärnten, Frankreich, das Gebiet des ehemaligen Jugoslawien, Amerika, speziell Alaska, beflügelte seine Sprachbegeisterung. Und weil Handke eine klassische Bildung mit Altgriechisch und Latein genossen hat, geht er gern dem Wortsinn auf den Grund. „Wirtschaften“ nennt er sein unermüdliches Sammeln von Partikeln aus der gebildeten Welt und der Natur für seine Bücher. Hesse. Den „Unschuldigen“ sind Zitate von Goethe („Wir aber, auf der Allerweltslandstraße“), von Ibn al Farid, mystischer Dichter der arabischen Literatur des 13. Jh.s („In ihrer Erdenzeit sehnt sich die Seele nach dem reinen Ruf“), sowie ein Wort aus Shakespeares „Sturm“ vorangestellt: „Go sleep and hear us“. Dazu braucht es Zeit, Geduld – und Glauben. Schreiben ist für Handke ein Akt der Selbstvergewisserung: „Literatur ist für mich lange Zeit das Mittel gewesen, mir über mich selber, wenn nicht klar, so doch klarer zu werden. Sie hat mir geholfen zu erkennen, dass ich da war, dass ich auf der Welt war. Ich war zwar schon zu Selbstbewusstsein gekommen, bevor ich mich mit der Literatur beschäftigte, aber erst die Literatur zeigte mir, dass dieses Selbstbewusstsein kein Einzelfall, kein Fall, keine Krankheit war.“ („Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms“, 1967). Manche Gedanken verbinden Handke mit Hermann Hesse („Der Steppenwolf“), der ebenso ein gleichermaßen nachdenklicher wie zorniger Zeitgenosse war. Schmähreden sind ein wichtiges Element in Handkes Stücken. Die Litanei zur sprachlich farbenfrohen Beleidigungsorgie umfunktioniert, wirkt auf der Bühne manchmal zu brav. In diesen Kaskaden von Verdammung spiegelt sich der Großvater, der immer wieder in Handkes Stücken auftaucht, den man – wie es einmal heißt – bis ins nächste Tal hören konnte und von dem der Dichter die Bodenständigkeit hat. Kärnten. Dieses spezielle kärntnerische Environment mit seinen vehementen Wahr- und Lügen-Rednern, seinem Beharren auf Eigenständigkeit, seinen Fantasmagorien, findet in Handkes Stücken blumigen Ausdruck – und nervt gelegentlich Menschen, die nicht jahrelang in Kärnten Urlaub gemacht bzw. das Jauntal, Handkes Heimattal, erkundet haben. Handkes Theater erinnert auch an das Lebensgefühl von Freiheit und Individualität der 1960er-Jahre, dieses Alles-ist-Möglich für den Einzelnen, ein Gefühl, das wir teilweise verloren zu haben scheinen. Und Handke erzählt von der Zeit, als Europas Amerika-Bild noch heil war – mit Jukebox, Cowboys, Trappern und Globetrottern. Popmusik (Van Morrison, Beatles) und Film sind für Handke wichtig. Trotz moderner Elemente sind seine Stücke barockes Welttheater. Viele seiner Werke hat Claus Peymann aus der Taufe gehoben, zunächst in Frankfurt, wo er an der Avantgardebühne Theater am Turm mit dem Skandalon „Publikumsbeschimpfung“ für Aufregung sorgte. Während seiner Zeit am Burgtheater, 1986 bis 1999, inszenierte Peymann viele spätere Handke-Stücke wie „Das Spiel vom Fragen“, eine Parzival-Variation, oder „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“, ein Königsdrama. Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann sorgte für geniale, verwunschene Bilder. Schamanen. Peymann über Handke: „Der Theaterrevolutionär der Sechzigerjahre ist heute ein nachdenklicher Natursucher, ein heiterer und zugleich schwermütiger Einzelgänger, Wanderer und Mystiker geworden. Aber mit der gleichen Begeisterung. Alle Stücke Handkes waren gewaltige Experimente. Er ist kein sentimentaler Bursche. Die Genauigkeit seiner Beobachtung ist liebend, schließt aber Sentimentalität aus. Es könnte sein, dass das Belehrende von Brecht ihn nervt, obwohl auch er selbst manchmal als ,Weltverbesserer‘ auftritt. Handke hat Tschechow geliebt, Horváth war einer seiner Götter. Als Regisseur hoffte ich oft auf Verkürzungen seiner Stücke, stattdessen kam immer noch etwas Neues dazu. Ich bin immer meinen eigenen Weg gegangen, aber die Meinung des Autors hat mich geleitet. Er ist der König, Handke gehört zu den Visionären. Sie sind die ,Schamanen‘ von heute. Sie erahnen das noch nicht Sichtbare.“ (Zitate aus „Die Arbeit des Zuschauers. Peter Handke und das Theater“, herausgegeben von Klaus Kastberger, Katharina Pektor, Jung & Jung). ("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2016)
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https://www.news.at/a/news-handke-peymann-suhrkamp-streit-75897
Fünf Jahre nach der Uraufführung am Burgtheater wird Peter Handkes einst skandalisiertes Serbien-Stück "Die Fahrt im Einbaum" wieder in Wien gezeigt. Die kleine, aber exzellente "Gruppe 80" bringt das Werk über die Medienhetze gegen Jugoslawien im Kosovo-Krieg zum Teil mit serbischen Schauspielern heraus. Handkes Tochter Amina verantwortet die Musik-Collage. Aus diesem Anlass führte Peter Handke ein Interview für die aktuelle NEWS-Ausgabe, in dem er sich an das Uraufführungsgetöse und die Verrisse anno 1999 erinnert. Handke schreibt den Misserfolg der Inszenierung Claus Peymanns zu: "Leider war die Inszenierung missraten. Peymann war nicht bei der Sache, war nicht eingetaucht in den Rhythmus, in die Haltung, in die Sprache, in die Situationen und den Zusammenhang des Stücks. Die Schauspieler sind auf verlorenem Posten gestanden, waren völlig alleingelassen. Es war ja mitten im Krieg gegen Jugoslawien, und Peymann hat nur auf die Medien gehört und sich in seine Arbeit nicht vertieft. Es war ja auch viel verlangt. Ich weiß nicht, wer da versagt hat. Mit kommt jedenfalls vor, dass es nicht ich war. Mir war bewusst, dass ich meine Arbeit verloren geben musste. Es war schon heroisch, dass das Burgtheater die Uraufführung überhaupt herausgebracht hat. Aber wenn schon, dann hätte sich der Regisseur hineinlassen müssen wie in ein Tiefseeabenteuer, um es ans Licht zu bringen. (...) Es wurde nachgespielt, aber ich wollte es nicht mehr sehen. Ich hatte nicht mein Stück, sondern die Theater verlorengegeben, und es tut mir immer noch leid, dass ich das Stück dem Theater als freiem Medium gewidmet habe. Ich habe gedacht, das Theater ist unter all den Medien noch am ehesten das geeignete, um freie Formen und freie Blicke zu entwickeln. Ich habe mich auf die dümmste Weise getäuscht." Für das Theater möchte Handke dennoch weiterarbeiten. Im NEWS-Interview nimmt er auch den Suhrkamp-Verlag in Schutz. Das traditionsreiche Haus wird nach dem Tod Siegfried Unselds von Autoren-Abwanderunsgerüchten, die u. a. Martin Walser betreffen, heimgesucht. Handke wird den Verlag im Gegensatz zu prominenten Kollegen nicht verlassen: "Sicher nicht! Warum denn? Das ist der Verlag für deutschsprachige Literatur, und das wird er auch bleiben. Ich habe meine Achtung vor Walser, aber ich verlange auch dieAchtung vor den Büchern, vor der Arbeit mit und an der Literatur. Dass man einmal eine Zeit vergehen lässt und die Pappen hält. Lassen Sie doch Suhrkamp in Ruh! Lassen Sie doch die Bücher, die Schriftsteller und die Leute, die das jetzt machen, ihre Arbeit tun! Es wird nur gemunkelt, getuschelt und gestritten. Was soll das? Es geht um ganz andere Dinge. Es geht um die Literatur, und die ist das Herz der Welt." Über die gescheiterte Akademiertheater-Uraufführung seines Monologs "Unteragblues" - Regisseur Luc Bondy brach die Proben ab - äußert sich Handke knapp: "Mich geht es nichts an. Die Geschichte des Stücks ist halt von Anfang an vergiftet." Und über Peymann, der das Stück im Herbst am Berliner Ensemble herausbringt: " Was bleibt ihm übrig, als treu zu sein? Wär ja noch schöner, wenn er das auch nicht wäre."
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http://oe1.orf.at/artikel/432721
Kulturjournal, 29.2.2016 0:00 / 11:47 Als "aufregend und schön" beschreibt Claus Peymann die aktuelle Produktion an der Burg, eine Koproduktion mit dem Berliner Ensemble. Nach den großen Schlachten der Vergangenheit sei es nicht zu erwarten gewesen, dass ihn so viele Wiener/innen ins Herz schließen. Aber "Zeit heilt Wunden, die Zeit veredelt", so Peymann. Er verstehe seine Arbeit als jemand, der immer nur dort ist, wo er Direktor ist. "Wer Peymann sehen wollte, musste nach Wien gehen; wer Peymann sehen will, muss nach Berlin gehen." Davon sei er jetzt abgewichen, da es sich um eine Koproduktion handle. "Beim Spielen beweist sich die Kraft des Textes" Den Begriff "Lesetheater" lehnt Peymann ab, er wisse gar nicht, was das sei. Er habe eine Aufführung von "Faust II" gemacht, "da war der Teufel los". Natürlich lese man ein Stück, aber man mache auch gewaltige Striche, um einen Abend, der Vergnügen und Spannung hat, hervorzubringen. Es gehe um sieben oder halb acht los und dauere bis elf, und "das ist die Melodie, das ist der Satz, der gespielt wird", betont Peymann. Egal ob "Heldenplatz", das "Sportstück" von Elfride Jelinek oder "Tod und Teufel" von Peter Turrini - es gehe ums Spielen und da beweise sich, die Kraft eines Textes. "Ist es etwas, was Schauspieler verkörpern können, sodass es lebt? Wir müssen daran nichts verbessern, wir müssen auch nichts mit Video erläutern, wir müssen auch nicht mit Verstärkern arbeiten, sondern die menschliche Stimme vermittelt im Spiel entweder die vorhandene oder die nicht vorhandene Kraft eines Textes", so Peymann. Das europäische Theater basiert ausschließlich auf der Literatur, das unterscheide es auch vom chinesischen oder afrikanischen Theater, unterstreicht Peymann. "Die Literatur ist die Basis und dieses Stück ist größte Literatur". Längst hätte Handke den Literaturnobelpreis verdient. Direktionsjahre 1986 bis 1999 1986 habe Gerd Voss mit "Richard III." Peymann die Tür in Wien geöffnet. "Sie müssen sich gar keine Wohnung nehmen, sie fliegen eh vorher raus. Gehen sie ins Hotel", habe ihm Bernhard damals geraten. "Und dann hat es doch 13 Jahre gedauert, ehe ich gehen wollte." Peymann bezeichnet diese Zeit als "Glückssekunde" und "Schicksalsgeschenk", als "zum ersten Mal in diesem Nationaltheater österreichische Autoren dieses große Haus gefüllt haben": Peter Handke, Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek oder Peter Turrini. Man habe Nestroy, Raimund, selbst Schnitzler zunächst nicht gespielt, unterstreicht Peymann. "Dass das Haus einmal für die offen stand, für die es eigentlich gebaut wurde - nicht nur für die Schauspieler und schon gar nicht für die Regisseure und Bühnenbilder, sondern für die Dichter." Diese Chance habe "ausgerechnet ein herber Piefke aus Bremen" gehabt, diese lebenden Autoren zu einer einmaligen Zeit zusammenzuführen. Und dass er nun mit Handkes neuem Stück anschließen konnte, das sei "der Kuss der Theatergeschichte". Service Burgtheater - Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rande der Landstraße Übersicht Kultur aktuell 29.02.2016 Facebook Twitter Google+ EMail Seitenanfang Mehr dazu in oe1.ORF.at Sschwarze Stöckelschuhe mit roten Absätzen Jubel für Handke und Peymann an der Burg ===================
/////http://www.kleinezeitung.at/kultur/4937675/Interview_Claus-Peymann-ueber-sein-Publikum_Wer-gaehnt-fliegt-raus
Claus Peymann über sein Publikum: "Wer gähnt, fliegt raus!" Nach der Handke-Premiere gibt sich der frühere Burgtheater-Chef angriffig wie eh und je. Claus Peymann wettert gegen Kritiker sowie gähnendes Publikum und hält sich für "eine Ausnahme, einen Außenseiter, ein Mammut." 15.54 Uhr, 02. März 2016 Facebook Google+ Twitter Zu den Kommentaren7 SEITE PER E-MAIL SENDEN SEITE DRUCKEN SCHRIFTGRÖSSE GRÖSSER SCHRIFTGRÖSSE KLEINER Claus Peymann war von 1986 bis 1999 "Burgherr" in Wien © APA/Techt Seine Uraufführung von Peter Handkes Stück "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" am letzten Samstag im Burgtheater war eines der Theater-Ereignisse der Saison. Interviews im Vorfeld hatte Claus Peymann (78) abgesagt, um sich ganz auf die Probenarbeit zu konzentrieren. Nach der Premiere und vor seiner Rückkehr nach Berlin stand er der Austria Presseagentur für ein Gespräch zur Verfügung. Herr Peymann, nach Ihrer Handke-Uraufführung war am Samstag ein weiteres kleines Stück auf der Burgtheater-Bühne zu erleben: Sie haben das Verbeugen choreografiert und schienen nach anfänglicher Verkrampfung angesichts des Jubels immer entspannter. Viele haben gemeint: wie früher. Wie haben Sie das empfunden? CLAUS PEYMANN: Na, das ist doch wohl normal, dass ich bei der Premiere überanstrengt oder überkonzentriert bin, oder? Ich habe zugeschaut - was ich selten tue - und habe das als eine sehr schöne Vorstellung empfunden, erschöpft und glücklich - das hat man mir möglicherweise angesehen. Auf der Straße bin ich zwar oft auf der Flucht vor zu viel "Umarmungen" - aber nach so einer Uraufführung, die ja einiges von uns, aber auch von den Zuschauern fordert, empfindet man diese große Begeisterung, diese Bekundungen der Liebe zum Theater, absolut als Beglückung. Darüber hinaus ist es natürlich beglückend, dass sich die Menschen (immer noch oder jetzt erst?) positiv an einen erinnern. Dass mich heute in Österreich so viele Menschen lieben, berührt mich sehr - aber heute liebe ich auch gern zurück! Die Zeit heilt die Wunden. Wer gähnt, fliegt raus! Haben Sie das noch nicht gemerkt? CLAUS PEYMANN ÜBER DAS PUBLIKUM War die Wiederbegegnung mit dem Haus und den Menschen, die hier arbeiten, ähnlich beglückend? PEYMANN: Ja. Ich bin Karin Bergmann dankbar, dass sie den Mut hatte, diese beiden alten Heroen, Handke und Peymann, und den Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann, noch einmal einzuladen in Wien zu arbeiten. Dass ich aus Berlin einen ganz tollen jungen Schauspieler mitbringen konnte, nämlich Christopher Nell, der bei uns Mephisto und Hamlet spielt, hat mich natürlich gefreut. Und absolut erfreulich war die Arbeit mit dem Ensemble, den Unschuldigen! Ja, ich sage es, weil es ja kein anderer sagt: Für mich war die Premiere eine Art Sternstunde. Ein neues, kühnes und hochpoetisches Stück von Peter Handke kommt in Österreichs Nationaltheater zur Uraufführung - so muss es doch sein! So haben wir es immer vertreten! Wenn ich den Hauptcharakterzug meiner Wiener Theaterarbeit beschreiben müsste, würde ich immer sagen, das war eben das Einmalige, dass Elfriede Jelinek, Peter Turrini, Thomas Bernhard und Peter Handke den Spielplan dieses Hauses bestimmt haben - österreichische zeitgenössische Dramatiker, für die es ja gebaut wurde. Manche sind blind, manche sind taub - manche beides zusammen! CLAUS PEYMANN ÜBER THEATERKRITIKER Von einer Sternstunde ist in den Zeitungen tatsächlich nichts zu lesen. Haben Sie die Kritiken studiert? PEYMANN: Nein! "Studieren"? Da hab ich Wichtigeres zu tun. Ich habe nach meiner morgendlichen Jogging-Runde am Ring Zeitungen gelesen, die Kritiken überflogen. Ach, die Theaterkritiker! Manche sind blind, manche sind taub - manche beides zusammen! Und meistens konträr zum normalen Theaterpublikum. Insofern macht es mir überhaupt nichts, wenn da wieder rumgemäkelt wird. Ist es so? Natürlich bin ich immer noch verletzbar und enttäuscht, weil man nichts mehr hofft, als dass die Botschaft einer Inszenierung, eines Stücktextes, ihr Ziel erreicht. Aber letztlich bin ich abgebrüht, sonst hätte ich wohl nicht so lange durchgehalten - denn es gibt wahrscheinlich keinen Regisseur, der so gnadenlos als Burgtheaterdirektor bekämpft wurde wie ich in meiner Wiener Zeit. Aber das hatte Sie doch erst recht angespornt! Wenn man gähnt und mit den Schultern zuckt - das wäre Ihnen doch wohl auch nicht recht? PEYMANN: Gähnen ist bei mir überhaupt verboten. Aber auch in Wien gibt es Theater, wo alle gemeinsam - die oben und die unten - gerne gähnen und sich wohlfühlen dabei. Bei mir? Da wird doch nicht gegähnt! Wer gähnt, fliegt raus! Haben Sie das noch nicht gemerkt? Das mediale Bild soll mich doch am Arsch lecken! Das ist mir doch vollständig wurscht. CLAUS PEYMANN Ist Ihnen dieser Publikums-Erfolg nicht zu glattgegangen? Keine heißen Auseinandersetzungen wie früher, sondern Jubel. PEYMANN: Das Publikum hat doch gejubelt! Ich hab immer Theater für und nicht gegen die Menschen gemacht. Ich war und bin auf Zustimmung aus - aber lege es nicht darauf an und werfe ja beileibe nicht mit Speck! Ich versuche mit einer Theateraufführung die Wahrheit und das Geheimnis des Textes zu vermitteln und erlebbar wahr zu machen. Wahrscheinlich gibt es die Sehnsucht in unserer Gesellschaft, dass jemand etwas vermittelt und ausspricht, was nicht der Quote oder den Tagestrends entspricht - und dafür ganz und gar zur Verfügung steht, dafür einsteht im schönsten Sinne. Diese Art von Identität, die ich immer noch mit meiner Arbeit habe, führt offenbar dazu, dass in einem bestimmten Moment Zuneigung oder Dankbarkeit - oder auch Legendenbildung entsteht. Ich finde übrigens, ich habe das auch gar nicht anders verdient. Ich bin mir aber vollständig im Klaren, dass ich inzwischen längst eine Ausnahme, ein Außenseiter, ein Mammut bin. Das, was ich verkörpere, diese Mischung aus "Genie" und Striese, das gibt es künftig nicht mehr. Heute sehen Sie eher die Smarten, Braven, Cleveren, die Geschickten, die so reden wie die Politiker, die sie ernennen, die so reden wie die Journalisten, die über sie schreiben. Da hat Handke doch recht: Das sind die "Unschuldigen", alles ein ähnlicher Phänotyp. Ich bin wahrhaft kein Unschuldiger. Ich bin schroff, ich bin ängstlich, ich suche, ich bin schüchtern, ich bin aggressiv, ich bin leidenschaftlich. Ich bin untaktisch, unklug, ungeschickt. Ich poltere laut, ich lache gern, ich lache auch gerne Leute aus - alles Dinge, die man sich heute nicht mehr leistet in einer Gesellschaft der Harmonie und Verharmlosung. APA/Fuchs ' Peymann schwärmt für Christopher Nell im Handke-StückFoto © APA/Fuchs Diese Gesellschaft der Harmonie geht aber gerade in Trümmer, die Emotionen gehen hoch ... PEYMANN: Eben: Die Wahrheit kommt zum Vorschein. Die Zeit der Verharmlosung ist vorbei. Das Lügengebäude stürzt zusammen. Das ist in vollem Gang. Ehrlich gesagt, das sind die einzigen Augenblicke, wo ich froh bin, dass ich 78 bin, dass ich den Dritten Weltkrieg in seiner ganzen Dimension nicht mehr erleben werde. Der Krieg ist ja in vollem Gang. Das wird auch so im Stück gesagt: Die Unschuldigen nehmen den Krieg vorweg, sie üben schon lange den Krieg, ohne es sich zuzugestehen. Das erleben wir jetzt: eine Gesellschaft ohne Traum, ohne Perspektive. Davon handelt das Stück. Insofern ist es total aktuell. Wie sieht dieses Lügengebäude aus? PEYMANN: Es ist die Lüge von der guten Nachbarschaft. Aber natürlich ist die Figur, die das in dem Stück anprangert, ein Narr. Ein Clown. Ein Caliban. Ein Idiot. Aber in ihm schläft auch Prospero, der Träumer, der Utopist. Insofern ist dieses Stück, wie alle Stücke Peter Handkes, eine Art Menetekel, hochaktuell, ganz heutig. Und ganz un-modern. Das ist kein Widerspruch. Es ist ganz heute und ganz aus der Zeit, gegen die Zeit. Es ist ein böses Zaubermärchen in einer Zeit, in der keine Märchen mehr erzählt werden, sondern in der die Märchen beginnen zu explodieren. Wenn Sie es im Heute verorten, sind mir die entsprechenden Bilder abgegangen. Die auf der Straße ziehenden Flüchtlinge sind ja das entscheidende mediale Bild der heutigen Zeit. PEYMANN: Das mediale Bild soll mich doch am Arsch lecken! Das ist mir doch vollständig wurscht. Das Stück endet in der Apokalypse des Jüngsten Tages. Es sind die weinenden Gesichter, die Menschen in ihrer absoluten Hilflosigkeit, Verzweiflung und Not - das zeigt das letzte Bild dieses Stückes. Alle Utopien, Versprechungen, auch jeglicher Gottesglaube ist verloren. Die Parolen pervertiert. Diese ganzen Unschuldigen sind im Kern Verzweifelte. Die Metapher des Tages ist die Ausweglosigkeit. Das Theater muss für die Gegenwart ganz anders aufmerksam sein, andere Sinne wecken, mit Kunst! All die hilflosen Versuche mit authentischen Syrern, Afghanen, Marokkanern... Betroffenheit auf der Bühne zu erzeugen, sind letztlich Verkitschungen - und nichts anderes als Elends-Folklore, Elends-Tourismus. Wie es geht, zeigt dagegen zum Beispiel eine Inszenierung wie Jelineks "Die Schutzbefohlenen" im Burgtheater. Aber die Metapher dieses poetischen Kosmos von Peter Handke ist eine ganz andere. Es gibt keine Lösung, kein Ende, keinen Schluss. Und so findet das Stück selber auch keinen Schluss, kein Ende. Aber wir spielen! Wir träumen einen gemeinsamen Traum - der zwischendurch auch zum Albtraum wird. In diesem Wachtraum sieht man den verlorenen Kampf des Ich, also des Peter Handke oder von wem auch immer, gegen eine Gesellschaft, die ihn unter dem Mantel größter Freundlichkeit erledigt hat. Das ist DAS Thema seit Menschengedenken, auch bei Thomas Bernhard: Individuum gegen die Gesellschaft. APA/Hans Klaus Techt Claus Peymann während des InterviewsFoto © APA/Hans Klaus Techt Die Theater haben sicher keine Lösung - aber ich habe den Eindruck, dass sie sich ihrer Rolle als Forum der Auseinandersetzung in diesen Umbruch-Zeiten zunehmend bewusst werden. PEYMANN: Ist es so? Das würde mich freuen. Mir ist das nicht so sichtbar, muss ich ehrlich gestehen. Ich habe das Gefühl, dass das Theater sehr eitel geworden ist, insbesondere meine Kollegen, die Regisseure. Die ständige Verbesserung und Korrektur von Stücken, das Infragestellen der Fiktion. Wir bringen uns damit um das größte Geheimnis unseres Berufes und geben die Basis unseres westeuropäischen Theaters auf, nämlich die Dichtung, und dadurch werden wir angreifbar. In Deutschland werden ja laufend Theater geschlossen. Da setzt meine Klage ein, die auch schnell zur Anklage wird über das, was wir mit unserer Arbeit alles verhunzen. Es ist völlig falsch zu sagen: Politisches Theater ist, wenn die Rote Fahne weht. Das Theater hat viel komplexere Ausdrucksformen, viel geheimnisvollere Wege, in deren Mittelpunkt aber immer der Spieler, die Sprache, die Geschichte und die Kunst stehen muss, das, was den Menschen ausmacht: träumen zu können - und sich daran immer wieder erinnern und aus dem Sumpf ziehen zu können. Insofern bin ich vollständig altmodisch und mache vollständig altmodische Inszenierungen. Darauf bin ich sehr stolz! Und die große Sympathie, die mir entgegengebracht wird, nicht nur hier in Österreich, sondern auch anderswo, zeigt, dass ich dabei wohl irgendetwas richtig machen muss. Es gibt ja wahrscheinlich keinen Theaterdirektor, der so beschimpft und geliebt wird - und der das auch noch ausspricht! "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" läuft bis 2. April an der Burg Foto © APA Sollte das Ihnen diese viele Liebe nicht zu denken geben? PEYMANN: Ich betrachte das rein phänomenologisch. Ich komme mir selber schon manchmal vor wie eine Puppe. Denn viele glorifizieren eine Person, die ich selber natürlich gar nicht sein kann. Wenn ich in Berlin im Wald eine Runde jogge, dann stehen nicht nur die Wildschweine stramm und die Häher rufen mir zu, sondern auch alle anderen Waldgänger wollen Autogramme von mir! Die Schlüsselfrage wird ja: Wo werde ich begraben? Setzt sich Wien durch mit einem Ehrengrab, oder gehe ich doch auf den Dorotheenstädtischen Friedhof, wo Brecht liegt, Helene Weigel, Heiner Müller, Minetti...? Ich nehme an, Sie werden die Angebote sortieren und dann in Ruhe entscheiden? PEYMANN: Manchmal träume ich, es wie die alten Könige zu machen: das Herz nach Wien, den Rest auf den Dorotheenstädtischen Friedhof... So, und damit haben Sie doch endlich was für Ihr Interview! Noch sind Sie ja quicklebendig. Sie haben noch eineinhalb Saisonen am BE. Niemand glaubt, dass Sie sich danach zur Ruhe setzen werden. Was sind Ihre Pläne für danach? PEYMANN: Ich habe keine. Ich bin ein Mensch, der nur für das Heute lebt. Ich habe mich natürlich nie beliebt gemacht bei meinen Kollegen Intendanten, und das setze ich ja planmäßig fort. Da kann ich wohl nicht allzu viele Engagements erhoffen. Aber vielleicht gibt es noch ein paar Außenseiter wie ich, mit denen wir in den Vororten von Berlin ganz was Verrücktes auf die Beine stellen. Wenn Frau Bergmann Sie für Wien wieder fragen würde? PEYMANN: Das muss man ihr überlassen. Keine Ahnung. Ich habe mich jetzt bei der Arbeit sehr wohlgefühlt - und hatte gleichzeitig ein ganz schlechtes Gewissen, dass ich Berlin und mein Theater, das BE, für drei Monate alleine lasse. Aber wir haben hier in einem kleinen Büro eine Art Nebenregierung eingesetzt und jeden Tag sehr engen Kontakt nach Berlin gehabt. Was denken Sie über Ihren Nachfolger? PEYMANN: Ich finde, Oliver Reese ist eine Nummer zu klein. Er ist ein sehr geschickter, sehr intelligenter Mann. Er hat ja hier in Wien gerade Premiere gehabt, in der Josefstadt. Er ist genauso wie viele der jetzigen Intendanten. Ich war immer vollständig anders. Ich hätte mir jemanden anderen gewünscht, zum Beispiel Christian Stückl, diesen katholischen Bayern, der ja hier demnächst den "Diener zweier Herren" inszeniert. Haben Sie Reeses "Auslöschung" an der Josefstadt gesehen? PEYMANN: Nein, da muss ich nicht hingehen. Ich hatte mit Thomas Bernhard so viel zu tun, habe so viel mit ihm gekämpft. Da muss ich mir nicht eine Romanbearbeitung von Herrn Reese ansehen. Da gehe ich lieber ins Kino. INTERVIEW: WOLFGANG HUBER-LANG, Austria Presseagentur
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zzzz= http://www.zeit.de/1988/22/ich-bin-ein-sonntagskind
Ein Disput über Österreich und das Theater. Über die Schauspieler und die Frauen. Über den Terror auf den Proben und den Traum vom Glück. Und, wie sollte es anders sein: über Peymann, Peymann und Peymann : Ich bin ein Sonntagskind André Müller spricht mit Burgtheaterdirektor Claus Peymann 27. Mai 1988, 8:00 Uhr Aktualisiert am 22. November 2012, 11:30 Uhr AUS DER ZEIT NR. 22/1988 Ihr Vertrag als Burgtheaterdirektor läuft noch drei Jahre. Nachfolger von Peter Zadek in Hamburg können Sie nicht mehr werden. CLAUS PEYMANN: Wollte ich gar nicht. Dort hat man eine drittklassige Figur aus England, Bogdanov oder wie der heißt, zum Intendanten gewählt, weil er die Etatkürzungen mitmacht. Das ist das Ende des Hamburger Schauspielhauses. Wie lange wollen Sie in Wien weitermachen? PEYMANN: Solange ich produktiv arbeiten kann. Wenn Sie wüßten, was für eine Scheiße ich hier erlebe! Man müßte dieses Theater von Christo verhüllen und abreißen lassen. Vielleicht schmeiße ich morgen schon alles hin. Beim österreichischen Kanzler Vranitzky liegt gerade ein Rücktrittsgesuch. Gedroht haben Sie bereits öfter. Worum geht es denn diesmal? PEYMANN: Um eine Lüftungsanlage. Es gibt im Haus drei Lüftungsanlagen, die behördlich erzwungen wurden und alle außer Betrieb sind. Jetzt will man eine vierte einbauen. Dieses Land ist ein Irrenhaus. Hier muß zum Beispiel der Bauminister persönlich die Verantwortung für eine Kiste tragen, die in der Fallbahn des Eisernen Vorhangs steht. Über eine Zigarette, die auf der Vorbühne geraucht wird, entscheidet der Bundeskanzler. An solchen Entsetzlichkeiten der banalsten Art werde ich scheitern. Oder Sie konzentrieren sich auf das Wesentliche. PEYMANN: Die Kiste war wesentlich, die Zigarette auch. Das sind für einen Regisseur Lebensfragen. Der Thomas Bernhard bringt sich um, wenn zwei Tippfehler sein Stück entstellen. Bernhard schreibt, Sie dagegen haben mit Menschen zu tun. PEYMANN: Wo liegt da der Unterschied? Menschen kann man nicht korrigieren wie Dichterworte. PEYMANN: Das ist auch nicht meine Absicht. Ich habe eine große Vorliebe für das Improvisierte, andererseits eine nicht bezähmbare Sehnsucht nach Perfektion. Das ist mein Problem. Ich liebe die Spontaneität, aber ich bin, darüber dürfte ich gar nicht sprechen, ein Vergewaltiger auf der Probe. Wenn in den Kopf eines Schauspielers nicht hineinwill, was ich mir vorgestellt habe, wende ich die bedingungsloseste und brutalste Gewalt an. Das geht von Gebrüll bis zu Mord und Totschlag. Ich breche den Widerstand, und ich weiß, daß es andere Regisseure genauso machen. Ihr Kollege George Tabori sagt, er bevorzuge die sanfte Methode. Push-Meldungen von ZEIT ONLINE Möchten Sie Benachrichtigungen von ZEIT ONLINE in Ihrem Browser erhalten? JETZT AKTIVIEREN PEYMANN: Davon glaube ich ihm kein Wort. Tabori ist eine absolute Sau in der Arbeit. Der gibt in nichts nach, ein Tyrann erster Güte. Ein Wunder, daß die Schauspieler sich das gefallen lassen. PEYMANN: Es ist ja zu ihrem Nutzen. Oda Thormeyer, die Miranda in meiner „Sturm“-Inszenierung, ist deshalb eine tolle Schauspielerin, weil sie durchgestanden hat, was ich an Quälereien und Verzweiflungen mit ihr angestellt habe. Es war furchtbar, aber dafür hat sie jetzt einige wirklich bewegende Augenblicke. Diese Aufführung wird sich für ihre Karriere als ein historisches Datum erweisen. Leider haben davon die Kritiker nicht das geringste begriffen. Man hat Ihnen Harmlosigkeit vorgeworfen. PEYMANN: Eine Schweinerei ist das. Man akzeptiert nicht, daß in deutschen Theatern gelacht wird, außer bei Feydeau oder Ayckbourn. Eine Art Düsternis wird propagiert. Das deprimiert mich zutiefst. Man hat ja auch meinen „Richard“ verrissen. Gelobt wurde ausschließlich Herr Voss. Mit dem „Wintermärchen“ ist es mir genauso ergangen. Das hat zur Folge, daß ich überlege, ob ich „Wie es euch gefällt“, das von mir als nächstes geplante Stück, überhaupt inszenieren soll. Ich bin dabei umzusteigen. Das sollten Sie nicht tun. PEYMANN: Ich weiß, ich muß mich befreien. Aber leicht ist es nicht. Man verinnerlicht solche Attacken. Trotz aller Verachtung der Theaterkritiker, auch als Personen, verstellen sie einem den Blick auf die eigene Arbeit. Sehen Sie sich doch an, wie verhärmt Heyme herumläuft. Peter Stein rührt keinen Shakespeare mehr an. Stein sagt, er lese keine Kritiken mehr. PEYMANN: Das verstehe ich gut. Man braucht die Bestätigung. Früher, als man mich lobte, habe ich, wenn es mir schlecht ging, zwanzig Hefte Theater heute um mich herum auf den Boden gelegt und mich auf diese Weise ganz pubertär angefeuert. Man stellt sich doch jeden Morgen die Frage, ob das, was man macht, überhaupt Sinn hat. Hätten Sie eine Alternative? PEYMANN: Das weiß ich nicht. Ich habe in diesem Beruf, was auch ein Glück ist, wenig Gelegenheit, über mich nachzudenken. Andere gehen zum Psychiater, um sich kennenzulernen. Daran bin ich nicht interessiert. Haben Sie Angst vor dem, was Sie erfahren könnten? PEYMANN: Wie meinen Sie das? Ihre Abgründe zum Beispiel. PEYMANN: Abgründe habe ich keine, abgesehen davon, daß ich mich weigere, erwachsen zu werden. Das könnte man vielleicht abgründig nennen. Ich trage zwar, seit ich fünfzig bin, keine Blue Jeans mehr, aber meine Träume sind immer noch Kinderträume. Ich erfülle mir ununterbrochen den Traum, daß das Leben ein Märchen ist, in dem das Gute eindeutig gut und das Schlechte schlecht ist, und ich gehe bedingungslos davon aus, daß dieser Traum erlaubt ist, das heißt, ich vertrete ihn, wenn es sein muß, mit aller Brutalität und äußerstem Raffinement. Heißt das, der Zweck heiligt die Mittel? PEYMANN: Bis zu einem gewissen Grad ja. Wenn sie Scheiße produzieren, ist das natürlich schlecht. Aber wenn das Resultat dazu beiträgt, die Gesellschaft positiv zu verändern, fragt hinterher keiner, wie es zustandekam. In der Politik wäre das ein falscher Standpunkt. PEYMANN: Aber ich bin kein Politiker. Diese Parallele ziehe ich nicht. Falls Sie im Hinterkopf das Konzept verfolgen, mich hier als einen potentiellen Diktator und Unmenschen hinzustellen, unterlägen sie einem tragischen Irrtum. Als Diktator haben Sie sich doch selbst hingestellt. PEYMANN: Ja, auf der Probe. Das bedeutet nicht, daß ich mich in der Realität so verhalte. Weil Ihnen die Gelegenheit fehlt. PEYMANN: Die wird mir immer fehlen. Das kann man nicht wissen. PEYMANN: Ich weiß das. Ich lebe zwar mit Kurt Waldheim in einer Stadt und arbeite nur 200 Meter von seinem Büro entfernt. Aber sonst verbindet mich mit diesem Mann gar nichts. Er hat mich erst neulich überraschenderweise in den Nacken geküßt. Sie scherzen PEYMANN : Nein. Er hat sich von hinten an mich herangeschlichen. Ich saß mit einem Besucher im Hotel Imperial. Plötzlich kam von hinten der Bundespräsident an mich heran und küßte mich. Er war im „Richard“ gewesen und wollte mir gratulieren. Auch seine Frau sei ganz begeistert. Seine Tochter habe noch nie einen so guten „Richard“ gesehen. Er überschlug sich förmlich. Mein Gegenüber konnte es kaum fassen. War Ihnen das angenehm? PEYMANN: Was sollte ich machen? Es war eine Vergewaltigung. In der Öffentlichkeit haben Sie sich zum Thema Waldheim bisher zurückgehalten. PEYMANN: Ja, weil es ihm doch nur nützen würde, von einem, der politisch links steht, beschimpft zu werden. Aber in der Arbeit bin ich auf das Thema schon eingegangen. Indem Sie Hochhuths „Stellvertreter“ aufführen ließen? PEYMANN: Zum Beispiel. Finden Sie das Stück gut? PEYMANN: Nein, grauenhaft, und ich würde es auch nie inszenieren. Aber es hat herrlich gepaßt. In diesem Land mit einer katholischen Personalpolitik, die zum Himmel stinkt, in dieser Wenderepublik Österreich, wo unter dem Deckmantel des Katholizismus wirklich alles legalisiert wird, war dieses Stück, noch dazu im Jahr des Papstbesuchs, die einzige moralisch richtige Antwort. Darüber ließe sich streiten. PEYMANN: Inwiefern? Der wahre Moralist sucht den Mörder in sich, nicht im andern. PEYMANN: Darin stimme ich Ihnen voll zu. Deshalb ist Shakespeare der Himalaya der Theaterliteratur. Die Mörder in Shakespeares Stücken bestehen zum größten Teil aus ihm selbst. Dagegen ist Hochhuth ein schwacher Journalist, im besten Falle ein Kolporteur. Weil er als Ankläger auftritt, ohne sich selbst zu entblößen. PEYMANN: Genau. Aber das tun Sie doch auch. PEYMANN: Nein, denn ich entblöße mich ununterbrochen in meiner Arbeit. In dem Stück „Der Theatermacher“ von Bernhard habe ich einen rabiaten Selbstverwirklicher inszeniert, größenwahnsinnig, autoritär, einen Idealisten und Don Quijote, der auf den österreichischen Dörfern scheitert. Das ist ein Mensch, der mir sehr ähnlich ist. Da bin ich mir der Realität des Mannes als Familientyrann und Menschenvernichter schmerzlich bewußt geworden. Diese erlaubten Selbstentblößungen sind das Herrliche an der Kunst. Auch in einem KZ-Wächter oder SS-Mann, den Bernhard auf die Bühne bringt, stelle ich einen Teil von mir selbst dar. Insofern haben Sie natürlich recht, daß in mir kaum faßbare Abgründe schlummern. Jede Theaterprobe ist doch die Offenbarung des Grauenhaftesten und Mörderischsten, das man sich vorstellen kann, aber nicht in der Form, daß sich die Schauspieler wimmernd am Boden wälzen und blöde herumbrüllen. Diese Art von Exhibitionismus, die mit modernem Theater verwechselt wird, finden Sie bei Tabori. Damit habe ich nichts im Sinn. Da gehe ich lieber schön vögeln. Nach welchen moralischen Grundsätzen sind Sie erzogen worden? PEYMANN: Weiß ich nicht. Ich glaube, es hatte mit Sport zu tun. Mein Vater war Turner. 1936 gewann er eine olympische Goldmedaille. Ich spielte Fußball als Knabe, und zwar glänzend. Ich war ein enorm schneller Läufer und konnte mit beiden Beinen schießen. Hat sich Ihr Vater politisch betätigt? PEYMANN: Er war Nazi, Obersturmbannführer, von Beruf Lehrer, einer der typischen Nazis mit gutem Charakter. In der Kristallnacht ist er zwar losgezogen, hat aber die Geschäfte jüdischer Freunde bewachen lassen, damit nichts passiert. Meine Mutter war eine halbe Antifaschistin. Als sie am 20. Juli über BBC London vom Anschlag auf Hitler erfuhr, hat sie aus dem Fenster geschrien, das Schwein ist tot, und ist verhaftet worden. Also was die Grundsätze angeht, war ich ziemlich gespalten. Wir wußten, daß es Lager gab, in denen Juden getötet wurden. Wir bekamen die Seife aus Auschwitz. Trotzdem hofften wir auf den Sieg. In den Hochleitungsmasten hingen die Leichen abgeschossener Amerikaner. Das erlebte man als Kind mit einer Mischung aus Angst und Abenteuerromantik. Nachts haben wir Indianerschwüre gegen den Feind geleistet. Haben diese Erfahrungen Ihre berufliche Entwicklung beeinflußt? PEYMANN: Sie haben zumindest dazu geführt, daß ich etwas verändern wollte. Durch Kunst? PEYMANN: Ja, durch Kunst. Sie können mich ja für blöde halten. Aber ich glaube an das Theater als moralische Anstalt. Ich glaube an die Erziehbarkeit des Menschen durch Kunst, weil sich Kunst, wenn sie gut ist, mit dem Auffinden der Wahrheit beschäftigt. Und zwar auf durchaus vergnügliche Weise. Das Theater ist dazu da, Feste hervorzubringen, damit das Gute, Wahre und Schöne gefeiert werde. Wunderbar formuliert, nur ist leider das Schöne nicht immer gut und das Wahre oft häßlich. PEYMANN: Herrgott, das weiß ich natürlich. Ich weiß auch von der Schönheit des Krieges. Ich kenne die Faszination eines Kavallerieangriffs. Ich weiß, daß die schönsten Flugzeuge Kriegsflugzeuge sind. Ich bin nicht so spießig zu sagen, den Schrecken des Krieges könne man schon an der Form erkennen. Mir ist klar, daß die Präzision eines Manövers auch etwas mit Kunst zu tun hat. Das ist gut inszeniertes Ballett. Ich liebe die Präzision. Aber all diese Erkenntnisse können mir meinen Optimismus nicht nehmen. Sehen Sie fern? PEYMANN: Ja, Nachrichten. Ich sehe das, und ich nehme es mit in die Arbeit. Ich arbeite aus dem Schreckerlebnis heraus, daß israelische Soldaten vor laufenden Kameras Palästinensern die Arme brechen. Das habe ich ständig vor Augen. Mit diesem Entsetzen gehe ich auf die Probe. Aber es lähmt Sie nicht. PEYMANN: Nein, es beflügelt mich. Ich versuche, eine Gegenwelt aufzubauen. Das Theater hat sich immer als staatsfeindlich und menschenfreundlich empfunden. Wir machen die Mächtigen lächerlich. Wir ziehen ihnen die Hosen aus. Ich interessiere mich sehr für die menschliche Lüge. Mich stört an Kurt Waldheim keine Sekunde, was er während des Krieges gemacht hat. Wer weiß, wie ich mich damals verhalten hätte. Was ich ihm übelnehme, ist, daß er lügt. Das allein disqualifiziert ihn. Da kenne ich keine Gnade. Freut es Sie, daß er Ihr Theater bejubelt? PEYMANN: Ich muß es ertragen. Das Dilemma unseres Berufes ist, daß wir Stücke aufführen, um die Leute herauszufordern, zugleich aber enttäuscht sind, wenn sie nicht klatschen. Ein Buch bleibt. Meine Inszenierungen sind vergänglich. Wir müssen, auch wenn wir das Publikum provozieren, gefallen. Die „Dreigroschenoper“ wurde von der Bourgeoisie, gegen die sie gerichtet war, am meisten bejubelt. Ein Faschist, der sich ein Stück von Brecht oder Lessing ansieht, kommt als derselbe Faschist aus dem Theater wieder heraus. Trotzdem beharren Sie auf der Behauptung, daß das Theater die Menschen verändert? PEYMANN: Ich kann nicht anders. Aber das ist doch absurd. PEYMANN: Mag sein. Dann bin ich eben ein Narr. Ist mir auch recht. Ich brauche die Illusion, mit dem, was ich tue, zur Veränderung der Gesellschaft in einem moralischen Sinn beizutragen. Sonst müßte ich meinen Beruf aufgeben. Genügt es nicht, daß Ihnen die Arbeit Spaß macht? PEYMANN: Das wäre zu wenig. Auch die gute Bezahlung könnte ein Grund sein. 200 000 Mark bekommen Sie im Jahr als Direktor, dazu rund 40 000 pro Inszenierung. PEYMANN: Geld interessiert mich nicht. Das liegt auf der Bank, ich weiß nicht einmal, wo. Sicher bin ich einer der teureren Regisseure. Ich habe einen fünfzehnjährigen Sohn. Als der in der Schule erzählte, was ich verdiene, hat ihm das großen Respekt verschafft. Aber mir bedeutet es überhaupt nichts. Ich fahre nicht Auto, besitze keine Jacht und kein Haus in Italien, Also des Geldes wegen bin ich bestimmt nicht zum Theater gegangen. Man weiß doch oft gar nicht, aus welchen Gründen man etwas macht. Vielleicht, um sich abzulenken. PEYMANN: Das wäre möglich. Ich fliehe geradezu auf die Proben. Aber ich reflektiere das nicht. Mein Beruf bringt eine gewisse Motorik mit sich, die mich davor bewahrt, in Grübelei zu verfallen. Was machen Sie, wenn Sie allein sind? PEYMANN: Ich lese. Ich bin, das muß man auch einmal sagen, ein relativ gebildeter Mensch, weitaus gebildeter als die meisten anderen Regisseure. Gebildet, aber frei von Gedanken. PEYMANN: Ja, ist doch herrlich! Ich schöpfe dauernd. Ich bringe etwas hervor. Warum soll ich das ändern? Meine Sehnsucht, nicht erwachsen zu werden, ist zum Teil auch ein Kampf, nicht über alles Bescheid zu wissen. Ich schäme mich nicht meiner Windeln. Kann sein, daß ich ein Stück meiner Lebensrealität dabei verdränge. Aber das ist doch sehr schön. Was wollen Sie eigentlich aus mir herausbekommen? Ich will Sie zum Denken bringen. PEYMANN: Das ist vergebliche Mühe. Ich habe nicht die Neigung, alles bis ins letzte ergründen zu wollen. Für mein Leben wäre das auch nicht praktisch. Ich will inszenieren, und ich will dieses Theater leiten. Wer sich zum Ziel gesetzt hat, Burgtheaterdirektor zu werden, muß sowieso völlig verrückt sein. So etwas macht nur ein Irrer. Dieses Haus besteht aus zehn Millionen Quadratmillimetern. Davon versuche ich jeden Tag fünf zu verbessern. Haben Sie den Theatereingang gesehen? Der war früher ein dreckiges Loch. Jetzt ist er hell, mit einem Transparent geschmückt, schönen Photos. Wenn das alles ist! PEYMANN: Es ist schon sehr viel. Ich möchte, daß Schönes entsteht. Zwischen halb acht und elf Uhr abends passiert hier das Unmögliche, die Illusion, der Traum, auch der herrliche Mord. In gewissem Sinn ist das Theater ein exterritoriales Terrain, auf dem sich im kleinen die Welt wiederholt, tiefer, kompletter, etwas mehr überschaubar. Es war seit jeher Teil des menschlichen Lebens und wird es bleiben, unausrottbar, unsterblich, durch nichts zu ersetzen. Gut und schön, nur gehen die meisten Menschen ihr Leben lang nicht hinein. PEYMANN: Das stimmt nicht. Wir haben eine Platzausnutzung von über neunzig Prozent. Das sind 1500 Zuschauer täglich, 500 000 im Jahr. Immer noch eine Minderheit. PEYMANN: Aber eine sehr qualifizierte. Die Wirkung, die ich mit dem Theater erreiche, geht doch unendlich tiefer als der ganze Herr Beckenbauer oder die Unterhaltungsscheiße von Herrn Carell oder Herrn Wussow. Ich konkurriere ja nicht mit der „Schwarzwaldklinik“. In einer auf Vereinsamung abgestellten Gesellschaft, in der die Leute dösend vor dem Fernseher sitzen, sich besaufen und Salzstangen fressen, biete ich das Gruppenerlebnis, die gemeinsame Erschütterung, das gemeinsame Lachen. In manchen meiner Aufführungen ist es vor Schluchzen kaum auszuhalten. Ist Wussow noch Schauspieler am Burgtheater? PEYMANN: Er ist nach den Bestimmungen, die hier gelten, nicht kündbar. Aber er ist für die Bühne verloren. Er kann vielleicht noch den Arzt am Scheideweg oder den Arzt wider Willen spielen. Man sieht ihn doch gedanklich, selbst wenn er ganz normal im Kaffeehaus sitzt, nur noch im weißen Kittel. Ich gebe ihm Dauerurlaub. Hat sich im übrigen Ihr Verhältnis zu den Mitgliedern des angestammten Ensembles gebessert? PEYMANN: Es war nie schlecht. Auch Wussow ist immer sehr nett zu mir. Das einzige Problem ist, daß man in Wien, bevor ich kam, nie ernsthaft geprobt hat. Die Begegnung mit dem Geist, dem Regisseur, fand nicht statt. Es herrscht heute, auch in Deutschland, der Trend, die Schauspieler zu wichtig zu nehmen. Sie sind wichtig. Sie waren es immer. Aber die pompöse Gebärde, mit der sie im Augenblick durch die Gegend rennen, finde ich unangemessen. Den Größenwahnsinn eines Bernhard Minetti kann ich kaum noch ertragen. Wenn ich ihn anrufe, redet er ununterbrochen. In seinen Memoiren beklagt er die Ohnmacht der Schauspieler, die auf Besetzung und Spielplan keinerlei Einfluß hätten. PEYMANN: Ach, wissen Sie, da ist auch viel Koketterie dabei. Schauspieler sind oft sehr dumm. Sie müssen am Abend der König sein, sich aber beim Probieren vom Regisseur führen, meinetwegen auch manipulieren lassen. Dieser Zwiespalt zerreißt sie. Was ich bewundere, ist ihr Wagemut, auf die Bühne zu gehen. Ich würde zusammenbrechen vor Angst. Mir fehlt auf der einen Seite der größere Kopf der Literatur, der Wahnsinn des Schreibens. Einem Thomas Bernhard ordne ich mich bedingungslos unter, weil ich weiß, meine Munition reicht nicht, um das zu können. Auf der anderen Seite fehlt mir das Heldentum und die Blödheit des Spielens. Boy Gobert, Gott hab ihn selig, hat einmal gesagt, er habe nach vierzig Jahren endlich erkannt, daß es nicht sein Beruf sei, morgens aufzustehen, um sich abends rote Tünche ins Gesicht schmieren zu lassen. Ein bitterer Satz. PEYMANN: Sicher, aber er trifft genau das Problem. Der Schauspieler ist das Medium. Wir sind die Veranstalter. Wir organisieren einen Theaterabend mit allen Tricks und Schikanen. Manchmal sind wir auch halbe Dichter. Früher war der Autor zugleich Regisseur. Molière und Shakespeare haben das herrlich in sich vereint. Inzwischen ist das leider auseinandergefallen. Wieso leider? Würde es wieder wie damals, wären Sie brotlos. PEYMANN: Da habe ich keine Sorge, denn in meiner Generation wird das nicht mehr passieren. Es gibt Gegenbeispiele. Kroetz schreibt, inszeniert und macht neuerdings auch als Darsteller Karriere. PEYMANN: Was ich an Kroetz bemerke, ist, daß er den schrecklichen Fehler macht, erwachsen zu werden. Kennen Sie sein letztes Stück, „Der Dichter als Schwein“, dieses Auskotzstück, wo er ganz exhibitionistisch und sentimental über sich selbst schreibt? Fürchterlich! Sentimental sind Sie auch. PEYMANN: Ja, aber ich lache darüber. Außerdem bin ich scheu. Ich attackiere gern, aber ich wäre nicht larmoyant genug, mein Innenleben so nach außen zu tragen. Meine Neurosen sind nicht ergiebig, meine Abstürze kein Thema. Ich bin ja kein Politiker, der öffentlich auftritt. Sollen Politiker ihre Neurosen zeigen? PEYMANN: Sie sollen zumindest den Mut haben, ihre Schwächen nicht zu verbergen. Als Otto Schily im Bundestag weinte, war das ein großer Moment. Den Schmerz und die Reue über diedeutsche Schuld auf diese Weise zum Ausdruck zu bringen, fand ich ganz toll, Meine großen Momente sehen Sie auf der Bühne Ich halte mich mittlerweile für einen Regisseur, dessen Inszenierungen, selbst wenn sie mißlingen, zu den besten gehören. Ich bin nicht so superintelligent wie Peter Stein, obwohl Stein in der Vision oft erschreckend schwach ist. Die Qualität von Stücken erkennt er nicht. Da irrt er sich häufig. Doch auf der Probe ist er der einzige Weltmeister des deutschen Theaters. Meine Aufführungen kann man lieben, seine habe ich immer bewundert. Er steht an der ersten Stelle. Und wo steht Zadek? PEYMANN: Für Zadek ist das Theater ein Amüsierbetrieb. In diesem Punkt unterscheiden wir uns fundamental. Er träumt immer noch, der junge, zornige Anarchist zu sein, der das steife Hamburger Schauspielhaus in eine flitzige Bude verwandelt. Welch tragischer Irrtum! Ich kenne ihn gut. Er ist das größte Kind von uns allen. Aber ich will das gar nicht bewerten. Die Motive, weshalb jemand Theater macht, sind sehr verschieden. Meine Triebkraft ist die Empörung. Ich bin merkwürdigerweise so verblödet oder engstirnig, daß ich mich immer wieder in Zorn bringen kann. Andere brauchen den Alkohol. Der Anteil der Säufer in diesem Beruf ist ungeheuer. Trinken Sie nicht? PEYMANN: Ich trinke nachts, aber mäßig. Die Situation des Künstlers über fünfzig ist doch immer die gleiche. Er hat sein Leben lang nichts anderes versucht, als Anschluß zu finden, und nun sitzt er da und stellt fest, daß ihm das niemals gelingen kann. Wir eignen uns nicht zum Familienpapi und Häuschenbesitzer. Unsere Besessenheit läßt das nicht zu. Aber Sie sind doch verheiratet. PEYMANN: Ja, aber seit Jahren getrennt. Meine Frau lebt in Berlin. Unser Sohn ist ohne mich aufgewachsen. Diese Ehe entstand, weil wir dadurch eine billige Wohnung bekamen. Heute suchen Sie sich die Lebenspartnerinnen in Ihrem Ensemble. PEYMANN: Das ergibt sich so. Es ist ja kein Geheimnis, daß ich viele Jahre mit der Schauspielerin Therese Affolter eine Affäre hatte. Danach kam Julia von Seil. PEYMANN: Sie sind gut informiert. Ich gebe zu, ich bin jemand, der ohne Frauen nicht leben kann. Ich ertrage es nicht, allein aufzuwachen, geschweige denn einzuschlafen. Ich fürchte die Einsamkeit. Ist es nicht problematisch, daß Sie für Ihre Geliebten zugleich der Chef sind? PEYMANN: Doch, natürlich, und es hat auch immer katastrophal geendet. Sind Sie verlassen worden? PEYMANN: Ach Gott, wie soll man das sagen? Wir Männer sind doch furchtbare Schweine. Ich erwarte die unbedingte Treue, bin selbst aber untreu. Trotzdem ist es ein Schmerz, wenn die Frau schließlich weggeht. Ich habe zwei Jahre gebraucht, um die Trennung von Therese zu überwinden. Haben Sie daran gedacht, sich das Leben zu nehmen? PEYMANN: Ja, auch. Aber ich wäre bestimmt geschickter gewesen als Peter Handke, der die Tabletten wieder ausgekotzt hat. Er hatte ja die gleichen Probleme. Seine Scheidung von Libgart Schwarz geschah auch nicht aus heiterem Himmel. Er war ganz erstaunt, als sie weglief. Sie ist von Düsseldorf nach Frankfurt geflohen. Handke wußte nicht, wo sie war, und hat Interpol eingeschaltet. Ich glaube, seine Bücher sind eine Art Selbsttherapie. Er bringt sein Leben in Ordnung. Teilweise ist mir das, was er jetzt schreibt, ganz unerträglich. Er denkt auf geradezu rührende Weise reaktionär. Da kann ich ihm nicht mehr folgen. Gibt es, abgesehen von Thomas Bernhard, Autoren, zu denen Ihnen Positiveres einfällt? PEYMANN: Also, den Bernhard halte ich für den wahrscheinlich größten Dichter der Gegenwart, gerade weil er so viel über Liebesbeziehungen aussagt. Das wird ja oft abgestritten. Man sagt, die Frauen in seinen Stücken kämen schlecht weg. Absoluter Quatsch! Botho Strauß, der das gleiche Thema behandelt, produziert meistens Kitsch, während Bernhard die Wahrheit und die Widersprüche solcher Beziehungen darstellt, weil er die Liebe erkennt als das, was sie ist, nämlich als Machtkampf. Einer redet, der andere schweigt. Wie soll es sonst sein? Im Grunde ist er ein zutiefst moralischer Autor. Ich bin ein viel zu fröhlicher Mensch, um mich lebenslang mit einem Zyniker abzugeben. Mögen Sie Heiner Müller? PEYMANN: Ich schätze ihn, obwohl er, wenn man ihn näher kennt, ein ganz biederer Mensch ist, einerseits ein Maulheld der Revolution, andererseits ein typischer Kleinbürger, autoritätshörig, ängstlich, man glaubt es kaum. Insgeheim sind beide, Bernhard wie Müller, konservativ, Anarchisten nach Gutsherrenart. Nur kann der Bernhard halt besser schreiben. Das sieht Müller ganz anders. PEYMANN: Nein, ich glaube, er weiß es. Er ist ein bescheidenes, preußischer Dichter und fast einfältig als Regisseur. Ich habe ihn in Bochum erlebt. Er bewundert mich ja, schrecklich, während von Bernhard die vernichtendsten Angriffe kommen. Aber ich bin ihm dankbar dafür, weil meine Neigung, auf die Wiener Schmeicheleien hereinzufallen, sehr groß ist. Was für Schmeicheleien? PEYMANN: Ach, ich kann doch als Burgtheaterdirektor in kein Lokal gehen, ohne daß im nächsten Augenblick das goldene Buch auf dem Tisch liegt. Eine solche Subordinationsmentalität habe ich in meiner ganzen Laufbahn noch nicht erlebt, guten Morgen, Herr Direktor, grüß Gott, Herr Direktor, grauenvoll. Vielleicht ist das nur, was man hier Schmäh nennt, die getarnte Verachtung. PEYMANN: Nein, das ist reinster Kadavergehorsam. Ich sehe doch, wie es um mich herum zugeht. Mein Vorgänger Benning ist hier als Gott gesessen, und die Tippsen sind nur so geflogen. Das versuche ich abzustellen. Heute gibt es öffentliche Direktionssitzungen. Entscheidungen werden gemeinsam gefällt. Ich bin nicht der Theaterdonnerer, für den manche mich halten. Merkwürdig, daß man Sie immer noch so falsch einschätzt. PEYMANN: Das liegt daran, daß ich unbequem bin. Schlendrian dulde ich nicht. Ich bin der Prototyp dessen, was man in Österreich eigentlich gar nicht erträgt, nämlich ein Starrkopf, außerdem auf ganz primitive Art pflichtbewußt. Mich können Sie irgendwo hinstellen und sagen, das machst du jetzt ordentlich, und ich werde es machen. Dann sind Sie ein Mitläufer. PEYMANN: Ein Mitläufer an der Spitze, wenn Sie so wollen. Ich bin ja Theaterdirektor geworden aus Not, weil die Direktoren, unter denen ich gearbeitet habe, alle unfähig wären. Ivan Nagel war nicht einmal in der Lage, Proben zu disponieren. Da habe ich gesagt, um Gottes willen, ich mache es lieber selbst. Zum Glück kamen Angebote. PEYMANN: Das ist wirklich erstaunlich, denn ich habe mich nie opportunistisch verhalten. Ich habe nie spekuliert. Ich habe nicht gesagt, Ohren ab für Ulrike Meinhof, sondern 500 Mark für eine offene Zahnarztrechnung nach Stammheim geschickt. Andere haben den Schwanz eingezogen. Ich habe mich vor aller Welt dazu bekannt, daß auch Terroristinnen Menschen sind. Hat das Ihrer Karriere geschadet? PEYMANN: Filbinger hat im Fernsehen haßerfüllt meinen Kopf gefordert. Überall lauerten Leute, die mich totschlagen wollten. 4000 Briefe kamen, in denen verlangt wurde, mich zu vergasen. Ich mußte aus meiner Stuttgarter Wohnung ausziehen. Meine Tuberkulose ist wieder ausgebrochen. Ich hatte Todesangst. Ich dachte, ich würde nie wieder in meinem Beruf arbeiten können, höchstens in Amsterdam. Auch nicht schlecht. PEYMANN: Doch, denn ich bin ja an die Sprache gebunden. Als dann die harmlosen Leute aus Bochum kamen und mir anboten, ihr Theater zu leiten, erschien mir das wie ein Wunder. Anscheinend haben Sie einen Instinkt, der Sie bremst, bevor Sie etwas für Ihren Aufstieg Nachteiliges machen. PEYMANN: Das glaube ich nicht. Denn ich habe doch immer das Falsche gemacht. Aber es hat sich für Sie zum Guten gewendet. PEYMANN: Wahrscheinlich bin ich ein Sonntagskind. Wird man so Burgtheaterdirektor? PEYMANN: Burgtheaterdirektor bin ich geworden, weil ich gute Aufführungen gemacht habe und weil bei mir immer die Kasse gestimmt hat. Die Gleichung, jemand, der Erfolg hat, muß ein Opportunist sein, ist mir zu simpel. Leute wie Beuys oder Bernhard waren nie angepaßt, sondern haben für alles bezahlt, während sich andere die Staatspreise abgeholt haben, und zwar cash down. Den Beuys hat Herr Rau, dieser Versager, für einen Idioten gehalten. Heute fährt er nach Ostberlin und schmückt sich mit ihm. Die ersten Stücke von Thomas Bernhard wurden verlacht. Aber er hat eben trotzdem keine Kompromisse gemacht wie all die anderen, die sich schon mit dreißig den Arsch wischen lassen und da eine Professur, dort eine Villa haben, in der sie dann sitzen mit dicken Bäuchen, weil sie ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch in Drei-Sterne-Lokalen gegessen haben, Dürrenmatt, Frisch, ich will keine Namen nennen. Der Dürrenmatt hat mir nach Bochum schlechte Stücke geschickt und dazu hochtrabende Briefe, die zur Qualität der Stücke in keinem Verhältnis standen. Aber der war sicher auch toll am Anfang, nur leider nicht konsequent genug. Man kann doch einem Beuys oder Bernhard, die nach unzähligen Opfern und Niederlagen endlich erkannt werden als das, was sie sind, nämlich genial, den Erfolg nicht zum Vorwurf machen. Man kann auch einem Peter Stein oder Klaus Michael Gräber nicht vorwerfen, daß sie zu einer gewissen Berühmtheit gelangt sind. Natürlich ist der Jürgen Flimm ein viel netterer Mensch als der Stein. Den Grüber würde ich gar nicht aushalten, weil er dauernd besoffen ist. Aber wir reden doch hier über die Kunst! Ein Chéreau, der seinen Weg geht wie ein Irrer, ist halt ein überragender Künstler, während Herr Dorn in München eine Inszenierung nach der anderen hinwichst, alles halbfertig, gefällig, und das Resultat ist eben eine Boutique. Dorn gilt als großer deutscher Theatermacher. PEYMANN: Das ist doch ganz unerheblich. Mich interessiert nicht, was in den Zeitungen steht. Ich probiere mich halb tot sieben Monate lang, schlafe nicht, fiebere, bringe mich um, während andere am Freitag zum Golfspiel fahren. Ist das nicht auch eine Frage der Lust? Der eine fiebert gern, der andere spielt gern Golf. PEYMANN: Darum geht es nicht. Ich bestreite doch nicht, daß mir das Inszenieren Vergnügen bereitet. Ich unterscheide nur zwischen Anpassung und Anstand. Ich habe mir nicht wie Herr Schaaf in Frankfurt einen Vertrag um 150 000 Mark auszahlen lassen. Ich habe auch keine Orden genommen. Das Bundesverdienstkreuz habe ich dem Weizsäcker um die Ohren gehauen. Das sage ich ganz hart, weil ich es ekelhaft finde, wenn sich Künstler die Nasenringe hineinziehen lassen. Nichts gegen Herrn Weizsäcker, mit dem ich einmal sogar ein relativ gescheites Gespräch führen konnte. Er hatte mir beim Theatertreffen in Berlin aufgelauert. Ich meine nur, der Staat hat nichts auszuzeichnen, weil er von Kunst nichts versteht. Ich habe diesen ganzen Scheiß abgelehnt. Ich habe mir den Arsch nicht vergolden lassen. Kann man das nicht für sich behalten? PEYMANN: Doch, sicher. Aber Sie betonen es dauernd. PEYMANN: Das liegt an meiner angeborenen Schwatzhaftigkeit. Die wird mir von meinen Mitarbeitern auch immer vorgeworfen.
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sovo : »Ich wollte Zeuge sein« Eine Reise mit Peter Handke ins Kosovo, wo der Dichter einem serbischen Dorf 50000 Euro schenkte, die er als Preisgeld bekommen hatte. Von Wolfgang Büscher 12. April 2007, 14:00 Uhr Editiert am 1. Dezember 2010, 9:43 Uhr 4 Kommentare AUS DER ZEIT NR. 16/2007 Nach Bob-Dylan-Konzerten ist es immer eine Frage, ob der Sänger wohl diesmal gelächelt habe. Auch der Schriftsteller Peter Handke, der Dylan manchmal zitiert, ist nicht gerade als Lächler berühmt. Wie um das zu unterstreichen, trägt er, als er an diesem sonnigen Ostersonntagmorgen vor dem Kirchlein des Hl. Stefan erscheint, einer der zwölf Dorfkirchen von Velika Hoča im tiefsten Kosovo, unweit der albanischen Grenze, einen winzigen, quadratischen schwarzen Button auf dem Jackett seines dunklen Anzugs: »In mir ist nichts freundlich.« Ein klarer, wenn auch dylanesk zergrübelter Fall von Selbstironie. Wir befinden uns im »Neunten Land«. Literarisch gesprochen, in Peter Handkes Sprache. Politgeografisch gesagt, befinden wir uns in einer der letzten verbliebenen serbischen Enklaven des Kosovos, und Handke ist gekommen, um den 700 Bewohnern des Weindorfes Velika Hoča 50000 Euro zu schenken. Die für kosovarische Verhältnisse fürstliche Summe ist das Preisgeld, das ihm die Jury des neu gestifteten Berliner Heinrich-Heine-Preises zuerkannt hat. Der war aus Protest gegen den renommierteren Düsseldorfer Heine-Preis ins Leben gerufen worden, nachdem Düsseldorfer Lokalpolitiker gegen die Vergabe ihres Preises an Handke interveniert hatten. Was seinerseits aus Protest geschehen war: nämlich gegen Handkes Parteinahme für das übel beleumundete Serbien in den jugoslawischen Sezessionskriegen und zumal gegen seinen Auftritt am Grabe des Präsidenten Slobodan Milošević, der im Gefängnis von Den Haag gestorben war – ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher nach allgemeiner Ansicht im Westen. Bevor es aber zum Höhepunkt der österlichen Reise des Dichters, der Geldübergabe, kommen kann, ist am Flughafen von Prishtina ein taktisches Problem zu lösen. Eben ist Peter Handke mit seiner Tochter und einer kleinen Freundesschar gelandet. Weitere, serbische Freunde und Journalisten erwarten ihn. Und ein Bus aus Belgrad in den serbischen Farben. Und serbische Polizei. Der Polizeijeep soll die Gruppe nach Velika Hoča eskortieren, durch rein albanisches Gebiet, auch durch Malisheve, eine Hochburg der aufgelösten albanischen Untergrundarmee UÇK. Noch vor wenigen Jahren hätte ein Bus aus Belgrad dort Steinwürfe gewärtigen müssen. Auch wenn das nicht mehr zu erwarten ist – in welch prekärem Staatsgebilde man hier gelandet ist, deuten allein schon die Kürzel seiner vielen bewaffneten und unbewaffneten Helfer an, die auf Nato-Blau an einem Info-Container am Flugplatz stehen: Unmik. KFor. Civpol. EU. OSCE. VIP Service. Ein Bus also, demonstrativ in den serbischen Nationalfarben lackiert, soll man da einsteigen? Das Wort »Provokation« fällt. Man entschließt sich, in Mietautos in die Enklave zu fahren. Gut, dass Claus Peymann dabei ist. Dem Direktor des Berliner Ensembles fällt bei diesem Ausflug die Rolle des überlegen ordnenden Reisemarschalls wie von selbst zu. Und wenn nicht alles täuscht, genießt er sie. Peymann organisiert die Hinfahrt, Peymann wird die Rückfahrt organisieren. Wann immer ein Problem auftaucht, ist er zur Stelle. Einmal, als die Gruppe bei einem KFor-Posten halten muss und sich herausstellt, dass der Offizier ein Österreicher ist, übernimmt er gleich die Verhandlung und meldet: »Zweiundzwanzig Mann im Bus!« Zu Handke ruft er lachend hinüber: »Peter, bei den KFor-Soldaten hab ich eine gute Basis. Da zählt Burgtheater mehr als Literatur.« Handke: »Wenn du meinst.« Zur österlichen Reisegesellschaft gehören ferner der Schauspieler Rolf Becker, die betagte Schauspielerin Käthe Reichel vom Berliner Ensemble – sie spielte noch unter Brecht – und der Journalist Eckart Spoo. Die drei haben den Berliner Heine-Preis initiiert. Auch Rolf Becker, blendend aussehend mit seinen 72, hat seine Rolle gefunden. In der sonoren Art eines braun gebrannten alten Partisanen hat er die 50000 Euro sicher über alle Grenzen in die Enklave geschafft. Alles gut gegangen. Gut auch, dass in diesem Jahr das alte julianische Ostern der Orthodoxen und das gregorianische des Westens in eins fallen. Eine kalendarische Rarität. Ein Zeichen? Velika Hoča feiert Ostern, wenn wir in den westlichen Säkularstaaten in unsere Osterferien fahren. Hier indessen lauern interkulturelle Schlaglöcher, tiefer als die der Pisten des Kosovos. Sie haben mit Peter Handkes Idee des Wirklichen zu tun, die er auf seinen Wanderungen in Jugoslawien gefunden und in mehreren Büchern beschrieben hat. Sein Land des Wirklichen, das ist der Ort, an dem die Dinge erscheinen, auf die Lichtung treten und nicht in einem, wie Heidegger sagen würde: Gerede und Gestell ihr Antlitz verhüllen. Man merkt schon, in Handkes »Neuntem Land« steckt einige Epiphanie. Und nun ist Ostern. Die Sonne scheint, und die Vögel singen, der Flieder blüht früh in diesem Jahr, und die Kirschbäume im Pfarrgarten blühen auch, und im Stefanskirchlein brennen die dünnen, windschiefen, starkgelben Kerzen, und alte Männer mit schwarzen Mützen und bunten Krawatten gehen umher. Und ein Priester im schwarzen Habit und in schwarzem Armeeparka, mit einem gotischen Gesicht und dem Bart eines Eremiten, lässt sich von keinerlei Trubel stören, von keiner Kamera, und liest in der über und über mit Heiligen ausgemalten Kirche in der Heiligen Schrift. Das Wirkliche, es ist in Velika Hoča so wirklich, so innig, wie es inniger kaum geht, und es ist Peter Handke anzusehen: Ihm geht es hier gut. Um es noch christlicher zu sagen, ohne jeden ironischen Hintersinn: Der Dichter hat, dylaneske Buttons hin oder her, an diesem Ostersonntagmorgen ein fröhliches Herz. Das Schlagloch aber ist: Die österliche Reisegesellschaft ist ideologisch recht gemischt. Das wird deutlich an der Irritation derer, die nicht so genau wissen, was sie sagen sollen, wenn ihnen dutzendfach von den Dörflern der altslawische Ostermorgengruß entboten wird: »Christus ist auferstanden!« Nur einer weiß die richtige Antwort – Peter Handke: »Er ist wahrhaftig auferstanden!« Und er, der in einem Interview gesagt hat, er besuche jeden Sonntag den russisch-orthodoxen Gottesdienst, ruft jetzt diesen Christus-Gruß seiner Reisegefährtin Käthe Reichel zu, lachend. Er hat seine Freude daran, zu sehen, wie die Brecht-Schauspielerin, bis heute eine Ikone der Brecht-Kirche, den frommen Anruf mit knapper Not kontert, in einer gestisch ausgestellten Retour-Deklamation. Das ist die alte Schule, in der die Dinge besser aus der Verfremdung kommen als aus vollem Herzen. Ja, so hätte der Meister das damals am Schiffbauerdamm gemacht. Der heutige Herr am Schiffbauerdamm bleibt auch hier gelassen. Claus Peymann nimmt die orthodoxe Chose fröhlich, ganz Theatermann: eine hübsche alte Form mit viel Spielpotenzial. Käthe Reichel indessen wirkt wenig froh bei dem Gedanken, das schöne Heine-Preisgeld könnte womöglich für orthodoxe Opiate verballert werden. Denn, nicht wahr, der Pope des Dorfes ist immer dabei. Ein grundsympathischer, gestandener Mann, der lästige Kameras aus seinem Ostergottesdienst so souverän rausschmeißt, wie er mit seinen Bauern bis tief in die Nacht feiert. Er scheint das wahre Haupt von Velika Hoča zu sein. Bei ihm spielt sich alles ab, die Speisung der Reisegruppe in seinem Haus und die Übergabe des Geldes im Garten vor seiner Kirche. Still und feldsteinern steht das Stefanskirchlein im Garten hinterm Pfarrhaus, das Hausschwein lässt ein Grunzen hören, der Haushund kläfft, und jetzt flieht die Hauseule, aufgescheucht vom Lärm, aus ihrem Tannenbaum, als ein hoch aufgeschossener Mensch aus Belgrad mit zu großer Brille auf der Nase und zu großen Worten im Mund Peter Handke zu ebenso großen Worten herausfordert: »Wo ist das Gewissen Europas?« Push-Meldungen von ZEIT ONLINE Möchten Sie Benachrichtigungen von ZEIT ONLINE in Ihrem Browser erhalten? JETZT AKTIVIEREN »Zu allgemeine Frage«, murmelt der Dichter etwas unwirsch. Die nächste bitte. »Lieben Sie Velika Hoča?« »Ja, ich liebe Velika Hoča.« »Und was lieben Sie daran?« »Seinen Wein. Sein Brot. Seinen Raki…« »Warum sind Sie heute hier?« »Um Geld loszuwerden.« »Aber was ist der Grund für Ihre Entscheidung?« – »Ich wollte mein Geld loswerden, wirklich.« Dann leiser, ernster: »Ich wollte ein Zeichen setzen, ja.« Jetzt entsteht eine kleine Pause im Pfarrgarten vor der Kirche. Bevor sie zu groß wird, fällt einem die Frage ein: »Wie empfinden Sie die Angriffe auf Sie?« Handke antwortet auf Serbisch: »Alles in Ordnung. Keine Aggressionen.« Und setzt gut gelaunt nach: »Alles unter Kontrolle.« Dieses cve pod kontrolom hat wohl im Serbischen einen ähnlichen Klang wie im Deutschen. Ein Spruch halt. Jetzt lachen alle. So bleibt es. Handke weicht gelegentlichen Versuchen bei Tisch oder in den Reden danach, die Situation zu pathetisieren, konsequent aus. Das bedeutet nicht, dass sein Ernst in der Sache abgeschmolzen wäre. Aber es ist wohl so, dass er mehr als zu anderen Zeiten darauf achtet, im auratischen Feld des Dichters zu bleiben, auch wenn er Dinge tut, die darüber hinausreichen. Auch wenn er Bruderschaft trinken muss, »with kiss!« Auch wenn ihm bei Tisch ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift »Serbisches Kosovo« gereicht wird; er zieht es sich in einer komisch-linkischen Geste über den Kopf und verhüllt eine Weile das Haupt. Auch wenn über ihn lobgeredet wird – »der Tapferste und Klügste von allen« – und er dann gegenreden muss. Dann steht er auf und sagt: »Kosovo ist keine politische Idee. Es ist eine seelische Idee. Kosovo wird immer leben in den Herzen der südslawischen Völker.« Ist der Eindruck eines Rückzugs vom politischen Terrain aufs Dichtersein richtig? »Ich habe nie Partei ergriffen. Ich habe dieses unerzählte Land erzählt. Ich habe immer Pathos und Nationalismus abgewehrt, wenn ich hier war. Ich habe immer nur gesagt: Ich bin hier. Und ich war auch hier in der Kriegszeit.« Wer Handkes Abschied des Träumers und die anderen Jugoslawien-Texte noch einmal liest, absichtslos, ohne festen Entlarvungsvorsatz, kann den suchenden Ton darin nicht überlesen. Wenn er die serbische Kosovo-Politik kritisiert. Wenn er fragt, wo der serbische Stauffenberg sei, der einen Karadžić beseitigte. Wenn er sich selbst infrage stellt, eigene Ansichten. Was mit Peter Handke und der Welt geschieht, ist ungefähr dies: eine chemische Reaktion zwischen Dichtung und Wahrheit. Der Wanderdichter Handke gelangt dahin, seine literarische Welt in einem realen Land zu finden und zu verorten. Er wandert schon als junger Mann viel in Slowenien, woher seine Mutter stammt. Er mag ein wirkliches Land namens Jugoslawien, das aus eigener Kraft aus dem Kampf gegen Hitler hervorgeht. Eines, das sich seinen Weg sucht durch die großen Blöcke Ost und West hindurch. Man mag sagen, sein »Neuntes Land« sei der poetisch hochgerechnete »Dritte Weg« des Tito-Staates, aber das wäre bloß Ideologiekritik. Das »Neunte Land« ist natürlich das Land des Dichters. Es heißt genauso wie das Land auf der Karte, die in den Fernsehnachrichten erscheint, aber es liegt nicht da, wo jenes liegt, darunter vielleicht, dahinter oder darüber. War denn Eichendorffs Deutschland identisch mit dem nachnapoleonischen Land aus den Geschichtswerken – oder war es Eichendorffs Traum? Aber Handkes Liebe zu seinem Land geriet massiv in die Politik, in den Krieg. Dass er die jugoslawische Idee verteidigt hat, ist kein Wunder. Was sollte er sonst tun – es ist Ort seiner Dichtung. Natürlich, ganz unschuldig ist er nicht an deren Politisierung. Irgendetwas ist im Schreiben oder vielmehr im Schriftsteller, das ihn drängt, den Bezirk der Autorschaft zu verlassen und politisch zu werden. Handke weiß das. Er bedauert seinen Hang dazu explizit in seinem Jahr in der Niemandsbucht. Aber in Jugoslawien war Krieg. »Es ist tragisch«, sagt er. »Es hätte eine Friedenskonferenz mit internationalen Garantien sein müssen vor den Sezessionskriegen. Es gab vierzig Prozent Serben in Bosnien und dreißig in Kroatien, und plötzlich sollen die in einem rein bosnischen, die anderen in einem rein kroatischen Staat leben. Natürlich gab das Kämpfe. Und Izetbegović wollte ursprünglich einen Scharia-Staat in Bosnien. Die Mudschahedin sind gekommen. Sie haben gekämpft wie die Teufel. Jugoslawien war eine schöne Idee, sie hat nicht gesiegt.« Was das heißt, zeigt ein Spaziergang durch Velika Hoča, das einmal ein Weindorf war in einer renommierten Weingegend. Nur noch ein Drittel seiner Hänge wird bearbeitet – das im Schutz des KFor-Postens auf einer Anhöhe liegt. Auf die anderen trauen sich die Dörfler nicht, sie fühlen sich von den Albanern bedroht, »aus Gründen oder nicht«, sagt Handke. Tatsächlich wurden vor Jahren zwei junge Männer auf dem Feld erschossen. Heute bleiben die Alten, die Jungen gehen nach Serbien, hier in der Enklave warten nur das tägliche Herumsitzen in billigen Cafés, Armut und langsames Aussterben auf sie. Und Belgrad schickt Geld, damit das Dorf noch ein bisschen weiterexistiert. Den jungen Männern fehlten die Mädchen zum Heiraten, hat der Priester gesagt. Die gingen zuerst fort. Das kann man alles verstehen. Kriege, Zerfall des Staates, ethnische Säuberungen. Aber eine Frage an Handke bleibt. Warum Milošević? Musste das sein, dieser Auftritt am Grab? »Sind Sie deswegen hier?« Handkes Ton wird bitter. Geht es jetzt wieder los mit den Anfeindungen? Nein, geht es nicht, aber die Frage muss erlaubt sein: Warum Milošević? »Wenn Sie das nicht verstanden haben, kann ich es Ihnen auch nicht erklären.« Einen Moment lang sieht es so aus, als sei das Gespräch beendet. Dann spricht er doch weiter. »Ich wollte Zeuge sein. Mit Milošević endete Jugoslawien. Bei diesem letzten Akt wollte ich dabei sein.« Und noch einmal: »Ich bin Schriftsteller, ich habe weiter nichts zu erklären.« War noch was? Ach ja, die Geldübergabe. Sie soll nach dem langen Ostermorgengottesdienst, an dem Handke teilnimmt, vor sich gehen. Wie genau, an wen genau, wie aufgeteilt, wofür genau, das ist bis kurz vorher unklar. Claus Peymann, auch in diesen Dingen erfahrungssatt, macht sich keine Illusionen mehr über den Weg, den Spendengelder gewöhnlich nehmen. Handke will von solchen Gedanken nichts wissen. Die Frage, ob er denn eine Kontrolle über das Geld habe, wehrt er ab: »Die ist nicht nötig. Die Leute hier wissen schon, was sie brauchen.« Die Schule sei in einem erbärmlichen Zustand, da gebe es einen Kostenvoranschlag: 35000 Euro allein dafür. Dann der Dorfplatz, noch mal 10000 Euro, damit sei das Geld schon fast alle. Es scheint tatsächlich so zu sein, wie er gesagt hat: »Ich will das Geld loswerden.« Die Zeremonie geht dahin. Reden werden gehalten. Sehr politische von den Deutschen. Sehr höfliche von den Serben. Und eine ganz kurze Rede. Der prosaische Poet Peter Handke bedankt sich für die Gastfreundschaft und sagt sein Credo: »Die sogenannte Welt ist in Velika Hoča die wahre Welt. Wenn es Velika Hoča nicht gäbe, gäbe es keine wirkliche Welt.« Und er hat einen neuen Namen für den Ort – »das Dorf unter dem Himmel«. Das ist es dann. Alle sind fort, die Autos, der Jeep. Der lustige Peymann. Das Dorf ist jetzt still. Seine kleinen, gelbbraunen Hunde mit den müden Augen nehmen den Platz vor der Kirche wieder ein. Die alten Männer mit den schwarzen Mützen gehen langsam umher. Der KFor-Posten auf der Anhöhe ist da und die hohe Feldsteinmauer des verwaisten Weinhofes. Und die Strommasten aus grauem, rissigem Holz stehen auf einmal hier, als seien sie nie fort gewesen. Seitennavigation STARTSEITE LESEN SIE JETZT T H E A T E R : Der Kriegsverbrecher als Komödiant Von Wolf Oschlies 27. Dezember 2013 ANZEIGE Der ZEIT Stellenmarkt Jetzt Jobsuche starten und Stellenangebote mit Perspektive entdecken. JOB FINDEN Kommentare 4 Kommentare Der Kommentarbereich dieses Artikels ist geschlossen. Wir bitten um Ihr Verständnis. Neueste zuerst KlausHa #1 — 12. April 2007, 13:11 Uhr Die Realität des Dichters Bei der letzten Volkszählung 1991 kamen die Demographen auf 11,6 % Serben in Kroatien und 31 % in Bosnien und Herzegowina - der Dichter hat es scheinbar nicht so mit den Zahlen. Das einzige was gegen einen rein bosnischen Staat spricht ist die Tatsache, dass es ja schließlich noch die Herzegowina gibt. Ansonsten müssten die Serben nichts dagegen haben, schließlich sind sie nicht weniger Bosnier wie die Kroaten oder Bosniaken. Das, einen rein 'bosniakischen' Staat, hat Handke vermutlich gemeint - wieder 'knapp' daneben, aber macht ja nichts. Das mit dem geplanten 'Scharia-Staat' ist wohl keiner weiteren Kommentierung wert. Hat sich der Dichter denn mal gefragt, wieso die 30% Nichtserben in einem rein serbischen Staat leben sollten? Immerhin ist Serbien dank neuer Verfassung explizit der Nationalstaat der Serben - im Gegensatz zu Kroatien. Wobei, nebenbei gesagt, die in Serbien lebenden Minderheiten dank politischer Entscheidungen am Verhandlungstisch sich in Serbien wiederfanden - dessen Minderheiten zugewandert sind. Ach, und ist Rolf Becker nicht der für den Christian Klar 'politischer Gefangener' ist? Hier wird eher offensichtlich woher der politische Wind weht. Übrigens Herr Büscher, wie auch immer ihr persönlicher Eindruck sein mag, von 'Sezessionskriegen' kann gar keine Rede sein. 'Abspaltung'? Von was denn bitte? Die Badinterkomission der EU, sowie UN kommen beide zu dem Ergebnis - Jugoslawien wurde als Zerfallen erklärt, also heisst es 'Sukzession'. Dass Herr Milosevic sein Staatengebilde weiterhin J. nannte, war sein privates Vergnügen, er hätte es auch Taka-Tuka-Land nennen können, Rechtsnachfolger Jugoslawiens war diese BR J. jedenfalls nicht. Dass er die Beerdigung Milosevics besucht hat, da mit diesem Jugoslawien zu Ende gegangen war, er also M mit J. tatsächlich verbindet, ist eine Obszönität sondergleichen und eine ungeheuerliche Beleidigung der vielen Millionen die an diese Idee, die gleichberechtigte Vereinigung der Südslawen, geglaubt haben. Wer sich die Zusammensetzung dieser Reisegruppe mal ansieht kommt nicht umhin, darin eine Truppe von BRD-Altlinken zu erkennen, die, gekränkt von der Tatsache, dass keiner mehr ihren real existierenden Sozialismus haben möchte, verbal Amok läuft, was ja halb so wild ist, da ein wahrer Künstler sich mit Lappalien wie Fakten etc. nicht aufhalten muss. Was zählt ist die Absicht und der Ausdruck. Zu empfehlen ein Artikel bei der Konkurrenz:http://www.fr-online.de/i... Melden Empfehlen KlausHa #2 — 12. April 2007, 13:12 Uhr Die Realität des Dichters Bei der letzten Volkszählung 1991 kamen die Demographen auf 11,6 % Serben in Kroatien und 31 % in Bosnien und Herzegowina - der Dichter hat es scheinbar nicht so mit den Zahlen. Das einzige was gegen einen rein bosnischen Staat spricht ist die Tatsache, dass es ja schließlich noch die Herzegowina gibt. Ansonsten müssten die Serben nichts dagegen haben, schließlich sind sie nicht weniger Bosnier wie die Kroaten oder Bosniaken. Das, einen rein 'bosniakischen' Staat, hat Handke vermutlich gemeint - wieder 'knapp' daneben, aber macht ja nichts. Das mit dem geplanten 'Scharia-Staat' ist wohl keiner weiteren Kommentierung wert. Hat sich der Dichter denn mal gefragt, wieso die 30% Nichtserben in einem rein serbischen Staat leben sollten? Immerhin ist Serbien dank neuer Verfassung explizit der Nationalstaat der Serben - im Gegensatz zu Kroatien. Wobei, nebenbei gesagt, die in Serbien lebenden Minderheiten dank politischer Entscheidungen am Verhandlungstisch sich in Serbien wiederfanden - dessen Minderheiten zugewandert sind. Ach, und ist Rolf Becker nicht der für den Christian Klar 'politischer Gefangener' ist? Hier wird eher offensichtlich woher der politische Wind weht. Übrigens Herr Büscher, wie auch immer ihr persönlicher Eindruck sein mag, von 'Sezessionskriegen' kann gar keine Rede sein. 'Abspaltung'? Von was denn bitte? Die Badinterkomission der EU, sowie UN kommen beide zu dem Ergebnis - Jugoslawien wurde als Zerfallen erklärt, also heisst es 'Sukzession'. Dass Herr Milosevic sein Staatengebilde weiterhin J. nannte, war sein privates Vergnügen, er hätte es auch Taka-Tuka-Land nennen können, Rechtsnachfolger Jugoslawiens war diese BR J. jedenfalls nicht. Dass er die Beerdigung Milosevics besucht hat, da mit diesem Jugoslawien zu Ende gegangen war, er also M mit J. tatsächlich verbindet, ist eine Obszönität sondergleichen und eine ungeheuerliche Beleidigung der vielen Millionen die an diese Idee, die gleichberechtigte Vereinigung der Südslawen, geglaubt haben. Wer sich die Zusammensetzung dieser Reisegruppe mal ansieht kommt nicht umhin, darin eine Truppe von BRD-Altlinken zu erkennen, die, gekränkt von der Tatsache, dass keiner mehr ihren real existierenden Sozialismus haben möchte, verbal Amok läuft, was ja halb so wild ist, da ein wahrer Künstler sich mit Lappalien wie Fakten etc. nicht aufhalten muss. Was zählt ist die Absicht und der Ausdruck. Zu empfehlen ein Artikel bei der Konkurrenz:http://www.fr-online.de/i... Melden Empfehlen Avatarbild von Antoninus Antoninus #3 — 13. April 2007, 11:48 Uhr Der Mann unter dem Himmel P. Handke - der Mann unter dem Himmel seiner eigenen Seinsvergessenheit. Um nicht den Skandal hinter dieser Misereor-Schau zu vergessen: Dass Handke je mehr als einige romantische Zeilen von Heine gelesen und verstanden hat, halte ich für ein Gerücht. Z.B. die letzte aus 'Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland'..: 'Hört Ihr das Glöckchen klingeln? Kniet nieder - Man bringt die Sakrament einem sterbenden Gotte.' - Auch ein solcher Himmels-Poet wie P. H. ist damit gemeint. Hat mir H.H. ad 'urbem et orbem et caelum' eingeschrieben; non ignorabo! Melden Empfehlen Vernes #4 — 18. April 2007, 18:13 Uhr Srebrenica oder Vukovar Wie kann man eigentlich so ignorant sein und die Augen vor der Wahrheit verschliessen??? Herr Handke sollte mal zur Abwechslung Srebrenica, Foca oder Vukovar besuchen. In keinem der oben genannten Fällen lässt sich leugnen, dass Milosevics Soldateska nicht direkt am Kriegsverbrechen beteiligt war, bzw. dass dies auf Anordnung von Milosevic geschah. Herr Handke ging dann zur Beeridigung des Retters von Jugoslawien. Milosevics erklärtes Ziel war nicht die Rettung Jugoslawiens sondern der Schutz der serbischen Bevölkerung. Als vorbeugende Massnahme sind dann natürlich ethnische Säuberungen durchgeführt worden. Kann Herr Handke auch Gedanken lesen??? Woher weiss Herr Handke was Izetbegovic wollte? Izetbegovic wollte und konnte keinen Scharia-Staat gründen. Meint Herr Handke wirklich, dass Europa es dulden würde einen Scharia-Staat in ihrer unmittelbarer Nähe zu haben? Auch jetzt wo in Bosnien-Herzegowina dank ethnischer Säuberungen einzelne Bevölkerungsgruppen zu mehr als 95 % unter sich sind, gibt es immer noch keine Radikalisierung der moslimischen Bevölkerung. In Bosnien-Herzegowina gab es und gibt es immer noch Mudschahedin die sich freiwillig gemeldet haben der moslemischen Bevölkerung zu helfen, alle anderen internationalen Institutionen haben gar nichts oder sehr wenig getan. Herr Handke vielleicht war Jugoslawien eine schöne Idee, die sich dann zu einem Albtraum für sehr viele Menschen verwandelt hat, Sie können ja immer noch auf diese Idee glauben, ich tue es nicht mehr. Melden Empfehlen Der Kommentarbereich dieses Artikels ist geschlossen. Wir bitten um Ihr Verständnis. Start DIE ZEIT Archiv Jahrgang 2007 Ausgabe: 16 Kosovo: »Ich wollte Zeuge sein« Impressum Datenschutz
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/////http://www.kleinezeitung.at/kultur/4937675/Interview_Claus-Peymann-ueber-sein-Publikum_Wer-gaehnt-fliegt-raus
Claus Peymann über sein Publikum: "Wer gähnt, fliegt raus!" Nach der Handke-Premiere gibt sich der frühere Burgtheater-Chef angriffig wie eh und je. Claus Peymann wettert gegen Kritiker sowie gähnendes Publikum und hält sich für "eine Ausnahme, einen Außenseiter, ein Mammut." 15.54 Uhr, 02. März 2016 Facebook Google+ Twitter Zu den Kommentaren7 SEITE PER E-MAIL SENDEN SEITE DRUCKEN SCHRIFTGRÖSSE GRÖSSER SCHRIFTGRÖSSE KLEINER Claus Peymann war von 1986 bis 1999 "Burgherr" in Wien © APA/Techt Seine Uraufführung von Peter Handkes Stück "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" am letzten Samstag im Burgtheater war eines der Theater-Ereignisse der Saison. Interviews im Vorfeld hatte Claus Peymann (78) abgesagt, um sich ganz auf die Probenarbeit zu konzentrieren. Nach der Premiere und vor seiner Rückkehr nach Berlin stand er der Austria Presseagentur für ein Gespräch zur Verfügung. Herr Peymann, nach Ihrer Handke-Uraufführung war am Samstag ein weiteres kleines Stück auf der Burgtheater-Bühne zu erleben: Sie haben das Verbeugen choreografiert und schienen nach anfänglicher Verkrampfung angesichts des Jubels immer entspannter. Viele haben gemeint: wie früher. Wie haben Sie das empfunden? CLAUS PEYMANN: Na, das ist doch wohl normal, dass ich bei der Premiere überanstrengt oder überkonzentriert bin, oder? Ich habe zugeschaut - was ich selten tue - und habe das als eine sehr schöne Vorstellung empfunden, erschöpft und glücklich - das hat man mir möglicherweise angesehen. Auf der Straße bin ich zwar oft auf der Flucht vor zu viel "Umarmungen" - aber nach so einer Uraufführung, die ja einiges von uns, aber auch von den Zuschauern fordert, empfindet man diese große Begeisterung, diese Bekundungen der Liebe zum Theater, absolut als Beglückung. Darüber hinaus ist es natürlich beglückend, dass sich die Menschen (immer noch oder jetzt erst?) positiv an einen erinnern. Dass mich heute in Österreich so viele Menschen lieben, berührt mich sehr - aber heute liebe ich auch gern zurück! Die Zeit heilt die Wunden. Wer gähnt, fliegt raus! Haben Sie das noch nicht gemerkt? CLAUS PEYMANN ÜBER DAS PUBLIKUM War die Wiederbegegnung mit dem Haus und den Menschen, die hier arbeiten, ähnlich beglückend? PEYMANN: Ja. Ich bin Karin Bergmann dankbar, dass sie den Mut hatte, diese beiden alten Heroen, Handke und Peymann, und den Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann, noch einmal einzuladen in Wien zu arbeiten. Dass ich aus Berlin einen ganz tollen jungen Schauspieler mitbringen konnte, nämlich Christopher Nell, der bei uns Mephisto und Hamlet spielt, hat mich natürlich gefreut. Und absolut erfreulich war die Arbeit mit dem Ensemble, den Unschuldigen! Ja, ich sage es, weil es ja kein anderer sagt: Für mich war die Premiere eine Art Sternstunde. Ein neues, kühnes und hochpoetisches Stück von Peter Handke kommt in Österreichs Nationaltheater zur Uraufführung - so muss es doch sein! So haben wir es immer vertreten! Wenn ich den Hauptcharakterzug meiner Wiener Theaterarbeit beschreiben müsste, würde ich immer sagen, das war eben das Einmalige, dass Elfriede Jelinek, Peter Turrini, Thomas Bernhard und Peter Handke den Spielplan dieses Hauses bestimmt haben - österreichische zeitgenössische Dramatiker, für die es ja gebaut wurde. Manche sind blind, manche sind taub - manche beides zusammen! CLAUS PEYMANN ÜBER THEATERKRITIKER Von einer Sternstunde ist in den Zeitungen tatsächlich nichts zu lesen. Haben Sie die Kritiken studiert? PEYMANN: Nein! "Studieren"? Da hab ich Wichtigeres zu tun. Ich habe nach meiner morgendlichen Jogging-Runde am Ring Zeitungen gelesen, die Kritiken überflogen. Ach, die Theaterkritiker! Manche sind blind, manche sind taub - manche beides zusammen! Und meistens konträr zum normalen Theaterpublikum. Insofern macht es mir überhaupt nichts, wenn da wieder rumgemäkelt wird. Ist es so? Natürlich bin ich immer noch verletzbar und enttäuscht, weil man nichts mehr hofft, als dass die Botschaft einer Inszenierung, eines Stücktextes, ihr Ziel erreicht. Aber letztlich bin ich abgebrüht, sonst hätte ich wohl nicht so lange durchgehalten - denn es gibt wahrscheinlich keinen Regisseur, der so gnadenlos als Burgtheaterdirektor bekämpft wurde wie ich in meiner Wiener Zeit. Aber das hatte Sie doch erst recht angespornt! Wenn man gähnt und mit den Schultern zuckt - das wäre Ihnen doch wohl auch nicht recht? PEYMANN: Gähnen ist bei mir überhaupt verboten. Aber auch in Wien gibt es Theater, wo alle gemeinsam - die oben und die unten - gerne gähnen und sich wohlfühlen dabei. Bei mir? Da wird doch nicht gegähnt! Wer gähnt, fliegt raus! Haben Sie das noch nicht gemerkt? Das mediale Bild soll mich doch am Arsch lecken! Das ist mir doch vollständig wurscht. CLAUS PEYMANN Ist Ihnen dieser Publikums-Erfolg nicht zu glattgegangen? Keine heißen Auseinandersetzungen wie früher, sondern Jubel. PEYMANN: Das Publikum hat doch gejubelt! Ich hab immer Theater für und nicht gegen die Menschen gemacht. Ich war und bin auf Zustimmung aus - aber lege es nicht darauf an und werfe ja beileibe nicht mit Speck! Ich versuche mit einer Theateraufführung die Wahrheit und das Geheimnis des Textes zu vermitteln und erlebbar wahr zu machen. Wahrscheinlich gibt es die Sehnsucht in unserer Gesellschaft, dass jemand etwas vermittelt und ausspricht, was nicht der Quote oder den Tagestrends entspricht - und dafür ganz und gar zur Verfügung steht, dafür einsteht im schönsten Sinne. Diese Art von Identität, die ich immer noch mit meiner Arbeit habe, führt offenbar dazu, dass in einem bestimmten Moment Zuneigung oder Dankbarkeit - oder auch Legendenbildung entsteht. Ich finde übrigens, ich habe das auch gar nicht anders verdient. Ich bin mir aber vollständig im Klaren, dass ich inzwischen längst eine Ausnahme, ein Außenseiter, ein Mammut bin. Das, was ich verkörpere, diese Mischung aus "Genie" und Striese, das gibt es künftig nicht mehr. Heute sehen Sie eher die Smarten, Braven, Cleveren, die Geschickten, die so reden wie die Politiker, die sie ernennen, die so reden wie die Journalisten, die über sie schreiben. Da hat Handke doch recht: Das sind die "Unschuldigen", alles ein ähnlicher Phänotyp. Ich bin wahrhaft kein Unschuldiger. Ich bin schroff, ich bin ängstlich, ich suche, ich bin schüchtern, ich bin aggressiv, ich bin leidenschaftlich. Ich bin untaktisch, unklug, ungeschickt. Ich poltere laut, ich lache gern, ich lache auch gerne Leute aus - alles Dinge, die man sich heute nicht mehr leistet in einer Gesellschaft der Harmonie und Verharmlosung. APA/Fuchs ' Peymann schwärmt für Christopher Nell im Handke-StückFoto © APA/Fuchs Diese Gesellschaft der Harmonie geht aber gerade in Trümmer, die Emotionen gehen hoch ... PEYMANN: Eben: Die Wahrheit kommt zum Vorschein. Die Zeit der Verharmlosung ist vorbei. Das Lügengebäude stürzt zusammen. Das ist in vollem Gang. Ehrlich gesagt, das sind die einzigen Augenblicke, wo ich froh bin, dass ich 78 bin, dass ich den Dritten Weltkrieg in seiner ganzen Dimension nicht mehr erleben werde. Der Krieg ist ja in vollem Gang. Das wird auch so im Stück gesagt: Die Unschuldigen nehmen den Krieg vorweg, sie üben schon lange den Krieg, ohne es sich zuzugestehen. Das erleben wir jetzt: eine Gesellschaft ohne Traum, ohne Perspektive. Davon handelt das Stück. Insofern ist es total aktuell. Wie sieht dieses Lügengebäude aus? PEYMANN: Es ist die Lüge von der guten Nachbarschaft. Aber natürlich ist die Figur, die das in dem Stück anprangert, ein Narr. Ein Clown. Ein Caliban. Ein Idiot. Aber in ihm schläft auch Prospero, der Träumer, der Utopist. Insofern ist dieses Stück, wie alle Stücke Peter Handkes, eine Art Menetekel, hochaktuell, ganz heutig. Und ganz un-modern. Das ist kein Widerspruch. Es ist ganz heute und ganz aus der Zeit, gegen die Zeit. Es ist ein böses Zaubermärchen in einer Zeit, in der keine Märchen mehr erzählt werden, sondern in der die Märchen beginnen zu explodieren. Wenn Sie es im Heute verorten, sind mir die entsprechenden Bilder abgegangen. Die auf der Straße ziehenden Flüchtlinge sind ja das entscheidende mediale Bild der heutigen Zeit. PEYMANN: Das mediale Bild soll mich doch am Arsch lecken! Das ist mir doch vollständig wurscht. Das Stück endet in der Apokalypse des Jüngsten Tages. Es sind die weinenden Gesichter, die Menschen in ihrer absoluten Hilflosigkeit, Verzweiflung und Not - das zeigt das letzte Bild dieses Stückes. Alle Utopien, Versprechungen, auch jeglicher Gottesglaube ist verloren. Die Parolen pervertiert. Diese ganzen Unschuldigen sind im Kern Verzweifelte. Die Metapher des Tages ist die Ausweglosigkeit. Das Theater muss für die Gegenwart ganz anders aufmerksam sein, andere Sinne wecken, mit Kunst! All die hilflosen Versuche mit authentischen Syrern, Afghanen, Marokkanern... Betroffenheit auf der Bühne zu erzeugen, sind letztlich Verkitschungen - und nichts anderes als Elends-Folklore, Elends-Tourismus. Wie es geht, zeigt dagegen zum Beispiel eine Inszenierung wie Jelineks "Die Schutzbefohlenen" im Burgtheater. Aber die Metapher dieses poetischen Kosmos von Peter Handke ist eine ganz andere. Es gibt keine Lösung, kein Ende, keinen Schluss. Und so findet das Stück selber auch keinen Schluss, kein Ende. Aber wir spielen! Wir träumen einen gemeinsamen Traum - der zwischendurch auch zum Albtraum wird. In diesem Wachtraum sieht man den verlorenen Kampf des Ich, also des Peter Handke oder von wem auch immer, gegen eine Gesellschaft, die ihn unter dem Mantel größter Freundlichkeit erledigt hat. Das ist DAS Thema seit Menschengedenken, auch bei Thomas Bernhard: Individuum gegen die Gesellschaft. APA/Hans Klaus Techt Claus Peymann während des InterviewsFoto © APA/Hans Klaus Techt Die Theater haben sicher keine Lösung - aber ich habe den Eindruck, dass sie sich ihrer Rolle als Forum der Auseinandersetzung in diesen Umbruch-Zeiten zunehmend bewusst werden. PEYMANN: Ist es so? Das würde mich freuen. Mir ist das nicht so sichtbar, muss ich ehrlich gestehen. Ich habe das Gefühl, dass das Theater sehr eitel geworden ist, insbesondere meine Kollegen, die Regisseure. Die ständige Verbesserung und Korrektur von Stücken, das Infragestellen der Fiktion. Wir bringen uns damit um das größte Geheimnis unseres Berufes und geben die Basis unseres westeuropäischen Theaters auf, nämlich die Dichtung, und dadurch werden wir angreifbar. In Deutschland werden ja laufend Theater geschlossen. Da setzt meine Klage ein, die auch schnell zur Anklage wird über das, was wir mit unserer Arbeit alles verhunzen. Es ist völlig falsch zu sagen: Politisches Theater ist, wenn die Rote Fahne weht. Das Theater hat viel komplexere Ausdrucksformen, viel geheimnisvollere Wege, in deren Mittelpunkt aber immer der Spieler, die Sprache, die Geschichte und die Kunst stehen muss, das, was den Menschen ausmacht: träumen zu können - und sich daran immer wieder erinnern und aus dem Sumpf ziehen zu können. Insofern bin ich vollständig altmodisch und mache vollständig altmodische Inszenierungen. Darauf bin ich sehr stolz! Und die große Sympathie, die mir entgegengebracht wird, nicht nur hier in Österreich, sondern auch anderswo, zeigt, dass ich dabei wohl irgendetwas richtig machen muss. Es gibt ja wahrscheinlich keinen Theaterdirektor, der so beschimpft und geliebt wird - und der das auch noch ausspricht! "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" läuft bis 2. April an der Burg Foto © APA Sollte das Ihnen diese viele Liebe nicht zu denken geben? PEYMANN: Ich betrachte das rein phänomenologisch. Ich komme mir selber schon manchmal vor wie eine Puppe. Denn viele glorifizieren eine Person, die ich selber natürlich gar nicht sein kann. Wenn ich in Berlin im Wald eine Runde jogge, dann stehen nicht nur die Wildschweine stramm und die Häher rufen mir zu, sondern auch alle anderen Waldgänger wollen Autogramme von mir! Die Schlüsselfrage wird ja: Wo werde ich begraben? Setzt sich Wien durch mit einem Ehrengrab, oder gehe ich doch auf den Dorotheenstädtischen Friedhof, wo Brecht liegt, Helene Weigel, Heiner Müller, Minetti...? Ich nehme an, Sie werden die Angebote sortieren und dann in Ruhe entscheiden? PEYMANN: Manchmal träume ich, es wie die alten Könige zu machen: das Herz nach Wien, den Rest auf den Dorotheenstädtischen Friedhof... So, und damit haben Sie doch endlich was für Ihr Interview! Noch sind Sie ja quicklebendig. Sie haben noch eineinhalb Saisonen am BE. Niemand glaubt, dass Sie sich danach zur Ruhe setzen werden. Was sind Ihre Pläne für danach? PEYMANN: Ich habe keine. Ich bin ein Mensch, der nur für das Heute lebt. Ich habe mich natürlich nie beliebt gemacht bei meinen Kollegen Intendanten, und das setze ich ja planmäßig fort. Da kann ich wohl nicht allzu viele Engagements erhoffen. Aber vielleicht gibt es noch ein paar Außenseiter wie ich, mit denen wir in den Vororten von Berlin ganz was Verrücktes auf die Beine stellen. Wenn Frau Bergmann Sie für Wien wieder fragen würde? PEYMANN: Das muss man ihr überlassen. Keine Ahnung. Ich habe mich jetzt bei der Arbeit sehr wohlgefühlt - und hatte gleichzeitig ein ganz schlechtes Gewissen, dass ich Berlin und mein Theater, das BE, für drei Monate alleine lasse. Aber wir haben hier in einem kleinen Büro eine Art Nebenregierung eingesetzt und jeden Tag sehr engen Kontakt nach Berlin gehabt. Was denken Sie über Ihren Nachfolger? PEYMANN: Ich finde, Oliver Reese ist eine Nummer zu klein. Er ist ein sehr geschickter, sehr intelligenter Mann. Er hat ja hier in Wien gerade Premiere gehabt, in der Josefstadt. Er ist genauso wie viele der jetzigen Intendanten. Ich war immer vollständig anders. Ich hätte mir jemanden anderen gewünscht, zum Beispiel Christian Stückl, diesen katholischen Bayern, der ja hier demnächst den "Diener zweier Herren" inszeniert. Haben Sie Reeses "Auslöschung" an der Josefstadt gesehen? PEYMANN: Nein, da muss ich nicht hingehen. Ich hatte mit Thomas Bernhard so viel zu tun, habe so viel mit ihm gekämpft. Da muss ich mir nicht eine Romanbearbeitung von Herrn Reese ansehen. Da gehe ich lieber ins Kino. INTERVIEW: WOLFGANG HUBER-LANG, Austria Presseagentur
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zzzz= http://www.zeit.de/1988/22/ich-bin-ein-sonntagskind
Ein Disput über Österreich und das Theater. Über die Schauspieler und die Frauen. Über den Terror auf den Proben und den Traum vom Glück. Und, wie sollte es anders sein: über Peymann, Peymann und Peymann : Ich bin ein Sonntagskind André Müller spricht mit Burgtheaterdirektor Claus Peymann 27. Mai 1988, 8:00 Uhr Aktualisiert am 22. November 2012, 11:30 Uhr AUS DER ZEIT NR. 22/1988 Ihr Vertrag als Burgtheaterdirektor läuft noch drei Jahre. Nachfolger von Peter Zadek in Hamburg können Sie nicht mehr werden. CLAUS PEYMANN: Wollte ich gar nicht. Dort hat man eine drittklassige Figur aus England, Bogdanov oder wie der heißt, zum Intendanten gewählt, weil er die Etatkürzungen mitmacht. Das ist das Ende des Hamburger Schauspielhauses. Wie lange wollen Sie in Wien weitermachen? PEYMANN: Solange ich produktiv arbeiten kann. Wenn Sie wüßten, was für eine Scheiße ich hier erlebe! Man müßte dieses Theater von Christo verhüllen und abreißen lassen. Vielleicht schmeiße ich morgen schon alles hin. Beim österreichischen Kanzler Vranitzky liegt gerade ein Rücktrittsgesuch. Gedroht haben Sie bereits öfter. Worum geht es denn diesmal? PEYMANN: Um eine Lüftungsanlage. Es gibt im Haus drei Lüftungsanlagen, die behördlich erzwungen wurden und alle außer Betrieb sind. Jetzt will man eine vierte einbauen. Dieses Land ist ein Irrenhaus. Hier muß zum Beispiel der Bauminister persönlich die Verantwortung für eine Kiste tragen, die in der Fallbahn des Eisernen Vorhangs steht. Über eine Zigarette, die auf der Vorbühne geraucht wird, entscheidet der Bundeskanzler. An solchen Entsetzlichkeiten der banalsten Art werde ich scheitern. Oder Sie konzentrieren sich auf das Wesentliche. PEYMANN: Die Kiste war wesentlich, die Zigarette auch. Das sind für einen Regisseur Lebensfragen. Der Thomas Bernhard bringt sich um, wenn zwei Tippfehler sein Stück entstellen. Bernhard schreibt, Sie dagegen haben mit Menschen zu tun. PEYMANN: Wo liegt da der Unterschied? Menschen kann man nicht korrigieren wie Dichterworte. PEYMANN: Das ist auch nicht meine Absicht. Ich habe eine große Vorliebe für das Improvisierte, andererseits eine nicht bezähmbare Sehnsucht nach Perfektion. Das ist mein Problem. Ich liebe die Spontaneität, aber ich bin, darüber dürfte ich gar nicht sprechen, ein Vergewaltiger auf der Probe. Wenn in den Kopf eines Schauspielers nicht hineinwill, was ich mir vorgestellt habe, wende ich die bedingungsloseste und brutalste Gewalt an. Das geht von Gebrüll bis zu Mord und Totschlag. Ich breche den Widerstand, und ich weiß, daß es andere Regisseure genauso machen. Ihr Kollege George Tabori sagt, er bevorzuge die sanfte Methode. Push-Meldungen von ZEIT ONLINE Möchten Sie Benachrichtigungen von ZEIT ONLINE in Ihrem Browser erhalten? JETZT AKTIVIEREN PEYMANN: Davon glaube ich ihm kein Wort. Tabori ist eine absolute Sau in der Arbeit. Der gibt in nichts nach, ein Tyrann erster Güte. Ein Wunder, daß die Schauspieler sich das gefallen lassen. PEYMANN: Es ist ja zu ihrem Nutzen. Oda Thormeyer, die Miranda in meiner „Sturm“-Inszenierung, ist deshalb eine tolle Schauspielerin, weil sie durchgestanden hat, was ich an Quälereien und Verzweiflungen mit ihr angestellt habe. Es war furchtbar, aber dafür hat sie jetzt einige wirklich bewegende Augenblicke. Diese Aufführung wird sich für ihre Karriere als ein historisches Datum erweisen. Leider haben davon die Kritiker nicht das geringste begriffen. Man hat Ihnen Harmlosigkeit vorgeworfen. PEYMANN: Eine Schweinerei ist das. Man akzeptiert nicht, daß in deutschen Theatern gelacht wird, außer bei Feydeau oder Ayckbourn. Eine Art Düsternis wird propagiert. Das deprimiert mich zutiefst. Man hat ja auch meinen „Richard“ verrissen. Gelobt wurde ausschließlich Herr Voss. Mit dem „Wintermärchen“ ist es mir genauso ergangen. Das hat zur Folge, daß ich überlege, ob ich „Wie es euch gefällt“, das von mir als nächstes geplante Stück, überhaupt inszenieren soll. Ich bin dabei umzusteigen. Das sollten Sie nicht tun. PEYMANN: Ich weiß, ich muß mich befreien. Aber leicht ist es nicht. Man verinnerlicht solche Attacken. Trotz aller Verachtung der Theaterkritiker, auch als Personen, verstellen sie einem den Blick auf die eigene Arbeit. Sehen Sie sich doch an, wie verhärmt Heyme herumläuft. Peter Stein rührt keinen Shakespeare mehr an. Stein sagt, er lese keine Kritiken mehr. PEYMANN: Das verstehe ich gut. Man braucht die Bestätigung. Früher, als man mich lobte, habe ich, wenn es mir schlecht ging, zwanzig Hefte Theater heute um mich herum auf den Boden gelegt und mich auf diese Weise ganz pubertär angefeuert. Man stellt sich doch jeden Morgen die Frage, ob das, was man macht, überhaupt Sinn hat. Hätten Sie eine Alternative? PEYMANN: Das weiß ich nicht. Ich habe in diesem Beruf, was auch ein Glück ist, wenig Gelegenheit, über mich nachzudenken. Andere gehen zum Psychiater, um sich kennenzulernen. Daran bin ich nicht interessiert. Haben Sie Angst vor dem, was Sie erfahren könnten? PEYMANN: Wie meinen Sie das? Ihre Abgründe zum Beispiel. PEYMANN: Abgründe habe ich keine, abgesehen davon, daß ich mich weigere, erwachsen zu werden. Das könnte man vielleicht abgründig nennen. Ich trage zwar, seit ich fünfzig bin, keine Blue Jeans mehr, aber meine Träume sind immer noch Kinderträume. Ich erfülle mir ununterbrochen den Traum, daß das Leben ein Märchen ist, in dem das Gute eindeutig gut und das Schlechte schlecht ist, und ich gehe bedingungslos davon aus, daß dieser Traum erlaubt ist, das heißt, ich vertrete ihn, wenn es sein muß, mit aller Brutalität und äußerstem Raffinement. Heißt das, der Zweck heiligt die Mittel? PEYMANN: Bis zu einem gewissen Grad ja. Wenn sie Scheiße produzieren, ist das natürlich schlecht. Aber wenn das Resultat dazu beiträgt, die Gesellschaft positiv zu verändern, fragt hinterher keiner, wie es zustandekam. In der Politik wäre das ein falscher Standpunkt. PEYMANN: Aber ich bin kein Politiker. Diese Parallele ziehe ich nicht. Falls Sie im Hinterkopf das Konzept verfolgen, mich hier als einen potentiellen Diktator und Unmenschen hinzustellen, unterlägen sie einem tragischen Irrtum. Als Diktator haben Sie sich doch selbst hingestellt. PEYMANN: Ja, auf der Probe. Das bedeutet nicht, daß ich mich in der Realität so verhalte. Weil Ihnen die Gelegenheit fehlt. PEYMANN: Die wird mir immer fehlen. Das kann man nicht wissen. PEYMANN: Ich weiß das. Ich lebe zwar mit Kurt Waldheim in einer Stadt und arbeite nur 200 Meter von seinem Büro entfernt. Aber sonst verbindet mich mit diesem Mann gar nichts. Er hat mich erst neulich überraschenderweise in den Nacken geküßt. Sie scherzen PEYMANN : Nein. Er hat sich von hinten an mich herangeschlichen. Ich saß mit einem Besucher im Hotel Imperial. Plötzlich kam von hinten der Bundespräsident an mich heran und küßte mich. Er war im „Richard“ gewesen und wollte mir gratulieren. Auch seine Frau sei ganz begeistert. Seine Tochter habe noch nie einen so guten „Richard“ gesehen. Er überschlug sich förmlich. Mein Gegenüber konnte es kaum fassen. War Ihnen das angenehm? PEYMANN: Was sollte ich machen? Es war eine Vergewaltigung. In der Öffentlichkeit haben Sie sich zum Thema Waldheim bisher zurückgehalten. PEYMANN: Ja, weil es ihm doch nur nützen würde, von einem, der politisch links steht, beschimpft zu werden. Aber in der Arbeit bin ich auf das Thema schon eingegangen. Indem Sie Hochhuths „Stellvertreter“ aufführen ließen? PEYMANN: Zum Beispiel. Finden Sie das Stück gut? PEYMANN: Nein, grauenhaft, und ich würde es auch nie inszenieren. Aber es hat herrlich gepaßt. In diesem Land mit einer katholischen Personalpolitik, die zum Himmel stinkt, in dieser Wenderepublik Österreich, wo unter dem Deckmantel des Katholizismus wirklich alles legalisiert wird, war dieses Stück, noch dazu im Jahr des Papstbesuchs, die einzige moralisch richtige Antwort. Darüber ließe sich streiten. PEYMANN: Inwiefern? Der wahre Moralist sucht den Mörder in sich, nicht im andern. PEYMANN: Darin stimme ich Ihnen voll zu. Deshalb ist Shakespeare der Himalaya der Theaterliteratur. Die Mörder in Shakespeares Stücken bestehen zum größten Teil aus ihm selbst. Dagegen ist Hochhuth ein schwacher Journalist, im besten Falle ein Kolporteur. Weil er als Ankläger auftritt, ohne sich selbst zu entblößen. PEYMANN: Genau. Aber das tun Sie doch auch. PEYMANN: Nein, denn ich entblöße mich ununterbrochen in meiner Arbeit. In dem Stück „Der Theatermacher“ von Bernhard habe ich einen rabiaten Selbstverwirklicher inszeniert, größenwahnsinnig, autoritär, einen Idealisten und Don Quijote, der auf den österreichischen Dörfern scheitert. Das ist ein Mensch, der mir sehr ähnlich ist. Da bin ich mir der Realität des Mannes als Familientyrann und Menschenvernichter schmerzlich bewußt geworden. Diese erlaubten Selbstentblößungen sind das Herrliche an der Kunst. Auch in einem KZ-Wächter oder SS-Mann, den Bernhard auf die Bühne bringt, stelle ich einen Teil von mir selbst dar. Insofern haben Sie natürlich recht, daß in mir kaum faßbare Abgründe schlummern. Jede Theaterprobe ist doch die Offenbarung des Grauenhaftesten und Mörderischsten, das man sich vorstellen kann, aber nicht in der Form, daß sich die Schauspieler wimmernd am Boden wälzen und blöde herumbrüllen. Diese Art von Exhibitionismus, die mit modernem Theater verwechselt wird, finden Sie bei Tabori. Damit habe ich nichts im Sinn. Da gehe ich lieber schön vögeln. Nach welchen moralischen Grundsätzen sind Sie erzogen worden? PEYMANN: Weiß ich nicht. Ich glaube, es hatte mit Sport zu tun. Mein Vater war Turner. 1936 gewann er eine olympische Goldmedaille. Ich spielte Fußball als Knabe, und zwar glänzend. Ich war ein enorm schneller Läufer und konnte mit beiden Beinen schießen. Hat sich Ihr Vater politisch betätigt? PEYMANN: Er war Nazi, Obersturmbannführer, von Beruf Lehrer, einer der typischen Nazis mit gutem Charakter. In der Kristallnacht ist er zwar losgezogen, hat aber die Geschäfte jüdischer Freunde bewachen lassen, damit nichts passiert. Meine Mutter war eine halbe Antifaschistin. Als sie am 20. Juli über BBC London vom Anschlag auf Hitler erfuhr, hat sie aus dem Fenster geschrien, das Schwein ist tot, und ist verhaftet worden. Also was die Grundsätze angeht, war ich ziemlich gespalten. Wir wußten, daß es Lager gab, in denen Juden getötet wurden. Wir bekamen die Seife aus Auschwitz. Trotzdem hofften wir auf den Sieg. In den Hochleitungsmasten hingen die Leichen abgeschossener Amerikaner. Das erlebte man als Kind mit einer Mischung aus Angst und Abenteuerromantik. Nachts haben wir Indianerschwüre gegen den Feind geleistet. Haben diese Erfahrungen Ihre berufliche Entwicklung beeinflußt? PEYMANN: Sie haben zumindest dazu geführt, daß ich etwas verändern wollte. Durch Kunst? PEYMANN: Ja, durch Kunst. Sie können mich ja für blöde halten. Aber ich glaube an das Theater als moralische Anstalt. Ich glaube an die Erziehbarkeit des Menschen durch Kunst, weil sich Kunst, wenn sie gut ist, mit dem Auffinden der Wahrheit beschäftigt. Und zwar auf durchaus vergnügliche Weise. Das Theater ist dazu da, Feste hervorzubringen, damit das Gute, Wahre und Schöne gefeiert werde. Wunderbar formuliert, nur ist leider das Schöne nicht immer gut und das Wahre oft häßlich. PEYMANN: Herrgott, das weiß ich natürlich. Ich weiß auch von der Schönheit des Krieges. Ich kenne die Faszination eines Kavallerieangriffs. Ich weiß, daß die schönsten Flugzeuge Kriegsflugzeuge sind. Ich bin nicht so spießig zu sagen, den Schrecken des Krieges könne man schon an der Form erkennen. Mir ist klar, daß die Präzision eines Manövers auch etwas mit Kunst zu tun hat. Das ist gut inszeniertes Ballett. Ich liebe die Präzision. Aber all diese Erkenntnisse können mir meinen Optimismus nicht nehmen. Sehen Sie fern? PEYMANN: Ja, Nachrichten. Ich sehe das, und ich nehme es mit in die Arbeit. Ich arbeite aus dem Schreckerlebnis heraus, daß israelische Soldaten vor laufenden Kameras Palästinensern die Arme brechen. Das habe ich ständig vor Augen. Mit diesem Entsetzen gehe ich auf die Probe. Aber es lähmt Sie nicht. PEYMANN: Nein, es beflügelt mich. Ich versuche, eine Gegenwelt aufzubauen. Das Theater hat sich immer als staatsfeindlich und menschenfreundlich empfunden. Wir machen die Mächtigen lächerlich. Wir ziehen ihnen die Hosen aus. Ich interessiere mich sehr für die menschliche Lüge. Mich stört an Kurt Waldheim keine Sekunde, was er während des Krieges gemacht hat. Wer weiß, wie ich mich damals verhalten hätte. Was ich ihm übelnehme, ist, daß er lügt. Das allein disqualifiziert ihn. Da kenne ich keine Gnade. Freut es Sie, daß er Ihr Theater bejubelt? PEYMANN: Ich muß es ertragen. Das Dilemma unseres Berufes ist, daß wir Stücke aufführen, um die Leute herauszufordern, zugleich aber enttäuscht sind, wenn sie nicht klatschen. Ein Buch bleibt. Meine Inszenierungen sind vergänglich. Wir müssen, auch wenn wir das Publikum provozieren, gefallen. Die „Dreigroschenoper“ wurde von der Bourgeoisie, gegen die sie gerichtet war, am meisten bejubelt. Ein Faschist, der sich ein Stück von Brecht oder Lessing ansieht, kommt als derselbe Faschist aus dem Theater wieder heraus. Trotzdem beharren Sie auf der Behauptung, daß das Theater die Menschen verändert? PEYMANN: Ich kann nicht anders. Aber das ist doch absurd. PEYMANN: Mag sein. Dann bin ich eben ein Narr. Ist mir auch recht. Ich brauche die Illusion, mit dem, was ich tue, zur Veränderung der Gesellschaft in einem moralischen Sinn beizutragen. Sonst müßte ich meinen Beruf aufgeben. Genügt es nicht, daß Ihnen die Arbeit Spaß macht? PEYMANN: Das wäre zu wenig. Auch die gute Bezahlung könnte ein Grund sein. 200 000 Mark bekommen Sie im Jahr als Direktor, dazu rund 40 000 pro Inszenierung. PEYMANN: Geld interessiert mich nicht. Das liegt auf der Bank, ich weiß nicht einmal, wo. Sicher bin ich einer der teureren Regisseure. Ich habe einen fünfzehnjährigen Sohn. Als der in der Schule erzählte, was ich verdiene, hat ihm das großen Respekt verschafft. Aber mir bedeutet es überhaupt nichts. Ich fahre nicht Auto, besitze keine Jacht und kein Haus in Italien, Also des Geldes wegen bin ich bestimmt nicht zum Theater gegangen. Man weiß doch oft gar nicht, aus welchen Gründen man etwas macht. Vielleicht, um sich abzulenken. PEYMANN: Das wäre möglich. Ich fliehe geradezu auf die Proben. Aber ich reflektiere das nicht. Mein Beruf bringt eine gewisse Motorik mit sich, die mich davor bewahrt, in Grübelei zu verfallen. Was machen Sie, wenn Sie allein sind? PEYMANN: Ich lese. Ich bin, das muß man auch einmal sagen, ein relativ gebildeter Mensch, weitaus gebildeter als die meisten anderen Regisseure. Gebildet, aber frei von Gedanken. PEYMANN: Ja, ist doch herrlich! Ich schöpfe dauernd. Ich bringe etwas hervor. Warum soll ich das ändern? Meine Sehnsucht, nicht erwachsen zu werden, ist zum Teil auch ein Kampf, nicht über alles Bescheid zu wissen. Ich schäme mich nicht meiner Windeln. Kann sein, daß ich ein Stück meiner Lebensrealität dabei verdränge. Aber das ist doch sehr schön. Was wollen Sie eigentlich aus mir herausbekommen? Ich will Sie zum Denken bringen. PEYMANN: Das ist vergebliche Mühe. Ich habe nicht die Neigung, alles bis ins letzte ergründen zu wollen. Für mein Leben wäre das auch nicht praktisch. Ich will inszenieren, und ich will dieses Theater leiten. Wer sich zum Ziel gesetzt hat, Burgtheaterdirektor zu werden, muß sowieso völlig verrückt sein. So etwas macht nur ein Irrer. Dieses Haus besteht aus zehn Millionen Quadratmillimetern. Davon versuche ich jeden Tag fünf zu verbessern. Haben Sie den Theatereingang gesehen? Der war früher ein dreckiges Loch. Jetzt ist er hell, mit einem Transparent geschmückt, schönen Photos. Wenn das alles ist! PEYMANN: Es ist schon sehr viel. Ich möchte, daß Schönes entsteht. Zwischen halb acht und elf Uhr abends passiert hier das Unmögliche, die Illusion, der Traum, auch der herrliche Mord. In gewissem Sinn ist das Theater ein exterritoriales Terrain, auf dem sich im kleinen die Welt wiederholt, tiefer, kompletter, etwas mehr überschaubar. Es war seit jeher Teil des menschlichen Lebens und wird es bleiben, unausrottbar, unsterblich, durch nichts zu ersetzen. Gut und schön, nur gehen die meisten Menschen ihr Leben lang nicht hinein. PEYMANN: Das stimmt nicht. Wir haben eine Platzausnutzung von über neunzig Prozent. Das sind 1500 Zuschauer täglich, 500 000 im Jahr. Immer noch eine Minderheit. PEYMANN: Aber eine sehr qualifizierte. Die Wirkung, die ich mit dem Theater erreiche, geht doch unendlich tiefer als der ganze Herr Beckenbauer oder die Unterhaltungsscheiße von Herrn Carell oder Herrn Wussow. Ich konkurriere ja nicht mit der „Schwarzwaldklinik“. In einer auf Vereinsamung abgestellten Gesellschaft, in der die Leute dösend vor dem Fernseher sitzen, sich besaufen und Salzstangen fressen, biete ich das Gruppenerlebnis, die gemeinsame Erschütterung, das gemeinsame Lachen. In manchen meiner Aufführungen ist es vor Schluchzen kaum auszuhalten. Ist Wussow noch Schauspieler am Burgtheater? PEYMANN: Er ist nach den Bestimmungen, die hier gelten, nicht kündbar. Aber er ist für die Bühne verloren. Er kann vielleicht noch den Arzt am Scheideweg oder den Arzt wider Willen spielen. Man sieht ihn doch gedanklich, selbst wenn er ganz normal im Kaffeehaus sitzt, nur noch im weißen Kittel. Ich gebe ihm Dauerurlaub. Hat sich im übrigen Ihr Verhältnis zu den Mitgliedern des angestammten Ensembles gebessert? PEYMANN: Es war nie schlecht. Auch Wussow ist immer sehr nett zu mir. Das einzige Problem ist, daß man in Wien, bevor ich kam, nie ernsthaft geprobt hat. Die Begegnung mit dem Geist, dem Regisseur, fand nicht statt. Es herrscht heute, auch in Deutschland, der Trend, die Schauspieler zu wichtig zu nehmen. Sie sind wichtig. Sie waren es immer. Aber die pompöse Gebärde, mit der sie im Augenblick durch die Gegend rennen, finde ich unangemessen. Den Größenwahnsinn eines Bernhard Minetti kann ich kaum noch ertragen. Wenn ich ihn anrufe, redet er ununterbrochen. In seinen Memoiren beklagt er die Ohnmacht der Schauspieler, die auf Besetzung und Spielplan keinerlei Einfluß hätten. PEYMANN: Ach, wissen Sie, da ist auch viel Koketterie dabei. Schauspieler sind oft sehr dumm. Sie müssen am Abend der König sein, sich aber beim Probieren vom Regisseur führen, meinetwegen auch manipulieren lassen. Dieser Zwiespalt zerreißt sie. Was ich bewundere, ist ihr Wagemut, auf die Bühne zu gehen. Ich würde zusammenbrechen vor Angst. Mir fehlt auf der einen Seite der größere Kopf der Literatur, der Wahnsinn des Schreibens. Einem Thomas Bernhard ordne ich mich bedingungslos unter, weil ich weiß, meine Munition reicht nicht, um das zu können. Auf der anderen Seite fehlt mir das Heldentum und die Blödheit des Spielens. Boy Gobert, Gott hab ihn selig, hat einmal gesagt, er habe nach vierzig Jahren endlich erkannt, daß es nicht sein Beruf sei, morgens aufzustehen, um sich abends rote Tünche ins Gesicht schmieren zu lassen. Ein bitterer Satz. PEYMANN: Sicher, aber er trifft genau das Problem. Der Schauspieler ist das Medium. Wir sind die Veranstalter. Wir organisieren einen Theaterabend mit allen Tricks und Schikanen. Manchmal sind wir auch halbe Dichter. Früher war der Autor zugleich Regisseur. Molière und Shakespeare haben das herrlich in sich vereint. Inzwischen ist das leider auseinandergefallen. Wieso leider? Würde es wieder wie damals, wären Sie brotlos. PEYMANN: Da habe ich keine Sorge, denn in meiner Generation wird das nicht mehr passieren. Es gibt Gegenbeispiele. Kroetz schreibt, inszeniert und macht neuerdings auch als Darsteller Karriere. PEYMANN: Was ich an Kroetz bemerke, ist, daß er den schrecklichen Fehler macht, erwachsen zu werden. Kennen Sie sein letztes Stück, „Der Dichter als Schwein“, dieses Auskotzstück, wo er ganz exhibitionistisch und sentimental über sich selbst schreibt? Fürchterlich! Sentimental sind Sie auch. PEYMANN: Ja, aber ich lache darüber. Außerdem bin ich scheu. Ich attackiere gern, aber ich wäre nicht larmoyant genug, mein Innenleben so nach außen zu tragen. Meine Neurosen sind nicht ergiebig, meine Abstürze kein Thema. Ich bin ja kein Politiker, der öffentlich auftritt. Sollen Politiker ihre Neurosen zeigen? PEYMANN: Sie sollen zumindest den Mut haben, ihre Schwächen nicht zu verbergen. Als Otto Schily im Bundestag weinte, war das ein großer Moment. Den Schmerz und die Reue über diedeutsche Schuld auf diese Weise zum Ausdruck zu bringen, fand ich ganz toll, Meine großen Momente sehen Sie auf der Bühne Ich halte mich mittlerweile für einen Regisseur, dessen Inszenierungen, selbst wenn sie mißlingen, zu den besten gehören. Ich bin nicht so superintelligent wie Peter Stein, obwohl Stein in der Vision oft erschreckend schwach ist. Die Qualität von Stücken erkennt er nicht. Da irrt er sich häufig. Doch auf der Probe ist er der einzige Weltmeister des deutschen Theaters. Meine Aufführungen kann man lieben, seine habe ich immer bewundert. Er steht an der ersten Stelle. Und wo steht Zadek? PEYMANN: Für Zadek ist das Theater ein Amüsierbetrieb. In diesem Punkt unterscheiden wir uns fundamental. Er träumt immer noch, der junge, zornige Anarchist zu sein, der das steife Hamburger Schauspielhaus in eine flitzige Bude verwandelt. Welch tragischer Irrtum! Ich kenne ihn gut. Er ist das größte Kind von uns allen. Aber ich will das gar nicht bewerten. Die Motive, weshalb jemand Theater macht, sind sehr verschieden. Meine Triebkraft ist die Empörung. Ich bin merkwürdigerweise so verblödet oder engstirnig, daß ich mich immer wieder in Zorn bringen kann. Andere brauchen den Alkohol. Der Anteil der Säufer in diesem Beruf ist ungeheuer. Trinken Sie nicht? PEYMANN: Ich trinke nachts, aber mäßig. Die Situation des Künstlers über fünfzig ist doch immer die gleiche. Er hat sein Leben lang nichts anderes versucht, als Anschluß zu finden, und nun sitzt er da und stellt fest, daß ihm das niemals gelingen kann. Wir eignen uns nicht zum Familienpapi und Häuschenbesitzer. Unsere Besessenheit läßt das nicht zu. Aber Sie sind doch verheiratet. PEYMANN: Ja, aber seit Jahren getrennt. Meine Frau lebt in Berlin. Unser Sohn ist ohne mich aufgewachsen. Diese Ehe entstand, weil wir dadurch eine billige Wohnung bekamen. Heute suchen Sie sich die Lebenspartnerinnen in Ihrem Ensemble. PEYMANN: Das ergibt sich so. Es ist ja kein Geheimnis, daß ich viele Jahre mit der Schauspielerin Therese Affolter eine Affäre hatte. Danach kam Julia von Seil. PEYMANN: Sie sind gut informiert. Ich gebe zu, ich bin jemand, der ohne Frauen nicht leben kann. Ich ertrage es nicht, allein aufzuwachen, geschweige denn einzuschlafen. Ich fürchte die Einsamkeit. Ist es nicht problematisch, daß Sie für Ihre Geliebten zugleich der Chef sind? PEYMANN: Doch, natürlich, und es hat auch immer katastrophal geendet. Sind Sie verlassen worden? PEYMANN: Ach Gott, wie soll man das sagen? Wir Männer sind doch furchtbare Schweine. Ich erwarte die unbedingte Treue, bin selbst aber untreu. Trotzdem ist es ein Schmerz, wenn die Frau schließlich weggeht. Ich habe zwei Jahre gebraucht, um die Trennung von Therese zu überwinden. Haben Sie daran gedacht, sich das Leben zu nehmen? PEYMANN: Ja, auch. Aber ich wäre bestimmt geschickter gewesen als Peter Handke, der die Tabletten wieder ausgekotzt hat. Er hatte ja die gleichen Probleme. Seine Scheidung von Libgart Schwarz geschah auch nicht aus heiterem Himmel. Er war ganz erstaunt, als sie weglief. Sie ist von Düsseldorf nach Frankfurt geflohen. Handke wußte nicht, wo sie war, und hat Interpol eingeschaltet. Ich glaube, seine Bücher sind eine Art Selbsttherapie. Er bringt sein Leben in Ordnung. Teilweise ist mir das, was er jetzt schreibt, ganz unerträglich. Er denkt auf geradezu rührende Weise reaktionär. Da kann ich ihm nicht mehr folgen. Gibt es, abgesehen von Thomas Bernhard, Autoren, zu denen Ihnen Positiveres einfällt? PEYMANN: Also, den Bernhard halte ich für den wahrscheinlich größten Dichter der Gegenwart, gerade weil er so viel über Liebesbeziehungen aussagt. Das wird ja oft abgestritten. Man sagt, die Frauen in seinen Stücken kämen schlecht weg. Absoluter Quatsch! Botho Strauß, der das gleiche Thema behandelt, produziert meistens Kitsch, während Bernhard die Wahrheit und die Widersprüche solcher Beziehungen darstellt, weil er die Liebe erkennt als das, was sie ist, nämlich als Machtkampf. Einer redet, der andere schweigt. Wie soll es sonst sein? Im Grunde ist er ein zutiefst moralischer Autor. Ich bin ein viel zu fröhlicher Mensch, um mich lebenslang mit einem Zyniker abzugeben. Mögen Sie Heiner Müller? PEYMANN: Ich schätze ihn, obwohl er, wenn man ihn näher kennt, ein ganz biederer Mensch ist, einerseits ein Maulheld der Revolution, andererseits ein typischer Kleinbürger, autoritätshörig, ängstlich, man glaubt es kaum. Insgeheim sind beide, Bernhard wie Müller, konservativ, Anarchisten nach Gutsherrenart. Nur kann der Bernhard halt besser schreiben. Das sieht Müller ganz anders. PEYMANN: Nein, ich glaube, er weiß es. Er ist ein bescheidenes, preußischer Dichter und fast einfältig als Regisseur. Ich habe ihn in Bochum erlebt. Er bewundert mich ja, schrecklich, während von Bernhard die vernichtendsten Angriffe kommen. Aber ich bin ihm dankbar dafür, weil meine Neigung, auf die Wiener Schmeicheleien hereinzufallen, sehr groß ist. Was für Schmeicheleien? PEYMANN: Ach, ich kann doch als Burgtheaterdirektor in kein Lokal gehen, ohne daß im nächsten Augenblick das goldene Buch auf dem Tisch liegt. Eine solche Subordinationsmentalität habe ich in meiner ganzen Laufbahn noch nicht erlebt, guten Morgen, Herr Direktor, grüß Gott, Herr Direktor, grauenvoll. Vielleicht ist das nur, was man hier Schmäh nennt, die getarnte Verachtung. PEYMANN: Nein, das ist reinster Kadavergehorsam. Ich sehe doch, wie es um mich herum zugeht. Mein Vorgänger Benning ist hier als Gott gesessen, und die Tippsen sind nur so geflogen. Das versuche ich abzustellen. Heute gibt es öffentliche Direktionssitzungen. Entscheidungen werden gemeinsam gefällt. Ich bin nicht der Theaterdonnerer, für den manche mich halten. Merkwürdig, daß man Sie immer noch so falsch einschätzt. PEYMANN: Das liegt daran, daß ich unbequem bin. Schlendrian dulde ich nicht. Ich bin der Prototyp dessen, was man in Österreich eigentlich gar nicht erträgt, nämlich ein Starrkopf, außerdem auf ganz primitive Art pflichtbewußt. Mich können Sie irgendwo hinstellen und sagen, das machst du jetzt ordentlich, und ich werde es machen. Dann sind Sie ein Mitläufer. PEYMANN: Ein Mitläufer an der Spitze, wenn Sie so wollen. Ich bin ja Theaterdirektor geworden aus Not, weil die Direktoren, unter denen ich gearbeitet habe, alle unfähig wären. Ivan Nagel war nicht einmal in der Lage, Proben zu disponieren. Da habe ich gesagt, um Gottes willen, ich mache es lieber selbst. Zum Glück kamen Angebote. PEYMANN: Das ist wirklich erstaunlich, denn ich habe mich nie opportunistisch verhalten. Ich habe nie spekuliert. Ich habe nicht gesagt, Ohren ab für Ulrike Meinhof, sondern 500 Mark für eine offene Zahnarztrechnung nach Stammheim geschickt. Andere haben den Schwanz eingezogen. Ich habe mich vor aller Welt dazu bekannt, daß auch Terroristinnen Menschen sind. Hat das Ihrer Karriere geschadet? PEYMANN: Filbinger hat im Fernsehen haßerfüllt meinen Kopf gefordert. Überall lauerten Leute, die mich totschlagen wollten. 4000 Briefe kamen, in denen verlangt wurde, mich zu vergasen. Ich mußte aus meiner Stuttgarter Wohnung ausziehen. Meine Tuberkulose ist wieder ausgebrochen. Ich hatte Todesangst. Ich dachte, ich würde nie wieder in meinem Beruf arbeiten können, höchstens in Amsterdam. Auch nicht schlecht. PEYMANN: Doch, denn ich bin ja an die Sprache gebunden. Als dann die harmlosen Leute aus Bochum kamen und mir anboten, ihr Theater zu leiten, erschien mir das wie ein Wunder. Anscheinend haben Sie einen Instinkt, der Sie bremst, bevor Sie etwas für Ihren Aufstieg Nachteiliges machen. PEYMANN: Das glaube ich nicht. Denn ich habe doch immer das Falsche gemacht. Aber es hat sich für Sie zum Guten gewendet. PEYMANN: Wahrscheinlich bin ich ein Sonntagskind. Wird man so Burgtheaterdirektor? PEYMANN: Burgtheaterdirektor bin ich geworden, weil ich gute Aufführungen gemacht habe und weil bei mir immer die Kasse gestimmt hat. Die Gleichung, jemand, der Erfolg hat, muß ein Opportunist sein, ist mir zu simpel. Leute wie Beuys oder Bernhard waren nie angepaßt, sondern haben für alles bezahlt, während sich andere die Staatspreise abgeholt haben, und zwar cash down. Den Beuys hat Herr Rau, dieser Versager, für einen Idioten gehalten. Heute fährt er nach Ostberlin und schmückt sich mit ihm. Die ersten Stücke von Thomas Bernhard wurden verlacht. Aber er hat eben trotzdem keine Kompromisse gemacht wie all die anderen, die sich schon mit dreißig den Arsch wischen lassen und da eine Professur, dort eine Villa haben, in der sie dann sitzen mit dicken Bäuchen, weil sie ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch in Drei-Sterne-Lokalen gegessen haben, Dürrenmatt, Frisch, ich will keine Namen nennen. Der Dürrenmatt hat mir nach Bochum schlechte Stücke geschickt und dazu hochtrabende Briefe, die zur Qualität der Stücke in keinem Verhältnis standen. Aber der war sicher auch toll am Anfang, nur leider nicht konsequent genug. Man kann doch einem Beuys oder Bernhard, die nach unzähligen Opfern und Niederlagen endlich erkannt werden als das, was sie sind, nämlich genial, den Erfolg nicht zum Vorwurf machen. Man kann auch einem Peter Stein oder Klaus Michael Gräber nicht vorwerfen, daß sie zu einer gewissen Berühmtheit gelangt sind. Natürlich ist der Jürgen Flimm ein viel netterer Mensch als der Stein. Den Grüber würde ich gar nicht aushalten, weil er dauernd besoffen ist. Aber wir reden doch hier über die Kunst! Ein Chéreau, der seinen Weg geht wie ein Irrer, ist halt ein überragender Künstler, während Herr Dorn in München eine Inszenierung nach der anderen hinwichst, alles halbfertig, gefällig, und das Resultat ist eben eine Boutique. Dorn gilt als großer deutscher Theatermacher. PEYMANN: Das ist doch ganz unerheblich. Mich interessiert nicht, was in den Zeitungen steht. Ich probiere mich halb tot sieben Monate lang, schlafe nicht, fiebere, bringe mich um, während andere am Freitag zum Golfspiel fahren. Ist das nicht auch eine Frage der Lust? Der eine fiebert gern, der andere spielt gern Golf. PEYMANN: Darum geht es nicht. Ich bestreite doch nicht, daß mir das Inszenieren Vergnügen bereitet. Ich unterscheide nur zwischen Anpassung und Anstand. Ich habe mir nicht wie Herr Schaaf in Frankfurt einen Vertrag um 150 000 Mark auszahlen lassen. Ich habe auch keine Orden genommen. Das Bundesverdienstkreuz habe ich dem Weizsäcker um die Ohren gehauen. Das sage ich ganz hart, weil ich es ekelhaft finde, wenn sich Künstler die Nasenringe hineinziehen lassen. Nichts gegen Herrn Weizsäcker, mit dem ich einmal sogar ein relativ gescheites Gespräch führen konnte. Er hatte mir beim Theatertreffen in Berlin aufgelauert. Ich meine nur, der Staat hat nichts auszuzeichnen, weil er von Kunst nichts versteht. Ich habe diesen ganzen Scheiß abgelehnt. Ich habe mir den Arsch nicht vergolden lassen. Kann man das nicht für sich behalten? PEYMANN: Doch, sicher. Aber Sie betonen es dauernd. PEYMANN: Das liegt an meiner angeborenen Schwatzhaftigkeit. Die wird mir von meinen Mitarbeitern auch immer vorgeworfen.
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sovo : »Ich wollte Zeuge sein« Eine Reise mit Peter Handke ins Kosovo, wo der Dichter einem serbischen Dorf 50000 Euro schenkte, die er als Preisgeld bekommen hatte. Von Wolfgang Büscher 12. April 2007, 14:00 Uhr Editiert am 1. Dezember 2010, 9:43 Uhr 4 Kommentare AUS DER ZEIT NR. 16/2007 Nach Bob-Dylan-Konzerten ist es immer eine Frage, ob der Sänger wohl diesmal gelächelt habe. Auch der Schriftsteller Peter Handke, der Dylan manchmal zitiert, ist nicht gerade als Lächler berühmt. Wie um das zu unterstreichen, trägt er, als er an diesem sonnigen Ostersonntagmorgen vor dem Kirchlein des Hl. Stefan erscheint, einer der zwölf Dorfkirchen von Velika Hoča im tiefsten Kosovo, unweit der albanischen Grenze, einen winzigen, quadratischen schwarzen Button auf dem Jackett seines dunklen Anzugs: »In mir ist nichts freundlich.« Ein klarer, wenn auch dylanesk zergrübelter Fall von Selbstironie. Wir befinden uns im »Neunten Land«. Literarisch gesprochen, in Peter Handkes Sprache. Politgeografisch gesagt, befinden wir uns in einer der letzten verbliebenen serbischen Enklaven des Kosovos, und Handke ist gekommen, um den 700 Bewohnern des Weindorfes Velika Hoča 50000 Euro zu schenken. Die für kosovarische Verhältnisse fürstliche Summe ist das Preisgeld, das ihm die Jury des neu gestifteten Berliner Heinrich-Heine-Preises zuerkannt hat. Der war aus Protest gegen den renommierteren Düsseldorfer Heine-Preis ins Leben gerufen worden, nachdem Düsseldorfer Lokalpolitiker gegen die Vergabe ihres Preises an Handke interveniert hatten. Was seinerseits aus Protest geschehen war: nämlich gegen Handkes Parteinahme für das übel beleumundete Serbien in den jugoslawischen Sezessionskriegen und zumal gegen seinen Auftritt am Grabe des Präsidenten Slobodan Milošević, der im Gefängnis von Den Haag gestorben war – ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher nach allgemeiner Ansicht im Westen. Bevor es aber zum Höhepunkt der österlichen Reise des Dichters, der Geldübergabe, kommen kann, ist am Flughafen von Prishtina ein taktisches Problem zu lösen. Eben ist Peter Handke mit seiner Tochter und einer kleinen Freundesschar gelandet. Weitere, serbische Freunde und Journalisten erwarten ihn. Und ein Bus aus Belgrad in den serbischen Farben. Und serbische Polizei. Der Polizeijeep soll die Gruppe nach Velika Hoča eskortieren, durch rein albanisches Gebiet, auch durch Malisheve, eine Hochburg der aufgelösten albanischen Untergrundarmee UÇK. Noch vor wenigen Jahren hätte ein Bus aus Belgrad dort Steinwürfe gewärtigen müssen. Auch wenn das nicht mehr zu erwarten ist – in welch prekärem Staatsgebilde man hier gelandet ist, deuten allein schon die Kürzel seiner vielen bewaffneten und unbewaffneten Helfer an, die auf Nato-Blau an einem Info-Container am Flugplatz stehen: Unmik. KFor. Civpol. EU. OSCE. VIP Service. Ein Bus also, demonstrativ in den serbischen Nationalfarben lackiert, soll man da einsteigen? Das Wort »Provokation« fällt. Man entschließt sich, in Mietautos in die Enklave zu fahren. Gut, dass Claus Peymann dabei ist. Dem Direktor des Berliner Ensembles fällt bei diesem Ausflug die Rolle des überlegen ordnenden Reisemarschalls wie von selbst zu. Und wenn nicht alles täuscht, genießt er sie. Peymann organisiert die Hinfahrt, Peymann wird die Rückfahrt organisieren. Wann immer ein Problem auftaucht, ist er zur Stelle. Einmal, als die Gruppe bei einem KFor-Posten halten muss und sich herausstellt, dass der Offizier ein Österreicher ist, übernimmt er gleich die Verhandlung und meldet: »Zweiundzwanzig Mann im Bus!« Zu Handke ruft er lachend hinüber: »Peter, bei den KFor-Soldaten hab ich eine gute Basis. Da zählt Burgtheater mehr als Literatur.« Handke: »Wenn du meinst.« Zur österlichen Reisegesellschaft gehören ferner der Schauspieler Rolf Becker, die betagte Schauspielerin Käthe Reichel vom Berliner Ensemble – sie spielte noch unter Brecht – und der Journalist Eckart Spoo. Die drei haben den Berliner Heine-Preis initiiert. Auch Rolf Becker, blendend aussehend mit seinen 72, hat seine Rolle gefunden. In der sonoren Art eines braun gebrannten alten Partisanen hat er die 50000 Euro sicher über alle Grenzen in die Enklave geschafft. Alles gut gegangen. Gut auch, dass in diesem Jahr das alte julianische Ostern der Orthodoxen und das gregorianische des Westens in eins fallen. Eine kalendarische Rarität. Ein Zeichen? Velika Hoča feiert Ostern, wenn wir in den westlichen Säkularstaaten in unsere Osterferien fahren. Hier indessen lauern interkulturelle Schlaglöcher, tiefer als die der Pisten des Kosovos. Sie haben mit Peter Handkes Idee des Wirklichen zu tun, die er auf seinen Wanderungen in Jugoslawien gefunden und in mehreren Büchern beschrieben hat. Sein Land des Wirklichen, das ist der Ort, an dem die Dinge erscheinen, auf die Lichtung treten und nicht in einem, wie Heidegger sagen würde: Gerede und Gestell ihr Antlitz verhüllen. Man merkt schon, in Handkes »Neuntem Land« steckt einige Epiphanie. Und nun ist Ostern. Die Sonne scheint, und die Vögel singen, der Flieder blüht früh in diesem Jahr, und die Kirschbäume im Pfarrgarten blühen auch, und im Stefanskirchlein brennen die dünnen, windschiefen, starkgelben Kerzen, und alte Männer mit schwarzen Mützen und bunten Krawatten gehen umher. Und ein Priester im schwarzen Habit und in schwarzem Armeeparka, mit einem gotischen Gesicht und dem Bart eines Eremiten, lässt sich von keinerlei Trubel stören, von keiner Kamera, und liest in der über und über mit Heiligen ausgemalten Kirche in der Heiligen Schrift. Das Wirkliche, es ist in Velika Hoča so wirklich, so innig, wie es inniger kaum geht, und es ist Peter Handke anzusehen: Ihm geht es hier gut. Um es noch christlicher zu sagen, ohne jeden ironischen Hintersinn: Der Dichter hat, dylaneske Buttons hin oder her, an diesem Ostersonntagmorgen ein fröhliches Herz. Das Schlagloch aber ist: Die österliche Reisegesellschaft ist ideologisch recht gemischt. Das wird deutlich an der Irritation derer, die nicht so genau wissen, was sie sagen sollen, wenn ihnen dutzendfach von den Dörflern der altslawische Ostermorgengruß entboten wird: »Christus ist auferstanden!« Nur einer weiß die richtige Antwort – Peter Handke: »Er ist wahrhaftig auferstanden!« Und er, der in einem Interview gesagt hat, er besuche jeden Sonntag den russisch-orthodoxen Gottesdienst, ruft jetzt diesen Christus-Gruß seiner Reisegefährtin Käthe Reichel zu, lachend. Er hat seine Freude daran, zu sehen, wie die Brecht-Schauspielerin, bis heute eine Ikone der Brecht-Kirche, den frommen Anruf mit knapper Not kontert, in einer gestisch ausgestellten Retour-Deklamation. Das ist die alte Schule, in der die Dinge besser aus der Verfremdung kommen als aus vollem Herzen. Ja, so hätte der Meister das damals am Schiffbauerdamm gemacht. Der heutige Herr am Schiffbauerdamm bleibt auch hier gelassen. Claus Peymann nimmt die orthodoxe Chose fröhlich, ganz Theatermann: eine hübsche alte Form mit viel Spielpotenzial. Käthe Reichel indessen wirkt wenig froh bei dem Gedanken, das schöne Heine-Preisgeld könnte womöglich für orthodoxe Opiate verballert werden. Denn, nicht wahr, der Pope des Dorfes ist immer dabei. Ein grundsympathischer, gestandener Mann, der lästige Kameras aus seinem Ostergottesdienst so souverän rausschmeißt, wie er mit seinen Bauern bis tief in die Nacht feiert. Er scheint das wahre Haupt von Velika Hoča zu sein. Bei ihm spielt sich alles ab, die Speisung der Reisegruppe in seinem Haus und die Übergabe des Geldes im Garten vor seiner Kirche. Still und feldsteinern steht das Stefanskirchlein im Garten hinterm Pfarrhaus, das Hausschwein lässt ein Grunzen hören, der Haushund kläfft, und jetzt flieht die Hauseule, aufgescheucht vom Lärm, aus ihrem Tannenbaum, als ein hoch aufgeschossener Mensch aus Belgrad mit zu großer Brille auf der Nase und zu großen Worten im Mund Peter Handke zu ebenso großen Worten herausfordert: »Wo ist das Gewissen Europas?« Push-Meldungen von ZEIT ONLINE Möchten Sie Benachrichtigungen von ZEIT ONLINE in Ihrem Browser erhalten? JETZT AKTIVIEREN »Zu allgemeine Frage«, murmelt der Dichter etwas unwirsch. Die nächste bitte. »Lieben Sie Velika Hoča?« »Ja, ich liebe Velika Hoča.« »Und was lieben Sie daran?« »Seinen Wein. Sein Brot. Seinen Raki…« »Warum sind Sie heute hier?« »Um Geld loszuwerden.« »Aber was ist der Grund für Ihre Entscheidung?« – »Ich wollte mein Geld loswerden, wirklich.« Dann leiser, ernster: »Ich wollte ein Zeichen setzen, ja.« Jetzt entsteht eine kleine Pause im Pfarrgarten vor der Kirche. Bevor sie zu groß wird, fällt einem die Frage ein: »Wie empfinden Sie die Angriffe auf Sie?« Handke antwortet auf Serbisch: »Alles in Ordnung. Keine Aggressionen.« Und setzt gut gelaunt nach: »Alles unter Kontrolle.« Dieses cve pod kontrolom hat wohl im Serbischen einen ähnlichen Klang wie im Deutschen. Ein Spruch halt. Jetzt lachen alle. So bleibt es. Handke weicht gelegentlichen Versuchen bei Tisch oder in den Reden danach, die Situation zu pathetisieren, konsequent aus. Das bedeutet nicht, dass sein Ernst in der Sache abgeschmolzen wäre. Aber es ist wohl so, dass er mehr als zu anderen Zeiten darauf achtet, im auratischen Feld des Dichters zu bleiben, auch wenn er Dinge tut, die darüber hinausreichen. Auch wenn er Bruderschaft trinken muss, »with kiss!« Auch wenn ihm bei Tisch ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift »Serbisches Kosovo« gereicht wird; er zieht es sich in einer komisch-linkischen Geste über den Kopf und verhüllt eine Weile das Haupt. Auch wenn über ihn lobgeredet wird – »der Tapferste und Klügste von allen« – und er dann gegenreden muss. Dann steht er auf und sagt: »Kosovo ist keine politische Idee. Es ist eine seelische Idee. Kosovo wird immer leben in den Herzen der südslawischen Völker.« Ist der Eindruck eines Rückzugs vom politischen Terrain aufs Dichtersein richtig? »Ich habe nie Partei ergriffen. Ich habe dieses unerzählte Land erzählt. Ich habe immer Pathos und Nationalismus abgewehrt, wenn ich hier war. Ich habe immer nur gesagt: Ich bin hier. Und ich war auch hier in der Kriegszeit.« Wer Handkes Abschied des Träumers und die anderen Jugoslawien-Texte noch einmal liest, absichtslos, ohne festen Entlarvungsvorsatz, kann den suchenden Ton darin nicht überlesen. Wenn er die serbische Kosovo-Politik kritisiert. Wenn er fragt, wo der serbische Stauffenberg sei, der einen Karadžić beseitigte. Wenn er sich selbst infrage stellt, eigene Ansichten. Was mit Peter Handke und der Welt geschieht, ist ungefähr dies: eine chemische Reaktion zwischen Dichtung und Wahrheit. Der Wanderdichter Handke gelangt dahin, seine literarische Welt in einem realen Land zu finden und zu verorten. Er wandert schon als junger Mann viel in Slowenien, woher seine Mutter stammt. Er mag ein wirkliches Land namens Jugoslawien, das aus eigener Kraft aus dem Kampf gegen Hitler hervorgeht. Eines, das sich seinen Weg sucht durch die großen Blöcke Ost und West hindurch. Man mag sagen, sein »Neuntes Land« sei der poetisch hochgerechnete »Dritte Weg« des Tito-Staates, aber das wäre bloß Ideologiekritik. Das »Neunte Land« ist natürlich das Land des Dichters. Es heißt genauso wie das Land auf der Karte, die in den Fernsehnachrichten erscheint, aber es liegt nicht da, wo jenes liegt, darunter vielleicht, dahinter oder darüber. War denn Eichendorffs Deutschland identisch mit dem nachnapoleonischen Land aus den Geschichtswerken – oder war es Eichendorffs Traum? Aber Handkes Liebe zu seinem Land geriet massiv in die Politik, in den Krieg. Dass er die jugoslawische Idee verteidigt hat, ist kein Wunder. Was sollte er sonst tun – es ist Ort seiner Dichtung. Natürlich, ganz unschuldig ist er nicht an deren Politisierung. Irgendetwas ist im Schreiben oder vielmehr im Schriftsteller, das ihn drängt, den Bezirk der Autorschaft zu verlassen und politisch zu werden. Handke weiß das. Er bedauert seinen Hang dazu explizit in seinem Jahr in der Niemandsbucht. Aber in Jugoslawien war Krieg. »Es ist tragisch«, sagt er. »Es hätte eine Friedenskonferenz mit internationalen Garantien sein müssen vor den Sezessionskriegen. Es gab vierzig Prozent Serben in Bosnien und dreißig in Kroatien, und plötzlich sollen die in einem rein bosnischen, die anderen in einem rein kroatischen Staat leben. Natürlich gab das Kämpfe. Und Izetbegović wollte ursprünglich einen Scharia-Staat in Bosnien. Die Mudschahedin sind gekommen. Sie haben gekämpft wie die Teufel. Jugoslawien war eine schöne Idee, sie hat nicht gesiegt.« Was das heißt, zeigt ein Spaziergang durch Velika Hoča, das einmal ein Weindorf war in einer renommierten Weingegend. Nur noch ein Drittel seiner Hänge wird bearbeitet – das im Schutz des KFor-Postens auf einer Anhöhe liegt. Auf die anderen trauen sich die Dörfler nicht, sie fühlen sich von den Albanern bedroht, »aus Gründen oder nicht«, sagt Handke. Tatsächlich wurden vor Jahren zwei junge Männer auf dem Feld erschossen. Heute bleiben die Alten, die Jungen gehen nach Serbien, hier in der Enklave warten nur das tägliche Herumsitzen in billigen Cafés, Armut und langsames Aussterben auf sie. Und Belgrad schickt Geld, damit das Dorf noch ein bisschen weiterexistiert. Den jungen Männern fehlten die Mädchen zum Heiraten, hat der Priester gesagt. Die gingen zuerst fort. Das kann man alles verstehen. Kriege, Zerfall des Staates, ethnische Säuberungen. Aber eine Frage an Handke bleibt. Warum Milošević? Musste das sein, dieser Auftritt am Grab? »Sind Sie deswegen hier?« Handkes Ton wird bitter. Geht es jetzt wieder los mit den Anfeindungen? Nein, geht es nicht, aber die Frage muss erlaubt sein: Warum Milošević? »Wenn Sie das nicht verstanden haben, kann ich es Ihnen auch nicht erklären.« Einen Moment lang sieht es so aus, als sei das Gespräch beendet. Dann spricht er doch weiter. »Ich wollte Zeuge sein. Mit Milošević endete Jugoslawien. Bei diesem letzten Akt wollte ich dabei sein.« Und noch einmal: »Ich bin Schriftsteller, ich habe weiter nichts zu erklären.« War noch was? Ach ja, die Geldübergabe. Sie soll nach dem langen Ostermorgengottesdienst, an dem Handke teilnimmt, vor sich gehen. Wie genau, an wen genau, wie aufgeteilt, wofür genau, das ist bis kurz vorher unklar. Claus Peymann, auch in diesen Dingen erfahrungssatt, macht sich keine Illusionen mehr über den Weg, den Spendengelder gewöhnlich nehmen. Handke will von solchen Gedanken nichts wissen. Die Frage, ob er denn eine Kontrolle über das Geld habe, wehrt er ab: »Die ist nicht nötig. Die Leute hier wissen schon, was sie brauchen.« Die Schule sei in einem erbärmlichen Zustand, da gebe es einen Kostenvoranschlag: 35000 Euro allein dafür. Dann der Dorfplatz, noch mal 10000 Euro, damit sei das Geld schon fast alle. Es scheint tatsächlich so zu sein, wie er gesagt hat: »Ich will das Geld loswerden.« Die Zeremonie geht dahin. Reden werden gehalten. Sehr politische von den Deutschen. Sehr höfliche von den Serben. Und eine ganz kurze Rede. Der prosaische Poet Peter Handke bedankt sich für die Gastfreundschaft und sagt sein Credo: »Die sogenannte Welt ist in Velika Hoča die wahre Welt. Wenn es Velika Hoča nicht gäbe, gäbe es keine wirkliche Welt.« Und er hat einen neuen Namen für den Ort – »das Dorf unter dem Himmel«. Das ist es dann. Alle sind fort, die Autos, der Jeep. Der lustige Peymann. Das Dorf ist jetzt still. Seine kleinen, gelbbraunen Hunde mit den müden Augen nehmen den Platz vor der Kirche wieder ein. Die alten Männer mit den schwarzen Mützen gehen langsam umher. Der KFor-Posten auf der Anhöhe ist da und die hohe Feldsteinmauer des verwaisten Weinhofes. Und die Strommasten aus grauem, rissigem Holz stehen auf einmal hier, als seien sie nie fort gewesen. Seitennavigation STARTSEITE LESEN SIE JETZT T H E A T E R : Der Kriegsverbrecher als Komödiant Von Wolf Oschlies 27. Dezember 2013 ANZEIGE Der ZEIT Stellenmarkt Jetzt Jobsuche starten und Stellenangebote mit Perspektive entdecken. JOB FINDEN Kommentare 4 Kommentare Der Kommentarbereich dieses Artikels ist geschlossen. Wir bitten um Ihr Verständnis. Neueste zuerst KlausHa #1 — 12. April 2007, 13:11 Uhr Die Realität des Dichters Bei der letzten Volkszählung 1991 kamen die Demographen auf 11,6 % Serben in Kroatien und 31 % in Bosnien und Herzegowina - der Dichter hat es scheinbar nicht so mit den Zahlen. Das einzige was gegen einen rein bosnischen Staat spricht ist die Tatsache, dass es ja schließlich noch die Herzegowina gibt. Ansonsten müssten die Serben nichts dagegen haben, schließlich sind sie nicht weniger Bosnier wie die Kroaten oder Bosniaken. Das, einen rein 'bosniakischen' Staat, hat Handke vermutlich gemeint - wieder 'knapp' daneben, aber macht ja nichts. Das mit dem geplanten 'Scharia-Staat' ist wohl keiner weiteren Kommentierung wert. Hat sich der Dichter denn mal gefragt, wieso die 30% Nichtserben in einem rein serbischen Staat leben sollten? Immerhin ist Serbien dank neuer Verfassung explizit der Nationalstaat der Serben - im Gegensatz zu Kroatien. Wobei, nebenbei gesagt, die in Serbien lebenden Minderheiten dank politischer Entscheidungen am Verhandlungstisch sich in Serbien wiederfanden - dessen Minderheiten zugewandert sind. Ach, und ist Rolf Becker nicht der für den Christian Klar 'politischer Gefangener' ist? Hier wird eher offensichtlich woher der politische Wind weht. Übrigens Herr Büscher, wie auch immer ihr persönlicher Eindruck sein mag, von 'Sezessionskriegen' kann gar keine Rede sein. 'Abspaltung'? Von was denn bitte? Die Badinterkomission der EU, sowie UN kommen beide zu dem Ergebnis - Jugoslawien wurde als Zerfallen erklärt, also heisst es 'Sukzession'. Dass Herr Milosevic sein Staatengebilde weiterhin J. nannte, war sein privates Vergnügen, er hätte es auch Taka-Tuka-Land nennen können, Rechtsnachfolger Jugoslawiens war diese BR J. jedenfalls nicht. Dass er die Beerdigung Milosevics besucht hat, da mit diesem Jugoslawien zu Ende gegangen war, er also M mit J. tatsächlich verbindet, ist eine Obszönität sondergleichen und eine ungeheuerliche Beleidigung der vielen Millionen die an diese Idee, die gleichberechtigte Vereinigung der Südslawen, geglaubt haben. Wer sich die Zusammensetzung dieser Reisegruppe mal ansieht kommt nicht umhin, darin eine Truppe von BRD-Altlinken zu erkennen, die, gekränkt von der Tatsache, dass keiner mehr ihren real existierenden Sozialismus haben möchte, verbal Amok läuft, was ja halb so wild ist, da ein wahrer Künstler sich mit Lappalien wie Fakten etc. nicht aufhalten muss. Was zählt ist die Absicht und der Ausdruck. Zu empfehlen ein Artikel bei der Konkurrenz:http://www.fr-online.de/i... Melden Empfehlen KlausHa #2 — 12. April 2007, 13:12 Uhr Die Realität des Dichters Bei der letzten Volkszählung 1991 kamen die Demographen auf 11,6 % Serben in Kroatien und 31 % in Bosnien und Herzegowina - der Dichter hat es scheinbar nicht so mit den Zahlen. Das einzige was gegen einen rein bosnischen Staat spricht ist die Tatsache, dass es ja schließlich noch die Herzegowina gibt. Ansonsten müssten die Serben nichts dagegen haben, schließlich sind sie nicht weniger Bosnier wie die Kroaten oder Bosniaken. Das, einen rein 'bosniakischen' Staat, hat Handke vermutlich gemeint - wieder 'knapp' daneben, aber macht ja nichts. Das mit dem geplanten 'Scharia-Staat' ist wohl keiner weiteren Kommentierung wert. Hat sich der Dichter denn mal gefragt, wieso die 30% Nichtserben in einem rein serbischen Staat leben sollten? Immerhin ist Serbien dank neuer Verfassung explizit der Nationalstaat der Serben - im Gegensatz zu Kroatien. Wobei, nebenbei gesagt, die in Serbien lebenden Minderheiten dank politischer Entscheidungen am Verhandlungstisch sich in Serbien wiederfanden - dessen Minderheiten zugewandert sind. Ach, und ist Rolf Becker nicht der für den Christian Klar 'politischer Gefangener' ist? Hier wird eher offensichtlich woher der politische Wind weht. Übrigens Herr Büscher, wie auch immer ihr persönlicher Eindruck sein mag, von 'Sezessionskriegen' kann gar keine Rede sein. 'Abspaltung'? Von was denn bitte? Die Badinterkomission der EU, sowie UN kommen beide zu dem Ergebnis - Jugoslawien wurde als Zerfallen erklärt, also heisst es 'Sukzession'. Dass Herr Milosevic sein Staatengebilde weiterhin J. nannte, war sein privates Vergnügen, er hätte es auch Taka-Tuka-Land nennen können, Rechtsnachfolger Jugoslawiens war diese BR J. jedenfalls nicht. Dass er die Beerdigung Milosevics besucht hat, da mit diesem Jugoslawien zu Ende gegangen war, er also M mit J. tatsächlich verbindet, ist eine Obszönität sondergleichen und eine ungeheuerliche Beleidigung der vielen Millionen die an diese Idee, die gleichberechtigte Vereinigung der Südslawen, geglaubt haben. Wer sich die Zusammensetzung dieser Reisegruppe mal ansieht kommt nicht umhin, darin eine Truppe von BRD-Altlinken zu erkennen, die, gekränkt von der Tatsache, dass keiner mehr ihren real existierenden Sozialismus haben möchte, verbal Amok läuft, was ja halb so wild ist, da ein wahrer Künstler sich mit Lappalien wie Fakten etc. nicht aufhalten muss. Was zählt ist die Absicht und der Ausdruck. Zu empfehlen ein Artikel bei der Konkurrenz:http://www.fr-online.de/i... Melden Empfehlen Avatarbild von Antoninus Antoninus #3 — 13. April 2007, 11:48 Uhr Der Mann unter dem Himmel P. Handke - der Mann unter dem Himmel seiner eigenen Seinsvergessenheit. Um nicht den Skandal hinter dieser Misereor-Schau zu vergessen: Dass Handke je mehr als einige romantische Zeilen von Heine gelesen und verstanden hat, halte ich für ein Gerücht. Z.B. die letzte aus 'Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland'..: 'Hört Ihr das Glöckchen klingeln? Kniet nieder - Man bringt die Sakrament einem sterbenden Gotte.' - Auch ein solcher Himmels-Poet wie P. H. ist damit gemeint. Hat mir H.H. ad 'urbem et orbem et caelum' eingeschrieben; non ignorabo! Melden Empfehlen Vernes #4 — 18. April 2007, 18:13 Uhr Srebrenica oder Vukovar Wie kann man eigentlich so ignorant sein und die Augen vor der Wahrheit verschliessen??? Herr Handke sollte mal zur Abwechslung Srebrenica, Foca oder Vukovar besuchen. In keinem der oben genannten Fällen lässt sich leugnen, dass Milosevics Soldateska nicht direkt am Kriegsverbrechen beteiligt war, bzw. dass dies auf Anordnung von Milosevic geschah. Herr Handke ging dann zur Beeridigung des Retters von Jugoslawien. Milosevics erklärtes Ziel war nicht die Rettung Jugoslawiens sondern der Schutz der serbischen Bevölkerung. Als vorbeugende Massnahme sind dann natürlich ethnische Säuberungen durchgeführt worden. Kann Herr Handke auch Gedanken lesen??? Woher weiss Herr Handke was Izetbegovic wollte? Izetbegovic wollte und konnte keinen Scharia-Staat gründen. Meint Herr Handke wirklich, dass Europa es dulden würde einen Scharia-Staat in ihrer unmittelbarer Nähe zu haben? Auch jetzt wo in Bosnien-Herzegowina dank ethnischer Säuberungen einzelne Bevölkerungsgruppen zu mehr als 95 % unter sich sind, gibt es immer noch keine Radikalisierung der moslimischen Bevölkerung. In Bosnien-Herzegowina gab es und gibt es immer noch Mudschahedin die sich freiwillig gemeldet haben der moslemischen Bevölkerung zu helfen, alle anderen internationalen Institutionen haben gar nichts oder sehr wenig getan. Herr Handke vielleicht war Jugoslawien eine schöne Idee, die sich dann zu einem Albtraum für sehr viele Menschen verwandelt hat, Sie können ja immer noch auf diese Idee glauben, ich tue es nicht mehr. Melden Empfehlen Der Kommentarbereich dieses Artikels ist geschlossen. Wir bitten um Ihr Verständnis. Start DIE ZEIT Archiv Jahrgang 2007 Ausgabe: 16 Kosovo: »Ich wollte Zeuge sein« Impressum Datenschutz
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Peymann und Handke sagen Uraufführung in Wien ab Bei Peter Handke und Claus Peymann hängt der Haussegen schief: Die für Februar 2011 geplante Zusammenarbeit für "Immer noch Sturm" am Burgtheater fällt wegen "unterschiedlichen Erwartungen" an die Inszenierung aus. Facebook Google+ Twitter Drucken Mail Vorlesen Peymann Handke sagen Urauffuehrung Zwischen Peter Handke und Claus Peymann gibt es offenbar Unstimmigkeiten – (c) Montage: DiePresse.com, Fotos: APA (HELMUT FOHRINGER), AP (Fritz Reiss) 0 Kommentare 04.05.2010 um 13:17 Zwischen Peter Handke und Claus Peymann gibt es offenbar Unstimmigkeiten: Sie haben sich entschieden, die Zusammenarbeit für die im Februar 2011 vorgesehene Uraufführung von Handkes neuem Stück "Immer noch Sturm", die als Gastspiel am Wiener Burgtheater geplant war, aufzugeben. Proteste gegen USA und Israel FEATURED BY Die "jahrzehntelange, bis jetzt elf Uraufführungen umfassende Zusammenarbeit des Regisseurs mit dem Schriftsteller" werde für dieses Stück "unterbrochen", teilte das Berliner Ensemble mit. Ausschlaggebend für die "bedauerliche Entscheidung waren unterschiedliche Erwartungen an die Ästhetik der Inszenierung, aber auch dispositionelle Fragen der Realisierung", heißt es weiter. Peymann inszeniert seit 1966 Handke Das Burgtheater bestätigte die Meldung und verwies darauf, dass es sich trotz der Uraufführung an der Burg nicht um eine Koproduktion handelt. Peymann inszenierte bisher unter anderem Handkes "Publikumsbeschimpfung" im Theater am Turm (1966), "Der Ritt über den Bodensee" an der Schaubühne (1971) und "Die Stunde da wir nichts voneinander wussten" am Burgtheater (1992) bis zuletzt "Spuren der Verirrten" am Berliner Ensemble 2007. (APA/Red.) 0 KOMMENTARE Sie sind zur Zeit nicht angemeldet.
https://diepresse.com/home/kultur/news/562716/Peymann-und-Handke-sagen-Urauffuehrung-in-Wien-ab-
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„Immer noch Sturm“ von Peter Handke Neues Stück mit Spektakulärer Vorgeschichte © Die Berliner Literaturkritik, 07.10.10 BUCH KAUFEN Von Nada Weigelt Peter Handkes neues Werk hatte schon eine spektakuläre Geschichte hinter sich, lange bevor es jetzt auf den Markt kam. Claus Peymann, der „Papst“ unter den deutschen Theatermachern, wollte das neue Stück seines langjährigen Freundes Handke als Gastspiel am Wiener Burgtheater uraufführen. Doch Regisseur und Autor zerstritten sich, der Plan wurde gekippt. Jetzt hat Handke (67), der große Provokateur unter den deutschsprachigen Dramatikern, sein Stück „Immer noch Sturm“ in einer Buchfassung bei Suhrkamp herausgebracht. Und der Wunsch des gebürtigen Kärnters nach einer Uraufführung in Österreich wird doch noch wahr: Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass der „Sturm“ unter der Regie des Bulgaren Dimiter Gotscheff im August 2011 bei den Salzburger Festspielen Premiere feierte. Die Buchfassung ist eine packende und zugleich poetische Zeitreise in Handkes Familiengeschichte. Als Ich-Erzähler begegnet er in Szenen zwischen Traum und Wirklichkeit seiner Mutter, ihren vier Geschwistern und den Großeltern, die als slowenische Minderheit in Kärnten leben. Zwei der Geschwister schließen sich angesichts der Verfolgung durch die Nazis im „Großdeutschen Reich“ dem bewaffneten Widerstand einer Partisanengruppe an. Die Auseinandersetzung mit diesem Teil der Familiengeschichte wird zugleich zur Frage an den nachgeborenen „Kümmerer“. „Nicht ich lasse Euch nicht in Ruhe. Es lässt mich nicht in Ruhe, nicht ruhen“, sagt er einmal. Malte Herwig, dessen Handke-Biografie „Meister der Dämmerung“ demnächst erscheint, nennt das Buch ein „großes Alterswerk im besten Sinne“. Und Thomas Oberender, der Schauspielchef der Salzburger Festspiele, sagte: „Es ist ein großes homerisches Epos, in dem Homer die von ihm erfundene Welt selber betritt.“ Freilich, vieles ist nicht erfunden: Der heute in der Nähe von Paris lebende Autor wurde 1952 im kleinen Ort Griffen in Südkärnten geboren. Seine Mutter war Slowenin, sein verschwundener Vater ein deutscher Wehrmachtssoldat. Von ihm erfährt Handke erst, als er kurz vor dem Abitur steht. Hauptfigur im Buch ist sein Pate und ältester Onkel Gregor, der 1942 an der Ostfront fiel. Er hatte eine Schlüsselrolle in der Familie und kommt als literarische Figur bei Handke immer wieder vor. In „Immer noch Sturm“ schließt er sich den Partisanen an, für die nach 1945 der „frische Frieden“ bald in einen faulen umschlägt. „Einmal die Heimat verloren - für immer die Heimat verloren. Es herrscht weiterhin Sturm. Immer noch Sturm“, sagt der Onkel in der Passage, die dem Stück den Titel gab. Wenngleich aus anderer Perspektive, so klingt hier erneut das Thema an, mit dem Handke sich Mitte der 90er Jahre politisch ins Zwielicht brachte. Auch seine damals so umstrittene Parteinahme für Serbien entsprang letztlich der Idee eines Vielvölkerstaats Jugoslawien. Spannend an dem gerade mal 166 Seiten starken Buch ist aber nicht nur die Verschränkung von Familien- und Weltgeschichte, sondern auch die literarische Form. In einer Mischung aus Drehbuch und Roman entwickelt Handke seine Szenen in dichten, wortgewaltigen Dialogen, die sein „Ich“ mit den familiären Traumgestalten führt. Zum Schluss bleibt der sich selbst genügenden Familie als Wahlmöglichkeit nur, ihren „Weltverdruß“-Walzer einmal als Polka zu singen. „Zwar auch nicht gerade Zukunftsmusik, aber naja ...“ Handke, Peter: Immer noch Sturm, Suhrkamp Verlag Berlin, 166 S., 15,90 €.
http://www.berlinerliteraturkritik.de/detailseite/artikel/handkes-familiendrama-immer-noch-sturm.html
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„Immer noch Sturm“ von Peter Handke Neues Stück mit Spektakulärer Vorgeschichte © Die Berliner Literaturkritik, 07.10.10 BUCH KAUFEN Von Nada Weigelt Peter Handkes neues Werk hatte schon eine spektakuläre Geschichte hinter sich, lange bevor es jetzt auf den Markt kam. Claus Peymann, der „Papst“ unter den deutschen Theatermachern, wollte das neue Stück seines langjährigen Freundes Handke als Gastspiel am Wiener Burgtheater uraufführen. Doch Regisseur und Autor zerstritten sich, der Plan wurde gekippt. Jetzt hat Handke (67), der große Provokateur unter den deutschsprachigen Dramatikern, sein Stück „Immer noch Sturm“ in einer Buchfassung bei Suhrkamp herausgebracht. Und der Wunsch des gebürtigen Kärnters nach einer Uraufführung in Österreich wird doch noch wahr: Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass der „Sturm“ unter der Regie des Bulgaren Dimiter Gotscheff im August 2011 bei den Salzburger Festspielen Premiere feierte. Die Buchfassung ist eine packende und zugleich poetische Zeitreise in Handkes Familiengeschichte. Als Ich-Erzähler begegnet er in Szenen zwischen Traum und Wirklichkeit seiner Mutter, ihren vier Geschwistern und den Großeltern, die als slowenische Minderheit in Kärnten leben. Zwei der Geschwister schließen sich angesichts der Verfolgung durch die Nazis im „Großdeutschen Reich“ dem bewaffneten Widerstand einer Partisanengruppe an. Die Auseinandersetzung mit diesem Teil der Familiengeschichte wird zugleich zur Frage an den nachgeborenen „Kümmerer“. „Nicht ich lasse Euch nicht in Ruhe. Es lässt mich nicht in Ruhe, nicht ruhen“, sagt er einmal. Malte Herwig, dessen Handke-Biografie „Meister der Dämmerung“ demnächst erscheint, nennt das Buch ein „großes Alterswerk im besten Sinne“. Und Thomas Oberender, der Schauspielchef der Salzburger Festspiele, sagte: „Es ist ein großes homerisches Epos, in dem Homer die von ihm erfundene Welt selber betritt.“ Freilich, vieles ist nicht erfunden: Der heute in der Nähe von Paris lebende Autor wurde 1952 im kleinen Ort Griffen in Südkärnten geboren. Seine Mutter war Slowenin, sein verschwundener Vater ein deutscher Wehrmachtssoldat. Von ihm erfährt Handke erst, als er kurz vor dem Abitur steht. Hauptfigur im Buch ist sein Pate und ältester Onkel Gregor, der 1942 an der Ostfront fiel. Er hatte eine Schlüsselrolle in der Familie und kommt als literarische Figur bei Handke immer wieder vor. In „Immer noch Sturm“ schließt er sich den Partisanen an, für die nach 1945 der „frische Frieden“ bald in einen faulen umschlägt. „Einmal die Heimat verloren - für immer die Heimat verloren. Es herrscht weiterhin Sturm. Immer noch Sturm“, sagt der Onkel in der Passage, die dem Stück den Titel gab. Wenngleich aus anderer Perspektive, so klingt hier erneut das Thema an, mit dem Handke sich Mitte der 90er Jahre politisch ins Zwielicht brachte. Auch seine damals so umstrittene Parteinahme für Serbien entsprang letztlich der Idee eines Vielvölkerstaats Jugoslawien. Spannend an dem gerade mal 166 Seiten starken Buch ist aber nicht nur die Verschränkung von Familien- und Weltgeschichte, sondern auch die literarische Form. In einer Mischung aus Drehbuch und Roman entwickelt Handke seine Szenen in dichten, wortgewaltigen Dialogen, die sein „Ich“ mit den familiären Traumgestalten führt. Zum Schluss bleibt der sich selbst genügenden Familie als Wahlmöglichkeit nur, ihren „Weltverdruß“-Walzer einmal als Polka zu singen. „Zwar auch nicht gerade Zukunftsmusik, aber naja ...“ Handke, Peter: Immer noch Sturm, Suhrkamp Verlag Berlin, 166 S., 15,90 €.
http://www.berlinerliteraturkritik.de/detailseite/artikel/handkes-familiendrama-immer-noch-sturm.html